1897
JUGEND
Nr. 42
fegen und mondbeglänzter Wiesengrund, das
Alles liegt dort und noch vieles Andre, was
nur wir beide wissen, wir Alten, und was
wir Niemandem verrathen werden, nicht un-
sern Kindern, die jetzt dort draußen, in der
silbernen Ferne, ihren Kampf dnrchkämpfen,
wie einst Ivir den unfern, und nicht deren
Kindern und keiner Menschenseele.
Du schweigst und lächelst und neigst den
Kops mit dem seidenweichen braunen Haar,
mit dem Du mich, denkst Du daran, so
manches Mal umflochten hast und das nun
schon viele, viele silberne Fäden durchziehen.
Wie hast Du gelacht und Dich gesträubt und
schmollend den Kops zurückgeworfen, als ich
einst den ersten Schimmerfaden in dem dun-
keln Seidengespinnst entdeckte. Und auch ein
kirschrothes Kissen, das unter der schweren
Fluth hindnrchleuchtcte, hat eine Rolle an
jenem Nachmittag gespielt.
Verhalte mir nicht den Mund! Wir sind
allein in dem verlassenen, sonnengebadeten
Obstgarten, von dem man soweit hinausschaut
in das Land, bis hinüber zu dem blauen
Hvhcustrcif am Horizont. Wir sind allein und
Niemand hört uns. Die Obstbänme stehen so
still, beladen mit all dem saftigen Legen, der
ihre Ztvcige zu Boden drückt. Tie Blumen
blühen so schweigsam, Astern, Geranien, Geor-
ginen, so duftlos in ihren gezirkelten Beeten,
um die sich der weiche Rasen schmiegt. Kein
Lüftchen bewegt die rothen Beeren der Eber-
eschen an der großen Landstraße, die draußen
vor dem Garten vvrüberzieht. Der Weg
hat mich einst die Ferne hinausgeführt. Ten
Weg bin ich spät zurückgekommen, und Tu
warst an meiner Leite.
Wie ist es still! Nur die Sperlinge zwit-
schern auf dem rothen Giebeldach und in der
mächtigen Lindenkrone, dem hundertjährigen
Wahrzeichen dieses Hauses. Aber wegen der
Sperlinge dürfen wir ruhig weiterreden. Es
bleibt unter uns und den Sperlingen da oben
in der Lindenkrone. Denn die andern Vögel,
denen sie es verrathen konnten, sind schon
davongezogen nach den südlichen Ländern,
die Schwalben und die Staare und die anderen
Zugvögel. Auch das Storchenpaar ist fort,
das ans nnserm First geklappert hat, so man-
chen lieben Sommertag. Nur die Spatzen
sind uns geblieben. Die Pfeifen ihr freches
Lied, und manchmal, aber selten, gellt ein
Kreischen durch die trockene Herbstlust. Das
sind Gänse auf den Stoppelfeldern, die sich
dort weit und breit hinziehen.
Sonst ist Alles still. Jetzt ein Apfelschlag
glatt auf den Rasen, dann wieder still. Und
die Sonne sinkt. Wenn Du den Kopf ein wenig
zu mir herüberbeugst, kannst Du sie gerade
durch die Blätter der Fliederbüsche sehen. Ein
feuriges, segnendes Auge über Nebeldünsten
und ungemessenen Tiefen!
Wie hat es rosig auf meinem Weg geruht
und hat mir glückspendcnd vorangeleuchtct
durch tiefstes Dickicht und über graue Moore!
Allmächtiges Gestirn! Wie Hab' ich Dich ge-
liebt! Du hast meine Saat fruchtbar gemacht!
Du hast mein Leben beglänzt! Was ich war,
war ich durch Dich. Gehst Du zur Rüste?
Muß es sein?
Mathilde, mein Weib, sichst Du, wie sie
unkt? In einer Stunde wird sie hinunter
>ein.^ Erkennst Du den Ncbelstrcis am Hori-
zont? Mir ist, als sähe ich in der spiegel-
klaren Luft blaue Wälder und sanft geschwun-
gene Höhen. Dorthin steigt sie hinab. Dort-
hin, wo wir unsere Jugend und unsere Kraft
und unser Leben begraben haben. Da wird sie
schlafen mit all dem Andern, was uns theuer
war! Eine Stunde noch, und vielleicht noch eine
nirze Dämmerung danach, und es tvird duitkel
‘Bernhard Pauliok (f\Cünchcti).
sein um uns. Eine Stunde noch, Mathilde! —
Geh', hol' uns eine Flasche Wein und zivei
grüite Römer, daß wir der Sonne zutrinken
und ihr danken! Nimm vom ältesten ganz
hinten in dem dunkeln Winkel, den Jahrgang,
den mein Vater dort hingestellt hat, als ich
geboren würde. Der Wein ist so alt wie ich.
