Nr. 30
JUGEND
1897
verklingenden Nachtgesang des Stromes.
Der alte Freiherr träumt. Eine breite
"Welle süßen, schmcichclndc» Fliederduftcs
bringt den sonnenwarmen Mittagswind.
Wie war es schön, sein Fest! wie prächtig
die Tafel, schimmernd in seidenglänzendcm
Linnen, mit dem Funkeln der Rrpstall-
kelche, der schweren Wucht der silbernen
Aufsätze, den mächtigen Schalen voll sel-
tener Blumen, wie eine strahlende Insel
hob sich der blitzende, schimmernde, Helle
Tisch ab von dem heitern Ernst des grü-
nen Sammtes der Tapeten und Möbel.
Und nun kamen sie alle an, alle vom
oberen Stockwerk herab, wo sie monate-
lang steif und starr in ihren goldenen
Prachtrahmen gestanden, bis er sie zum
Leben, zur Freude, zum fröhlichen Genießen
erweckte. Das war ein Gefchäcker und
Gelächter die breite Treppe herunter, zwi-
schen mächtigen Lorbeerbäumen, überstrahlt
von den Flammen der Gueridons! Das
war ein Rnistern und Rauschen der Seide,
ein Blitzen und Glitzcn der Geschmeide,
rin Gleiße» der Stickereien, ein Neigen
und Beugen schimmernder Nacken, ein
Prahlen und Strahle» leuchtender Augen!
Und Golddegen blitzten zwischen der starre»
Seide und dem weichen vornehmen Sammt,
glitzernde Schnallen sprühte» auf zierlichen
Hackenschuhen und Busennadelii warfen
zuckende Lichter aus kostbaren Spitzen,
die fein wie Spinncngcwcbe. Hoch und
ernst schritt im Schwarm schöner Frauen
die Schönste.
Ihre Augen tief und leuchtend, wie
der See im Frühlingslicht, ihre Wangen
rorh und zarr wie Apfclblüthenblatt, ihr
Mund eine purpurne Rnospc von Thau
benetzt. Sic, seine Sonne, seine Jugend,
sein Leben! Ihretwegen strahlten die
Rerzen, funkelte das Silber, duftete» jclt-
same Blüthcn in den Schale», ihretwegen
erfüllte der Festglanz, erfüllten die heiteren
Gäste die Säle. Von ihr, der Ernsten,
Stolzen wollte er ein glückliches Lachen,
ihre triumphirende Schönheit wollte er
feiern, sie anbeten, harren, bis ei» Strahl
des Glückes auf ihn fiel, aus ihren 2lugen,
wenn er sie pries, die Göttin der Schön-
heit, der Jugend. Oh, er weiß cs wohl,
wenn sie auch jetzt hohcitsvoll und still
durch die Reihe» der entzückte» Gäste
schreitet, wenn ihre Augen auch tagelang
starr und unbeweglich auf dem großen
Bilde im Ahnensaal blickten und über ihn
wegsahen nach dem blühenden Garte» — er
kannte sie mit einem verstohlenen glücklichen
Lachen, wie sie mit schelmischen Winken ihm
voranglitt durch die Thüren! Er kannte
sie, wie sie vor ihm herflatterte, wie zu
greifen, in ihrem bunten, duftige» Rleide,
das wie vom Frühling selbst gewebt schien,
wie sie sich neckisch zum Tanze schürzte und
ihm mit Flicdcrzwcigen winkte! Er sah
sie um die Ecken seines Hauses huschen,
im tollen Jagen durch die parkwcgc flie-
gen, er sah sic still- in der Fliederlaube
sitzen mit sehnsüchtige» 2lugcn — er hörte
ihren leisen Tritt über die alten Treppen-
stufen, ihr Zagen vor seiner Schwelle, das
hastige Rascheln der Seide in seinem Zim-
mer, fühlte den süße» Fliederduft, der ihrem
Haar entströmte, fühlte ihren erschreckte»,
scheuen Ruß —
Mochte sie auch herb aus dem hohen
Rahmen blicken und seiner bittende» Augen
nicht achten, er fühlte noch die Wärme ihres
jungen Rörpers, den Hauch ihres Mundes
— er wartete, er wußte, die Stunde würde
kommen, in der sie sich ihm ganz offen-
barte.
