1897
JUGEND
Nr. 35
.schadende Kunstleraeist eilt Ansslnß des
ftfiöhtm, ' l'1» *!;?11 erschaffen hat? Foimen-
n«?und Geistdurchdruigung. hier wie dort.
>vie die Gedanken des Weltenschöpfers hier
_ Nils dkl.' V>prfnrhpvf fniN +vo*o»t
Ä.»“ ©eoanten Des Weltenschöpfers hier
auArts;a0ul, ^el' Erde verkörpert sind, so treten
0 . edanken der Künstler in einer tieferen
phate lebend und körperlich ins Dasein".
^it/h„T^IVnärct,cn! Ariman," sagte ich.
9eb^eteb,r^Ün^,De^?^ natur,utneu,d)aftUd)
fdiitmS Wi nnturivissenschastlichen Menschen!"
L°E°Anmaw „Da sitzt Ihr in dem Klümp-
allen mÄ' i?'' 2hr die Welt nennt und seht mit
ala La 1und Fernrohren nicht weiter,
mf nuf die Scheuklappen vor Euren Augen",
und ,uul»n er einfach mein Papiermesser
mei'» ich ihn daran hindern konnte,
zwei ^Mueibtisch mitten durch, so das; er in
wolkH'lften,auseinanderklaffte. Blaue iltauch-
»vtren wirbelten wie aus einem Abgrund herauf.
Mirpackte meinen Arm und fuhr mit
„Di, „222 Du mich in die Hölle?" fragte ich.
enniv.m, • cc' immerhin eine Hölle nennen,"
aeniin ' „denn inanchem geht es dort schlimm
dir?, ' sAur andere ist es freilich eher ein Para-
Künstso.., r'U der Raum, wo die Ideen der
film! im. c.?' i>uch iveuu ihre Werke auf Erden
>vri„^2 Äyft11 sind. Siehst Du, hier sind
bunte Rembrandt's." - - - Eine
denen iif , 'W prächtiger, kerniger Gestalten,
lenchirt^^uildhcit, und Kraft von den Wangen
mit hhJ.,,cl nHL>nEe 9fätt)c und Bürgermeister
dien „2s,1 .iueitzen Faltenkragen, liebliche Mäd-
fittiUMihpl(«lIinPe. ^negci' int fröhlichen Scherzen,
alle wvam^bchi'te und würdige Matronen, — sie
Durch hiv" ^r hohen Halle durcheinander.
Licht herein "I? !>°n,^N'ter.brachen Fluthen von
scharfer R»? i nd lieben einzelne Gruppen in
'ch auch ^»?uchtung hervortreten. Sv erkannte
Dteib >''^llnstler selbst: er hatte sein junges
»>>t den mism ^chi'olte nnd stieb fröhlich lachend
"tu mtocren an.
der b’ciifhm.*1! l>ut," sagte Ariman, „er ist in
es anders"«,,^^'U^^sellschnft. Hier aber sieht
Man di"p,miüs" ^>it diesen Worten öffnete Ari-
Fenster mnes dusteren Gebäudes, dessen
h°us?" das ein Kranken-
„Hier wobne»^""n ein," grinste Ariman.
Eine L ' Musenkinder Ibsens."
als wir einirm^ufhge Luft schlug uns entgegen,
eigentfiümlirfte»V Rank ging in seinem ihm
uns und u ßtechschrttt ans uns los, begrübte
Er wurde «i,2? !^' Direktor der Baracke vor.
rufen meifhi1,1 wtort durch einen Wärter abge-
Anfälle bekenn ?fr arme Oswald einen seiner
laugte nach 2s.,. ^ schrumpfte zusammen nnd ver-
“nVS et Sonne.
ftoIi)cvtc nlipl .°11 sriu Krankenlager eilen,
seiner über den kleinen Eyolf, der an
bekamen wK Älnte; Bor Schrecken hierüber
das; vr A'm.t" Vll'luefenbeit Nervenzusnlle, so
Endlich u ? Hände voll zu thun bekam,
und Bromrn,!? " durchMvrphiumeinspritzungen
in der Äärä , fo*.>ufit beruhigt, daß er nnö
einiges «tVi.mUml)crful>ren konnte, wobei er
einzelnen Prognose und Nehnndlung der
das Br,,,,,km?" heilen äußerte. „Wir beziehen
brauchen täatlch" Groben," sagte er „und
biel. Die cÄm k-blnige Kilo. Es hilft aber nicht
"der haben ,2° ."'eist schwer erblich belastet,
erschütternJahren eine Geiuüths-
Seitig qeht!Ä>t "?chgemacht, Die ihre Haare frith-
e>nen Ki, "Ai hat, oder sie haben sonst irgend
Achsen itk 22ieg,. gegen den kein Kraut ge-
Jehen Ei,. m . tst es schwer, Arzt zu sein.
