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1897

JUGEND

Nr. 30

Mittag

von Anna Lroissant-Nust,
mit zwei Zeichnungen

von Robert Engels (Düfleldorf)

l§>clle, weiche, warme Frühlingsluft weht

über der alten, grauen Sradr. Der
Fimmel ist lichtblau, durchsichtig wie Glas
und voll strahlenden Glanzes. Aus allen
Gärte» strecke» die Bäume ihre Blüthen-
zweige, über die grauen Stadtmauern
hängen ganze Büschel rothcr und weißer
Blüthen, der feuchte Graben hat sich mit
bunte» Blumen geschmückt, in den Anlagen,
unter den mächtigen Lastanien- und Linden-
bäumen, breche» alle Rnospen auf, wie
von rothen, gelbe» und weiße» Flocke»
sind alle Sträucher überrieselt, in den
uralten Wipfeln ist ein Iubiliren und
Singen von Hunderten von Vögeln, auf
dem Nasen jauchze» und spielen die Linder.
Alle Fenster sind weit geöffnet, weiße Gar-
dinen bauschen sich im warme» winde,
heiteres Lachen und plaudern und Singen
tönt aus den Häusern. Ein Hauch von
Trunkenheit und Frühlingsseligkcir liegt
über der grauen Stadt, die still lächelnd
in der Sonne ruht, mir Blumcndufrcn
überschüttet, von Vogclgcsang umjchmcr-
tert. in blühende Gärten eingebettet.

Hinter dem hohe» Dom, von einer Sand-
steininauer umschlossen, schläft ein stiller
Garte». Wie ein Teppich hängt sich dunk-
ler Ephe» über die Einfriedung, riesige
Platanen und filmen beschatten den weichen
Nasen, das Helle, hohe patricicrhaus mir
den gewundenen schmiedciserncn Verzier!
ungen, mit der graziösen Vcrschnörkclung
seiner Balkonc ruht mir geschlossene» sanft-
grünen Läden hinter dem stillen Garten.
Orangen- und Lorbeerbäume säumen die
Sandsteinstufe» der Terrasse, aus barocken
Vase» fallen üppige Schlingpflanzen auf
das Girrerwcrk der Brüstung. Die Flügel-
thüre» vom Gartcnfaal zur Terrafle lind
geöffnet und ei» Schein von blaßblauer
Seide und Goldverzierungen und weißem
Marmor fällt heraus. Nichts regt sich im
Saal, nichts im Garten. Das alte Haus
schläft in tiefer Aul) und kein Ton der
Außenwelt dringt durch die dicke» Mauern.
Nur im Garten hört man ganz von fern
die Linderstimmchen, und wen» man sich
weiter in das Dämmergrün des Parkes
verliert, tönt das Nauschcn des großen
Stromes wie eine immerwährende, ge-
dämpfte, heilige Melodie.

Verloren, vergessen liegt der Garten
in seiner wilde» Frühlingspracht. Ein
buntes Durcheinander altmodischer Blu-
me» ist in de» langgestreckte» Beeren zwi-
schen der steifen Buchscinfassung in die
Höbe gcjchosscn. Der süßssrengc Geruch
des Goldlacks, der zage Duft der Narzisse
mijcht sich mit dem herben Arhci» des
Buchscs und dem weichen Hauch des Flie-
ders. Gelbe Märzenbecher und dunkel-
violette Iris, glührorhe pralle Pfingst-
rose» und blaue Männertreu, neben zart-
rosa Federnelken und riefschwarzcnpensse's
tauche» den Garten in eine märchenhafte
Farbenpracht.

Etwas Träumendes, Gehcimnißvolles,
ein Hauch vergangener Zeiten wehr über
den Laubengängcn, aus dem lächelnde,
weiße Göttinnen schauen.

lNan hört keines Vogels Stimme, kein
Fußtritt knirscht auf dein Lies der Wege,
nichts zeigt, daß das weiße Haus bewohnt

ist; kein Fenster öffnet sich, Niemand schrei-
ter die Stufen hinab, der Saal hält seine
Flügelthürcn weit geöffnet, aber Niemand
tritt heraus.

Vergessen, verloren, verträumt, lind
doch ist's wie das Nauschcn seid'ner Frauen-
kleidcr in der Luft; in den Bosketen fchlum-
merk Lichern und Gelächter, samnit'nc Ge-
wänder schimmern und spiye Degen blitzen.
Mit stillcin Lächeln halten die weißen Göt-
tinnen wache über die Gchcininissc des
Gartens.

Und dort, am Ende des Laubgangs?
Der Greis, der in dem wcitbauchige»,
geschweifte» Lehnstuhl liegt, in die bunte
türkische Decke eingehüllt? Ist er wicder-
crstandcn aus jenen Tagen, in denen ge-
puderte Schöne durch de» park wandelten?
wo cs in verschwiegenen Nischen seufzte
und girrte, wo aus grünen Lauben heim-
liches Licbcsgcflüstcr drang und in den
dunkeln Bosketen Lippe aufLippc brannte?
Oder ist er hier zurückgeblieben, ei» stum-
mer Träumer, ei» sinnender Zuschauer, aus
jener Zeit des Glanzes, als der park »och
widerhallkc von dein berauschenden Lärm
galanter Feste? MTit geschlossenen Augen
ruht das feine, blasse Greisenantlitz auf
dein tiefen Purpursammt des Sessels I Ei»
zarres Tuch ist wieder und wieder um
den welken Hals geschlungen, vor» ver-
knotet, fällt cs i» reichen Spitze» auf die
geblümte Seide des Schlafrockcs weich
legt sich schneeweißes Haar von den Schlä-
fen gegen den Nacken, über der Stirne
und de» Ohre» gerollt, ist cs zu einem
regelrechten Zopf mit schwarzem Band ge-
bunden. Das ist der alte Freiherr, der
alte Sonderling, der mit einem einzigen
alten Diener schon viele, viele Jahre —
wie lang, denken wenige in der Stadt —
das „Schloß" in seiner verblaßten Pracht
bewohnt.

wenige erinnern sich daran, ihn aus
der Straße gesehen zu haben, wenige
wissen noch von dem 2lufruhr, den seine
Erscheinung hervorbrachte. In Lnic-
hoscn und seidenen Strümpfen, ge-
pudert und mit dein Dreimaster, in
Spitzen und Jabots, den vergolde-
ten Lnopf seines Stockes unter
dem Linn, wandelte er ehemals
steif und langsam durch die
Straßen. Er sah nicht rechts,
noch links, hörte keine der hä-
mischen Bemerkungen und
wußte nichts von dein rollen
Gelächter, das ihm folgte.
Niß einmal einer im Hohn
den Hur riefest zur Erde,
so dankte er mir einem
kurzcnLopfnicken. Der
Souverän grüßte den
U »tcrthan. Er sprach
nie mit Jemanden,
nie kam ein Mensch
zu ihm, seit er das
Erbe der Väter
angetreten und in
die Stadt gezogen
war. Tag ein und
Tag aus lagen sic
im 2l»fa»g auf der
Lauer, die gan-
ze Nachbarschaft,
heimlich hinter den
Gardinen und of-
fen und ehrlich über
das Fenstergesimse mir halben» Leibe häng-
end. EineNeihe von Lindernascn drückte sich
platt an dem schweren eisernen Parkgitter,

Robert Engels.

W
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Anna Croissant-Rust: Mittag
Robert Engels: Zeichnung ohne Titel
 
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