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Nr. 30

JUGEND

1897

Forcirtc Originalität

Schneide tolle Kraftgeberden,

Täuschen wirst Du nicht die Welt,
Thor, der grösser glaubt zu werden.
Wenn er auf den Kopf sich stellt.

Osloir WHda.

&

Lüge

So Mancher lügt recht schlau und fein,

Und lügt sich doch in die lvahrheit hinein.

D. hciek

&

Hm Gewitter

2)er Sturmwind heult um Thür und Thor,
Der Donner rollt, der Arge» fällt —

Das Tosen kommt mir läppisch vor,
wie jeder Lärm auf dieser Welt.

was bringt der grösste Wellenschlag?
Nur leere Blase», eitlen Schaum,
wer wirklich Großes sagen mag,

Bewegt dazu die Lippen kaum.

Die Muse Mozart'« war ein Lind,

Die Raffael'« ein Sonnenstrahl,

Die größten Scher waren blind,

Und nur was hohl ist, macht Skandal.

Und Mancher, den man Übersicht,

VTimmt, einsam und sich selbst genug,

Je mehr er sich dem Blick entzieht,

Nur um so höher seine» Flug.

Ferdinand V. Hornstein.

Migräne des Herzens

Brief einer Grossmuttcr an ihr Enkelkind
Mitgetheilt von Julian IVeiss.

.... Ein Jahr verheirathet — und schon
unglücklich! Verzeihe mir, mein Püppchen,
aber Dein verzweifelter Brief, in welchem Du
über die Schlechtigkeit Deines Gatten klagst,
Dich als das unseligste Wesen auf Erden be-
zeichnest, an eine Scheidung denkst und an
mich die Frage richtest, ob in meinem Hause
ein Plätzchen für Dich vorhanden wäre, dieser
liebe Brief (der im Uebrigen aussieht, als hätte
Dir derselbe als Regenschirm bei einem guten,
warmen Landregen gedient) erweckte in mir
eine gewisse melancholische Heiterkeit. Du,
und unglücklich? Das ist, wie wenn ein Kind,
welches den ersten Milchzahn verliert, jam-
mernd ausrufen würde: „Kein Mensch hat je-
mals entsetzlichere Zahnschmerzen erleiden
müssen!“

Glaube nur nicht, mein Schatz, dass ich
Dich nicht verstehe, nicht mit Dir fühle, nicht
mehr Deine alte, Dich liebende Grossmama
bin. Du weisst ja am Besten, dass Du mir
an’s Herz gewachsen bist, und wenn das über-
haupt noch eines Beweises bedürfte, Dein letzter
Brief — der total verregnete — würde diesen
erbringen. Doch, weil Du mich liebst und ich
Dich liebe, darf ich Dir wohl sagen, dass Du
Unrecht hast, tausendmal Unrecht. Du schreibst,
dass Dich Dein Gatte nicht liebe, denn er sei
Dir nicht mehr treu. Mein liebes Kind! Die
Liebe ist mit der Treue nicht so innig ver-
wachsen, wie eine junge Frau glaubt. Liebe
und Treue sind wohl Zwillingsschwestern ...
aber keine siamesischen.

Man (d. h. Mann) kann lieben, ohne treu
zu sein und treu sein, ohne zu lieben. Dass
Dich Dein Gemahl liebt, davon bin ich fest
überzeugt, und wenn Du Dich einmal recht
genau betrachten wirst (am besten wäre es,
wenn Du dabei den Spiegel seiner Augen be-
nützen wolltest), so wirst auch Du nicht mehr
daran zweifeln. Ob er Pir treu ist? Diese

Frage erscheint mir weniger wichtig, zumal
ich in meinem Leben schon so viele Varia-
tionen von Treue bewundert habe, dass ich
das eigentliche Thema fast vollständig aus den
Augen verlor. Sei nicht böse, mein Kind,
wenn ich Dir sage, dass mich die Treue an
die Changeantseide erinnert, die ich jetzt bei
jungen Frauen sehe. Die Eine glaubt, ihr
Kleid schillere in einem zärtlichen Blau, wäh-
rend ich ein böses Gelb erblicke; die Andere
macht mich auf das innige Grün ihrer Robe
aufmerksam, während ich nur ein abscheuliches
Roth zu entdecken vermag. Die Hauptsache
ist, dass man selbst blos eine Farbe sieht und
nicht bemerkt, dass die ganze Sache auf-
fallend schielt. Den Männern ist die Treue
eine Blume; — sie wird gebrochen. Oder eine
Sportzeitung; -— sie wird nicht gehalten.

Die Frauen allerdings sind treu, denn die
innige und aufopfernde Zärtlichkeit ist dem
weiblichen Geschlechte angeboren und es ist
charakteristisch, dass selbst die hässlichsten
Frauen, welche gar keinen Reiz haben, den
Reiz der Treue bis in ihr spätestes Alter be-
sitzen — und dann erst recht.

Doch kehren wir zu Deinem Gatten zu-
rück, der besser ist, als der Ruf, den Du ihm
machen willst. Glaub’ mir: er ist Dir treu.
(Meiner Treu!)

Was hast Du ihm denn vorzuwerfen? Du
behauptest, dass er alle jungen Frauen auf der
Strasse „anstarrt.“ Kind, Kind, soll er die alten
Weiber bewundern? So angenehm mir das (per-
sönlich genommen) wäre, so bin ich doch nicht
ungerecht genug, um zu behaupten, dass eine
Matrone reizvoller aussieht, als ein Backfisch.
Wenn ich zwischen dem Anblick einer faltigen,
zähen Birne* und dem eines rosigen, zarten
Pfirsichs zu wählen habe, so schwanke selbst
ich nicht. (Noch weniger, glaube ich, schwan-
ken die Männer, wenn nicht nur vom Schauen,
sondern auch vom Essen die Rede ist.)

Was ist denn Uebles daran, dass Dein
Mann gern hübsche Gesichter betrachtet? Es
beweist vor Allem ästhetischen Geschmack
und dieser Beweis mag Dir genügen. Denn
wer weiss, ob all’ die entzückenden Gesichtet,

6o.|
Register
Adolf Höfer: Eine bekannte Redensart
D. Haek: Lüge
Oskar Wilda: Forcierte Originalität
Ferdinand v. Hornstein: Im Gewitter
Julian Weiß: Migräne des Herzens
 
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