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Nr. 42

JUGEND

1897

Karl Riss ('JSCünchcn).

Thu' einen tiefen Zng! Ter Wein mns; heute
geirnnken sein! Kein Tropfen darf übrig bleiben.

Und hier die knospende La France, nimm
sie unb steck' sie an Deine trene Brust. Es ist
die letzte, die der Herbst aus seinem Schoost nns
spendet. Nun wird keine mehr aufblühen über
Nacht. Denkst Du daran, wie ich Dir einst die
erste an Deinen jugendlichen Busen steckte?
Denkst Du daran?

Wie war der Jnniabend so weich und wir
beide blutjung! Kaum zwanzig Jahre ich, Du
achtzehn! Wie war der Himmel heiterer und die
Welt bunter und die Menschen lustiger! Wie
waren die Farben alle so hell und die Zuknnst
märchenschön! Selbst die Rosen dufteten heißer,
die ich Dir überreichte und die Du nicht nehmen
wolltest. Und als wir näher znsahen, da waren
von den Dreien zwei abgeblättert und die dritte
liest müde ihren Kops hängen. Und weistt Du
noch, was Du da sagtest?

Die sind nicht für mich bestimmt, sagtest Du.
Und das waren sie auch nicht, sondern einer
Andern zugedacht, die ich vor Dir kannte. Denn
der Himmel hing noch voller Bastgeigen und
an jedem Laternenpfahl wuchsen zweiAbenteuer
neben einander, man brauchte sie nur zu pflücken.
So reich und bunt war damals die Welt. So
viel Wunder winkten aller Orten. So viel Hoff-
nungen blühten ans Weg und Steg. Die Lust
war voll von ihrem Dust und die entzückten
Sinne athmeten ihn ein und berauschten sich
daran. Die Vögel schmetterten von Schlacht und
Sieg und tirilirten von Glück und Liebe. Jene
Sonne aber, die jetzt grost und ernst am Abend-
himmel steht, um bald in Nebeln zu versinken,
sie lachte lustig aus all das fröhliche Getümmel
herab. Und der Himmel selbst war so jauch-
zend blau, wie Paradieseszelt am ersten Tag!

Ja, war es nicht auch wie erster Tag? Begann
nicht erst mit uns die Welt und das Leben?
Wird nicht mit jedem neuen Menschen die Erde
neu geschaffen? Was weist der Werdende von
dem, was vor ihm war? Das ist alles dunkel
und ungewiß. Was aber klar ist wie dieMorgen-
sonne, das ist das eigne Sein und die Kraft,
die innen durch die Adern strömt und in Fener-
gluthen nach Thaten drängt. Die Vergangenheit
ist Nichts, die Zukunft Alles. Noch einmal must
Amerika entdeckt werden, und Michel Angela ist
von Neuem aus Erden erschienen.

O selige Thorheit! Schmerzliche Taumel-
wonne! Wie Hab' ich dich umfangen! Wie Hab'
ich berauscht nach den Sternen gegriffen und bin
gestolpert über das Gras am Wege! Was Hab'
ich gebangt! Was Hab' ich gehofft! Wie Hab'
ich verwegen in die Zuknnst getastet nach einem
Zipfel nur vom Glück, derweil ist es an mir

vorllbergewandelt im Hellen Sonnenschein, um-
flossen von Glanz und Licht, und meine Augen
haben es nicht geachtet. Alles Höchste und alles
Tiefste Hab' ich mir erträumt! Alle Fernen Hab'
ich ermessen! In alle Abgründe bin ich hinnnter-
gestiegeu! Beim Erhabensten Hab' ich geschworen!
Kein Name so gewaltig, ich stellte mich ihm zur
Seite! Mit Gott und allen Dämonen Hab' ich
gerungen! Mit aller Kreatur Hab' ich gelitten
und zum Himmel aufgestöhnt um Erbarmen!
Im Staub Hab' ich mich gewälzt! In allen
Räuschen Hab' ich geschwelgt! Sonne, Mond und
Sterne Hab' ich mein Eigen genannt! Zwischen
Himmel und Erde giebt es nichts, was mir fremd
geblieben ist! Ich bin ein Mensch gewesen und
habe das Leben geliebt! Und das Leben hat es
mir reichlich vergolten und hat mich wieder geliebt.