®ort in i.il die Abtheilung für Unruhige.
^oIf feitnp»nrcy t®0ltmanu’ er geht wie eilt
Dort Ift Zähren auf und ab, hin und her.
!ü"rali,che?> Jiinge Werte, welcher absolut seine
Gabler ,dernng durchsetzen ivill, dort Hedda
"" Haar einem Kranz aus Rebenlaub
"" Hacir einem Kranz aus Rebenlaub
^vlues, «n rch?" mochte, dort der Baumeister
e». an Schivtndel leidend."-—
„Warum sind die Fenster nicht geputzt,"
fragte Ariman, den Doktor unterbrechend. „Das
ist kein Schmutz," sagte dieser, „das sind die nord-
ischen Nebel, die lassen kein rechtes Licht durch."
Ich war froh, das; wir gerade an einem
Ausgang waren. Ich dankte 0r. Rank auf's
Beste für seine Freundlichkeit, sagte, wie sehr mich
die Sache iuteressirt habe, iveil ich in meiner
Jugend ebenfalls Medizin studirt hätte, und ver-
abschiedete mich. m „ .
„Puh! Nebel und Nerven!" sagte Ariman,
als >vir draußen waren. „Man fürchtet sich bei-
nahe. Jetzt wird eine kleine Aufsrischnng gut
thun!" ...
Wir kletterten nun über ein paar moos-
bewachsene Felsen hinüber und plötzlich dehnte
sich vor unseren Blicken ein großes Bassin mit
prächtigem, hellgrünem Meerivasser ans. Ent
frischer Seewind blies meine Schaumwolkeu in
die Höhe und hob mächtige Wellen. In dem
Wasser aberpudelten nnd purzelten die prächtigsten
Meeriveibchen mit schönen, perlmutterglänzeuden
Schwänzen rudernd und die langen, grünen und
rotheu Haare uachschleisend. Die Sonne schien
auf die blendend weißen, runden Glieder; sie
haschten sich, schlugen in's Wasser, daß es spritzte,
und jauchzten, daß es eine Lust war. Dazitufchen
aber klang das Getute derMnschelhörner. Faune
bliesen sie, hingestreckt ans algenbedeckten Felsen,
von Seewasser triefend, und es klang bald jauch-
zend und übermüthig, bald sehnsüchtig träumend,
bald ernst nnd dü,ter. Ganz hinten aber, wo
die Schatten dichter wurden, erkannte man die
Chpressenwipfel der Tvdteninsel. — „Da ist Leben
d'rin," sagte Ariman, indem er ans das tollende
Meervolk zeigte. „Sie sind Kinder der Phantafie,
anders als ivir gebaut, aber nicht minder lebens-
kräftig, -selbst wenn sie eine gespaltene
Wirbelsäule haben. Wenn Du den Fifchsthwanz
anatomisch zergliedern wolltest, könntest Du ein
ganz gesundes Cirkulationssystem darin finden.
-Klatsch tönte es plötzlich und Ariman flog,
von einem kräftigen Fischlchivanz getroffen, in's
Wasser. Mühsam, triefend, arbeitete er „cb her-
aus und von dem überinüthigen Lachen des Meei-
gelichters begleitet, verließen wir die Welt der
Schöpfungen Böcklin's nnd wanderten ivetter.
Wer könnte die Fülle von Gestalten und
Szenen schildern, die sich uns darbvte»? Wir
schritten durch die heitere Welt Griechenland s,
wo Götter und Meuschen in unvergänglicher
Schönheit und Krasl eiuherwandelten: die ernsten
Gestalten des Sophokles, die Helden Homer's
und die Marmvrgedanken des Phidias.
„Die Blech-Feigenblätter haben fie abgelegt,
weil sie unter sich sind," sagte Ariman, indem er
ans eine Gruppe von Marmorgestalten deutete;
„sie sfnd auch so noch ganz schön." — — —
Tann kam die bunte Märchenwelt de-.- Orients,
zwischen GazellenutidMaugobüttmendieMädche,t
gestalten Kalidasa's und die farbenleuchtenden
Wesen aus Tausend und Eine Nacht. Wir Iahen,
wie sich die Recken des Nibelungenliedes die Zahne
ausschluqen und sähe» die kernigen Gestalten
Holbein's und Dürer's, dazivischen auch manchen
steifen, alldeutschen Heili-
gen, der schwer an seinem
Rheumatismus litt.