wie süß der Flieder duftete! wie eine
breite Welle von Glück und Sonne und
Schönheit und Frieden zog's über den
Garten auf ihn zu. Der alte Freiherr
öffnete plötzlich seine großen, blauen Auge»,
ein seltsames Leuchten glomm auf in ihren
Tiefen — Langsam kam si e den Garten-
weg herauf, nicht ernst und streng, strah-
lend in Schönheit und Freude, voll de
mürhigcn Glückes. Ganz leise, ganz un-
hörbar waren ihre Schritte auf dem Ries,
wie eine Glorie wob sich das Licht um
sie, Vögel umflatterten sie, Schmetterlinge
setzten sich auf ihr buntes Gewand und
die frechsten Jungen legte» sich oben auf
der brüchigen Mauer platt auf den Bauch,
saßen rittlings, stundenlang, oder baumel-
ten vergnüglich mit beide» Beine» in das
freiherrliche Gebiet hinüber. Leider sahen
sie nicht viel. Die Laubgänge waren dicht
und der park eine undurchdringliche grüne
wildniß. Manchmal allerdings sahen sie
de» Freiherrn die Stufen herabsteigen und
in den langen, endlosen, geradlinigen wegen
auf- und abstelzcn. Auf einige Entfernung
folgte der Diener mit dem Regenschirm,
den» nur, wenn cs feuchtes und bedecktes
Wetter war, spazierte er in den offenen
wegen hin und her, sonst unternahm er
die Promenade im Laubgang und seine
merkwürdige, bunte
Silhouette und die
des gravitätischen
Dienerstauchten auf,
verschwanden und
kamen wieder zum
Vorschein und ver-
huschten auf's Neue
zwischen den grünen
Buchcnhecke» und
den weißen Götter-
bildern. Auch der
Diener trug Lnie-
strümpfe, die lange
Weste und de» Tuch-
frack. Die Rleider
C"
des Freiherr» waren von Seide und Sammt,
mir reicher Stickerei geziert, und arhmeten
den Duft vergangener Jahrhunderte aus,
wie wen» sie viele Jahre in den mächtigen
Eichenschränke» gelegen hätten, unter La-
vendel- und Roscnblärrcr».
Allmählich gewöhnte man sich an den
Sonderling. Man deutete nach der Stirn,
man kicherte, lächelte leise, zuckte die Achseln,
verzog den Mund, die laute Heiterkeit
wich, es blieb etwas zurück wie Scheu,
Scheu vor dem stolzen, müden Haus mit
seiner abwehrenden Ruhe, vor der ur-
alten Herrlichkeit des Parks, vor dein
weiten stillen Garten mit feiner wilde»
Blumcnpracht, vor den fremden Göttern,
den zwei alten fremden
Menschen. Man gewöhnte
sich daran, es war immer
dasselbe Schauspiel und
das Volk wurde müde.
Raum daß ein paar neu-
gierige Rinderauge» am
Gitter spähten. Der Alte
ging auch nimmer aus und
lebte wie verschollen auf
seiner große», herrliche»,
blühenden Insel.
Nur wenn manchmal
zur Nachtzeit sich alle Lä-
den des weißen Schlosses
öffnete», wenn hunderte
von Rerzcn einen breiten Lichtstrom über
den park warfen und das Haus wie ein
helles leuchtendes Märchen aus den hohen
Wipfel» der Bäume tauchte, wenn au»
den sonst verschlossenen Gemächern, ver-
stohlen erhascht, die Pracht seidener Vor-
hänge und reicher Spitzen strahlte, wenn
von den wänden au» breiten Barock-
rahmen kokette Frauen lachten mit weißer
Brust und hochgezogcnen dunkeln Brauen,
die mit gespreizten Fingern ihre kurz-
geschürzte» Gewänder hielten, wen» ernste
Lavalicre in heroischer Stellung, mit seit-
wärts gedrehtem Ropf, die Hand am Degen,
aus den Rahmen nicderzusteigen schiene»,
wen» in de» dunklen Gängen des Gartens
plötzlich farbenbunrc Lampions glühten
und die Wasser der Springbrunnen zu
rauschen begannen, dann schworen wohl
viele, es sei ein gedämpftes Gebrausc von
vielen Stimmen aus den Sälen gedrungen
mit einem feinen Rlirren von Tellern und
Tassen und Löffelchen, Lhaiitpagnerpfropfen
hätten geknallt, flüchtige Schatten seien an
den Fenstern vorbeigehuscht und glückliches
Lachen habe wie ein leichter feiner Silber-
ton aus den geöffneten Fenstern geklungen.
Mitten in der Nacht sank das Haus wie auf
einen Schlag in seine stumme Dunkelheit
zurück und ruhte unter den breiten Resten
der Platanen. Schwarz starrte der park und
das wipfelrauschen mischte sich mit dein
JUGEND
1897
verklingenden Nachtgesang des Stromes.
