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Nr. 29

JUGEND

1897

der seinen Schutzbefohlenen ganz nach Laune
heute gebratene Lerchen vorsetzt und morgen
muntere Skorpione in's Bett legt.

Rein Wunder also, daß sich Alles, was
schreibt, druckt und gedruckt wird, zu den Flain-
menaltärcn des mächtigen Gottes drängt und
um seiu Wohlwollen, seine Nachsicht buhlt;
und kein Wunder, daß an diesem Festtage noch
mehr als sonst die eigentliche Priestcrschaft dieses
Gottes — die Literaten, Mandarine, Dichter,
Gelehrten, Zeitungsschreiber, Buchdrucker, Buch-
händler, Rolportcurc und Ralligraphcn — sich
hoch fühlt und geehrt wird, so ähnlich wie bei
uns an den Tagen der großen Grdensfcste,
wo ja auch die Literatur und die Presse förm-
liche Mrgien der Beliebtheit, Verehrung und
Auszeichnung feiern.

Doch kehren wir zu unseren lustwandelnden
Lhiuesen zurück. Der Acltere hatte seine Rede
kaum beendet als der Jüngere, voll von be-
geisterter Ueberzeugung, erwiderte:

„verehrter Meistert ich bewundere Deine
tiefe Weisheit, welche sich zu der weinigen ver-
hält wie ein Rameel zn einer Laus. Aber an-
erkennen kann ich nicht, daß Du Recht habest,
vor Allem möchte ich Dich doch bitten, aus
unseren frcimüthigcn Diskussionen den altväter-
lichen Literaturgott wcgzulasscn! Jawohl, wir
huldigen ihm, wir besuchen seine Feste und
freuen uns der Einfalt, mit der das Volk an
ihn glaubt, — denn das bringt Gewinn, stärkt
unser Ansehen und nimmt die Verantwortung
für so manches Unrecht von unfern Schultern.
Wir verherrlichen ihn sogar in unseren Ge-
dichten, denn wahrlich, der Aultus dieses unseres
Gottes ist voll von lieblichen, poetischen Bilder»
und Metaphern. Aber im Grunde — das
hast Du ja selber oft genug angedcutet, wenn
auch nicht offen bekannt, — im Grunde ist er
doch ein ksirngespinust unserer Väter, die phan-
tastische Personifizirung eines Zweiges des un-
persönlichen Urwesens, das vom Beginne der
Schöpfung an in uns Allen wohnt.

Dann aber," so fuhr Pang-Bu fort, und
nun funkelten seine dunklen Augen in unheim-
lichem Glanze, — „dann aber bedenke doch,
wie unvollkommen alles durch die Schrift feit
mehr als zwei Jahrtausenden Ucberlieferte un-
sere wirklichen Gedanken widcrspiegclt. Bdcr
hast Du irgend eines der herrlichen Bücher,
die uns wegen ihres Alters so theucr sind, aus
der kjand gelegt, ohne Dir über das Gelesene
noch Deine eigenen Gedanken zu mache» ? Das
bringt mich zu der Ueberzeugung, daß auch die
Verfasser dieser ehrwürdigen Schriften mehr
gewußt, gefühlt und gedacht haben, als sie in
den trockenen Schriftzeichen zum Ausdruck
bringen konnten oder vielleicht durften. Und
ich werde immer mehr in der Hoffnung be-
stärkt, daß noch irgendwelche Formen zu finden
seien, welche den Geist von jenen Fesseln be-
freien. Denn unsere Geister sind wirklich ge-
fesselt, nicht blos durch die Gesetze und Sitten,
sonder» auch durch die hergebrachte Art, wie
unsere Begriffe eingeschachtelt sind und wie
wir die Worte setzen, Wie unsere kleinen Frauen
mit ihren cingcschnürten und verkrüppelten
Füssen nur trippeln, nicht springen und laufen
können, so werden wir durch die Bewunderung
der klassischen Formen am literarischen Fort-
schritt gehindert. Ls ist etwas faul in unserer
chinesischen Literatur. Und ich habe sogar den
verdacht, daß wir auch die großen Gedanken
anderer Völker, diejenigen Buddha's mit in-
begriffen, nicht recht verstehen, weil die ver-
steinerte Grammatik unserer sechstausend Schrift-
zeichen wie ein Alp auf unsere Geister drückt.
Wie viel besser sind doch unsere Maler und
Zeichner daran, die durch keinerlei Schablone
daran gehindert sind, das frische, freie Leben

