Nr. 42
JUGEND -
1897
rosze
Das -Eöwenherz
Härchen für ^
von Richard Dehme!
s war einmal ein mächtiger sauberer, der
hatte einen zahmen Löwen. Und weil der
Löwe zahm war und sogar nach seiner pfeife tanzte,
ließ er ihn frei mit sich herumlaufen in der Welk.
Zuerst entsetzten sich die Menschen davor, be-
sonders wenn das Unthier brüllte; allmählich aber
gewöhnten sie sich an das wunder und ehrten die
Macht des Zauberers nur noch mehr. Denn nicht
blos tanzen ließ er ihn nach seiner pfeife, sondern
er hatte ihm gar viele Kunststücke beigebracht.
Roch manche andern wilden Thiere hatte der
Zauberer sich gezähmt, Füchse, Leoparden, Affen,
einen Tiger, auch ein Känguruh — und alle mach-
ten sie dem Meister Ehre.
Aber der Löwe war sein Liebling, denn der
fürchtete sich nicht vor ihm; sondern wenn er nach
der Zauberpfeife langte, dann brüllte sein Liebling
vor Freude, während die übrigen Thiere sich duckten.
Rur das Känguruh war einmal unversehens, ohne
einen Laut von sich zu geben, in die Höhe gehopft,
höher fast, als selbst der Löwe wagte; aber da war
er über das Springthier hergefallen und hatte es
rücklings zu Boden gedrückt und war ihm dann
mit einem solchen Riesenluftsprung über die Rase
gesprungen, daß dem Känguruh der Athem verging.
Seitdem versuchte keine der Thiere mehr, es mit
dem Löwen aufzunehmen; und auch die Menschen
hielten ihn für das gewaltigste Wundcrkhier, so un-
begreiflich fanden sie sein Wesen. Und wenn er sich
vor ihnen steif hinstellte und seinen Rachen aufriß
und die eine Tatze hob, so daß sie Furcht bekamen,
und dann nichts weiter that als mit dem Schweife
ruhig einen Ring drehn und die rothe Zunge lang
herausftrecken, so sagten sie verdutzt: Wb er wohl
selbst versteht, was er da macht?
Dann lachte ihm das Herz im Leibe; denn
Löwenherzen lachen ebenso wie Menschenherzen,
sogar noch gründlicher, weil seltener.
Da griff sich eines Tages der Zauberer ein
neues Wunderthier, einen Sperber, im Walde auf.
Der konnte nun zwar nicht nach seiner pfeife tanzen
oder springen, aber um so schöner fliegen, und das
verdroß den Löwen. Immer wenn er seinen höch-
sten Luftsprnng machen wollte, dann fiel ihm ein,
daß sich der Sperber leicht viel höher schwingen
könnte, und er ließ den Sprung. Der Zauberer
aber schien sich nicht daran zu kehren.
Das merkten denn die andern Thiere bald und
nahmen sich verschiedene Freiheiten heraus, die vor-
her blos der Löwe sich erlaubt hatte, und das Kän-
guruh fing wieder an zu hopsen. Indessen, weil
er's verschmähte, jetzt noch mit ihnen um die Wette
zu springen, so ließ er sie gewähren und begnügte
sich mit seinen Künsten auf der ebenen Lrde. Rur
wenn der Sperber in die Lüfte stieg, so daß sein
unscheinbares Gefieder oben in der Sonne funkelte,
dann grämte sich sein Löwenherz und seine stolze
Mähne sträubte sich und er brüllte vor Sehnsucht.
Als das der Sperber einsah, erhob er seine
Flüge immer höher und seine Kreise wurden immer
kühner, bis er sich schließlich auch zum Liebling
des Zauberers machte und ihn bei jedem Werk be-
gleiten durfte.
