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Nr. 34

JUGEND

1897

G. E. Dodgc {Dachau).

Aber eines Tages . .. Sonderbar, ich hatte
nie darauf geachtet. Ich hatte immer mit zärt-
lichem Entzücken wahrgenommen, welch feine
Parfüms in Deinen Gemächern ihre diskreten
Wellen nusströmte», wie Dein dunkles Haar
duftete, und ich ganz versank iu Lust und Duft
und Taumel an Deiner Schulter.

Vor sechs Wochen, Du weißt es gewiß noch,
wolltest Du die riesige Maschinenhalle besichtigen,
in der meine neuen Lokomotiven und Dpnamo-
Maschincn gebaut wurden. In dieser Halle ging
ich mit Stolz umher, denn jede Linie tvar meiner
Hände Werk und jedes Eisenlheilchen meinem
Willen nnterthan. Und wie Du mit Deinen
beiden Freundinnen durch die Eiseuhalle geführt
werden tvolltest und ich mich „herbeilies;," in
blaueui Kittel die Aristokratinnen herumzusühren
. . . ich ahnte nicht, das; Deine frostige Zurück-
haltung Deiner Natur entsprach, sondern der
Verliebte spürte nur die köstliche Rolle, die seine
Geliebte vor der Welt iu dieser Halle, im Lärm
der Maschinen, vor fünfzehnhundert Arbeitern
spielte. Oft ruhte mein Blick auf Deinem Scheitel,
oft streifte er den feinen Knöchel, wenn Deine
Hand das elegante Prvmcnadekleid ein wenig
hob, und obschvn ich es bitter empfand, das; Du
nie einen Blick erlvidertest, so gab ich Dir heim-
lich Recht: Unser Geheimnis; zwang Dich zur
Zurückhaltung! Und ich fügte mich darein. Und
führte Euch weiter. Und sprach weiter. Ganz
sachlich, ganz ruhig, sogar gelehrt. Nur manch-
mal wenn die Arbeiter ehrerbietig zur Seite
wichen und mich grüßte», wenn alle fünf Minuten
ein anderer Ingenieur meinen Rath wünschte,
war ich in tiefster Seele beglückt. Denn Du
sahst es ja auch. Und hätte Dich am liebsten
bei der Hand genommen, noch lieber an meine
Brust gedrückt und gesagt: „Geliebte, das alles
ist mein, ist mein Werk. Und doch, wenn Du
willst, mein bischen Leben und Schaffen leg'
ich in Deinen Echos; und will nur, daß Du mir
zärtlich das Haar streichst."

Ich mus; blind gewesen sein, denn jetzt erst
sah ich, wie Du Dein Taschentuch vor die Nase
hieltest, und jetzt spürte ich seinen Veilchenduft.
Ich sragte Dich — die beiden Comtessen waren
ein wenig hinter uns — ob Dir nicht wohl sei.
Und Deine Antwort?

Harfmn

von Ludwig Iucebstwski

. . . Diese» Brief schreib' ich ohne Anrede.
Das „Geliebte Theresa" hat in meiner jetzigen
Stimmung keinen Sinn, und „Gnädige Frau"
erscheint mir nach den Erlebnissen der letzten
Monate noch sinnloser.

Hätte ich Dich gestern nicht zufällig in der
Theaterloge gesehen, ich hättcDir nicht geschrieben.
Aber als ich Dein schmales Weihes Gesichtchen
sah, das umwirrt war von der Flnth schwarzer
Locken, dasselbe Gesichtchen, daS ich so oft in
meinen Händen gehalten, da vermocht' ich nicht
mehr, mich fcrnzuhalten. Rach dem ersten Akt
gingst Du fort und als Du durch die Menschcn-
massen schrittest, standen ivir uns einen Moment
gegenüber, Auge iu Auge, Has; in Hast. Dann
rasselte Dein Wagen vorbei, ein Hnsschlngcn der
schnaubenden Pferde, und ich stand noch immer
da und behielt den Hut auf dem Kopfe.

