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1897

JUGEND

Nr. 41

Keine Sparbüchse

„O Pemotion quand on est toul
„pres du bonheur, qu’on n’ä plua
„qu’ä toucher — et qu’on passe.“
Andre Gide.

Nicht aus dem Französischen von
Rudolf virschbcrg.

Sch mache in zitternder Erregung diese
. Bemerkungen: Jedes Glück ist eine
Auster »ud muß mit der Zunge gekaut
werde». Ls erziehe aber jeder seine Lust-
fasern und bereite ihnennur erlesene Genüsse.

Line wohlgefüllte Sparbüchse ist ange-
nehm an sich. Sie erfreut auch den derberen
Mann, wenn er sie hat.

Sie ist ein unedles, gemeines Geräth.
Das sei nicht geleugnet, aber cs wird auch
nicht berücksichtigt.

Denn es ist eine innige Zuversicht:
wenn eine Sparbüchse so voll ist. daß sie
nicht einmal mehr klappern kann, dann
ist sic voll und kitzelt behaglich sogar den
Rohen. — Aber das ist ein stumpfes Glück
ohne Herzklopfen.

Wenn ich eine solche Sparbüchse hätte,
so sollte es eine irdene Sparbüchse sein. Die
müßte ich zerbrechen, »m an ihr Bestes zu
kommen. Mit Lust dürfte ich zerstören, was
mir gehört, um mir das Beste heraus zu
nehme». Schon zittert mein Herz in grau-
samer Erwartung, daß ich die redliche
Büchse an der wand zerschelle. Eine würze
ercite ich für meine Schmeck-Fasern.

Aber die erzogenen Sinne des Herrschers
’ofieit feine Macht mit noch feinerer Grau-
samkeit durch: wenn die Ratze mit der
Maus spielt, beißt sie oft schmeckend nach
ihrem Glück und läßt cs wieder fahren und
schmeckt von Neuem. Menu die Ratze mit
der Maus spielt, ist sie mein Vorbild; doch
übertrcffe ich sie und werde ihr Vorbild, und
sie beneidet mich um meine Sparbüchse.
Denn ihre Maus stirbt schließlich doch.
Wenn aber die Sparbüchse mein wäre, so
schickte ich mich wohl an, sie zu zerschmettern
mit fröhlichem Rnall, daß die blanken Geld-
stücke herausplatzcn sollten. Doch im letzten
Augenblick würde ich den wollüstigen
Schwung meines Armes einhaltcn, das
volle Glück »»gekostet auf den Tisch stellen
und davon gehen, als ob ich cs nicht besäße.

Das könnte ich wiederholen zwanzig
Mal, hundert Mal, so oft ich wollte, nud
meine Utaus würde das ewige Leben haben.

Jedes Glück ist eine Auster und muß
mit der Zunge gekaut werden.

(!) meiueFrciinde, vernehmt mein Glück:
Ich besitze wirklich eine Sparbüchse. Sie steht
auf meinem Schreibtisch; aus röthlichem
U.H011 ist sie gedreht und mit grünen Linien
ausgeziert. Und das Licht fällt durchs
Fenster und macht einen weißschimmcrnden
Fleck auf dem spiegelglatten Ton. — Das
ist mein Glück, meine ewige Maus; es ist
meine Auster, die ich nie verschlucke.

0 meine Freunde, die Sparbüchse ist leer.
Aber zweifelt nicht: Ich schmecke unendliche
Reize an ihr, ich vergehe in der zartesten
Wollust, die eines Wesens Fasern durch,
zittern kann, und ich empfinde „frissons.‘‘
Ich rücke die seligste Möglichkeit dicht
vor meine bebenden Sinne und immer ziehe
ich die lechzende Zunge wieder zurück: was
hindert mich, den gähnenden Spalt mit
Goldstücken zu stopfen, mit wollüstiger Gier
das ralhc Geräth bis zum Platzen zu füllen?

Dann hätte ich den Schatz des Glückes,
ich besäße die goldene Maus, die ich zu ge-
»ießcn verstünde nach feinster RatzenartI

Letztes Viertel C. Kuitucr (München).

