Nr. 30
JUGEND
1897
Hermann Alocsl (München).
fin meine frau
m <£ande der Oorheit l^üsst’ ich die
fände der schönen frau,
Sie waren schmeichelnd und weiss, mit
blitzenden Thingen geschmückt.
Sch lachte wohl auch beim lieblich
klingenden lockenden Wort,
Gnd eitel genoss ich o/t den spielenden
Üebermuth- —
poch immer wieder irrte mein plick ins
Xeere ab:
Sch sah und /ühlte die fände meiner
lieben frau,
pie weich und still in ruhender Güte sich
nach mir
f ersehnen aus der ferne — peine
fände, die
Mein die Wirrniss dump/en Wollens je
gebannt —
Gnd ich gedachte jener Stunde, da
fmir einst
tummen Crost
yerleih’n.
Otto -Erich Tjartleben.
Kutter, mach' es wieder ganz!
ßilflos schluchzend presste das junge Weib sein
Gesicht in die bcrblichene Straminstickerei
des SopHakissensj. Frau Hedwig saß vor dein
Nähtisch in der Fensternische und lauschte in den
Garten hinaus, tvo eintönig ein Gewitterregen
aus Büsche und Beete niederklatschte.
„Weine Dich aus, Kind!" hatte sic zur schönen
Martha gesagt und da lag die nun und weinte, als
solle derStrom ihrerThräncn nie wieder versiegen.
Marthens Mutter sah ganz stille. Die Häkel-
arbeit war ihr in den Schoos; gesunken und ruhte.
Man hörte nichts im Zimmer, als das Ticken
der Uhr und das Schluchzen der jungen Frau.
Ueber die Mutter kam nun aber Plötzlich
ein Erinnern. Hier war's gewesen, an der selben
Stelle, einmal — zweimal — ach wie oft, wie
oft! Hier hatte sic gesessen, über die Arbeit ge-
beugt, und dann ivar das Kind gekommen mit
jener Bitte — wie heute auch!
Zum ersten Male geschah cs, da Frau Hed-
wig nicht viel älter war, als jetzt ihre Tochter.
Da war das stille, kleine Mädchen, das ans seine
Sachen so säuberlich dicht gab, in die Stube ge-
kommen, thränennberströmt, die Trümmer seiner
zerbrochenen Puppe im Schurz. Der Lastwagen
eines rohen Fnhrknechtes war über das Spiel-
zeug gegangen und die Kleine legte nun ihren
z atrümmerten Liebling Stück um Stück in Frau
Hedwigs Schoss.
„O bitte, bitte, Mutter, mach' cs wieder ganz!"
Mama konnte ja Alles und das Kind glaubte
so felsenscst daran: seine zerbrochenen Spielsachen
und seine zerrissenen Kleidchen, seine schadhaften
Pllderbücher — Alles machten der Mutter ge-
schickte, nie rwbende Hände wieder heil.
Da tvar » denn kein Wunder, das; Martha
auch damals zu Frau Hedwig kam, als der garstige
Packan ihr weißes Kaninchen todtgcbisscn hatte.
Wie einst die Spielzeugtrümmer, trug jetzt das
Kind die zierliche Leiche des Thierleins in's Zim-
mer und — wieder unter heißem Weinen — bat
es: „Mutter, mach' es tvieder ganz! O bitte, bitte!"
Und Mama half. Ohne frommen Betrug ging
das freilich nicht — aber der Glaube des Kindes
an die Allmacht der Mutter war zu rührend, als
daß er hätte enttäuscht werden sollen.-
Aus dem Kinde wurde ein Weib, das nun
auch einmal — nur einmal! — als die Stunde
gekommen war, sein Geschick in die eigenen Hände
nahm und den Weg ging, den cs die auslodern-
den Sinne wiesen, das dumme, wildpochcnde
Herz. Die Mutter konnte das Kind nicht halten.
Sie konnte zuletzt nur weinen und wachen, das;
sic zur rechten Zeit noch berge, was zu bergen
war. Aber in ihr schwarzes Haar tvoben sich
silberne Fäden seit jenem Tag.
Dann kam es auch, wie cs kommen sollte. Dem
Rausche folgte die Ernüchterung. Das funkelnde,
güldene Götterbild war innen hohl und leer.
Wie damals die Stücke der verunglückten
Puppe, wie den Körper des tobten Häslcins,
trug Martha jetzt ihr zerbrochenes Glück der
Mutter in's Haus, der Mutter, deren Rath und
Flehen sic nicht gehört. Mit todesbangen, großen,
rothumrandeten dingen sah sie auf zu der altern-
den Frau in der Fensternische und diese Frau
las in den Augen wieder die Kindesbitte:
„O Mutter, Mutter, mach' es tvieder ganz!"
Ein Schimmer von Lächeln flog über das
gute Gesicht der Mutter Hedwig! Und sic sann
und sann und — betete im Stillen um das rechte
Wort und um den richtigen Rath.
Der Regen hatte aufgehört. Ein grüngol-
denes Leuchten flog in die Stube herein, zitternde
Lichtkugeln tanzten auf der Diele.
Die Thränen des jungen Weibes waren
versiegt. Sic richtete sich auf und tvieder blickte
sie, tvnnderglüubig tvie ein Kiird, zu der Frau am
Feirster empor, harrend, was sie sagen werde_
Clara Evans.
