Nr. 30
JUGEND
1897
Im Himmel
ßlerr Gotthold Niederhanser befand sich seit
»w einer geraumen Zeit anläßlich seiner ird-
ischen Verdienste im fjimmel. Nichtsdesto-
weniger gestand er sich manchmal im vertrauen,
daß, wen» er sich einmal auf dem großen
müden Ball da unten „im Pimmel" gefühlt
hatte, er immer ein größeres vergnüge,, da-
bei einpfniiden hatte, als wenn er jetzt den
kleine» Lngerln bei ihren Flugversuchen zn-
sah. Ls war einfach langweilig. Natürlich
sagte er es nicht laut.
An einem Sonntag-Nachmittag, als der
Segen vorüber war n»d die kleine» Lugelchen
besonders schön ihr palleluja gesnugen hatten,
setzte er sich mit seiner lange» pfeife so recht au
den Rand einer Wolke, ließ die Füße baumeln
ulid sah hinab auf die geliebte Erde.
Mb sie de» Gotthold Niederhauser im
Pimmel sahen, die Freunde alle beim Goldeuen
Löwen, der köwenwirlh selber, der doch ein
bischen i»'s Fegefeuer mußte, ui» dort den
Schwefelgestauk Lucifers am eigenen Leibe
kennen zu lernen; ob die Bürgerschaft, der
hohe Geineinderath, endlich seine Rinder und
sein liebes Weibchen, die Dori, seine zweite
Frau, ihn so sitzen sahen, wie er ehemals
an Sonntagen beim Löwenwirth saß? Ach,
er sehnte sich ein wenig nach dem irdischen
Jammerthal.
Ls war wirklich schwer, au die vielen
peiligeu und Gerechten einen ordentlichen An-
schluß zu bekommen, von den Engeln ganz
abgesehen, nud die paar Freunde, die schon
Heroden waren, und die verwandten, ja wo
waren die so schnell z» finden? Ulan konnte
auch nicht jeden Augenblick den heiligen Petrus
de» himmlischen Adreffenanzeiger aufschlagen
lassen I Kurz, er fühlte sich vereinsamt und
gelangweilt. Da nuten lag paus und pof,
das Geschäft..., jetzt ging die Dori mit den
Kindern gewiß auf die Schützeniviese und der
blonde Adjunkt machte ihr, der schönen Wittwe,
den pof. Ja, der Gotthold Niederhauser
hatte keinen schlechten Geschmack, aber was
nützte ihm das, jetzt war er allein, und die
Trauer, die die Dori für ihn trug, machte sie
für die anderen interessant. Er war doch ein
Pechvogel, trotzdem er im JJimmel war.
Gelangweilt erhob sich perr Gotthold. Die
Wolke war noch dazu etwas feucht, und wenn
er sich jetzt verkühlt hätte, könnte ihm Niemand
seinen Lamillenthee bereiten. Ja, das war's,
eine Gefährtin fehlte ihm, das verleidete ihm
den Pimmel so. Er mußte doch hinten im
„Palmblatt", das der heilige Augustin redigirte,
nach einer paffenden Lebensgefährtin suchen.
Da ging ihm etwas wie der Blitz durch
den Kopf. Ja, er war ja schon einmal ver-
heirathet gewesen, wie hatte er denn nur die
braune Annette vergessen können. Freilich,
er hatte sie schon einmal vergesse», als er eben
nach ihr die Dori als getrösteter Wittwer
»ahm. Na, aber er konnte eben unten gerade
so nicht allein bleiben, wie heroben, und jetzt
kehrte er ja reuig zu ihr zurück. Die brave
Annette, sie mußte — ein paar Jahre Fegefeuer
nahm er schon im Geheimen an — doch jetzt
auch schon längst im Pimmel sein, und vielleicht
saß sie ebenso auf einer Wolke, sah hinab und
fehnte sich nach ihm, die arme, verlassene.
Mit einem Jnbelschrei machte er sich auf,
»m nur schnell auf die Administration zu
komme», und beinahe hätte er dabei ein paar
Schutzengel umgemarfe» und wäre mit ihnen
in Eonflikt gekommen, denn sie duldeten weder
Ansammlungen noch Lärm. Das war ihnen
ein Greuel. Uebrigens besann sich Gott hold
noch rechtzeitig, denn heute war bei der Sonn-
tagsruhe ohnehin nichts zu machen.
Er legte sich daher in seine Federwolken
und träumte vor sich hin. wie konnte er
nur die Annette, die erste Frau Niederhanser,
so vergessen! Da sich im Pimmel die Leute
nicht verändern, so war Annette sine ent-
zückende Aussicht für ihn, und es könnte sie
E. A/. Lilien (München).
K i ii g c 111n v htes
512
ihm Niemand verwehren, sie war ja auch
hier seine Frau. Freilich in die tiefere hnninels-
bürgerliche Gesetzordnung fehlte ihm die nöthige
Einsicht. Nun, morgen wollte er gleich den
heiligen Petrus um ihre Adresse fragen und
die Anne aus ihrer Einsamkeit erlösen, ihre
Treue mit seiner Person belohnen. Damit
schlief Gotthold Niederhauser ei».
