Nr. 31
1897
* JUGEND •
Variante
Anfangs hab’ ich’s auch getadelt
Und ich schwur, ich führe nie —
Und nun hab’ ich doch geradelt,
Aber fragt mich nur nicht — wie?
Als ich neulich pfeilgeschwinde
Steil bergab gefahren bin,
Flog mein Zweirad gleich dem Winde,
Aber fragt mich nicht — wohin ?
Ach, da gab es grossen Schrecken,
Und mein Körper schmerzt mich so
Von den vielen blauen Flecken,
Aber fragt mich nur nicht — ii’o?
Und mein Rad, das arg ruinirte,
Trug die Eisenbahn an’s Ziel,
Und der Radarzt liquidirte,
Aber fragt mich nicht — wieviel?
Dass ich ausglitt, wenn’s geregnet,
Leute anfuhr unverhofft,
Ist mir gleichfalls schon begegnet,
Aber fragt mich nicht — wie oft?
Angstvoll les’ ich in den Sternen,
Ob ich jemals fahren kann —
Ja, gewiss! Ich werd’ es lernen,
Aber fragt mich nur nicht — wann?
DICK.
X^ur aus Xiiebe!
Von Ernst Rügen
'(©er junge Rauer trug sich immer ganz
rasirt, denn er hatte so einen gewissen Zug
in's Künstlerische. Er pflegte nämlich ab
und zu kleine Couplets zu dichten, die ein
bekannter, das heisst ihm bekannter Schau-
spieler vortrug. Natürlich in Freundeskreisen.
Ausserdem hatte er von seinen Eltern ein
hübsches Vermögen geerbt, und deshalb ob-
lag er auch keinerlei sogenannten Beschäf-
tigung, sondern fristete sein Leben mit Cou-
pons, die er immer rechtzeitig abschnitt.
Dieser allenthalben geachtete Beruf schaffte
ihm die Mittel zu einer reizenden Gargon-
wohnung, und darin herrschte die ruhige,
zielbewusste Hand eines gewissen Ferdinand,
der eigentlich ein Bedienter war und auch
keiner, wie man’s eben nehmen wollte, denn
der junge Rauer that stets, was Ferdinand
wollte, während der umgekehrte Fall nur
selten eintrat. Dieses Verhältniss hatte sich
langsam, aber sicher ausgebildet. Nachdem
jedoch immerhin ein Unterschied sein musste,
trug Ferdinand einen langen, stattlichen Voll-
bart wie ein Regimentstambour, und da er
überdies mit einer unvergleichlich ruhigen
Ueberlegenheit seines Amtes waltete, hielten
viele Leute Ferdinand für den Herrn und den
jungen Rauer für den Diener. Also eines
der närrischen Spiele, wodurch die Natur
unsere kleine Welt der eingebildeten Wirk-
lichkeiten zu karikiren sucht!
Der junge Rauer nahm es ruhig hin, nicht
etwa weil er ein philosophischer Geist war,
sondern weil er den Zusammenhang gewisser
Dinge weit später zu erfassen pliegte, als
andere Menschenkinder. Auch lebte er zu-
meist in einer anderen Welt, in der Welt
der Liebe, wo es bekanntlich weder Herren
noch Diener gibt.
Das sagt und entschuldigt eigentlich Alles!
Aber trotz mancher Erfolge auf diesem Ge-
biete, drückte ihn stets das Gefühl, dass es
etwas Besseres geben müsse, dass er noch
nicht an dem Endziele seines Sehnens und
Wünschens angelangt sei.
Nach einer Reihe mehr oder weniger an-
genehmer Erlebnisse, überkam es ihn mit
einem Male wie eine grosse, gewaltige Er-
leuchtung :
„Nur aus Liebe!“ Ach, nun verstand er,
warum er stets so unbefriedigt einherging.
„Nur aus Liebei“ sagte er jetzt oftmals vor
sich hin, und die drei bestrickenden Wört-
lein lagen ihm beständig in den Ohren. Und
siehe da, der Zufall oder ein gütiges Ge-
schick kam ihm alsbald zu Hilfe. Sie war
blond, nicht übel und gutmüthig. Er bat
sie um ein Rendezvous. Sie sagte schliesslich
nicht ja und nicht nein.aber erst nach
sechs Uhr, wenn sie aus der Arbeit käme.