Es ist Zeit, ihn zu trinken.
Wie ist cs still und mild! Die morsche
Brust weitet sich noch einmal, einzusaugen die
alte Erdkraft, die rings aus Büschen und
Bäumen, ans Gräsern und Blumen strömt.
Seid ihr nicht allznsammt meines Gleichen?
Einst Hab' ich mich losgelöst von euch, ein vor-
witziger Zweig, der sich frei dünkte, weil er
hoch aufgeschossen die Wurzeln nicht mehr sah,
die ihn mit euch und dem Erdenmutterschooß
verbanden. Heute drängt es mich zurück zu
euch und eurer saftsprießenden Gemeinschaft.
Bald werden wir wieder tief und fest und
innig verbunden sein. Dann soll nichts mehr
unsere Freundschaft stören.
Welch ein üppiger Rasen so spät im Sep-
tember! Wie bin ich manchesmal darüber
weggesprungen als Kind und habe darauf
geruht als auf dem zärtlichsten Pfühl! Nun
Hab' ich ihn mir ausgesucht zur weichsten,
dichtesten Decke, lind die Gräser sollen doppelt
so hoch im Frühlingswind sich wiegen und
spielen. Und der Rosenstrauch soll sich schmü-
cken mit den duftigsten Rosen und noch ein-
mal so lange blühen vom ersten Maigewitter
an die heißen Sommernächte durch, bis spät
in den Herbst.
Aber was seh' ich da? Eine letzte Herbst-
rose, hochstengelig, über Nacht erblüht? Sei
mir willkommen, houigduftende La France,
schwüle und doch kaum erschlossene Knospe»
die uns der Herbst in seiner Güte so spät
noch geschenkt hat. Ich streichle Deine sam-
metweichen Blätter. Ich athme Deinen keusch
berauschenden Dust. Wie eine Würze aus
einem fremden, nie gekannten Land strömt
es in mich herüber. Ich schließe die Augen.
Paradiesesbote! Abschiedsgruß, von Jugend
und Schönheit mir herübergesandt! Dich soll
der Herbst mit seinem Reif nicht tödten. An
meines Weibes Brust sollst Du verblüh'n.
Mathilde, kommst Du mit dem Wein und
bringst die beiden grünen Römer, daß wir
der Sonne zutrinken und ihr danken? Hier-
her auf die Raseubank, damit wir sic im
Auge bchaltcu, wie sie tiefer und tiefer sinkt,
und ihre letzten Strahlen ehrfurchtsvoll be-
grüßen! Bald wird es dunkel sein um uns.
Fürchte Dich nicht, Mathilde! Es muß ja sein.
lind nun diesen ersten Trunk hinüber zur
Abendsonne, die noch dem Scheidenden den
Lindenwipsel und den Giebel seines Hauses
vergoldet, wie sie ihm einst seinen Morgen
mit rothem Glanze übergoß. Welch langer,
langer Tag, der dazwischen liegt. Ich spüre
es an dem blinkenden Feuer dieses Weines.
Mein Vater legte die Flasche in den Keller
an dem Tage, da ich geboren wurde. Wie
lange hat das goldene Sonneukind da unten
in der feuchten, dunklen Tiefe geschlummert!
Kein Strahs hat es getroffen, die Jahre durch.
Spiunweb und Moder haben das Glas um-
sponnen. Kaum liest man noch die Auf-
schrift: Rauenthaler Berg. Wahrhaftig, der
Wein hat Zeit gehabt zu reifen. Es ist der
Wein meines Lebens. Niemand hat die
Flasche berührt bis heute. Mathilde, mein
Weib, jetzt wollen wir sie zusammen leeren
die Flasche mit dem kostbaren Wein, der in
den grünen Römern wie flüssiges Feuer rinnt.
Sind wir beide nicht eins, Du und ich?
Haben wir nicht Noth und Gefahr, Glück
und Glanz ehrlich gethcilt? So trink den
gelben Wein, der so alt ist wie ich! Trink!