Wir sahen den Dänen-
prinzen Hamlet, den ge-
krönten Bösewicht Richard
und würden auch die ande-
ren Gestatlen Shakespeares
gesehen haben, wenn nicht
plötzlich wie ein riesiges,
buntes Weinfaß der por-
tresfliche Ritter Falstaff auf
uns losgerollt wä-
re, um uns in eine
nahe Kneipe zu füh-
ren. Nachdem ivir ^7?
dort lange gezecht
hatten, fragte ich den
tauinclndcn Ritter,
ob er mir nicht den Shakespeare zeigen könne. Er
führte mich nn's Fenster und deiitete auf einen
schlichten Mann mit leuchtenden Augen.
„Erlauben Sie," sagte ich, „es ist ja aber
gar nicht sicher, ob er die Dramen geschrieben
hat, oder ein anderer!"
„Das ist ja gerade der Andere," sagte Fal-
staff und goß mir ein Glas Malvasier' in den
Rockkragen.
Hierauf empfahlen wir uns schleunigst, zogen
weiter durch die immer wechselnden Szenen, die
uns bald anziehende, bald abstoßende Bilder
zeigten und standen plötzlich in der Nähe Goethe's.
Er lachte gerade herzlich über die Witze des
INephistopheles; trotzdem ivagte ich es, ihn an-
zureden, um ihn zu fragen, wie es ihm ginge.
„Ich bin zufrieden," erividerte er. „Aber eins
nult ich Ihnen gestehen: den zweiten Theil des
Faust (er neigte stch flüsternd an mein Ohr), den
Hütte ich nicht geschrieben, wenn ich gewußt hätte,
daß ich mit seinen Gestalten einmal tagläglich
zusammenfein müßte." Ich drückte ihm in schwei-
geudem Einverstündniß die Land.
„Sehen Sie," fuhr er fort, „da sind nun
z. B. die .Mütter', ferner Euphorion, daun auch
Helena, Homunkulus u. s. >v., ivelche mir hier
unten das Leben sauer macheu, iveil sie sich ab-
solut nicht mit den andern vertragen, mit Gretchen,
Mignon und nnmeutlich mit Gütz von Berlichinge».
Dieser hat neulich gesagt, das ganze allegorische
Gesindel vom ziveiten Theil könne ihn --—
ganz ähnlich, wie er eS dem kaiserlichen Trom-
peter zugerufen hat; Sie erinnern sich vielleicht,
er schmeißt dann das Fenster zu. Das ist so seine
Art und ich kann ihm nicht ganz unrecht geben."
Ich versuchte, den Dichter zu trösten, mit
dem Hinweis, daß gerade der ziveite Theil der
wichtigste für den Gvetheforscher wäre und daß
wir ueuerdings eine ganze Literaturgattung
hätten, welche nur aus Mystik und Symbolik
zusammengesetzt sei, vom Titelblatt bis zu den
kleinsten Gedankenstriche». Aber Goethe schüttelte
ernsthaft das Haupt, sagte: „Mehr Licht!" und
entließ mich sreundlich.
„Zum Wirthshaus auf der Alm" deutete jetzt
ein Wegweiser und wir folgten dem kategorischen
Imperativ. Zitherklang, Jodeln und Schuader-
hüpserl ertönten, im Talle erklang das Gestampf
des Schuhplattler's; manchmal ivurde gerauft
und einer hinausgeworfen. Drinnen saßen der
Meineidbauer, der Protzeubauer. die bildiauberu
Dirnd'lu und die kreuzbraven Jägerbuben, die
Wurzetseppe, Wilderer und Gevatterin,tett, sowie
die ganze übrige Dorfpoesiegesellschaft, theils ge-
dichtet, theils gemalt.
„Pfüat Enk Gott!" sagte Ariman, indem er
mich iveiterzog, „vvit Eurer Sorte kann ich nicht
viele aus etuiual sehen!" Weiter ging's, durch
weite Räume, welche mit dem charakterlosen
Pöbel der Zeitungsromane, der Ereignißmalerei
und der Nachäfferei alter Bkeister angesüllt ivaren.
Welche Fülle von schwindsüchtigen, krüppel-
hasten, uninöglichen Gestalten in theatralischem
Julius Diei {München').
