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1897

JUGEND

Nr. 4 2

Von der Königin Oriseld

Pie junge Königin Griseld hatte ihrem Ge-
mahl einen Thronerben geschenkt, einen
blühenden Knaben mit goldenen Ringellöck-
chen, der wie ein schlummernder Engel unter
dem Purpurbaldachin seiner Wiege lag und
träumte. Es war eitel Glück im Königshause.

Und nun ritt der Fürst zum ersten Male
wieder mit seinem Weib zur Jagd. Er selber
führte Griseldens Pferd am Zügel, dass es
nicht strauchle und seine theure Last nicht ge-
fährde. Ein weissgeborner Schimmel mit rosigen
Nüstern, mit langer Mähne und bis zur Erde
wallendem Schweif trug die wunderschöne Frau.

Mit zärtlicher Sorge bewachte der König die
schlanke Gestalt seines Weibes und wenn Beider
Blicke sich kreuzten, küssten sieh ihre Seelen.

Sie ritten in den grünen Eichwald ein.
Es war dunkel darin wie in einem Tempel.
An den mächtigen Stämmen waren noch uralte,
halbverwachsene Runen zu sehen. Fremde,
seltsame Steinbilder, mit roher Kunst behauen,
standen dazwischen.

Da stutzten die Pferde. Am Wege lag eine
Bettlerin, die dem Verschmachten nahe war
mit ihrem Kinde. Das Königspaar hielt die
Pferde an. Sie Hessen der Frau stärkenden
Wein geben und Goldes genug. Aber sie
klagte nur immer:

„Mein Kind verschmachtet — rettet mein
Kind! Ich kann ihm keine Nahrung reichen,
ich bin zu Tode erschöpft und meine Stunden
sind gezählt!“

Des Kindes Augen schauten wie bittend
zu der schönen Frau auf dem weissen Zelter
auf und Thränen heiligen Mitleids traten dieser
in s Auge. Sie dachte an ihren Sohn, der
ebenso viele Tage zählen mochte, als das Kind
der Bettlerin.

Dann flog ein leises Erröthen über Grisel-
dens Gesicht. Sie glitt aus dem Satte! nieder
und setzte sich neben der Bettlerin auf einen
Stein.

Ihr sammtenes Mieder nestelte sie auf und
der König verstand sie. Auf seinen Wink
wandten die Höflinge ihren Blick zur Seite
und ritten langsam und lautlos auf dem weichen
Moose voran.

Und die Königin legte das Bettlerkind an
ihre Brust, dass es nicht verschmachte.

Es war ein schönes Kind mit tiefen, dunk-
len brennenden Augen und einem seltsamen
Mal auf der Stirn zwischen den Brauen, einem
Mal, das aussah, wie ein Stern.

So still war’s, als hielte der Wald den
Athem an. Und ein Bild war es, so schön,
wie die Meister jener Zeit die Gottesmutter
mit dem Knaben malten, rastend auf der Flucht.

Dann brach die bleiche Frau am Wege
das Schweigen. Sie breitete die Arme aus
wie eine Seherin und rief mit einer Stimme,
die fremd und wie aus weiter Ferne klang:

„Er wird gross werden und stark wie ein
Riese! Und er wird Dir nahe sein in Deiner
schwersten Stunde 1“

Dann warf sie sich nieder und küsste der
Königin die Füsse.

* • *

Jahre vergingen — viele, viele! Frau
Griseld zog wieder einher mit einem grossen
Tross, aber nicht durch den Eichwald, sondern
durch die Gassen der Stadt, deren Dächer und
Baikone von schreienden Gaffern voll waren; und
nicht auf einem milchweissen Pferde, sondern auf
dem Armesünderkarren und nicht neben ihrem
Gemahl, sondern zwischen einem Manne in blut-
rothem Tuch und einem todtenbleichen Mönch.
Die Königin fuhr zum Richtplatz.

Ein mächtiger Eroberer war gekommen und
hatte das Land sich zu eigen gemacht ohne
anderes Recht, als das seiner Stärke und seines
schärferen Schwertes. Und das Volk jubelte
ihm zu, denn er war nicht aus königlichem
Blut und hatte die Macht des Wortes. Was
die Vorfahren des Königs verbrochen hatten
am Volke, dafür sollte er mit den Seinigen
nun büssen: für die mit „Hussah“ und „Hor-
ridoh“ von den Jägerrossen zerstampften Felder,
für die Blutkreuzer, welche man den Aermsten
abgezwungen, für die geschändeten Töchte"
und die im Frohndienst todtgepeitschten Söhne.

