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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 2.1897, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 33 (14. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3210#0109

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Nr. 33

1897

Da gab ihr Bucciolo zwei Fiorini und sagte:

„Ich bitte Euch, geht in die Mascarella-
Gasse, wo die junge Frau Namens Madame
Giovanna wohnt, in die ich verliebt bin. Sagt
ihr, das; ich ihr treuer Sklave und bereit bin,
jeden ihrer Wunsche zu erfüllen. Drücket dnS
Alles mit den zärtlichsten, überzeugendsten Worten
aus, die Ihr zu ersinnen versteht."

Die Alte erwiderte:

„Ich weis; schon, weiß schon. Mit Hilfe Gottes
werde» wir das Geschäftchen so abmächcn, das;

Ihr mit mir zufrieden sein und auch ein ander-
mal zu mir kommen werdet. Die Hauptsache ist,
eine geeignete Zeit zu wählen, aber dafür lasset
mich nur Sorge tragen."

„Geht also," sprach Bucciolo, „ich warte hier."

Die Vcrküuserin begab sich mit ihrem Korb
voll Waarcn in die Mascarella-Gasse, sah die
Madame Giovanna an der Thür sitze», begrüßte
sie und sagte:

„Madonna, ist Euch nicht irgend etwas von
meinen Maaren gefällig? Nehmt Euch Alles,
tvas Euch gefällt."

Die Alte setzte sich zu ihr und begann Bänder,
Mvusselin, Geldtäschchen, Gürtel, Messerchen,
Spiegel und andere derartige Gegenstände vor-
zuzeigen. Giovanna musterte lauge, endlich ge-
fiel ihr ein Geldbeutel und sic sagte:

„Wenn ich Geld hätte, würde ich gern diesen
Geldbeutel kaufen."

Die Alte versetzte:

„Madonna, lohnt cs sich denn, sich derlei
Kleinigkeiten wegen Sorge zu machen? Ich
sage Euch, nehmt Euch von meinem Rumpcl-
kram Alles, was Euch beliebt. Ich bin bereits
bezahlt worden."

Die Dame wunderte sich und in dein Wunsche,
sich die Liebenswürdigkeit der Alten zu erklären,
fragte sie:

„Was wollt Ihr sagen, gutes Weib? Was'
bedeuten.diese Worte?"

Da sprach die Verkäuferin mit ruhiger Stimme:
,Hch werde Euch Alles sofort erklären, Ma-
donna. Ein Jüngling, Namens Bucciolo, sandte
mich zu Euch. Er liebt Euch und ist Euch von
ganzer Seele ergeben. Gott der Herr, sagte er,
könnte mir keine größere Gnade erweisen, als da-
durch : wenn es ihr beliebte, mir irgend einen Be-
fehl zu ertheilen. lind er weint auch so, Thräncn
in Strömen, er schmilzt, wie eine Kerze, aus Liebe
zu Euch. Ich soll in der Todesstunde das Gebet
meiner himmlischen Königin nicht vernehmen,
mich soll der Donner zerschmettern auf dieser
Stelle, wenn ich irgendwie gelogen und ich je i»
meinem Leben einen schöneren und edleren Jüng-
ling gesehen habe."

Als Giovanna diese Worte vernahm, verhüllte
sie ihr Antlitz.

„LH, wenn die gute Sitte meine Zunge nicht
>m Zaume hielte, würde ich Dir so antworten,
wie Du cs verdienst, alte Hexe! Ja, Gott der
Herr wird Dich strafen!" llnd so sprechend, zog
sie aus der Thürangcl eine Stange, die als Riegel
diente, und wollte aus sie losschlagen.

Die Alte raffte schnell ihre Waarcn zusammen,
[h'i davon und glaubte sich nicht eher nutzer Gc-
sahr, als bis sie zu Bucciolo znriickgckchrt war.

„Nun was ... wie?"
fragte er, als er sie wieder
erblickte.

,Ha. . . waS, mein
lieber... so schlimm, das;

gar nicht schlimmer
sein kann. Noch nie in
meinem ganzen Lebe»
habe ich eine solche Be-
schämung erlitten.. Wäre
>ck> nicht rasch enteilt, so
hatten meine alten Kno-
chen den Stock zu fühlen

. JUGEND

J. Dic\ (München).

bekommen. Ich weis; nicht, waS Ihr davon denket,
Maestro Bucciolo, aber tvas mich betrifft, so gehe
ich nicht um alles Geld mehr zu ihr, und auch

Euch rathe ich es nicht."

Bucciolo kränkte sich sehr, ging unverzüglich
zu seinem Lehrer und berichtete ihm Alles, tvas
geschehen war.

Messere Fabricio tröstete ihn und sagte:
„Beruhige Dich, Bucciolo. Auch eine» Baum
fällt man nicht auf deti ersten Schlag. Geh' noch
einmal so au ihrem Fenster vorbei, tvir wollen
sehe», welches Gesicht sie machen lvird. Dann

komm tvieder zu mir."

Bucciolo machte sich auf den Weg und ging
zu dem Hanse seiner Geliebten. Kaum hatte sie
ihn erblickt, rief sic die Dienerin und befahl ihr:
„Uliva, geh', sichst Du.. . zu diesem Jüng-
ling und sage ihm in meinem Namen, er möge
heute Abend zuverlässig zu mir kommen."

