Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 29

JUGEND

1897

Käs vierie ^ebot

Skizze l)on M. Asm ns, mit einer Zeichnung
von Artur Halmi.

?Mic Konfirinandcnstnnde in einer der Geiiieinde-
s&C schulen von Berlin 80. neigte sich ihrem Ende
zn. Die Jungen begonnen unaufmerksam und un-
ruhig zu iverden. Sie horchten auf den Lärm,
der von der Wrangclstrahe hereintönte, sie sahen
nach den Schneeflocken, die vereinzelt an's Fen-
ster flogen, und wünschten, sic möchten sich ver-
mehren und verdichten, damit cs auf dem Heim-
>vcgc ein lustiges Schneeballircn geben könnte.

Da thnt der Pastor eine Frage, bei der die
Köpfe sich ihm wieder zuwandten und die Füge
zur Ruhe kamen.

^ „Hat wohl einer von Euch kürzlich von den
Eltern eine Strafe cmpsangcn wegen Ucbcrtretung
eines Gebotes?"

Das Geräusch war fast ganz verstummt, nur
hier und da wurde noch ein leises Scharren und
Schnüffeln hörbar.

KeineAntwortkam, aberein Kichern, Flüstern
Mid Murmeln verbreitete sich durch die Reihen,
und die Köpfe drehten sich nach der Seite, wo
am Ende einer Bank ein schmück,tiger Junge sah,

der in ein kleines-, blan-gcwürfeltcs Taschentuch
zu ivcincn begann.

Der Pastor fuhr nach kurzer Panse fort:
„Ich tvill keine Anklage hören. Ihr sollt Euch
selbst die Frage beantworten." Dann sprach er
von dein hohen Amte der Eltern, die an Gottes
statt auf Erden gesetzt wären, in der Zeit zu
strafen und zn bessern, um vor der Strafe in
der Ewigkeit zu retten. Darum sollten die Kinder
sich nicht trotzig auslchnen, sondern die Strafen-
den dankbar verehren, auch an Gottes statt. Je
länger der Pastor sprach, desto häufiger sah er
dabei den weinenden Knaben an, der seineThränen
mit dein zusaminengcballten schmutzigen Tuche
trocknete und zuletzt ganz ausmcrksam zu ihm auf-
blickte. Zum Schlug der Stunde muhte er das
vierte Gebot aufsagen. Er that es ohne Stocken:
" „Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter
ehre», auf dah cs Dir wohlgehe und Du lange
lebest auf Erden."

Die Jungen gingen nach Hause. Bevor sie
sich trennten, blieben sie in Gruppen stehen. Der
Schncefall hatte ganz aufgehört, daö Trottoir
war trocken und sauber. Mer ihre vergebliche
Hoffnung ans Schnee machte ihnen keine» Kummer.
Ein Hausgenosse ivuhte, was mit Fritz Grunert
war, hatte in der Stunde davon geflüstert und
erzählte den Hergang mm ausführlich.

Seine Mutter hatte ihn geschlagen, »weil er
beim Einholcn einen Bierkäse gegessen und nur
fünf nach Hause gebracht hatte.

Fritz Grunert ging allein. Er wohnte in
der Pücklcrstrahe, und sein Weg führte ihn an
dem Markt vorbei. Er bemerkte seine Mutter,
die eben auch dorthin gekommen sein muhte.
Aller Groll gegen sic war verflogen, tvährend
der Pastor von ihrem großen.schweren Amte
gesprochen hatte. Er dachte nur noch daran, wie
sie sich den ganzen Tag über placken muhte für
ihn und den Vater und wie gut sie oft zu ihm
gewesen, besonders als er noch klein war.

Da ging sic nun wieder so eilig mit ihrem
etwas sinkenden Schritte den Marktgang hinunter,
tvahrschcinlich um noch schnell etwas zn Mittag
zn kaufen, vielleicht gar eine Salzgurke, sein
Lieblingsessen. Sie hatte den grohen Hcnkelkorb
am Arm, gewih um bei der Gelegenheit noch
weitere Einkäufe zn machen. Fritz ging ihr nach
und fragte, ob er den Korb tragen sollte.

Es war wohl, weil er so kurz und brummig
sprach, dah sie zusammenschrak, als sic ihn vor sich
sah. Aber er schämte sich, jetzt plötzlich freundlich

A. Halmi (München').

zu rede». Seit sie ihn geschlagen hatte, >var noch
keiw.gütz'MWort zwischen ihnen gefallen.

„Mcin'lsivcjen auch!" sagte Frau Grunert,
„M-MHMWci>sojut mitkommen. Aber dah
DirWonIWuTd hältst!"

MMsvigte ihr mit dem Korbe, als sie
weiterschritt. Bei den Stünden mit Butter und
Eiern ging sie langsamer und reckte den Kops
bald nach dieser bald jener Seite. Aber noch
folgte sie keinem der Rufe: „Hier, junge Frau,
frische Trinkeier!" „GuteTischbnttcr,Madamchen!"
die von beiden Reihen ertönten.

Da näherte sie sich einem Stande und handelte
für l Mk. 50 Pfg. eine Mandel Eier ein, mit
der Bedingung, dah sic sie sich heraussuchen
dürste. Sic nahm die gröhten und legte sie in
die Papiertüte, die ihr die Verkäuferin hinhielt.

Run zog sie Fritz eilig in einen Winkel, wo
sie Niemandem im Wege waren und gab ihm
die Tüte zu halten. Dann band sic schnell ihren
schwarz gehäkelten Kopsshnwl ab und nahm aus
dem Korbe ein grohcs Tuch, das sie über den Kops
warf uno im Racken knotete, nach Art der Land-
lentc. Run Packte sie die Eier sorgfältig in das
Stroh, das sic im Korbe mitgebracht hatte, lieh
die eine Hälfte des Deckels osscn, so dah einige
lockend herausguckten, und verlieh den Markt.

Verwundert hatte Fritz seiner Mutter zu-
gcschcn cmd mit klopfendem Herzen folgte er ihr.
Das Glück war Frau Grunert günstig. Sic
tvurde sogleich von einer Dame, die ans den
Markt gehen wollte, angeredct.

„Wo sind die Eier her?"

„Aus Schmarjendorf, meine Dame."

Die Dame wollte sie sehen. „Ja, meints-
wcjen, anseh'n kost' nischt. Sic sind aber alle
verkauft."

„So? Wie thcncr sind sie denn? Können
Sie mir nicht einige davon »blassen?"

„Na, nee, das darf ich wohl eijentlich »ich!
DaS Stück kost' 23 Pf."

„Das Stück?" lachte Fritz. Er glaubte, seine
Mutter Hütte sich versprochen.

Frau Grunert wandte sich von der. Dame
ab und drohte ihm mit den Augen. Dan» sagte
sie gleichmüthig:

„Nee, se kosten eijentlich mehr, aber ich Hab'
se dafür jelassen."

Fritz wurde glühend roth. Er wandte sich
um und hackte eifrig mit dem Stiesclabsatz aus
den hartgefrorene» Schnee an der Umfassung des
kleinen Rasenplatzes.

486
Register
Martha Asmus: Das vierte Gebot
Arthur Lajos Halmi: Zeichnung zum Text "Das vierte Gebot"
 
Annotationen