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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 2.1897, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 41 (9. Oktober)
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Nr. 41

JUGEND

1897,J

iBit
„Natürlich, da soll

Eine wahre Geschichte Non Philipp Vvckcrat

f ls ich in meinem zweiten Semester stand,
tnar ich noch ein sehr netter Mensch, Zum
Kritiker freilich fehlte mir damals nicht weniger als
alles, Objektivität und Nüchternheit des Urtheils
waren mir fremde Begriffe, Entweder ich liebte oder
ich Haspe; entiveder ich schwärmte oder ich tobte.
Immer war ich in einer gänzlich unnöthigen Wnth,
oIj pro ob contra. Tacitns, der von sich behaupten
konnte, er wolle sine ira et studio ein Buch schrei-
ben, ivar mir der unverständlichste aller Schrist-
stellcr und der verächtlichste zugleich. Man sieht:
ich war ein sehr netter Mensch.

Das alles wäre indessen noch nicht so gar
schlimm gewesen, wenn nicht ein sinnloses agita-
torisches Element hinzugekomincn wäre. Ich
meinte immer, eS sei meine Pflicht, auch andere
Erdcnmenschen von meiner Ansicht zu überzeugen.
Und so schleppte ich meine Opfer des Abends
von Bierlokal zu Bierlokal und schließlich von
Easc zu Easc, wo ich ihnen bis zum winkenden
Morgen nachwies, das; sie eigentlich große Esel
seien, was nie einer zugeben wollte. Bekehrt
habe ich keinen einzigen: wohl aber hat mir
manches runde Marmortischchen, an dem ich mit
rothem Kopse und anmuthcgem Gebärdenspicl
philosophische, politische, nativnalvkonomische,
künstlerische, religiöse Gegner mit Herz und Galle
bekämpfte» einen sogenannt"! „guten Bekannten"
in einen Todfeind verwandelt. Keiner konnte
das ja auch auf die Dauer aushalten!

Ich lief stets umher und hatte alle Taschen
voll von Idealen. Und wenn ich Abends meine
Kleider zum Ausbürsten vor die Thüre hängte,
nahm ich erst die Ideale sorgsam heraus, legte
sie aus meinen Nachttisch, schloß das Zimmer ab
und schlief ruhig ein.

PÄ attsf rau i m JSk. n tt ft n c
man jetzt wieder crrakhcn, ob dies YOirftiig

Mein Frönnd Felix, der nicht viel älter, aber
sehr viel gewitzter war als ich, und schon mit
der Milch der Amme eine gewisse elegante Welt-
Verachtung in sich eingesogcn haben mußte, hatte
mir täglich gesagt, daß meine Proselhtcnmacherci
ein Unsinn sei. ' „Deine ,Knabcnmorgenblüthen-
träume' werden Dir noch einmal böse geknickt
werden!" warnte er mich. Aber ich lachte ihn
immer aus.-

In der Kronenstraße zu Berlin war ein selt-
sames Restaurant. Diskrete Stores und Stoff-
gardinen ließen den Neugierigen nicht durch die
Partcrrefenstcr blicke»: aber eine rothe und eine
blaue Laterne, einige Versicherungen, daß cs da
drinnen „diverse Biere" und „feine Weine" gebe,
sowie ein freundliches großes Schild über dem
Eingang mit dem wohlklingenden weichen Namen
„Easc Livadia" ermöglichten dem nachdenklichen
Betrachter, eine Diagnose ans das Innere zu
stellen. Alles machte einen sehr zutraulichen
Eindruck. Hier, das sah man, mußten gute
Menschen wohnen.

Eines Tages bummelte ich um die Mittags-
zeit durch die Stadt und kam auch durch die
Kronenstraße. Die schmeichelnde Musik des
Namens „Livadia" lockte mich, und Durst und
Neugier trieben mich vollends hinein.

Eine Reihe von Zimmern durchblicktc der
Eintrctende. In ihnen heilige Sabbathstille.
Am Buffet stand eine hochgcwachsene Blondine
im Gespräch mit einem blassen Kerl. Zwei
niederträchtige kleine Viehcher, ein Scideninoppel-
chen und eine Katze in den besten Jahren, faul-
lenztcn einträchtig ans einem der mit weißen
Tüchern bedeckten Tische. Da hinten aber, im
Nebcnraume, machte sich noch ein weibliches
Wesen zu schassen, besten schlanke Grazie mich
dorthin zog.

„Guten Tag, mein Herr. Hell oder dunkel?"

„Dunkel."

; t t XX Julius Dic% (München).

>dcr 'Kopfsalat ist."

Sic brachte das Bier und stcüte es vor mich
hin. Gegenseitige Musterung. Von meiner
«crcitc bald mit erhöhtem Interesse geführt. Denn
was da stand, war eine höchst reizvolle Erschein-
ung. Ans dem schmiegsamen Körper saß ein
seingeschnittener Kopf, das zarte Gesicht war um-
rahmt von einer üppigen Fülle schwarzer Haare,
dce präraphaelitisch über die Ohren gekämmt
waren. Das merkwürdigste aber waren die
glühenden, glänzenden, großen, granblauen
Augen, die uutcr halbgeschlossenen Lidern und
tvundervollen, langen schwarzen Wimpern hcrvor-
le,Kitteten. Aus den losen Aerincln der Blouse
guckten z>vei kostbare Arme hervor, an die sich
zwei nicht minder beachtcnsivcrthe Hände nn-
schlosscn. Die Hände aber ivaren für mich
uniiter das Entscheidende am Weibe.-

Es entwickelte sich ein außerordentlich geist-
volles Gespräch.

„Wie heißen Sie denn, mein Kind?"

„Kind is j»t."

„Also, mein holdes Fräulein —"

„Rathen Sie mal."

„Eise."

„Nee."

„Grethe."

„Stimmt! — Woher wissen Sic denn das?"

„Tns Hab' ich Ihnen gleich augemcrkt."

„Anjcmcrkt! Famos! Olja" — und sie ivandte
sich in das erste Zimmer —, „der Kleene hat'S
nur anjemerkt, daß ich Jrcthe heiße."

Das Gespräch war, >vic gesagt, sehr geistvoll.
Aber es verließ bald diesen allgemeinen Boden
und wurde intimer. Ich beschästigte mich ein-
gehend mit dem Studium der Hände meiner
Nachbarin und wurde selbstverständlich in wenigen
Minuten nngeniein verliebt. Von drinnen er-
tönten, leise cinsctzend, weiche, schwebende Walzcr-
töne. Mir wurde sehr heiß--

Die Melodie brach Plötzlich ab. Und der

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Register
Philipp Vockerat: Die Grethe
Julius Diez: Die Hausfrau im Kunstverein
 
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