Noch ehe der heilige Petrus in feinem
Bureau das Morgenschläfchen weiterhalten
konnte, war Gotthold so unverschämt gewesen,
ihn zu molestiren. Aber nun hatte er die
Adresse: Kleine windthorststraße (o; und noch
dazu hatte das Finden eine Menge Mühe
gekostet, poffentlich war es keine Falsch-
meldung, aber es hieß so: Annette Prechtler,
verstorbene Niederhanser. Langsam »nd kopf-
schüttelnd machte sich Gotthold auf den weg,
Er überraschte Annette in ihrem Gärtchen,
wo sie gerade das „palmblatt" durchflog und
frühstückte. Nur eines war ihm unangenehm,
auf dem Tisch lag eine männliche Mütze.
Aber nein, da saß sie friedlich und still, mit
de» süßen braunen Augen ,,»d den vollen
Wangen und allerliebste Flügelchen waren ihr
gewachsen, wahrhaftig, sie war ei» Engel,
jetzt konnte er es mit Beruhigung sagen.
Trotzdem schien sie ihn nicht zu kennen.
„Annette", fing er sanft an, „kennst Du
Deinen Gotthold nicht?"
Da erkannte sie ihn, aber sie fiel ihm nicht um
den Pals, an der Mütze mußte doch etwas sein!
„Du bist schon da, Gotthold?" fragte sie
etwas gedehnt.
„Ja, mein Weibchen, aber freust Du Dich
denn nicht?"
„Ja, aber-"
»Dem Fegefeuer bin ich natürlich ent-
gangen, thenre Annette. Du weißt ja, ich
war ...."
»Ja, ich weiß," schnitt sie kurz ab. „Aber
was wünschest Du?"
Gotthold wurde etwas verlegen. „Ja,
ich dächte, wir zögen wieder zusammen?"
„Zusammen? was fällt Dir denn ein!
Uebrigens scheinst D» erst sehr spät auf diese»
Gedanken gekommen zu sein, Du bist doch
nach dem lokale» Theil des „Palmblattes" schon
fast ein Jahr hier-1"
Gotthold wurde noch verlegener unter
diesem bekannten inkriminirenden Ton. Da
hatte er's. Schüchtern fragte er: „Und Du,
hattest Du gar kein Sehnsucht nach mir... ?"
Annette spielte etwas verlegen mit dem
Tischtuch. „Mein bester Gotthold, aber es
war mir unmöglich ...."
JUGEND
1897
Im Himmel
ßlerr Gotthold Niederhanser befand sich seit
»w einer geraumen Zeit anläßlich seiner ird-
ischen Verdienste im fjimmel. Nichtsdesto-
weniger gestand er sich manchmal im vertrauen,
daß, wen» er sich einmal auf dem großen
müden Ball da unten „im Pimmel" gefühlt
hatte, er immer ein größeres vergnüge,, da-
bei einpfniiden hatte, als wenn er jetzt den
kleine» Lngerln bei ihren Flugversuchen zn-
sah. Ls war einfach langweilig. Natürlich
sagte er es nicht laut.
An einem Sonntag-Nachmittag, als der
Segen vorüber war n»d die kleine» Lugelchen
besonders schön ihr palleluja gesnugen hatten,
setzte er sich mit seiner lange» pfeife so recht au
den Rand einer Wolke, ließ die Füße baumeln
ulid sah hinab auf die geliebte Erde.
Mb sie de» Gotthold Niederhauser im
Pimmel sahen, die Freunde alle beim Goldeuen
Löwen, der köwenwirlh selber, der doch ein
bischen i»'s Fegefeuer mußte, ui» dort den
Schwefelgestauk Lucifers am eigenen Leibe
kennen zu lernen; ob die Bürgerschaft, der
hohe Geineinderath, endlich seine Rinder und
sein liebes Weibchen, die Dori, seine zweite
Frau, ihn so sitzen sahen, wie er ehemals
an Sonntagen beim Löwenwirth saß? Ach,
er sehnte sich ein wenig nach dem irdischen
Jammerthal.
Ls war wirklich schwer, au die vielen
peiligeu und Gerechten einen ordentlichen An-
schluß zu bekommen, von den Engeln ganz
abgesehen, nud die paar Freunde, die schon
Heroden waren, und die verwandten, ja wo
waren die so schnell z» finden? Ulan konnte
auch nicht jeden Augenblick den heiligen Petrus
de» himmlischen Adreffenanzeiger aufschlagen
lassen I Kurz, er fühlte sich vereinsamt und
gelangweilt. Da nuten lag paus und pof,
das Geschäft..., jetzt ging die Dori mit den
Kindern gewiß auf die Schützeniviese und der
blonde Adjunkt machte ihr, der schönen Wittwe,
den pof. Ja, der Gotthold Niederhauser
hatte keinen schlechten Geschmack, aber was
nützte ihm das, jetzt war er allein, und die
Trauer, die die Dori für ihn trug, machte sie
für die anderen interessant. Er war doch ein
Pechvogel, trotzdem er im JJimmel war.
