Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 35

1897

C. Horn {Cassel).

Wie ich das Glück malen würde.

Jedenfalls nicht als die bekannte mythologische Equilibristin, die
mit verbundenen Augen auf der Kugel läuft. Nicht als ein Wesen,
das jeden Augenblick von seinem rollenden Ball in den Staub kollern,
das in seiner Blindheit dem schäbigsten Philister, dem lumpigsten
Heuchler in die Arme fallen kann.

Wie ich das Glück malen würde, das reine Glück? Das Glück?
Es gibt ja so viel Glücke!

Vielleicht als ein unverdorbenes, junges Menschenkind, dessen
Augen glänzen im Rausch des ersten Kusses; oder als ein Kind, das
jubelnd die Patschhändchen dem funkelnden Christbaum entgegen-
streckt; oder als junge Mutter, die in ihres Lieblings Augen zum ersten
Mal dessen Seele schaut, die ihn lachen hört zum ersten Male; oder als
A-B-C-Schützen mit dem ersten Fleissbillet; oder als jungen Burschen,
der eben sein funkelneues Abiturientenband um die Weste zieht.

Denn das Glück, wie man’s malen kann, ist kein Dauerzustand,
fast immer hat es was von einer Premiöre an sich. Auch jenes
Glück, das die höchste und reichste Liebe gibt. Denn sie ist eine
neue und andere in jeder neuen Stunde. Das Glück, in das sich Ge-
wohnheit mischt, hat keinen Anspruch mehr auf jenen hohen Namen.

Das Glück würde ich malen als einen Künstler, der, mit Recht
oder Unrecht, sein vollendetes Werk mit der Ueberzeugung ansieht,
dass es gut sei; dabei kann er ein Pfuschersein oder ein Lionardo —
für sein Glück gilt das gleich. Oder als einen Dichter, der sich nach
dem Aktschluss, eckig vor lauter Wonne, vor dqm Beifallsbrausen
der Menge neigt; oder als Mimen, der die Leute zu seinen Füssen
herzhaft weinen oder lachen sieht durch seine Kunst — Alles das
natürlich zum ersten Male.

Wie einen Waidmann mit seinem ersten Rehbock — ein Hase
ist zu wenig; wie einen Studiosus, der den ersten Schmiss in der
Hauptstrasse spazieren trägt; wie einen Jüngling, der seine ersten er-
laubten Cigarren bei einem flotten, freundlichen Mädchen kauft;
wie einen angehenden Elegant im ersten Cylinderhut; wie einen
Backfisch, der sich im langen Confirmationskleid vor dem Spiegel
dreht; wie einen Fähnrich, der sich die frischgewonnene silberne
Säbelquaste um's Schlachtschwert schlingt; wie ein Mädchen, dem
ein netter und zuverlässiger Mensch zum ersten Male geschworen
hat, dass es schön sei. Oder wie einen Kaufmann, der schmun-
zelnd den letzten Tausender auf 999 Brüder legt — die erste
Million 1 Die zweite macht nicht mehr halb so viel Vergnügen — hab’
ich mir sagen lassen.

Wie eine Braut würde ich das Glück malen, die den weissen
Atlasschuh auf die unterste Kirchenstufe setzt; wie einen Forscher,
der ein „Heureka!“ durch die stumme Nacht seiner Studierstube
schreit, dass Retorten und Destillierkolben klirren; wie einen schnei-
digen Staatsanwalt, der den ersten Angeklagten in die Tinte geritten
hat; wie einen Landwehrmann, der nach harten sechs Wochen den
letzten Kreidestrich seiner Schrankthür löscht — „Parole 01“; wie
eine töchtergesegnete Mutter, die endlich ihre Jüngste versorgt hat
- es gibt nämlich auch Fälle, wo die Derniere reicheren Glücks-
gehalt aufweist, als die Premiöre.