Der alte Freiherr träumt. Eine breite
"Welle süßen, schmcichclndc» Fliederduftcs
bringt den sonnenwarmen Mittagswind.
Wie war es schön, sein Fest! wie prächtig
die Tafel, schimmernd in seidenglänzendcm
Linnen, mit dem Funkeln der Rrpstall-
kelche, der schweren Wucht der silbernen
Aufsätze, den mächtigen Schalen voll sel-
tener Blumen, wie eine strahlende Insel
hob sich der blitzende, schimmernde, Helle
Tisch ab von dem heitern Ernst des grü-
nen Sammtes der Tapeten und Möbel.
Und nun kamen sie alle an, alle vom
oberen Stockwerk herab, wo sie monate-
lang steif und starr in ihren goldenen
Prachtrahmen gestanden, bis er sie zum
Leben, zur Freude, zum fröhlichen Genießen
erweckte. Das war ein Gefchäcker und
Gelächter die breite Treppe herunter, zwi-
schen mächtigen Lorbeerbäumen, überstrahlt
von den Flammen der Gueridons! Das
war ein Rnistern und Rauschen der Seide,
ein Blitzen und Glitzcn der Geschmeide,
rin Gleiße» der Stickereien, ein Neigen
und Beugen schimmernder Nacken, ein
Prahlen und Strahle» leuchtender Augen!
Und Golddegen blitzten zwischen der starre»
Seide und dem weichen vornehmen Sammt,
glitzernde Schnallen sprühte» auf zierlichen
Hackenschuhen und Busennadelii warfen
zuckende Lichter aus kostbaren Spitzen,
die fein wie Spinncngcwcbe. Hoch und
ernst schritt im Schwarm schöner Frauen
die Schönste.
Ihre Augen tief und leuchtend, wie
der See im Frühlingslicht, ihre Wangen
rorh und zarr wie Apfclblüthenblatt, ihr
Mund eine purpurne Rnospc von Thau
benetzt. Sic, seine Sonne, seine Jugend,
sein Leben! Ihretwegen strahlten die
Rerzen, funkelte das Silber, duftete» jclt-
same Blüthcn in den Schale», ihretwegen
erfüllte der Festglanz, erfüllten die heiteren
Gäste die Säle. Von ihr, der Ernsten,
Stolzen wollte er ein glückliches Lachen,
ihre triumphirende Schönheit wollte er
feiern, sie anbeten, harren, bis ei» Strahl
des Glückes auf ihn fiel, aus ihren 2lugen,
wenn er sie pries, die Göttin der Schön-
heit, der Jugend. Oh, er weiß cs wohl,
wenn sie auch jetzt hohcitsvoll und still
durch die Reihe» der entzückte» Gäste
schreitet, wenn ihre Augen auch tagelang
starr und unbeweglich auf dem großen
Bilde im Ahnensaal blickten und über ihn
wegsahen nach dem blühenden Garte» — er
kannte sie mit einem verstohlenen glücklichen
Lachen, wie sie mit schelmischen Winken ihm
voranglitt durch die Thüren! Er kannte
sie, wie sie vor ihm herflatterte, wie zu
greifen, in ihrem bunten, duftige» Rleide,
das wie vom Frühling selbst gewebt schien,
wie sie sich neckisch zum Tanze schürzte und
ihm mit Flicdcrzwcigen winkte! Er sah
sie um die Ecken seines Hauses huschen,
im tollen Jagen durch die parkwcgc flie-
gen, er sah sic still- in der Fliederlaube
sitzen mit sehnsüchtige» 2lugcn — er hörte
ihren leisen Tritt über die alten Treppen-
stufen, ihr Zagen vor seiner Schwelle, das
hastige Rascheln der Seide in seinem Zim-
mer, fühlte den süße» Fliederduft, der ihrem
Haar entströmte, fühlte ihren erschreckte»,
scheuen Ruß —
Mochte sie auch herb aus dem hohen
Rahmen blicken und seiner bittende» Augen
nicht achten, er fühlte noch die Wärme ihres
jungen Rörpers, den Hauch ihres Mundes
— er wartete, er wußte, die Stunde würde
kommen, in der sie sich ihm ganz offen-
barte.