Gelangweilt erhob sich perr Gotthold. Die
Wolke war noch dazu etwas feucht, und wenn
er sich jetzt verkühlt hätte, könnte ihm Niemand
seinen Lamillenthee bereiten. Ja, das war's,
eine Gefährtin fehlte ihm, das verleidete ihm
den Pimmel so. Er mußte doch hinten im
„Palmblatt", das der heilige Augustin redigirte,
nach einer paffenden Lebensgefährtin suchen.
Da ging ihm etwas wie der Blitz durch
den Kopf. Ja, er war ja schon einmal ver-
heirathet gewesen, wie hatte er denn nur die
braune Annette vergessen können. Freilich,
er hatte sie schon einmal vergesse», als er eben
nach ihr die Dori als getrösteter Wittwer
»ahm. Na, aber er konnte eben unten gerade
so nicht allein bleiben, wie heroben, und jetzt
kehrte er ja reuig zu ihr zurück. Die brave
Annette, sie mußte — ein paar Jahre Fegefeuer
nahm er schon im Geheimen an — doch jetzt
auch schon längst im Pimmel sein, und vielleicht
saß sie ebenso auf einer Wolke, sah hinab und
fehnte sich nach ihm, die arme, verlassene.
Mit einem Jnbelschrei machte er sich auf,
»m nur schnell auf die Administration zu
komme», und beinahe hätte er dabei ein paar
Schutzengel umgemarfe» und wäre mit ihnen
in Eonflikt gekommen, denn sie duldeten weder
Ansammlungen noch Lärm. Das war ihnen
ein Greuel. Uebrigens besann sich Gott hold
noch rechtzeitig, denn heute war bei der Sonn-
tagsruhe ohnehin nichts zu machen.
Er legte sich daher in seine Federwolken
und träumte vor sich hin. wie konnte er
nur die Annette, die erste Frau Niederhanser,
so vergessen! Da sich im Pimmel die Leute
nicht verändern, so war Annette sine ent-
zückende Aussicht für ihn, und es könnte sie
E. A/. Lilien (München).
K i ii g c 111n v htes
512
ihm Niemand verwehren, sie war ja auch
hier seine Frau. Freilich in die tiefere hnninels-
bürgerliche Gesetzordnung fehlte ihm die nöthige
Einsicht. Nun, morgen wollte er gleich den
heiligen Petrus um ihre Adresse fragen und
die Anne aus ihrer Einsamkeit erlösen, ihre
Treue mit seiner Person belohnen. Damit
schlief Gotthold Niederhauser ei».
Noch ehe der heilige Petrus in feinem
Bureau das Morgenschläfchen weiterhalten
konnte, war Gotthold so unverschämt gewesen,
ihn zu molestiren. Aber nun hatte er die
Adresse: Kleine windthorststraße (o; und noch
dazu hatte das Finden eine Menge Mühe
gekostet, poffentlich war es keine Falsch-
meldung, aber es hieß so: Annette Prechtler,
verstorbene Niederhanser. Langsam »nd kopf-
schüttelnd machte sich Gotthold auf den weg,
Er überraschte Annette in ihrem Gärtchen,
wo sie gerade das „palmblatt" durchflog und
frühstückte. Nur eines war ihm unangenehm,
auf dem Tisch lag eine männliche Mütze.
Aber nein, da saß sie friedlich und still, mit
de» süßen braunen Augen ,,»d den vollen
Wangen und allerliebste Flügelchen waren ihr
gewachsen, wahrhaftig, sie war ei» Engel,
jetzt konnte er es mit Beruhigung sagen.
Trotzdem schien sie ihn nicht zu kennen.
„Annette", fing er sanft an, „kennst Du
Deinen Gotthold nicht?"
Da erkannte sie ihn, aber sie fiel ihm nicht um
den Pals, an der Mütze mußte doch etwas sein!
„Du bist schon da, Gotthold?" fragte sie
etwas gedehnt.
„Ja, mein Weibchen, aber freust Du Dich
denn nicht?"
„Ja, aber-"
»Dem Fegefeuer bin ich natürlich ent-
gangen, thenre Annette. Du weißt ja, ich
war ...."
»Ja, ich weiß," schnitt sie kurz ab. „Aber
was wünschest Du?"
Gotthold wurde etwas verlegen. „Ja,
ich dächte, wir zögen wieder zusammen?"
„Zusammen? was fällt Dir denn ein!
Uebrigens scheinst D» erst sehr spät auf diese»
Gedanken gekommen zu sein, Du bist doch
nach dem lokale» Theil des „Palmblattes" schon
fast ein Jahr hier-1"
Gotthold wurde noch verlegener unter
diesem bekannten inkriminirenden Ton. Da
hatte er's. Schüchtern fragte er: „Und Du,
hattest Du gar kein Sehnsucht nach mir... ?"
Annette spielte etwas verlegen mit dem
Tischtuch. „Mein bester Gotthold, aber es
war mir unmöglich ...."