JUGEND
Nr. 35
.schadende Kunstleraeist eilt Ansslnß des
ftfiöhtm, ' l'1» *!;?11 erschaffen hat? Foimen-
n«?und Geistdurchdruigung. hier wie dort.
>vie die Gedanken des Weltenschöpfers hier
_ Nils dkl.' V>prfnrhpvf fniN +vo*o»t
Ä.»“ ©eoanten Des Weltenschöpfers hier
auArts;a0ul, ^el' Erde verkörpert sind, so treten
0 . edanken der Künstler in einer tieferen
phate lebend und körperlich ins Dasein".
^it/h„T^IVnärct,cn! Ariman," sagte ich.
9eb^eteb,r^Ün^,De^?^ natur,utneu,d)aftUd)
fdiitmS Wi nnturivissenschastlichen Menschen!"
L°E°Anmaw „Da sitzt Ihr in dem Klümp-
allen mÄ' i?'' 2hr die Welt nennt und seht mit
ala La 1und Fernrohren nicht weiter,
mf nuf die Scheuklappen vor Euren Augen",
und ,uul»n er einfach mein Papiermesser
mei'» ich ihn daran hindern konnte,
zwei ^Mueibtisch mitten durch, so das; er in
wolkH'lften,auseinanderklaffte. Blaue iltauch-
»vtren wirbelten wie aus einem Abgrund herauf.
Mirpackte meinen Arm und fuhr mit
„Di, „222 Du mich in die Hölle?" fragte ich.
enniv.m, • cc' immerhin eine Hölle nennen,"
aeniin ' „denn inanchem geht es dort schlimm
dir?, ' sAur andere ist es freilich eher ein Para-
Künstso.., r'U der Raum, wo die Ideen der
film! im. c.?' i>uch iveuu ihre Werke auf Erden
>vri„^2 Äyft11 sind. Siehst Du, hier sind
bunte Rembrandt's." - - - Eine
denen iif , 'W prächtiger, kerniger Gestalten,
lenchirt^^uildhcit, und Kraft von den Wangen
mit hhJ.,,cl nHL>nEe 9fätt)c und Bürgermeister
dien „2s,1 .iueitzen Faltenkragen, liebliche Mäd-
fittiUMihpl(«lIinPe. ^negci' int fröhlichen Scherzen,
alle wvam^bchi'te und würdige Matronen, — sie
Durch hiv" ^r hohen Halle durcheinander.
Licht herein "I? !>°n,^N'ter.brachen Fluthen von
scharfer R»? i nd lieben einzelne Gruppen in
'ch auch ^»?uchtung hervortreten. Sv erkannte
Dteib >''^llnstler selbst: er hatte sein junges
»>>t den mism ^chi'olte nnd stieb fröhlich lachend
"tu mtocren an.
der b’ciifhm.*1! l>ut," sagte Ariman, „er ist in
es anders"«,,^^'U^^sellschnft. Hier aber sieht
Man di"p,miüs" ^>it diesen Worten öffnete Ari-
Fenster mnes dusteren Gebäudes, dessen
h°us?" das ein Kranken-
„Hier wobne»^""n ein," grinste Ariman.
Eine L ' Musenkinder Ibsens."
als wir einirm^ufhge Luft schlug uns entgegen,
eigentfiümlirfte»V Rank ging in seinem ihm
uns und u ßtechschrttt ans uns los, begrübte
Er wurde «i,2? !^' Direktor der Baracke vor.
rufen meifhi1,1 wtort durch einen Wärter abge-
Anfälle bekenn ?fr arme Oswald einen seiner
laugte nach 2s.,. ^ schrumpfte zusammen nnd ver-
“nVS et Sonne.
ftoIi)cvtc nlipl .°11 sriu Krankenlager eilen,
seiner über den kleinen Eyolf, der an
bekamen wK Älnte; Bor Schrecken hierüber
das; vr A'm.t" Vll'luefenbeit Nervenzusnlle, so
Endlich u ? Hände voll zu thun bekam,
und Bromrn,!? " durchMvrphiumeinspritzungen
in der Äärä , fo*.>ufit beruhigt, daß er nnö
einiges «tVi.mUml)crful>ren konnte, wobei er
einzelnen Prognose und Nehnndlung der
das Br,,,,,km?" heilen äußerte. „Wir beziehen
brauchen täatlch" Groben," sagte er „und
biel. Die cÄm k-blnige Kilo. Es hilft aber nicht
"der haben ,2° ."'eist schwer erblich belastet,
erschütternJahren eine Geiuüths-
Seitig qeht!Ä>t "?chgemacht, Die ihre Haare frith-
e>nen Ki, "Ai hat, oder sie haben sonst irgend
Achsen itk 22ieg,. gegen den kein Kraut ge-
Jehen Ei,. m . tst es schwer, Arzt zu sein.