„Was arbeiten Sie denn, Fräulein?“
„Na, in der Chocolade-Fabrik.“
„Also durch und durch voll Süssigkeit!“
Sie lachte und er fragte wieder: „Darf
ich wohl auch fragen, wie Sie heissen?“
„Rosa“ — sagte sie ohne Zaudern —
„Und Sie?“
„Ich . . . ich heisse . . . Josef,“ stotterte
er jetzt, weil ihm augenblicklich kein anderer
Name einfiel, aber gleich ärgerte es ihn, dass
er ein so einfältiges Pseudonym hatte wählen
können.
.... Trotzdem machte ihre Bekanntschaft
reissende Fortschritte, und wer das Pärchen
etliche Abende später Arm in Arm sah, wie
es schmachtende Blicke austauschte und mit
der Unermüdlichkeit der Verliebten die öde
Strasse auf und ab patrouillirte, der hätte dem
jungen Rauer neidlos zu seinem Erfolge gra-
tuliren müssen.
Und nur aus Liebe! dachte er stolz bei
jedem Kuss und spielte die Rolle des armen
Schluckers bis in’s kleinste Detail weiter. Stets
legte er die ältesten Kleider an und seufzte
zum Erbarmen, wann von Geld die Rede war.
Ohne Zweifel, die gute Rosa musste ihn für
einen Tagschreiberhalten, wenn ihre Neigung
solchen Gedanken überhaupt Raum Hess. Die
gute Seele! Sie fragte nie, sondern freute sich
offenbar seiner spesenlosen Huldigung! All-
mählich fand zwar selbst der junge Rauer, dass
sein Chocolade-Mädchen gerade nicht das Pul-
ver erfunden hatte, dass sie sogar übertrieben
langweilig war, aber gleich ging es ihm w'ie
eine magische Formel durch den Kopf: „Nur
aus Liebe“ und er lächelte wieder beglückt.
„Was die wohl für Augen machen wird,
wenn sie erfährt, was ich eigentlich bin!
dachte er oft unwillkürlich und dabei ver-
gegenwärtigte er sich ihr erstauntes Gesicht,
ihre freudige Bestürzung, wenn es dazu kom-
men würde. Und das musste es wohl.
In’s Endlose konnte sich ja ihr Verhält'
niss auf dieser Basis nicht fortspinnen und
so wollte er denn das Kapitel Chocolade Rosa
mit einem Knalleffekt beschliessen, wie es
eben nur eine halbe Künstlernatur versteht.
Bevor er jedoch die einleitenden Worte fand,
sagte Rosa ganz unvermittelt:
„Jetzt weiss ich noch immer nicht, was
Du eigentlich für ein Geschäft hast, Josef?
„Ich . . . ich bin angestellt,“ meinte er
ausweichend.
Sie blickte nachdenklich in sein glattes
Gesicht und philosophirte:
„Mein Gott, ein Geschäft ist wie das An-
dere .wenn ich einen Posten bei einer
reichen Herrschaft kriegen könnt’, ich wär’nicn
stolz ... bei der ewigen Chocolade ist auch
nichts los.und da hab' ich mir gedacht,
vielleicht kannst Du mir was verschaffen
„Ja gewiss,“ erwiderte er etwas zerstreut-
„Wir wollen morgen davon reden.“
„Weisst Du, es kann ja auch bei Kindern
sein . . . .“ „
„Also gut, wir sprechen morgen weiter,
— sagte er, ganz in dem Gedanken an m
bevorstehende Enthüllung vertieft —
hole Dich wie gewöhnlich ab, mein Enge“
So um sechs Uhr beiläufig.“ „
Der nächste Tag war ein Feiertag.
hatte Ferdinand aufgetragen, ein kaltes Soup
zu richten und ihm überdies angekündigt, da
er seiner Dienste sonst durchaus nicht
dürfe, hatte sich piekfein herausgeputzt, 7
allem Ueberfluss noch eine moderne, brau' ^
Weste angelegt und wie' es zu dämmern 1
gann, ging er sie abholen. , er
„Die wird Augen machen!“ dachte
den ganzen Weg über.
Und in der That, Rosa, die in ihrem Son
tagsstaate recht vortheilhaft aussah, niac
grosse Augen, wie sie die braune Weste 8^
wahr wurde, und mit einem Anflug Vpu
Aerger sagte sie: „Geh, das Gilet hättest
doch auch zu Hause lassen können l“
S 26
1897
* JUGEND •
Variante
Anfangs hab’ ich’s auch getadelt
Und ich schwur, ich führe nie —
Und nun hab’ ich doch geradelt,
Aber fragt mich nur nicht — wie?