Wie einen Verseschmied würde ich das Glück malen, wie
einen rechten schlechten, der sich zum ersten Male gedruckt sieht
— in der „Dichterhalle,“ welche ihren Abonnenten einmal im Jahre
dieses Glück gewährt; wie einen werdenden Volksvertreter, dem
man mittheilt, dass seine Stimmenzahl eben die absolute Majorität
überschritten hat; wie die Engel im Himmel, die einen ehemaligen
Allerweltsschwerenöther und Bruder Lüderlich gebessert zur Paradies-
treppe heraufsteigen sehen.

Als einen Hausherrn mit lauter zahlungsfähigen Parteien am
Ersten des Quartals; als einen frommen Erbschleicher, von einem
Todtenbett kommend, wo er eben einen fetten Bissen für den guten
Magen seiner Kirche ergattert hat; als frischen Jungen, der zum ersten
Mal aufs Pferd darf; als flotten Lieutenant, der eben von seinem
künftigen Schwiegervater Generalpardon erhalten hat und sich aus
den dürren Fingern seines Halsabschneiders befreit sieht —• 2000 hat
er geschrieben, 1000 hat er bekommen, darunter 300 in werthlosen
Cigarren, für den Rest eine Partie halbwollener Kindersachen.

Das Glück Hesse sich als schöne Kokette malen, die den lange
belagerten Mann endlich zur Huldigung gezwungen hat; als ein
Stadtkind, das die Bäume nur aus den Anlagen, die Blumen nur
aus den Vasen und die Vögel nur aus dem Bilderbuche kennt und
nun zum ersten Male Wald und Berge, Blumen und Vögel wahr-
haftig vor sich sieht; als Polarforscher, der den Pol erreicht hat zu
Schiff, Schlitten oder Luftballon, auf Schneeschuhen oder auf Stelzen ;
als einen Landesvater, ehrlich umjubelt von einem Volk, dessen
Liebe er ehrlich verdient, oder als blutrothen Demokraten, der eben
an einer Strassenecke einen regierenden Fürsten nicht gegrüsst hat.

Es gibt tausend Formen und Formeln für das Glück, hundert-
tausende, Milliarden! Auf tausend Wegen kann es kommen: durch Ehr-
geiz und Eitelkeit, Tugend und Niedertracht, durch die Dummheit und
sogar durch den Verstand, durch die Liebe des Herzens und der Sinne
— und sogar durch den Hass. Aber immer muss etwas Unverhofftes
dabei sein, etwas von einem Zufall, etwas, das ebensogut hätte anders
enden können, etwas, das eben so flüchtig vergehen kann, wie es kam.

Wenn ich einmal malen kann und soll das Glück malen, wie
stelle ich es wohl dar?

Wie ein schönes Weib auf rollender Kugel, eine Binde um
die Augen und ein Dirnenlächeln um den Mund, das Jedem gelten

kann — — — ... ,

Linger Longer Loo.

Helena

Von Arturo Colanti, Deutsch von Paul Heyse,
mit Zeichnung von Angelo Jank.

Wie ein Fltar dampft Ilion empor,

In das voll Blut Fchäerrache zieht.

Priamus starb, sein frommer Sohn entflieht,

Helena blieb, die jeden Freund verlor.

Ihr grimmer Gatte stürmt vom skäischen Jhor
Und ruft nach ihr, die ehrlos ihn verrieth.

Voll ist der Sieg erst, wenn auch sie verschied,

Hie über Hellas so viel Weh beschwor.

Hem Windeshauch den stolzen Husen offen,

Hem Schicksal trotzend, steht die Wunderschöne
Hoch aufrecht auf dem rauchenden Felsengrund.

Her Wilde stutzt, von diesem Glanz betroffen,

Henkt nicht des Jod’s so vieler Hellassöhne,

Und statt des Schwerts trifft ihre Brust sein Hlund.

i S4
Register
Linger Longer Loo: Wie ich das Glück malen würde....
Arturo Colautti: Helena
Carl Horn: Memento mori
 
Annotationen