Nr. 30
JUGEND
1897
D i e erste Radlerin
Michelangelo Buonarroti (Rom).
sie kam näher und näher. Das Licht
wurde flammender, der Gesang der Vögel
süßer, eindringlicher, das Rauschen des
Stromes schwoll zum brausende» Akkord.
Reicher, üppiger blühten die Blumen, wie
wen» sie vergehe» wollten in Glan; und
sterben in Duft, die weißen Göttinnen
streckten sehnsüchtig die Arme aus — und
sie kam langsam auf den alten Freiherrn
zu. Eine dcmüthige Lönigin, eine zitternde
Herrscherin; ihre Augen mächtige Sonnen,
ihre Lippen glühende Brände. — Endlich,
endlich! — -
Vergehen, verstummen in der woge
von Schönheit und Glück. Er breitet die
Arme aus, sein Ropf sinkt zurück, die
Sonne leuchtet aus seinem weißen Haare,
selige Schauer schütteln ihn, ein glühendes
Verdämmern, ein letzter Seufzer des
Glücks — vom Dome tönen die Mitkags-
glocken, ein feierlicher Akkord, der sich eint
mit der Harmonie der stillen, glühenden,
blühenden Frühlingspracht.
—»mjE«—
Rock oder Hose
für die Radfahrerin?
An die Redaktion der,Jugend“ gelangt
eben die folgende Zuschrift:
Sehr geehrte Redaktion!
Vor einiger Zeit haben Sie die Frage,
ob die radfahrenden Damen Rock
oder Hose tragen sollen, zum Gegen-
stand einer Enquete gemacht. Meiner An-
sicht nach haben nun die Gutachten der
verschiedenen befragten Capacitäten noch
nicht völlige Klarheit geschaffen. Ich aber
bin im Stande, Ihnen eine Autorität vor-
zuführen, gegen die Sie wohl nichts ein-
zuwenden haben werden: keinen Gerin-
geren als
Michelangelo Buonarroti!
Betrachten Sie seine Fortuna*) auf
der Handzeichnung in den „Uffizien“ zu
Florenz. Die Dame — die erste Radlerin,
von der man weiss — trägt auf des Künst-
lers meisterhafter Zeichnung entschieden
einen Rock, wenn auch von besonderem
weitem, luftigem Schnitt. Also weg mit
den Knickerbockers. Was den oberen
Theil des Kostüms betrifft, so besteht er
anscheinend aus einem dünnen, anliegen-
den Sweter ohne Unterkleidung. Die
Dame kann sich das erlauben! Das Rad,
auf dem Fortuna fährt, ist ihrer gesunden,
robusten Gestalt entsprechend, sehr massiv
gebaut, die Lenkstange hat der Künstler
offenbar weggelassen, um eine unschöne
Ueberschneidung der Körperformen zu
vermeiden.
Die Frage Rock oder Hose wäre somit
gelöst von einer der gewichtigsten Ge-
schmacks-Autoritäten aller Zeiten.
Hochachtungsvoll ergebenst
Dr. Sulphurius,
Prof, der Kunstgeschichte.
*) Wir geben die Zeichnung nebenstehend wieder. D. R
Rad-Dithyrambus
Pott Ludwig Lulda
Rbeiß Gott, mich hat die Tndetsucht
Der Radetfucht
Schon öfters hart verdrossen!
Warum dies neue Flügelthier
BeKlügett ihr
Mit negativen Glossen?
Was kann euch ;u verdächtigen
Berechtigen
Dies wundervolle Strampeln,
Das jede Hetdeneigeüfchast
Dein Feigen schafft
Und Männer macht ans Hampeln?
Den Groffltadtluft-Derfauerten,
Vermauerten
Eröffnet es die Pforten
Und trügt uns in Geselligkeit
Mit Schnelligkeit
Vach ungeahnten Orten.
Sie
JUGEND
1897
D i e erste Radlerin
Michelangelo Buonarroti (Rom).
sie kam näher und näher. Das Licht
wurde flammender, der Gesang der Vögel
süßer, eindringlicher, das Rauschen des
Stromes schwoll zum brausende» Akkord.
Reicher, üppiger blühten die Blumen, wie
wen» sie vergehe» wollten in Glan; und
sterben in Duft, die weißen Göttinnen
streckten sehnsüchtig die Arme aus — und
sie kam langsam auf den alten Freiherrn
zu. Eine dcmüthige Lönigin, eine zitternde
Herrscherin; ihre Augen mächtige Sonnen,
ihre Lippen glühende Brände. — Endlich,
endlich! — -
Vergehen, verstummen in der woge
von Schönheit und Glück. Er breitet die
Arme aus, sein Ropf sinkt zurück, die
Sonne leuchtet aus seinem weißen Haare,
selige Schauer schütteln ihn, ein glühendes
Verdämmern, ein letzter Seufzer des
Glücks — vom Dome tönen die Mitkags-
glocken, ein feierlicher Akkord, der sich eint
mit der Harmonie der stillen, glühenden,
blühenden Frühlingspracht.
—»mjE«—
Rock oder Hose
für die Radfahrerin?
An die Redaktion der,Jugend“ gelangt
eben die folgende Zuschrift:
Sehr geehrte Redaktion!
Vor einiger Zeit haben Sie die Frage,
ob die radfahrenden Damen Rock
oder Hose tragen sollen, zum Gegen-
stand einer Enquete gemacht. Meiner An-
sicht nach haben nun die Gutachten der
verschiedenen befragten Capacitäten noch
nicht völlige Klarheit geschaffen. Ich aber
bin im Stande, Ihnen eine Autorität vor-
zuführen, gegen die Sie wohl nichts ein-
zuwenden haben werden: keinen Gerin-
geren als
Michelangelo Buonarroti!
Betrachten Sie seine Fortuna*) auf
der Handzeichnung in den „Uffizien“ zu
Florenz. Die Dame — die erste Radlerin,
von der man weiss — trägt auf des Künst-
lers meisterhafter Zeichnung entschieden
einen Rock, wenn auch von besonderem
weitem, luftigem Schnitt. Also weg mit
den Knickerbockers. Was den oberen
Theil des Kostüms betrifft, so besteht er
anscheinend aus einem dünnen, anliegen-
den Sweter ohne Unterkleidung. Die
Dame kann sich das erlauben! Das Rad,
auf dem Fortuna fährt, ist ihrer gesunden,
robusten Gestalt entsprechend, sehr massiv
gebaut, die Lenkstange hat der Künstler
offenbar weggelassen, um eine unschöne
Ueberschneidung der Körperformen zu
vermeiden.
Die Frage Rock oder Hose wäre somit
gelöst von einer der gewichtigsten Ge-
schmacks-Autoritäten aller Zeiten.
Hochachtungsvoll ergebenst
Dr. Sulphurius,
Prof, der Kunstgeschichte.
*) Wir geben die Zeichnung nebenstehend wieder. D. R
Rad-Dithyrambus
Pott Ludwig Lulda
Rbeiß Gott, mich hat die Tndetsucht
Der Radetfucht
Schon öfters hart verdrossen!
Warum dies neue Flügelthier
BeKlügett ihr
Mit negativen Glossen?
Was kann euch ;u verdächtigen
Berechtigen
Dies wundervolle Strampeln,
Das jede Hetdeneigeüfchast
Dein Feigen schafft
Und Männer macht ans Hampeln?
Den Groffltadtluft-Derfauerten,
Vermauerten
Eröffnet es die Pforten
Und trügt uns in Geselligkeit
Mit Schnelligkeit
Vach ungeahnten Orten.
Sie