502
JUGEND
1897
Hermann Alocsl (München).
fin meine frau
m <£ande der Oorheit l^üsst’ ich die
fände der schönen frau,
Sie waren schmeichelnd und weiss, mit
blitzenden Thingen geschmückt.
Sch lachte wohl auch beim lieblich
klingenden lockenden Wort,
Gnd eitel genoss ich o/t den spielenden
Üebermuth- —
poch immer wieder irrte mein plick ins
Xeere ab:
Sch sah und /ühlte die fände meiner
lieben frau,
pie weich und still in ruhender Güte sich
nach mir
f ersehnen aus der ferne — peine
fände, die
Mein die Wirrniss dump/en Wollens je
gebannt —
Gnd ich gedachte jener Stunde, da
fmir einst
tummen Crost
yerleih’n.
Otto -Erich Tjartleben.
Kutter, mach' es wieder ganz!
ßilflos schluchzend presste das junge Weib sein
Gesicht in die bcrblichene Straminstickerei
des SopHakissensj. Frau Hedwig saß vor dein
Nähtisch in der Fensternische und lauschte in den
Garten hinaus, tvo eintönig ein Gewitterregen
aus Büsche und Beete niederklatschte.
„Weine Dich aus, Kind!" hatte sic zur schönen
Martha gesagt und da lag die nun und weinte, als
solle derStrom ihrerThräncn nie wieder versiegen.
Marthens Mutter sah ganz stille. Die Häkel-
arbeit war ihr in den Schoos; gesunken und ruhte.
Man hörte nichts im Zimmer, als das Ticken
der Uhr und das Schluchzen der jungen Frau.
Ueber die Mutter kam nun aber Plötzlich
ein Erinnern. Hier war's gewesen, an der selben
Stelle, einmal — zweimal — ach wie oft, wie
oft! Hier hatte sic gesessen, über die Arbeit ge-
beugt, und dann ivar das Kind gekommen mit
jener Bitte — wie heute auch!
Zum ersten Male geschah cs, da Frau Hed-
wig nicht viel älter war, als jetzt ihre Tochter.
Da war das stille, kleine Mädchen, das ans seine
Sachen so säuberlich dicht gab, in die Stube ge-
kommen, thränennberströmt, die Trümmer seiner
zerbrochenen Puppe im Schurz. Der Lastwagen
eines rohen Fnhrknechtes war über das Spiel-
zeug gegangen und die Kleine legte nun ihren
z atrümmerten Liebling Stück um Stück in Frau
Hedwigs Schoss.
„O bitte, bitte, Mutter, mach' cs wieder ganz!"
Mama konnte ja Alles und das Kind glaubte
so felsenscst daran: seine zerbrochenen Spielsachen
und seine zerrissenen Kleidchen, seine schadhaften
Pllderbücher — Alles machten der Mutter ge-
schickte, nie rwbende Hände wieder heil.
Da tvar » denn kein Wunder, das; Martha
auch damals zu Frau Hedwig kam, als der garstige
Packan ihr weißes Kaninchen todtgcbisscn hatte.
Wie einst die Spielzeugtrümmer, trug jetzt das
Kind die zierliche Leiche des Thierleins in's Zim-
mer und — wieder unter heißem Weinen — bat
es: „Mutter, mach' es tvieder ganz! O bitte, bitte!"
Und Mama half. Ohne frommen Betrug ging
das freilich nicht — aber der Glaube des Kindes
an die Allmacht der Mutter war zu rührend, als
daß er hätte enttäuscht werden sollen.-
Aus dem Kinde wurde ein Weib, das nun
auch einmal — nur einmal! — als die Stunde
gekommen war, sein Geschick in die eigenen Hände
nahm und den Weg ging, den cs die auslodern-
den Sinne wiesen, das dumme, wildpochcnde
Herz. Die Mutter konnte das Kind nicht halten.
Sie konnte zuletzt nur weinen und wachen, das;
sic zur rechten Zeit noch berge, was zu bergen
war. Aber in ihr schwarzes Haar tvoben sich
silberne Fäden seit jenem Tag.
Dann kam es auch, wie cs kommen sollte. Dem
Rausche folgte die Ernüchterung. Das funkelnde,
güldene Götterbild war innen hohl und leer.
Wie damals die Stücke der verunglückten
Puppe, wie den Körper des tobten Häslcins,
trug Martha jetzt ihr zerbrochenes Glück der
Mutter in's Haus, der Mutter, deren Rath und
Flehen sic nicht gehört. Mit todesbangen, großen,
rothumrandeten dingen sah sie auf zu der altern-
den Frau in der Fensternische und diese Frau
las in den Augen wieder die Kindesbitte:
„O Mutter, Mutter, mach' es tvieder ganz!"
Ein Schimmer von Lächeln flog über das
gute Gesicht der Mutter Hedwig! Und sic sann
und sann und — betete im Stillen um das rechte
Wort und um den richtigen Rath.
Der Regen hatte aufgehört. Ein grüngol-
denes Leuchten flog in die Stube herein, zitternde
Lichtkugeln tanzten auf der Diele.
Die Thränen des jungen Weibes waren
versiegt. Sic richtete sich auf und tvieder blickte
sie, tvnnderglüubig tvie ein Kiird, zu der Frau am
Feirster empor, harrend, was sie sagen werde_
Clara Evans.
502