70;
JUGEND
Nr. 42
fegen und mondbeglänzter Wiesengrund, das
Alles liegt dort und noch vieles Andre, was
nur wir beide wissen, wir Alten, und was
wir Niemandem verrathen werden, nicht un-
sern Kindern, die jetzt dort draußen, in der
silbernen Ferne, ihren Kampf dnrchkämpfen,
wie einst Ivir den unfern, und nicht deren
Kindern und keiner Menschenseele.
Du schweigst und lächelst und neigst den
Kops mit dem seidenweichen braunen Haar,
mit dem Du mich, denkst Du daran, so
manches Mal umflochten hast und das nun
schon viele, viele silberne Fäden durchziehen.
Wie hast Du gelacht und Dich gesträubt und
schmollend den Kops zurückgeworfen, als ich
einst den ersten Schimmerfaden in dem dun-
keln Seidengespinnst entdeckte. Und auch ein
kirschrothes Kissen, das unter der schweren
Fluth hindnrchleuchtcte, hat eine Rolle an
jenem Nachmittag gespielt.
Verhalte mir nicht den Mund! Wir sind
allein in dem verlassenen, sonnengebadeten
Obstgarten, von dem man soweit hinausschaut
in das Land, bis hinüber zu dem blauen
Hvhcustrcif am Horizont. Wir sind allein und
Niemand hört uns. Die Obstbänme stehen so
still, beladen mit all dem saftigen Legen, der
ihre Ztvcige zu Boden drückt. Tie Blumen
blühen so schweigsam, Astern, Geranien, Geor-
ginen, so duftlos in ihren gezirkelten Beeten,
um die sich der weiche Rasen schmiegt. Kein
Lüftchen bewegt die rothen Beeren der Eber-
eschen an der großen Landstraße, die draußen
vor dem Garten vvrüberzieht. Der Weg
hat mich einst die Ferne hinausgeführt. Ten
Weg bin ich spät zurückgekommen, und Tu
warst an meiner Leite.
Wie ist es still! Nur die Sperlinge zwit-
schern auf dem rothen Giebeldach und in der
mächtigen Lindenkrone, dem hundertjährigen
Wahrzeichen dieses Hauses. Aber wegen der
Sperlinge dürfen wir ruhig weiterreden. Es
bleibt unter uns und den Sperlingen da oben
in der Lindenkrone. Denn die andern Vögel,
denen sie es verrathen konnten, sind schon
davongezogen nach den südlichen Ländern,
die Schwalben und die Staare und die anderen
Zugvögel. Auch das Storchenpaar ist fort,
das ans nnserm First geklappert hat, so man-
chen lieben Sommertag. Nur die Spatzen
sind uns geblieben. Die Pfeifen ihr freches
Lied, und manchmal, aber selten, gellt ein
Kreischen durch die trockene Herbstlust. Das
sind Gänse auf den Stoppelfeldern, die sich
dort weit und breit hinziehen.
Sonst ist Alles still. Jetzt ein Apfelschlag
glatt auf den Rasen, dann wieder still. Und
die Sonne sinkt. Wenn Du den Kopf ein wenig
zu mir herüberbeugst, kannst Du sie gerade
durch die Blätter der Fliederbüsche sehen. Ein
feuriges, segnendes Auge über Nebeldünsten
und ungemessenen Tiefen!
Wie hat es rosig auf meinem Weg geruht
und hat mir glückspendcnd vorangeleuchtct
durch tiefstes Dickicht und über graue Moore!
Allmächtiges Gestirn! Wie Hab' ich Dich ge-
liebt! Du hast meine Saat fruchtbar gemacht!
Du hast mein Leben beglänzt! Was ich war,
war ich durch Dich. Gehst Du zur Rüste?
Muß es sein?
Mathilde, mein Weib, sichst Du, wie sie
unkt? In einer Stunde wird sie hinunter
>ein.^ Erkennst Du den Ncbelstrcis am Hori-
zont? Mir ist, als sähe ich in der spiegel-
klaren Luft blaue Wälder und sanft geschwun-
gene Höhen. Dorthin steigt sie hinab. Dort-
hin, wo wir unsere Jugend und unsere Kraft
und unser Leben begraben haben. Da wird sie
schlafen mit all dem Andern, was uns theuer
war! Eine Stunde noch, und vielleicht noch eine
nirze Dämmerung danach, und es tvird duitkel
‘Bernhard Pauliok (f\Cünchcti).
sein um uns. Eine Stunde noch, Mathilde! —
Geh', hol' uns eine Flasche Wein und zivei
grüite Römer, daß wir der Sonne zutrinken
und ihr danken! Nimm vom ältesten ganz
hinten in dem dunkeln Winkel, den Jahrgang,
den mein Vater dort hingestellt hat, als ich
geboren würde. Der Wein ist so alt wie ich.