Und doch, wenn ich mich frage, wo ist das
Alles hin, wonach du gestrebt und himmelaus
gerungen hast? Wo sind die Männer, mit denen
du Arm in Arm gewandert bist? Wo sind die
Frauen, hie du am Herzen gehalten hast? Wo
sind die Thaten, die du gethan hast? Wo ist
die Unsterblichkeit, um die du gekämpft hast?

Mathilde, mein Weib, siehst Du den Nebelstreif
am Horizont, über dem jetzt die Sonne wie ein
glühender Ballon daherschwebt, siehst Du ihn?
Dort hinter jenen blauenden Wäldern liegt Alles
mit einander begraben.

Schüttle nicht traurig den Kops! Dich allein,
Mathilde, nehm' ich ans. Du bist das Einzige
und Letzte, was mir geblieben ist von jener ver-
sunkenen Welt. Dich allein Hab' ich _ herüber-
gerettet aus dem brausenden Meer in diesen
stillen, abendlichen Garten. Du hast meinen

Frühling und meinen Sommer mit mir getheilt.
Als die Schlachtendonner mich umbrüllten, warst
Du an meiner Seite und reichtest mir den stische»
Trunk, der mich stärkte. Du hast meinen Kops
gebettet, wenn er müde aus die Brust sinke»
wollte. Manchen Tag Hab' ich mit Dir vertollt,
wenn die Sorgen sich um uns thürmten wie
Gewitterwolken, lieber manchen Berg und durch
manches Thal bist Du mit mir gezogen und hast
wacker Schritt gehalten. Genost und Geliebte
zugleich bist Du mir gewesen und manchen Römer,
so wie diesen, Hab' ich mit Dir und unser» Freunde»
geleert. Die Freunde sind alt oder tobt, aber Du
bist mir geblieben, und wenn auch schon viele
silberne Fäden Dein dunkelbraunes Haar durch-
ziehen, sür mich bist Du jung, wie einst, und
Dein Gang hat sich leicht und elastisch gehalten.
Wehre nicht ab! Ich sah es vorhin, als Du,den
Wein und die Gläser ans dem Hause hertrugst.

Weistt Du noch, wie Du Dich oft beklagt hast,
daß wir beinahe gleichaltrig sind. Du wirst noch
jung sein, wenn ich schon ein altes Mütterchen
bin, hast Du oft gejammert und böse Träume
darum gehabt. Nun ist die Zeit gekommen, vor
der Dir so sehr gebangt hat. Was sagst Du jetzt
zu dem verwitterten Grankopf, Du jngendfrische
Matrone? Fürchtest Du noch immer, Du könntest
mich verlieren? Keine Angst! Wenn ich jetzt
von Dir gehe, so weißt Du, wo Du mich finde»
kannst. Der Weg ist nicht weit. Sieh den Rvsen-
busch dort, von dem ich die letzte Knospe für
Dich abgeschnitten habe, und die dicht beladenen
Obstbttnme und den weichen lockenden Rasen,
über den sie sehnsüchtig ihre schweren Zweige
strecken, dort unter der wuchernden Decke bei
meines Gleichen Hab' ich mir den Platz gewählt.
Dort last mich schlafen. Und Du bette Dich a»
meiner Seite, da Deine Zeit gekommen ist. Selig
werden wir ruhen, wenn hoch über uns der
Frühlingswind durch die Zweige der alten Apfel-
bäume jauchzt.

Keine Throne, Mathilde! Sieh den Fener-
ball weit, weit dort drüben hinter dem Nebel-
streif! Jetzt steigt er hinunter. Flammengarben
schießen aus Wolkenbergen. In brandiger Lohe
glüht der Abendhimmel. Rosenwölkchen flattern
hoch über unser» Haupte», tragen in ferne
Länder die Botschaft, daß dort in Gluth und
Glanz eine Welt versinkt.

Stimm den Römer, Mathilde, hoch in die
Rechte, wie ich den meinen! Noch einmal Hab'
ich die Gläser llollgeschenkt mit dem Wein, der
mein Zeitgenosse ist. Die Flasche ist leer bis
auf die Neige. Last die letzten Strahlen in den
grünen Gläsern sich brechen und den köstlichen
Tropfen feurig vergolden. Kling! Klang! Sonne '
Ewige Mutter! Sei bedankt!... Sei bedankt'

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Register
Karl Riss: Zierleiste
Walter Caspari: Medaillon
 
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