Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 41

1897

. JUGEND -

gleich mit Briefbogen, Tinte und Feder zurück.
Sie setzte sich an den Tisch und kühlte sich mit dem
Tuche die brennenden Augen °, von dem Schluchzen
waren als einzige Ueberrcste nur noch einige gluck-
sende Rucke zu vermerken, die in der Luftröhre
ihren Ursprung hatten. Dann tauchte sie still und
traurig, aber mit dein Gesiihl eine gute Thai zu
thun, die Feder in das schwarze Naß,

Ich hatte mich erhoben. Um dem ganzen
Ernst der Situation gerecht zu werden, knöpfte
ich mein Jaquet zu, durchmaß in großen Schritten
das Zimmer, blieb am Fenster einen Augenblick
stehen, um einmal ans die Straße hinauszublicken,
kehrte »vieder um und begann zu diktiren:
„Liebste Mutter! — Du wirst Dich gewiß
wundern, wenn Dir die Post einen Brief von
mir bringt. Und in der That, es mag wunder-
bar erscheinen, daß ich nach zweijähriger Tren-
nung —"

„Anderthalb Jahre sind cs aber erst —"
„Also — nach anderthalbjähriger Trennung
heute plötzlich an Dich schreibe, — Hast Du:
schreibe? — Schon, — Aber es wäre falsch, wenn
Du einen Causalnexus —‘"

„Wat?"

„Also — wenn Du einen inneren Zusammen-
hang zwischen diesem Schreiben und meiner Lage
verinuthetest —"

„Bermuthctcst?"

"Itit’n h?"

„Wie Du willst,"

„Also ohne!"

„Es geht mir nicht etwa pekuniär schlecht,
O nein! —"

„Einen Augenblick . . . Pc—tu—ui—är—"
„Schlecht, ö nein! Nur das Gesiihl einer
wirklichen Rene, unr die wiedererivachte Liebe
zum Elternhause, die wahre kindliche Anhänglich-
keit an die Heimath und der feste, ernste Vorsatz,
daß es alles, alles anders werden soll, —"

Da — es war die erste Störnng — ging im
Nebenzimmer die nach der Straße zu gelegene
Eingangspforte. Und nach wenigen Sekunden
stand der Eingetretene in der Thüre zu uuserin
Schreibkabinet, Es war ein dicker, fleischiger
Mensch in den Fünfzigern, mit einem runden
Bauch, einem schwarzen Hut, den er nicht ab-
nahin, einem feisten Schnurrbart, der wie mit
Dünger gepflegt aussah, und einem verblüffenden,
völlig unmotivirten, tiefen Grübchen im Kinne.
Verwundert sah er auf die merkwürdige Scene,
die sich zwischen uns abspielte. Ich blickte auf
und maß ihn unwillig. Auch Greihe sah von
ihrem Briefbogen auf. Aber siehe: die Wirkung

war überraschend! Sie warf die Feder hin, rückte
den Stuhl, iprang ans und stürzte in Heller Freude
dem ncuansgegangcnen Gestirn entgegen,

„Hnjo niit'ni Jrübchen!" rief sie jubelnd,
„Nee, das is aber famos!" Sie hüpfte an
ihm in die Höhe, wie ein Pudel, der seinen
Herrn wiedersieht, küßte ihn, ninarnite ihn, faßte
ihn unter den Arm nnd führte ihn, indem sie
ihm lachend von unten in daS schwammige Ge-
sicht sah, im Triumph in ein noch weiter hinten

liegendes Zimmer!-

Ich war mit dem Briefe allein. Sprachlos
starrte ich dem verschwindenden Pärchen nach.
Ich begriff nicht recht. Eine Minute etwa wartete
ich. Sie kam nicht wieder. Ich strich mir aber-
mals über Stirn und Haupt, nahm still meine
Sachen, nnd langsam ging ich durch das erste
Zimmer dem Ausgang zu. Es war gar zu
furchtbar!

„Wer ist beim der Herr?" fragte ich Olga,
als ich bei ihr meine Zeche bezahlte,

„Das 's Hajo!"

„Ach so! Danke sehr,"

Jetzt kam der blasse Kerl herangeschlichcn,
und krähte mit seiner heiseren Stimme dazwischen:
„Det 's doch der, der jestern Abend so ville Seit
jeschmisseu hat, dnt se alle Kopp jestanden haben!"
„So, so! der!"

Artur Hirth (Münch» n)

Ich ging hinaus. Als ich in der Thüre
stand, vernahm ich nur »och, wie Olga, halb zu
sich, halb zum „Kapellmeistcrchcu" lachend meinte:

,,’mtn Jammer hat die Jrethe heute-!"

Dann hörte ich nichts mehr,-

„Siehst Du," sagte mein Freund Felix, als
wir am Abend beim Biere saßen, nachdem ich
gebeichtet hatte, „das geschieht Dir einmal recht!"

„So?" erwiderte ich gereizt, „weil gerade
einmal so ein Frauenzimmer einen getäuscht hat,
darum, meinst Du, soll ich nur gleich an der
Möglichkeit verzweifeln, daß inan überhaupt mit
ehrlichem Willen andere Menschen bessern und
ändern nnd belehren kann! Nein, liebster Sohn,
das beweist mir gar nichts!"

Ich >var eben, wie bereits Eingangs erwähnt,
damals ein sehr netter Mensch, --

Min (Maar ^ebensregd»

Halte Dich fest an dle drei festesten Säulen der
Biedermenschlichkeit, als da sind: dle Prüderie, der
Alkohol und die sogenannte Sonntagsruhe, Wenn
Du in der Prüderie ein böses Gewissen erblickst;
wenn Du dem Biedcrrnenschen sein elegantes Glas
Wein mißgönnst und vielleicht gar noch mehr miß-
gönnst als etwaige zehn Liter Bier oder zwanzig
Gläser Schnaps; wenn Du an Sonn- und Zeicr-
tagen nicht reichlicher speisest als an Wochentagen:
o dann gib gleich all' Dein Streben auf — dann
bist Du verloren.

Wag' es nicht, ohne irgend eine Partei zu sein,
lMindestens mußt Du selber eine gründen.

Du mußt das thun, was die Leute von Dir
erwarten: als Taglöhner ärmlich essen, als „Dok-
tor" reichlich essen, als Einbrecher Dich nicht er-
wischen lassen.

Du darfst nicht sagen: „Ich mache keine An-
sprüche im Essen" u, s, w., sondern mußt sagen:
„Ich mache große Ansprüche im Essen" u, s, w.
Und wenn es Dir gleichgiltig ist, ob Du am Sonn-
tag einen Schweinsbraten oder eine Gans be-
kommst, so wirft Du selber den Leuten gleich-
giltig werden, Schin.

6g.j
Register
Arthur Hirth: Porträtzeichnung
Ephraim Moses Lilien: Mein schönes Fräulein
Schm.: Ein Paar Lebensregeln
 
Annotationen