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Nr. 40

1397

Scharfes Stechen

M. Trigler (München).

„Aufm jungen Leute"

I. „Die ZtzlaZt"

„Wo sind Sie abgcstiegen . . ,?1" sagte
irr Vorposten mit scheinbar nonchalantem
Tonfall zu dem Feinde, dem Eindringling.

„3m Grand Hotel", sagte der junge Berliner
Schriftsteller, „aber ich suche Privatwohnung."

„Al) . . sagte Liner der jungen Dichter,
„Sie müssen in der Nähe eines unserer alten
Palais wohnen, wo Herkulesse aus Sandstein
breite Baikone tragen und Alles aussieht wie

s750 . .

„Ausgerechnet \75o ..dachte der junge
Berliner, für welchen man das .ideale L)uar-
tiet' suchte.

„)a, Sie müssen in den alten dunstigen
Strafen wohnen, wo die Sperlinge kreischen
und die Tauben hinter den Stcin-Guirlanden
üch galten . . sagte Liner, der den Dichter
übertrumpfen wollte an Lmxfindsamkeit und
zarter Beobachtungsgabe.

Da legte sich Liner ganz auf das Sammt-
sopha hin in freier anmuthigcr Pose und
sagte: „Sie müssen ganz einfach auf der Wieden
wohnen, mein Lieber ... I"

Damit waren Alle einverstanden, obzwar
sie nicht eine Ahitung hatten, waruul der
Redner gerade diese Vorstadt ausgcwählt hatte
zür deti Aufenthalt des Berliner Schriftstellers.

Aber der Reimer, eigentlich war es „Gefter-
reich's Dichter," fuhr von seiner Ruhebank
aus fort: „Dort kommt der Duft von den
lsansgärtcn in die Straßen hcreingezogcn und
es klingen Töne von Klavieren an welchen
die jungen eitifachcn Vorstadtmädchen sitzen
und ihre Herzen in Musik setzen."

Das war wirklich schön ausgedrückt und
er hatte entschieden den Vogel abgeschossen.
Ls war ein sentimentaler Vogel, so eine
klaacitde Nachtigall, aber immerhin ein Vogel.
Die Anderen aber betrachteten das Ganze als
lhrcn persönlichen Sieg, den Sieg des Zarten
über das Rauhe, den Sieg Gesterreich's über
Berlin ... I

Berlin sibien noch gar nicht gerüstet zu
sein, man halte cs einfach überrumpelt. Ls
machte kl> i ue Aeuglein und schätzte die Gegner ab.

plötzlich aber erhob es sich, zog das Schwert
und fiiorte einen furchtbaren Streich: „Mir
is es janz cjal, wo ich wohne, wenn nur ein
Schaukelstuhl drin is . . .1"

Da stoh Wien und zog sich zurück wie
Macbeth vor dem Dutisinan Walde. Aber
Liner drehte sich auf der Flucht um und schoß
einen vergifteten Pfeil nach dem Feinde. Lr
sagte: ..Sie halten also Nichts voll Stiinmung,
vom Milieu' . . .?!"

Der Berliner nahm das riesige Schlacht-
schwcrt in beide Hände und schleuderte es gegen
die Feiitde: „Wir haben Uns bereits aus
dieseti wickelbändcrn gelöst, Wir beschäftigen
Uns nicht mehr mit Uns, Wir sind darauf
gekommen, daß es Werthvollercs gibt als blos
quasi Rcsonnanzbodcn zu sein einer alten
Geige. 3mmcr auf sich selber spielen, das ist
künstlerischeSchwächutig, SelbstvcrnichtunglWir
wollen auf dem ganzen 3»strumente,Welt' herr-
lici'e und deutliche Lieder spielen, Wir wollen
.schaffende Spieler' sein auf der .Welt-Harfe',
nicht bebendes hallendes 3"strut„eut für den
zufälligen Wind, der sich darin verfängtII"

So führte der Berliner den Kampf, es
lag Kraft darin, Kühnheit, Umwandlung zu
Höherem, Weiterem . . .

Aber die Wiener sammelten sich, blieben
stehen und rückten corporativ vor: „Wir müssen
die tausend Millioneil Töne der weit erst in
Uns aufuehmen und sie verklärt aus unserem
künstlerischen Grganismus wieder heraustönen
lassen ... ic. zc."

Einer sprang vor und führte einen fürchter-
lichen Hieb, auf den Niemand gefaßt war.

Lr schrie: „Wir müssen ein Erlebniß mir
unserem Geiste, unserer Seele durchtränken wie
einen Badeschwamm, damit cs das .künstlerische
Lrlebniß' werde, sich zu einem .künstlerischen
Erlebniß' steigere!! verstehen Sie inichl?"