Als ich neulich pfeilgeschwinde
Steil bergab gefahren bin,
Flog mein Zweirad gleich dem Winde,
Aber fragt mich nicht — wohin ?
Ach, da gab es grossen Schrecken,
Und mein Körper schmerzt mich so
Von den vielen blauen Flecken,
Aber fragt mich nur nicht — ii’o?
Und mein Rad, das arg ruinirte,
Trug die Eisenbahn an’s Ziel,
Und der Radarzt liquidirte,
Aber fragt mich nicht — wieviel?
Dass ich ausglitt, wenn’s geregnet,
Leute anfuhr unverhofft,
Ist mir gleichfalls schon begegnet,
Aber fragt mich nicht — wie oft?
Angstvoll les’ ich in den Sternen,
Ob ich jemals fahren kann —
Ja, gewiss! Ich werd’ es lernen,
Aber fragt mich nur nicht — wann?
DICK.
X^ur aus Xiiebe!
Von Ernst Rügen
'(©er junge Rauer trug sich immer ganz
rasirt, denn er hatte so einen gewissen Zug
in's Künstlerische. Er pflegte nämlich ab
und zu kleine Couplets zu dichten, die ein
bekannter, das heisst ihm bekannter Schau-
spieler vortrug. Natürlich in Freundeskreisen.
Ausserdem hatte er von seinen Eltern ein
hübsches Vermögen geerbt, und deshalb ob-
lag er auch keinerlei sogenannten Beschäf-
tigung, sondern fristete sein Leben mit Cou-
pons, die er immer rechtzeitig abschnitt.
Dieser allenthalben geachtete Beruf schaffte
ihm die Mittel zu einer reizenden Gargon-
wohnung, und darin herrschte die ruhige,
zielbewusste Hand eines gewissen Ferdinand,
der eigentlich ein Bedienter war und auch
keiner, wie man’s eben nehmen wollte, denn
der junge Rauer that stets, was Ferdinand
wollte, während der umgekehrte Fall nur
selten eintrat. Dieses Verhältniss hatte sich
langsam, aber sicher ausgebildet. Nachdem
jedoch immerhin ein Unterschied sein musste,
trug Ferdinand einen langen, stattlichen Voll-
bart wie ein Regimentstambour, und da er
überdies mit einer unvergleichlich ruhigen
Ueberlegenheit seines Amtes waltete, hielten
viele Leute Ferdinand für den Herrn und den
jungen Rauer für den Diener. Also eines
der närrischen Spiele, wodurch die Natur
unsere kleine Welt der eingebildeten Wirk-
lichkeiten zu karikiren sucht!
Der junge Rauer nahm es ruhig hin, nicht
etwa weil er ein philosophischer Geist war,
sondern weil er den Zusammenhang gewisser
Dinge weit später zu erfassen pliegte, als
andere Menschenkinder. Auch lebte er zu-
meist in einer anderen Welt, in der Welt
der Liebe, wo es bekanntlich weder Herren
noch Diener gibt.
Das sagt und entschuldigt eigentlich Alles!
Aber trotz mancher Erfolge auf diesem Ge-
biete, drückte ihn stets das Gefühl, dass es
etwas Besseres geben müsse, dass er noch
nicht an dem Endziele seines Sehnens und
Wünschens angelangt sei.
Nach einer Reihe mehr oder weniger an-
genehmer Erlebnisse, überkam es ihn mit
einem Male wie eine grosse, gewaltige Er-
leuchtung :
„Nur aus Liebe!“ Ach, nun verstand er,
warum er stets so unbefriedigt einherging.
„Nur aus Liebei“ sagte er jetzt oftmals vor
sich hin, und die drei bestrickenden Wört-
lein lagen ihm beständig in den Ohren. Und
siehe da, der Zufall oder ein gütiges Ge-
schick kam ihm alsbald zu Hilfe. Sie war
blond, nicht übel und gutmüthig. Er bat
sie um ein Rendezvous. Sie sagte schliesslich
nicht ja und nicht nein.aber erst nach
sechs Uhr, wenn sie aus der Arbeit käme.