Es ist Zeit, ihn zu trinken.
Wie ist cs still und mild! Die morsche
Brust weitet sich noch einmal, einzusaugen die
alte Erdkraft, die rings aus Büschen und
Bäumen, ans Gräsern und Blumen strömt.
Seid ihr nicht allznsammt meines Gleichen?
Einst Hab' ich mich losgelöst von euch, ein vor-
witziger Zweig, der sich frei dünkte, weil er
hoch aufgeschossen die Wurzeln nicht mehr sah,
die ihn mit euch und dem Erdenmutterschooß
verbanden. Heute drängt es mich zurück zu
euch und eurer saftsprießenden Gemeinschaft.
Bald werden wir wieder tief und fest und
innig verbunden sein. Dann soll nichts mehr
unsere Freundschaft stören.
Welch ein üppiger Rasen so spät im Sep-
tember! Wie bin ich manchesmal darüber
weggesprungen als Kind und habe darauf
geruht als auf dem zärtlichsten Pfühl! Nun
Hab' ich ihn mir ausgesucht zur weichsten,
dichtesten Decke, lind die Gräser sollen doppelt
so hoch im Frühlingswind sich wiegen und
spielen. Und der Rosenstrauch soll sich schmü-
cken mit den duftigsten Rosen und noch ein-
mal so lange blühen vom ersten Maigewitter
an die heißen Sommernächte durch, bis spät
in den Herbst.
Aber was seh' ich da? Eine letzte Herbst-
rose, hochstengelig, über Nacht erblüht? Sei
mir willkommen, houigduftende La France,
schwüle und doch kaum erschlossene Knospe»
die uns der Herbst in seiner Güte so spät
noch geschenkt hat. Ich streichle Deine sam-
metweichen Blätter. Ich athme Deinen keusch
berauschenden Dust. Wie eine Würze aus
einem fremden, nie gekannten Land strömt
es in mich herüber. Ich schließe die Augen.
Paradiesesbote! Abschiedsgruß, von Jugend
und Schönheit mir herübergesandt! Dich soll
der Herbst mit seinem Reif nicht tödten. An
meines Weibes Brust sollst Du verblüh'n.
Mathilde, kommst Du mit dem Wein und
bringst die beiden grünen Römer, daß wir
der Sonne zutrinken und ihr danken? Hier-
her auf die Raseubank, damit wir sic im
Auge bchaltcu, wie sie tiefer und tiefer sinkt,
und ihre letzten Strahlen ehrfurchtsvoll be-
grüßen! Bald wird es dunkel sein um uns.
Fürchte Dich nicht, Mathilde! Es muß ja sein.
lind nun diesen ersten Trunk hinüber zur
Abendsonne, die noch dem Scheidenden den
Lindenwipsel und den Giebel seines Hauses
vergoldet, wie sie ihm einst seinen Morgen
mit rothem Glanze übergoß. Welch langer,
langer Tag, der dazwischen liegt. Ich spüre
es an dem blinkenden Feuer dieses Weines.
Mein Vater legte die Flasche in den Keller
an dem Tage, da ich geboren wurde. Wie
lange hat das goldene Sonneukind da unten
in der feuchten, dunklen Tiefe geschlummert!
Kein Strahs hat es getroffen, die Jahre durch.
Spiunweb und Moder haben das Glas um-
sponnen. Kaum liest man noch die Auf-
schrift: Rauenthaler Berg. Wahrhaftig, der
Wein hat Zeit gehabt zu reifen. Es ist der
Wein meines Lebens. Niemand hat die
Flasche berührt bis heute. Mathilde, mein
Weib, jetzt wollen wir sie zusammen leeren
die Flasche mit dem kostbaren Wein, der in
den grünen Römern wie flüssiges Feuer rinnt.
Sind wir beide nicht eins, Du und ich?
Haben wir nicht Noth und Gefahr, Glück
und Glanz ehrlich gethcilt? So trink den
gelben Wein, der so alt ist wie ich! Trink!
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