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Nr. 31

JUGEND

1897

Oie Häufe

von Mar Grad, mit einer Zeichnung von
Adolf Löser (München).

„Mutter, soll ich nicht das Fenster schließen?
Es kommt so kalt vom Fluß heraus!"

„Mir ist's gleich, ich spür' nichts davon."

Und daun fühlt sie selbst, das; sie der Schwie-
gertochter, die doch noch schwach und angegriffen
und ihr immer so gefällig ist, zu unfreundlich
geantivortet hat

„Nein Kind, danke, danke."

Ruhig seht sich die junge Frau tvieder i» den
Lehnstuhl. Das Schreien eines kleinen Kindes
tont aus dem Nebenzimmer. Sie blickt nach der
Uhr und drückt auf die Klingel.

„Anna, bringen Sie mir den Kleinen."

Mit glücklichem Lächeln schält sie dann den
winzigen Kinderkörper aus all' seinen Hüllen,
tväscht ihn und legt den Schreihals an die Brust,
der, zuerst eifrig trinkend, bald gesättigt einschlüft.
Stolz und vergnügt reicht sie das Kind mm der
alten Frau, die es mit sorglichem Ausdruck eine
Weile stumm betrachtet.

„Arm Würmchen Du! Ne, ne, das ist nicht
recht, bitter unrecht ist's! Und ivenn je der liebe
Herrgott da ein Unglück geschehen liehe, — nicht
zum Ausdenken! Ne, ne so 'n armes Heiden-
kind !" Zur Thüre tritt eben der Sohn herein.
Er hört die lehten Worte und runzelt unge-
duldig die Stirn.

„Lieber Gott, Mutter, wenn
Du doch endlich das Gethnc
lassen wolltest! ,Heidenkind!'
Als ob sich der liebe Herr-
gott um solchen Munivitz —"
Seine Frau legt ihm be-
schwichtigend die Hand ans
den Arm und blickt ihn bit-
tend an. Aergerlich zuckt er
die Achseln und geht rasch
hinaus. Die Alte hat das
Kind in die Wiege gelegt und
macht das Kreuz darüber. Be-
kümmert blickt sie auf das
Enkelkind. Dann fängt sie an,
Allerlei vor sich hin zu mur-
meln und endlich ganz laut
zu sprechen.

„Gros; ist er und dick, der
liebe Bengel! Gott sei Dank,
das; er nur blvs gesund ist.
Ach du meine Güte, wer hätte
das gedacht, das; ich noch
'mal ein kleines Heidenkind
und jedenfalls ein ketzerisches
-- Enkelchen haben müsste!"

Erschreckt gcivahrt sie nun
dieSckiwiegertochterund hält
im Selbstgespräch inne. Es
fallt ihr ein, das; die in selbst
Protestantin ist. Verlegen
blickt sie ans deren liebliches
sanftes Gesicht, das ihr ruhig zugewandt bleibt.
In der freundlichen, beruhigenden Erwiderung
der jungen Frau liegt gar keine Empsindlichkeit.

„Muttchen sei gut! Erwin Kurz muff ja
nun bald zuriickkoinmen, und dann ist die Tanse
so schnell als möglich. Der Kleine ist doch erst
sechs Wochen alt." ,

Frau Lönecke ist etwas beschämt durch die
stets gleich bleibende Liebensivürdigkeit der
„ketzerischen" Schwiegertochter. Sie gebt zu ihr
und küßt sie auf den blonden Scheitel. Nun ist's
still im Zimmer. Ncllh — die alte Frau hnsit
diese Verstiiinmelung des feierlichen Namens
„Cornelie" — liest in einem Buche über Kinder-
pflege. Der Kleine schläft, und Großmutter, nun
bald 70 Jahre alt, sitzt im Erker, läßt die un-
erinüdlichen alten Hände ruhen und „sinnirt".

Ja, wenn sie nun so zurückdcnkt! Wie lange
hatte sie schon auf eine Nachricht von Paul ge-
wartet. Tagtäglich frug sie „Mccks", den alten
Briefträger, der ihr schon die Liebesbriefe des
seligen Lönecke heimlich zugestcckt, ob er noch
keinen Brief von Paul hätte. Und immer und
immer ivar's „Nein", und jeden Tag ging er
kopfschüttelnd am Häuschen vorbei. Und dann
— Charsamstag war's — stapfte er rasch über
den Kies, der sauber um all' die Krokusbeete ge-
streut war, und rief, so laut er konnte: „Nu Hab'
ich 'n aber, Frau Lönecke»!" Ja, da war er ja
wohl endlich. Aber — das „Unglück" auch!