Den Fürsten hatte das meuternde Volk
erschlagen, den Prinzen entführt. Und der
Königin hatte gestern ein Gerichtshof von Mör-
dern den Stab gebrochen.

Das war so furchtbar und so schnell ge-
kommen, dass Griseldis es nicht fassen konnte,
sie, deren ganzes Leben Milde gewesen war
und Güte. Sie konnte es auch nicht fassen,
als sie schon den Karren bestiegen hatte. Es
war ihr nur wie ein wüster Traum. Und plötz-
lich war der Vorgang vor ihren Blicken wieder
aufgestiegen, der sich vor dreissig Jahren im
Walde ereignet. Jetzt war die Stunde, wo sich
der Segen der Bettlerin erfüllen musste, wo
der Starke ihr nahe war, zu retten. Gewiss,
gewiss! Mit einem Schlage glaubte die Fürstin
felsenfest an diesen Segen. Irgendwie musste
es kommen: vielleicht brach der Erwartete mit
einer siegreichen Schaar durch die Menge,
seine Königin zu befreien; vielleicht schlug er
sich allein durch in Riesenkraft; vielleicht war
er der Mann, durch der Rede Gewalt in letzter
Stunde das Volk vor ungeheuerlichem Frevel
zu wahren.

Aber irgend wie, irgend woher kam er, Gri-
seld wusste es. Sie hatte kindergläubig daran
gedacht in mancher schweren Stunde ihres
Lebens. Und jetzt war die schwerste und
jetzt war die Zeit. Ihr, die ihr ganzes Volk
immer in Mutterliebe am Herzen gehalten, wie
damals das Bettlerkind, ihr konnte nichts ge-
schehen. Stolz und furchtlos hob sie das Haupt.
Jetzt war sie es, welche dem zitternden Pater an
ihrer Seite Trost und Muth zusprach. Ruhig
streifte ihr Blick über die wogende Volksmenge
und ihre Würde bezwang die rohen Gemüther.
Die blutberauschten Schreier wurden still. Man-
che Hand zuckte verstohlen nach der Mütze.
Manche Wange ward nass.

„Wie eine Heilige geht sie in den Tod“,
flüsterten die Einen! — „Welcher Helden-
muth!“ dachten die Andern.

Zuversichtlich schaute die Königin nach dem
Retter aus — er kam nicht. In der Ferne tauchte
schon der dunkle Umriss des Blutgerüstes auf
— er kam nicht. Der schwarze Karren war an
den Stufen des Schaffots angelangt — Todten-
stille! Kein Hurrahruf, kein Schwerterklirren.

Sie schritt festen Trittes die Stufen hinauf,
der rothe Mann neben ihr.

Noch immer hoffte sie und schien ohne
Furcht, als sie schon vor dem Richtblock stand.

Der Henker riss ihr die Spitzenkrause vom
Hals, roh und mit einem frechen Wort:

„Sputet Euch, Frau! Es müssen ihrer noch
mehr d’ran glauben !“

Griseldis sah ihn an — —

Ein Mann gross und stark, so stark, als sollten
seine gewaltigen Glieder das knappe Scharlach-
gewand zerreissen; ein schöner Mann mit tiefen,
dunklen, brennenden Augen und einem Mal auf
der Stirne, das aussah, wie ein Stern ....

Da sank die Königin nieder vor den Block
und wusste nichts mehr von sich.

Das Wort der Bettlerin hatte ihr weggeholfen
über die Schrecken der letzten Stunde und das
Wunder gethan, dass sie lächelnd zum Sterben
E‘n8- Karl v. Fragsberg.

Ijerbstveilchen

t^erbslveilchsri bringt mir mein lachendes l^ind,
fand sie im welkenden Gras versteckt,

Schöner als jjoten des frühlings sind,
punkel und du/tend und reifbedeckt.

Blumenwunder, verspätetes du,

Veisst du, was mir dein Anblick erweckt?
flüsterst du nicht meiner Seele zu:

Punkel und du/tend — und reifbedeckt?

ERNST ROSMER.

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Register
Fidus: Isolt
Karl v. Fragsberg: Von der Königin Griseld
Ernst Rosmer: Herbstveilchen
Fidus: Kleines Porträt
 
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