Uliva ging zu ihm und sprach:

„Messere, Madonna Giovanna bittet Euch sehr,
sic heute Abend zu besuchen, da sie mit Euch zu
sprechen wünscht."

Bucciolo wutzte nicht, tvas davon zu denken.
Nichtsdestoweniger erwiderte er:

„Gut. Sage Deiner Frau, daß ich mit Freu-
den kommen werde."

Dann kehrte er schleunigst zu Fabricio zurück.
Der Professor wunderte sich auch und sagte:

„In welcher Gasse wohnt Deine Dame?"

In der Mascarella-Gasse."

„Und ivie heißt die Dienerin?"

„Ich weiß es nicht. Sie ist groß, mager,
schwarz, hinkt ans dem linken Fuß . . ."

„Ich schwöre beim Herkules — Uliva!" stam-
melte der Professor, roth ivie ein Krebs, leise
für sich.

„Was ivolltet Ihr sagen, Maestro?" fragte
Bucciolo.

Messere Fabricio kam es so vor, als ob der
Boden ihm unter den Füßen weiche und Buc-
ciolo's Gesicht sich verdoppele. Da er nicht ge-
nug Kraft fühlte, um den letzten Schlag zu er-
tragen, und befürchtete, Bucciolo werde ihm die

Madonna Giovanna, seine eigene Gattin, nennen,
beschloß er, »ach dem Namen nicht zu fragen.

Während der Wintermonate übernachtete der
Professor im Univcrsitätsgcbäude, um die Mög
lichkcit zu haben, den Studenten auch während
der Nachtstunden Vorlesungen zu halten, so daß
Madonna Giovanna allein mit der Dienerin zu
Hanse war.

„Gehst Du zum Stelldichein, Bucciolo?"
„Selbstverständlich!"

„Ich bitte Dich, tritt bei mir ein und sage
es nur, wenn Du Dich auf den Weg begibst."

Bucciolo sagte: „Gut" und ging fort. .Noch
aus seinem Aussehen und seinen Worten schloß
der Maestro, daß er nichts argwohnte.

„Ich wünsche nicht," dachte Messere Fabricio,

„das; er diese Wissenschaft aus meine Kosten lerne."
Abends kam Bucciolo.

„Maestro, es ist Zeit für mich."

„Geh und sei vorsichtig!"

„Oh, Ihr könnt Euch ans mich verlassen!"

Aus der Brust trug er einen dicke» Panzer, unter
der Jacke einen scharfen Degen und an der Hüfte
einen Dolch, mit einem Wort, er hatte alle Vor-
sichtsmaßregeln getroffen. Als er wegging, folgte
ihm Messere Fabricio nach, leise, so daß Bucciolo
es nicht wahrnahm.

Dieser ging bis zur Thürc seiner Dame, und
kaum hatte er angcklopst, öffnete sie und ließ ihn
ein. Der Professor, der sich mit eigenen Augen
überzeugt hatte, daß Bnccivlo'L Geliebte, Ma-
donna Giovanna, seine eigene Frau tvar, geriet!)
in eine unbeschreibliche Wuth.

„Ich schwöre bei Minerva, jetzt ist kein Zweifel
mehr vorhanden, daß er auf meine Kastei; lernt."

Messere Fabricio lief in'sUniversitätsgebäudc,
nahm einen Degen und einen Dolch zu sich und
kehrte in die Mascarella-Gasse zurück, in der Ab-
sicht, Bucciolo zu überraschen. Vor der Thür
seines Hauses nugelangt, klopfte er an und die
Madonna saß gerade bei ihrem Liebhaber am
Herd; als sic das Pochen hörte, erriet!) sie, daß
dies Messere Fabricio sei, faßte Bucciolo au der
Hand, sührte ihn in das anstoßende Gemach und
versteckte ihn unter einem Haufen nasser Wäsche,
die auf einem Stuhl beim Fenster lag. Daun
lief sie zur Thür und fragte:

„Wer dort?"

Der Maestro schrie:

„Ocsfnc, öffne doch, Nichtswürdige!"

Giovanna öffnete und rief, als sie den Pro-
scssor bewaffnet sah:

„Ei, ei! WaS bedeutet das, Messere Fabricio?"
Er beruhigte sich nicht und schrie noch lauter:
„Ich schwöre bei Apollo, ich weiß, wer sich
in meinem Hause befindet."

„Oh, ich Unglückliche!" rief Giovanna. „Was
sagt Ihr? Seid Ihr denn bei Sinnen? Durch-
suchet das ganze Haus, und findet Ihr irgend
Jemanden, daun mag mau mich viertheiten.
Welche Schande, welche Schande, mein Gott!
Lohnt cs sich, eine treue Gattin zu sein? Be-
fraget die Nachbarn, die können manches von
meiner Bescheidenheit und Tugend erzählen. Erst
kürzlich kam eine Alle her . .. aber wozu reden?

. . Ist Euch wirklich der Böse erschienen? Schützet
Euch durch das Kreuz und durch Gebet vor der
Versuchung des Teufels,
tvelcher Eure Seele ver-
derben will."

Der Maestro befahl,
eine Kerze anznzünden,
und begann in; Keller
zwischen den Fässern zu
suchen, hierauf ging er
in die Zimmer, durch-
suchte sic, guckte unter die
Betten, durchstach mit
dein Degen die Strohma-
tratzen an verschiedenen

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Index
Julius Diez: Daphne
Walter Caspari: Zeichnung ohne Titel
 
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