Mit einer Protestantin batte Paul sich ver-
lobt! Ihr Jüngster, der nachgeborene Liebling,
der schone, kluge Paul! Sie fühlte es wirklich
wie ein Unglück. Und wie er dann kam mit

A. Hofer (München).

„Ihr"! Er — fast hätte sie ihn nicht gleich ge-
kannt — mit einem spitzen" Bart und ganz
kurzem Haar und so weiten Hosen! Und das
Mädchen? Ja. die war der reinste Sonnenschein!
So hübsch! Alles was recht ist. aber so war
cs! So zart, und das schöne Blondhaar und
die lieben Augen, aber — ach Gott, die Taille!
Wie'n Faden! Sic fühlte aber doch was Böses
in sich anfstcigen dagegen; doch nein! Wie sie
ihr die alten, abgearbeiteten Hände so ehrerbietig
küsite, ja — da musite man das liebe „Kind"
doch mal, rasch ein klein bischen lieb haben!
Du guter Gott, ivas hätt's denn auch genützt?
Als ob Paul nicht von jeher gethan hätte, was
er gewollt! Maler ist er sogar geivordcn. Nicht
etwa Heiligenbilder! Bewahre! Nackte, splitter-
nackte Weiber malt er und erwirbt dabei mehr,
als ihr alter, seliger Lönecke sein Leben lang in
seiner Schreinerwerkstätte verdient hatte. Und
überall heisit's: „Paul Lönecke" als einer der
Ersten der „Neuen Richtung". Diese „Neue Rich-
tung!" Ach. in Allem zeigt sich die jetzt. An die
Mischehen, den Soxhlct-Apparat zur Unterstützung
der Muttcrpflichtcn, die Pflege und Behandlung
der Wöchnerinnen, das lose Umhüllen der Säug-
linge — nicht eininal ein Steckkissen — das
Durcheinander von altem Möbelkram und zer-
feliten Teppichen, das Absperren von Licht und
Sonne durch dunkle Gardinen und Butzenscheiben

— an Alles hatte sie sich schon säst gewöhnt.
Aber sein Kind — und ivär's auch mos ein
kleines „Ketzerchen" — als Heide sechs Wochen
laug leben zu lassen, über das konnte die alte
Schreinerswittwe mit ihrem strengen katholischen
Glauben, der hier am Unterrhein noch besonders
genährt wurde, nicht hinaus.

Immer wieder ivollen sich die Gedanken bitter
und böse der Schwiegertochter, als der Urheberin
all dieses Argen zuivenden, und richten sich dann
doch immer wieder gegen den, eigentlich so heiß-
geliebtcn Sohn. Ja, ja — geglaubt hat der nie
so recht. Sie hat's Tange gemerkt und sich ab-
gekümmert und gesorgt. Und er trachtete ja so
früh hinaus, und später dann — durch die Kunst

— ja da war's wohl ganz zu Ende.

Niln ist er freilich berühmt! Deshalb braucht
er aber noch lange nicht. — und sie! — So
ivas zu dulden! Dann fällt ihr wieder der von
der Schlviegertochter gestickte Betschcmel ein und
droben in der Stube, der schönsten im Hause, —
das große antike Kruzifix ober dem Bett. Sie
weiß ganz gut, daß Paul nie an so etwas ge-
dacht hätte!

Ein lichter Sonnenstrahl umspielt das Haupt
der alten Frau. Vom Dome läutet das „Ave
Maria," und sie betet inbrünstig.

Der letzte Ton verhallt. „Ach, wenn der
Jnnge nur erst getanit wäre!"

Tag auf Tag, Woche auf Woche vergeht;
die Springen haben nbgeblüht, der letzte Jasmin
düstet bereits vergehend, doppelt betäubend vom
Garten herauf, zahlreiche Rosen öffnen ihre
Kelche, — keine Nachricht von Erwin Kurz, dem
ersehnten Pntben und besten Freunde Paul's.
„Der muß dabei sein, und ohne den thue ich's
nun 'mal nicht. Ich hab's ihm versprochen,

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Register
Adolf Höfer: Zeichnung zum Text "Die Taufe"
Max Grad: Die Taufe
 
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