Nicht tvahr, darüber wirst Du die Achseln
gezuckt haben? Obschou ich Dich >vie sinnlos
geschlagen habe... hätte ich meinen Hut ziehen
müssen! So hätte sich ein Kavalier benommen!

Das ist eS ja! Darum schlug ich Dich. Das
einzige und letzte Mal. Ich, der Plebejer.

Ob Du mich verstehen wirst, warum?

Ich habe mich immer gefragt, was Dich
trieb, Dein Köpfchen eines Tages an meine Brust
zu pressen. Was mich trieb, cs zu ersehnen,
Dich scstzuhalten! Ja nun, die anbetungs-
würdigste kleine Frau, das stolzeste Köpfchen, das
je einen aristokratischen Hals geziert, die feinste
Hand, die je in meinen großen breiten Fingern
geruht, ... ich weis; nicht Worte genug, Dir zu
sagen, was Du mir lvarst. lind deshalb um-
gab Dich meine Zärtlichkeit wie ein Bann, aus
dem Du nicht entrinnen konntest, und wenn Du
bis an's Ende der Welt gegangen lvärst, und
alles war voll von meiner Liebe und Du in
meiner schweigenden Gcivalt.

Das hast Du gewusst, Theresa, und Du ver-
mochtest doch, daß ich Dich schlug?

Ja, Theresa, Du hast schuld.

Du weißt, uw ich herstamme. Ans einem
posen'schcn Nest, wo mein Vater die Schenke
hatte und Viktualienhändler, Posamentier, Leder-
händler, Schneider, Pferdehändler tvar, alles in
einer Person. Und alles für eine ewig kranke
Frau und neun Jungens, einer immer toller
und ungeberdigcr wie der andere, einer immer
hnngrigernndbäurischer. Verschollen inAmerika
sind drei, aufgehängt hat sich der vierte, der fünfte
vergriff sich als Soldat an seinem Lieutenant
und starb in der Kasematten der Festung Thor»,
die andern drei sind Bauern, und ich bin der
neunte.

Ich hatte Glück. Die Schule war nur ein
Spiel. Ich bekam deshalb Freischule ans der
Obcrrealschule. Ich war erster. In jeder Klasse.
Nur mein Betragen war niemals „Recht gut,"
höchstens „Befriedigend." .Spielend überwand
ich alle Examina. Und als ich Dich in Berlin
kennen lernte — es war im Theater, Du trugst
ein dnnkelrothes Kleid — war ich ein berühmter
Ingenieur. Aber mit wenig Schliff.

Aber das lernt sich bald. Bald aß ich Fische
mit der Gabel, zerkleinerte Kartoffeln nie mehr
mit dem Messer, führte die Serviette nie an den
Mund und lernte Zahnstocher meiden.

DaS alles verstand ich schon, noch che ich in
Deinen Salon cingeführt wnrde.

Nun kamen Wochen . . .

Theresa, kennst Du sic? Weißt Du noch
von ihnen?

Und lvcnn ich Dich einst hassen tvcrde Jute
meinen grimmigsten Feind, die bloße Erinnerung
an diese Zeit wird mich weich machen ivie einen
Kranken und schlvach wie ein Kind. Und ein
Lächeln wird in mir sein und ein Leuchten über
mir, und mein ewiger Dank wird sich heften an
Deinen Fuß, bis er nicht mehr wandeln oder
mein Herz nicht mehr schlagen wird.

Du, die Freifrau von Werner und ich, der
Sohn des Lederhändlers aus Mieltzi»!

Das gab dennoch einen guten Klang, >veil
unsere Ohren nur für die eine Melodie unserer
Liebe Empfindung zeigten.

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Register
George Ernest Dodge: Zierleisten
Ludwig Jacobowski: Parfüm
 
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