®ort in i.il die Abtheilung für Unruhige.
^oIf feitnp»nrcy t®0ltmanu’ er geht wie eilt
Dort Ift Zähren auf und ab, hin und her.
!ü"rali,che?> Jiinge Werte, welcher absolut seine
Gabler ,dernng durchsetzen ivill, dort Hedda
"" Haar einem Kranz aus Rebenlaub
"" Hacir einem Kranz aus Rebenlaub
^vlues, «n rch?" mochte, dort der Baumeister
e». an Schivtndel leidend."-—
„Warum sind die Fenster nicht geputzt,"
fragte Ariman, den Doktor unterbrechend. „Das
ist kein Schmutz," sagte dieser, „das sind die nord-
ischen Nebel, die lassen kein rechtes Licht durch."
Ich war froh, das; wir gerade an einem
Ausgang waren. Ich dankte 0r. Rank auf's
Beste für seine Freundlichkeit, sagte, wie sehr mich
die Sache iuteressirt habe, iveil ich in meiner
Jugend ebenfalls Medizin studirt hätte, und ver-
abschiedete mich. m „ .
„Puh! Nebel und Nerven!" sagte Ariman,
als >vir draußen waren. „Man fürchtet sich bei-
nahe. Jetzt wird eine kleine Aufsrischnng gut
thun!" ...
Wir kletterten nun über ein paar moos-
bewachsene Felsen hinüber und plötzlich dehnte
sich vor unseren Blicken ein großes Bassin mit
prächtigem, hellgrünem Meerivasser ans. Ent
frischer Seewind blies meine Schaumwolkeu in
die Höhe und hob mächtige Wellen. In dem
Wasser aberpudelten nnd purzelten die prächtigsten
Meeriveibchen mit schönen, perlmutterglänzeuden
Schwänzen rudernd und die langen, grünen und
rotheu Haare uachschleisend. Die Sonne schien
auf die blendend weißen, runden Glieder; sie
haschten sich, schlugen in's Wasser, daß es spritzte,
und jauchzten, daß es eine Lust war. Dazitufchen
aber klang das Getute derMnschelhörner. Faune
bliesen sie, hingestreckt ans algenbedeckten Felsen,
von Seewasser triefend, und es klang bald jauch-
zend und übermüthig, bald sehnsüchtig träumend,
bald ernst nnd dü,ter. Ganz hinten aber, wo
die Schatten dichter wurden, erkannte man die
Chpressenwipfel der Tvdteninsel. — „Da ist Leben
d'rin," sagte Ariman, indem er ans das tollende
Meervolk zeigte. „Sie sind Kinder der Phantafie,
anders als ivir gebaut, aber nicht minder lebens-
kräftig, -selbst wenn sie eine gespaltene
Wirbelsäule haben. Wenn Du den Fifchsthwanz
anatomisch zergliedern wolltest, könntest Du ein
ganz gesundes Cirkulationssystem darin finden.
-Klatsch tönte es plötzlich und Ariman flog,
von einem kräftigen Fischlchivanz getroffen, in's
Wasser. Mühsam, triefend, arbeitete er „cb her-
aus und von dem überinüthigen Lachen des Meei-
gelichters begleitet, verließen wir die Welt der
Schöpfungen Böcklin's nnd wanderten ivetter.
Wer könnte die Fülle von Gestalten und
Szenen schildern, die sich uns darbvte»? Wir
schritten durch die heitere Welt Griechenland s,
wo Götter und Meuschen in unvergänglicher
Schönheit und Krasl eiuherwandelten: die ernsten
Gestalten des Sophokles, die Helden Homer's
und die Marmvrgedanken des Phidias.
„Die Blech-Feigenblätter haben fie abgelegt,
weil sie unter sich sind," sagte Ariman, indem er
ans eine Gruppe von Marmorgestalten deutete;
„sie sfnd auch so noch ganz schön." — — —
Tann kam die bunte Märchenwelt de-.- Orients,
zwischen GazellenutidMaugobüttmendieMädche,t
gestalten Kalidasa's und die farbenleuchtenden
Wesen aus Tausend und Eine Nacht. Wir Iahen,
wie sich die Recken des Nibelungenliedes die Zahne
ausschluqen und sähe» die kernigen Gestalten
Holbein's und Dürer's, dazivischen auch manchen
steifen, alldeutschen Heili-
gen, der schwer an seinem
Rheumatismus litt.