H. Eichrodt (Karlsruhe).

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der Natur, der Pflanzen und Thiere, wie der
menschlichen Gestalie» in anmuthigeu Bildern
wicdcrzugeben. Hier sind wir wirklich Meister
und Lehrer auch für andere Nationen, die sich
an den Werken unserer Rünstlcr erbauen, wäh-
rend sie unsere Literatur, die hierin der großen
Mauer gleicht, weder verstehen, noch lieben
können" — —

„Und das ist auch gar nicht nöthig," fiel
der Aelterc dem Sprecher in's Wort. „Wir
wollen Lhiuesen bleibe», chinesisch denke», füh-
len, glauben, zweifeln, fürchten, hoffen. Ich
liebe diese chinesische Mauer, die uns vor der
Gedankenpest unreifer Völker bewahrt. Der
Rukuk hole unsere Maler, wenn sic sich unter-
stehen wollen, mit ihren naturalistischen Pinsel-
eien die fcstgcsügte Phalanx unserer geheiligten
Schrift zu durchbrechen, vor dem Litcraturgott
aber nimm Dich in Acht; er läßt seiner nicht
spotten. Unter uns gesagt, ich glaube nicht an
ihn, aber ich fürchte ihn. Thue D» desgleichen.
Denke an das traurige Ende Deines armen
Freundes Nyi-tszc l Wie lange ist es her, daß
Ihr in Jubel ausbrachet über sein revolutio-
näres Buch „Jenseits von Dumm und Ge-
scheid!"; und heute — habt Ihr cs verstanden?
und was hat er selber sich dabei gedacht? Mit
dcuisclben Rechte könnten Deine vielgepriesenen
Maler sich „jenseits von pell und Dunkel" be-
geben, aber das Resultat wäre doch nur, daß
man ihre Gestalten nicht inchr erkennen würde.
Sic werden cs daher wohl bleiben lassen, denn
sic lieben zu sehr die Deutlichkeit der Dinge
und — die Gunst des Publikums. Glaube
mir, daß ich ein wahrer Freund des Fortschritts
auch in der Literatur bin; nur sehe ich kein Heil
in der einfachen Negation, in der Zertrümmer-
ung unserer altchrwürdigcn Formen, unserer
Begriffe und Zeichen. Mhne strenge Form keine
Aunst, und — .das Ehinesische den Lhinesen!‘"

Pang-Bn hatte sich während der in ver-
letzendem Tone gesprochenen Replik seines
alten Meisters und Lehrers mehrmals auf die
Zunge gebissen; in seinen blinzelnden Augen
glühte Zorn Aber er bezwang sich und sagte
ruhig: „verehrter MeisterI Du hast gewiß von
Deinem Standpunkte sehr Recht, und ich be-
daure wirklich, Dir diesen Spaziergang nach
dem so schön und heiter verlaufenen Feste des
Litcraturgottes durch meinen Widerspruch ver-
gällt zu haben. Daß ich mich in die Verhält-
nisse zu schicken weiß, habe ich durch den Eifer
bewiesen, womit ich mich jedem Examen unter-
zogen habe, das mir Deine Weisheit auferlcgte
— obschon ich, wie Dir bekannt, gerade diese
Examina für bsemmniffe unseres geistigen Fort-
schrittes halte und daher Haffe. Du selbst nann-
test mich immer Deinen fleißigsten Schüler und
prophezeihtest mir eine große Zukunft als Man-
darin. Du wirst sehen, daß ich Dir keine Schande
machen werde, obschon ich von meinen Ansichten
über den Marasmus unserer Literatur — Deine
Werke immer ausgenommen! (und dabei läch-
elte er etwas boshaft) — kein Jota wegnehmen
kann. Und noch um Eines bitte ich Dich: lasse
den armen Nyt-tsze in Ruhe! Er wird nach
Jahrhunderten doch verstanden werden. Auch
der unvergleichliche Ron-fu-tszL ist erst lange
nach seinem Tode heilig gesprochen worden."

Sie verabschiedeten sich so formell, wie ge-
bildete Ehiucsen nur Abschied nehmen können.
Der Meister ging verdrießlich nach Hause und
holte den Vogelbauer mit seiner Lieblings-
drossel, um das zärtlich geliebte Thierchen noch
ein wenig spazieren zu tragen. Unter einem
blühenden Iasmiustrauch setzte er den Räfig
nieder, um sich an den lieblichen Trillern des
gefangenen Vogels zn ergötzen. Es war ja
dieselbe Melodei, die von Drosseln seit Jahr-
tausenden gesungen werden.
Register
Hellmut Eichrodt: Zierleiste: Juli
 
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