wie süß der Flieder duftete! wie eine
breite Welle von Glück und Sonne und
Schönheit und Frieden zog's über den
Garten auf ihn zu. Der alte Freiherr
öffnete plötzlich seine großen, blauen Auge»,
ein seltsames Leuchten glomm auf in ihren
Tiefen — Langsam kam si e den Garten-
weg herauf, nicht ernst und streng, strah-
lend in Schönheit und Freude, voll de
mürhigcn Glückes. Ganz leise, ganz un-
hörbar waren ihre Schritte auf dem Ries,
wie eine Glorie wob sich das Licht um
sie, Vögel umflatterten sie, Schmetterlinge
setzten sich auf ihr buntes Gewand und
die frechsten Jungen legte» sich oben auf
der brüchigen Mauer platt auf den Bauch,
saßen rittlings, stundenlang, oder baumel-
ten vergnüglich mit beide» Beine» in das
freiherrliche Gebiet hinüber. Leider sahen
sie nicht viel. Die Laubgänge waren dicht
und der park eine undurchdringliche grüne
wildniß. Manchmal allerdings sahen sie
de» Freiherrn die Stufen herabsteigen und
in den langen, endlosen, geradlinigen wegen
auf- und abstelzcn. Auf einige Entfernung
folgte der Diener mit dem Regenschirm,
den» nur, wenn cs feuchtes und bedecktes
Wetter war, spazierte er in den offenen
wegen hin und her, sonst unternahm er
die Promenade im Laubgang und seine
merkwürdige, bunte
Silhouette und die
des gravitätischen
Dienerstauchten auf,
verschwanden und
kamen wieder zum
Vorschein und ver-
huschten auf's Neue
zwischen den grünen
Buchcnhecke» und
den weißen Götter-
bildern. Auch der
Diener trug Lnie-
strümpfe, die lange
Weste und de» Tuch-
frack. Die Rleider
C"
des Freiherr» waren von Seide und Sammt,
mir reicher Stickerei geziert, und arhmeten
den Duft vergangener Jahrhunderte aus,
wie wen» sie viele Jahre in den mächtigen
Eichenschränke» gelegen hätten, unter La-
vendel- und Roscnblärrcr».
Allmählich gewöhnte man sich an den
Sonderling. Man deutete nach der Stirn,
man kicherte, lächelte leise, zuckte die Achseln,
verzog den Mund, die laute Heiterkeit
wich, es blieb etwas zurück wie Scheu,
Scheu vor dem stolzen, müden Haus mit
seiner abwehrenden Ruhe, vor der ur-
alten Herrlichkeit des Parks, vor dein
weiten stillen Garten mit feiner wilde»
Blumcnpracht, vor den fremden Göttern,
den zwei alten fremden
Menschen. Man gewöhnte
sich daran, es war immer
dasselbe Schauspiel und
das Volk wurde müde.
Raum daß ein paar neu-
gierige Rinderauge» am
Gitter spähten. Der Alte
ging auch nimmer aus und
lebte wie verschollen auf
seiner große», herrliche»,
blühenden Insel.
Nur wenn manchmal
zur Nachtzeit sich alle Lä-
den des weißen Schlosses
öffnete», wenn hunderte
von Rerzcn einen breiten Lichtstrom über
den park warfen und das Haus wie ein
helles leuchtendes Märchen aus den hohen
Wipfel» der Bäume tauchte, wenn au»
den sonst verschlossenen Gemächern, ver-
stohlen erhascht, die Pracht seidener Vor-
hänge und reicher Spitzen strahlte, wenn
von den wänden au» breiten Barock-
rahmen kokette Frauen lachten mit weißer
Brust und hochgezogcnen dunkeln Brauen,
die mit gespreizten Fingern ihre kurz-
geschürzte» Gewänder hielten, wen» ernste
Lavalicre in heroischer Stellung, mit seit-
wärts gedrehtem Ropf, die Hand am Degen,
aus den Rahmen nicderzusteigen schiene»,
wen» in de» dunklen Gängen des Gartens
plötzlich farbenbunrc Lampions glühten
und die Wasser der Springbrunnen zu
rauschen begannen, dann schworen wohl
viele, es sei ein gedämpftes Gebrausc von
vielen Stimmen aus den Sälen gedrungen
mit einem feinen Rlirren von Tellern und
Tassen und Löffelchen, Lhaiitpagnerpfropfen
hätten geknallt, flüchtige Schatten seien an
den Fenstern vorbeigehuscht und glückliches
Lachen habe wie ein leichter feiner Silber-
ton aus den geöffneten Fenstern geklungen.
Mitten in der Nacht sank das Haus wie auf
einen Schlag in seine stumme Dunkelheit
zurück und ruhte unter den breiten Resten
der Platanen. Schwarz starrte der park und
das wipfelrauschen mischte sich mit dein