„Was arbeiten Sie denn, Fräulein?“
„Na, in der Chocolade-Fabrik.“
„Also durch und durch voll Süssigkeit!“
Sie lachte und er fragte wieder: „Darf
ich wohl auch fragen, wie Sie heissen?“
„Rosa“ — sagte sie ohne Zaudern —
„Und Sie?“
„Ich . . . ich heisse . . . Josef,“ stotterte
er jetzt, weil ihm augenblicklich kein anderer
Name einfiel, aber gleich ärgerte es ihn, dass
er ein so einfältiges Pseudonym hatte wählen
können.
.... Trotzdem machte ihre Bekanntschaft
reissende Fortschritte, und wer das Pärchen
etliche Abende später Arm in Arm sah, wie
es schmachtende Blicke austauschte und mit
der Unermüdlichkeit der Verliebten die öde
Strasse auf und ab patrouillirte, der hätte dem
jungen Rauer neidlos zu seinem Erfolge gra-
tuliren müssen.
Und nur aus Liebe! dachte er stolz bei
jedem Kuss und spielte die Rolle des armen
Schluckers bis in’s kleinste Detail weiter. Stets
legte er die ältesten Kleider an und seufzte
zum Erbarmen, wann von Geld die Rede war.
Ohne Zweifel, die gute Rosa musste ihn für
einen Tagschreiberhalten, wenn ihre Neigung
solchen Gedanken überhaupt Raum Hess. Die
gute Seele! Sie fragte nie, sondern freute sich
offenbar seiner spesenlosen Huldigung! All-
mählich fand zwar selbst der junge Rauer, dass
sein Chocolade-Mädchen gerade nicht das Pul-
ver erfunden hatte, dass sie sogar übertrieben
langweilig war, aber gleich ging es ihm w'ie
eine magische Formel durch den Kopf: „Nur
aus Liebe“ und er lächelte wieder beglückt.
„Was die wohl für Augen machen wird,
wenn sie erfährt, was ich eigentlich bin!
dachte er oft unwillkürlich und dabei ver-
gegenwärtigte er sich ihr erstauntes Gesicht,
ihre freudige Bestürzung, wenn es dazu kom-
men würde. Und das musste es wohl.
In’s Endlose konnte sich ja ihr Verhält'
niss auf dieser Basis nicht fortspinnen und
so wollte er denn das Kapitel Chocolade Rosa
mit einem Knalleffekt beschliessen, wie es
eben nur eine halbe Künstlernatur versteht.
Bevor er jedoch die einleitenden Worte fand,
sagte Rosa ganz unvermittelt:
„Jetzt weiss ich noch immer nicht, was
Du eigentlich für ein Geschäft hast, Josef?
„Ich . . . ich bin angestellt,“ meinte er
ausweichend.
Sie blickte nachdenklich in sein glattes
Gesicht und philosophirte:
„Mein Gott, ein Geschäft ist wie das An-
dere .wenn ich einen Posten bei einer
reichen Herrschaft kriegen könnt’, ich wär’nicn
stolz ... bei der ewigen Chocolade ist auch
nichts los.und da hab' ich mir gedacht,
vielleicht kannst Du mir was verschaffen
„Ja gewiss,“ erwiderte er etwas zerstreut-
„Wir wollen morgen davon reden.“
„Weisst Du, es kann ja auch bei Kindern
sein . . . .“ „
„Also gut, wir sprechen morgen weiter,
— sagte er, ganz in dem Gedanken an m
bevorstehende Enthüllung vertieft —
hole Dich wie gewöhnlich ab, mein Enge“
So um sechs Uhr beiläufig.“ „
Der nächste Tag war ein Feiertag.
hatte Ferdinand aufgetragen, ein kaltes Soup
zu richten und ihm überdies angekündigt, da
er seiner Dienste sonst durchaus nicht
dürfe, hatte sich piekfein herausgeputzt, 7
allem Ueberfluss noch eine moderne, brau' ^
Weste angelegt und wie' es zu dämmern 1
gann, ging er sie abholen. , er
„Die wird Augen machen!“ dachte
den ganzen Weg über.
Und in der That, Rosa, die in ihrem Son
tagsstaate recht vortheilhaft aussah, niac
grosse Augen, wie sie die braune Weste 8^
wahr wurde, und mit einem Anflug Vpu
Aerger sagte sie: „Geh, das Gilet hättest
doch auch zu Hause lassen können l“
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