Der Berliner wankte.

„Das verstehe ich nicht . . ." sagte er,
„Pardon ..."

Da stürzte Gesterreich mit seinem siegenden
„Künstler-Standpunkt" über ihn her, stieß den
brutalen Deutschen nieder, schwang das Panier
süßer Sentimentalität riiid blies das Siegeslied:
„Wir sind ei» Spiel von jedem Druck der Luft.."

Eigentlich war es die „literarische National-
hymne."

Der Berliner bat um Gnade und ergab
sich. Aber in seinem 3>t»ercn stand es fester
dciin je: „3ch suche mir doch ein Zimmcr
mit Schaukelstuhl, janz ejal wo . . .!"

Der „Dichter Gesterreich's" aber, der Ge-
ncralissimus, zog sich von der Walstatt in
sich selbst zurück, schlief auf dem Sammtsopha
ein und träumte von jungen eiiisachen vor-
stadlmädchen, die an verstimmten Klavieren
faßen und ihre Herzen in Musik setzten . . . I

Nu» wurde die Stimmung freier, Nie-
mand brauchte sich zu geniren, es begann die
literarische Llkneipe, das heißt, mit einem
Worte, man zog sich wie beinr Kegelspielen
die Röcke aus und arbeitete in Hei»därmeln
weiter; kurz, man gab die Reserve auf, den
seinen Schliff, und befeuchtete das Ganze mit
verschiedenen Getränken

„Welchen Wiener Dichter kennt man am
bestell i» Berlin . . . ?I" sagte Liner.

Das hieß: „jetzt paßt auf . . .1"

3ch verschweige den Namen, welchen der
Berliner nannte, jedcsfalls war es nicht Liner
von den Anwesenden

Line homerische Entrüstung brauste auf
und Liner tippte sogar mit seinem Monoclc
auf die Marmorplatte, und das war bedenklich.
Ls klatig wie das erste ferne Rollen des
Donners, nur viel dünner natürlich . . .

plötzlich sagte Liner, der es ilicht mehr
bei sich behalten konnte: „Sie, was halte:.
Sie von unserent Friedrich Hebbel?!"

„Nicht viel . . .", sagte der Berliner.

„Nun, mein lieber Herr, es thut mir sehr leid,
Friedrich Hebbel ist der Erste nach Goethe.. .1"

„Nach Goethe, nach Goethe. . .", wieder-
holte er in seiner Aufregung, während doch
der Nachdruck auf „der Erste" hätte liegen
sollen. Er nahm falsch Pedale.

Ein Anderer aber merkte, daß man über
die Grenzen geschossen sei, zog die Sache ein
wenig zurück und sagte: „jawohl, in einem
größeren Abstande . . ."

Damit hatte er die Sache befestigt und
solide cingerammt.

„GH Hebbel . . .", seufzte jetzt der Erste,
der sich ganz in diesen Hebbel hineingesrcssen
hatte und gar nicht inehr hcrauskommen
wollte, „oh Hebbel, welcher Mensch l Mensch,
sage ich, nicht Dichter! Zuerst sei ein Mensch l
Ein ganzer, großer Mensch I Bitte, da kann
man ja gar liichts weiter sagen . . ."

„Hebbel ist ein Titane ganz einfach . . .",
sagte Einer und schoß einen Blitz aus seinen
begeisterten Augen auf den Berliner.

„3k habe nischt dajejen ..sagte dieser.

3etzs aber folgte als letzte Frage in dieser
„literarischen Maturitätsprüfung", als Aufgabe,
von deren Lösung Alles abhing, Folgendes:
„was ist Kunst . . .??!"

Ls entstand wirklich eine feierliche Stille.

Alles Persönliche entschwand, und die
Weihe der Ausgabe theilte sich den Menschen
init und erhob sie um ein Beträchtliches über
die Gegensätze ihrer 3ch's.

Berlin sprach: „Kunst is, wenn . . ."

Er war durchgefallen, gcplillnpst.

Man behandelte 3b" van nun an nicht
mehr als literarische Persönlichkeit. Er bekam
so einen Gdeur von einem Schuster, einem
Möbelsabrikanten. Unter diesen veränderten
Umständen, in dieser „geklärten Situation"
begann der Verkehr ganz gemüthlich zu werden.

Einer nach dem An-deren sattelte ab und
stieg in das Leben herab . . . Das Leben,
diese Ebene, das ist der große Ausgleicher, da
versteht man sich ...! Aber die Gipfel ragen
einsam und schroff und hassen sich!

Und Gipfel waren sie ja schließlich Alle... |
Peter Attenberg.

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Peter Altenberg: "Unsere jungen Leute": I. Die Schlacht
Martin Trigler: Scharfes Stechen
 
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