Wir sahen den Dänen-
prinzen Hamlet, den ge-
krönten Bösewicht Richard
und würden auch die ande-
ren Gestatlen Shakespeares
gesehen haben, wenn nicht
plötzlich wie ein riesiges,
buntes Weinfaß der por-
tresfliche Ritter Falstaff auf
uns losgerollt wä-
re, um uns in eine
nahe Kneipe zu füh-
ren. Nachdem ivir ^7?
dort lange gezecht
hatten, fragte ich den
tauinclndcn Ritter,
ob er mir nicht den Shakespeare zeigen könne. Er
führte mich nn's Fenster und deiitete auf einen
schlichten Mann mit leuchtenden Augen.
„Erlauben Sie," sagte ich, „es ist ja aber
gar nicht sicher, ob er die Dramen geschrieben
hat, oder ein anderer!"
„Das ist ja gerade der Andere," sagte Fal-
staff und goß mir ein Glas Malvasier' in den
Rockkragen.
Hierauf empfahlen wir uns schleunigst, zogen
weiter durch die immer wechselnden Szenen, die
uns bald anziehende, bald abstoßende Bilder
zeigten und standen plötzlich in der Nähe Goethe's.
Er lachte gerade herzlich über die Witze des
INephistopheles; trotzdem ivagte ich es, ihn an-
zureden, um ihn zu fragen, wie es ihm ginge.
„Ich bin zufrieden," erividerte er. „Aber eins
nult ich Ihnen gestehen: den zweiten Theil des
Faust (er neigte stch flüsternd an mein Ohr), den
Hütte ich nicht geschrieben, wenn ich gewußt hätte,
daß ich mit seinen Gestalten einmal tagläglich
zusammenfein müßte." Ich drückte ihm in schwei-
geudem Einverstündniß die Land.
„Sehen Sie," fuhr er fort, „da sind nun
z. B. die .Mütter', ferner Euphorion, daun auch
Helena, Homunkulus u. s. >v., ivelche mir hier
unten das Leben sauer macheu, iveil sie sich ab-
solut nicht mit den andern vertragen, mit Gretchen,
Mignon und nnmeutlich mit Gütz von Berlichinge».
Dieser hat neulich gesagt, das ganze allegorische
Gesindel vom ziveiten Theil könne ihn --—
ganz ähnlich, wie er eS dem kaiserlichen Trom-
peter zugerufen hat; Sie erinnern sich vielleicht,
er schmeißt dann das Fenster zu. Das ist so seine
Art und ich kann ihm nicht ganz unrecht geben."
Ich versuchte, den Dichter zu trösten, mit
dem Hinweis, daß gerade der ziveite Theil der
wichtigste für den Gvetheforscher wäre und daß
wir ueuerdings eine ganze Literaturgattung
hätten, welche nur aus Mystik und Symbolik
zusammengesetzt sei, vom Titelblatt bis zu den
kleinsten Gedankenstriche». Aber Goethe schüttelte
ernsthaft das Haupt, sagte: „Mehr Licht!" und
entließ mich sreundlich.
„Zum Wirthshaus auf der Alm" deutete jetzt
ein Wegweiser und wir folgten dem kategorischen
Imperativ. Zitherklang, Jodeln und Schuader-
hüpserl ertönten, im Talle erklang das Gestampf
des Schuhplattler's; manchmal ivurde gerauft
und einer hinausgeworfen. Drinnen saßen der
Meineidbauer, der Protzeubauer. die bildiauberu
Dirnd'lu und die kreuzbraven Jägerbuben, die
Wurzetseppe, Wilderer und Gevatterin,tett, sowie
die ganze übrige Dorfpoesiegesellschaft, theils ge-
dichtet, theils gemalt.
„Pfüat Enk Gott!" sagte Ariman, indem er
mich iveiterzog, „vvit Eurer Sorte kann ich nicht
viele aus etuiual sehen!" Weiter ging's, durch
weite Räume, welche mit dem charakterlosen
Pöbel der Zeitungsromane, der Ereignißmalerei
und der Nachäfferei alter Bkeister angesüllt ivaren.
Welche Fülle von schwindsüchtigen, krüppel-
hasten, uninöglichen Gestalten in theatralischem
Julius Diei {München').