Aber ich kitzele mich nur mit der vcr-
stichung, in die ich mich führe. Ich beschaue
die Sparbüchse mit brünstiger Gier und laste
sie doch ganz leer. Nur auf dem äußersten
Zipfel der Zungenspitze koste ich die ganze
Stufenleiter des vorgestellten Glückes und
ich bereite mir fast einen Starrkrampf vor
überwürzter Luft,

Wohl mir, meine Freunde, ich habe
eine ganz leere Sparbüchse!

O mes amis decadents, quel comble
de frissons!

Hk

Die „Jugend“
auf dem Scheiterhaufen

Auf dem 8. Deutschen Katholikentag in
Landshut ist die „Jugend“ erst beschmutzt
und begeifert, dann geviertheilt, zuletzt ver-
brannt worden. Als Grossinquisitor fungirte
der nonplusultramontane Fürst Löwen-
stein aus Bayern.

„Meine Herren! Diese Jugend“, zu mei-
nem Schmerze muss ich es sagen: ein in
Bayern, sogar in München, der ehemaligen
Hochburg unserer viellieben Jesuiten, er-
scheinendes Blatt, — diese „Jugend“ ist eine
sehr gefährliche Gegnerin. Gerade weil
man ihr nicht vorwerfen kann, dass sie die
Religion verhöhne oder auch nur über un-
sere Konfession sich lustig mache, gerade
weil man ihr einen unsittlichen Inhalt
nicht nachsagen kann, gerade deshalb sind
die scharfen Hiebe so gefährlich, welche sic
mit der Waffe des Humors und der Satire
gegen die Volksverdummung führt. Wie hat
sie z. B. in der Affaire „Leo Taxil“ sich
über das Missglücken der teuflischen An-
schwärzung der Freimaurer lustig gemacht,
ja fast in jeder zweiten oder dritten Nummer
bringt sie unseren edlen, auf die Erhaltung
des Aberglaubens, der Pfaffenherrschaft und
des beschränkten Unterthanenverstandes ge-
richteten Bestrebungen eine zwar unblutige
aber empfindliche Schlappe bei. Ueberdics
verhehlt diese Jugend“ — welch’ frcchci
Name, da doch wir allein die Erziehung
der Jugend beanspruchen! — auch nicht ihre
stramm reichsfreundliche, deutschpatriotische
Gesinnung; das deutsch e Vaterland geht ihi
über Alles, sogar über Rom! Meine Herren!
Ein solches Blatt, das uns zwar nicht am
Beten verhindert, das uns zwar in keinei
Weise in unseren schwarzen Zirkeln und
Konventikeln genirt, das aber die weitere
Verbreitung unserer Herrschaft zu ver-
hindern strebt, — ein solches Blatt müssen
wir mit allen erlaubten Mitteln bekämpfen;
— es auf den Bannstrahl setzen und mil
dem Index belegen (oder umgekehrt); — wir
müssen es verbrennen, wann und wo wir
es — kaufen können! Anathema sit!“

— — Ja, wenn Se. schwarze Durch-
laucht SO gesprochen hätten, dann wären
höchst Dieselben auf dem Boden bajuwar-
ischer Verfassung geblieben. Statt dessen hat
aber der edle Fürst nicht nur die Jugend“
ein „Schmutz- und Schundblatt“ genannt,
sondern sie auch der „tendenziösen
Förderung der U n s ittl ich kei t “ be-
zichtigt, und Gesetzgebung, Staatsanwalt und
Polizei zu ihrer Vertilgung angerufen.

Sehen Sie, Durchlaucht, das ist schofel!
Zwar, dass Sie die Jugend“ ein Schmutz-und
Schundblatt nannten, das ist ja für uns nur
ehrend; allerdings: auf dem Index befinden
wir uns in ganz anständiger Gesellschaft, z. B.
Galilei, Spinoza, Voltaire und Wilhelm Busch.
Sie begreifen ja nicht unsere Begeisterung,

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Redaktioneller Beitrag: Die "Jugend" auf dem Scheiterhaufen
Rudolf Hirschberg: Meine Sparbüchse
Carl Küstner: Letztes Viertel
 
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