Der Löwe aber, obgleich sein Her; voll Eifer-
sucht war, bewunderte den Sperber mehr als irgend
ein Mensch; und weil er Ehrfurcht hatte vor der
Höhe und heimlich hoffte, auch noch fliegen zu
lernen, so fraß er seinen Gram herunter und schloß
Freundschaft mit dem edlen Vogel.
von nun an ging er öfters mit dem Sperber
allein in's freie Feld und gab scharf Dbacht, wie
sein Freund es anstellte, wenn er sich ab und zu
auf eine Baumkrone schwang. Und als er jede
Schwungbewegung, auch die allerkleinste, ganz ge-
nau studiert hatte, nahm er sich eines Rachts die
goldenen Zauberflügel ihres Herrn und Meisters
aus dem Schrank, schnallte sie sich an und versuchte
durch's Fenster zu fliegen; der Zauberer aber that,
als ob er schliefe.
Der Löwe also stieg auf's Fensterbrett und holte
zu der ersten Schwungbewegung aus, die er beson-
ders scharf studiert hatte, aber sie gelang ihm nicht.
Rur einen großen Luftsprung brachte er zuwege und
fiel auf alle viere draußen in den Sand. Tief beschämt
trug er die Zauberflügel auf ihren Play zurück.
Am andern Morgen, als ob nichts geschehen
wäre, fragte er beiläufig seinen Freund, wieso er
eigentlich fliegen könne. Der sah ihn erst sehr
wunderlich mit seinen grauen Augen an und meinte:
„Ich glaube, weil mein Herz so leicht ist."
Das ging dem Löwen durch und durch. Aber
er ließ es nicht merken und fragte weiter: „Du
kannst wohl bis zur Sonne fliegen?" Da ließ der
Sperber die Flügel hängen und sagte halb beschei-
den halb beklommen: „Rein, nicht einmal bis auf
den höchsten Berg der Lrde." Und als der Löwe
ihn erstaunt anblickte, fuhr er fort: „Da können
nicht einmal die Adler und die Lämmergeier hin,
nur unser Meister kann da oben leben."
„Hoh!" reckte sich der Löwe: „auf den höchsten
Berg, da kann ich sogar zu Fuß hinauf, wenn ich
mir Zeit genug lasse, was sind denn dann die
dummen Flügel werth!"
„Ich weiß nicht" — sagte der Sperber — und da
fühlte der Löwe, wie ihm schwer um's Herz wurde.
Jedesmal, wenn jetzt sein Freund den Menschen
Etwas in der Höhe vorflog, wurmte ihn sein
schweres Herz, und er beschloß, es leichter zu
machen. Lr enthielt sich tagelang der Rahrung
und versuchte es mit andern thörichten Mitteln.
Aber je mehr er dabei abmagerte, umso schwerer
wurde ihm das Herz, und seine Künste übertrafen
kaum noch die der andern Thiere. Der Tiger fing
schon an, ihn fast wie seinesgleichen zu behandeln,
und das Känguruh sprang lustiger als je, indem
es lachte wie blödsinnig. Selbst bei den wildesten
Tönen der Zauberpfeife brüllte er nicht mehr vor
Freude los, sondern heulte höchstens vor Schwer-
muth. Der Zauberer aber ließ ihn ruhig leiden
und blickte auf den Sperber immer zärtlicher.
Da faßte den Löwen ein Ingrimm gegen den
Meister, und weil er hatte sagen hören, daß Liebe
das Herz erleichtere, lief er ihm eines Abends weg
und rannte in die Wüste und trieb sich wochen-
lang mit einer Löwin herum. Und manchmal war
ihm da wirklich zu Muthe, als ob er durch den
Himmel flöge; aber gleich drauf sah er immer,
daß sie sich Beide auf der Lrde wälzten, und dann
mußte er greulich gähnen.
Bis endlich eines Morgens alle seine Eingeweide
ihm so leer vorkamen und seine Glieder so leicht,
daß er die Löwin gar nicht mehr nöthig hatte und
schnurstracks wieder nach Hause lief, um rasch die
Zauberflügel zu probiren.
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Das -Eöwenherz
Härchen für ^
von Richard Dehme!
s war einmal ein mächtiger sauberer, der
hatte einen zahmen Löwen. Und weil der
Löwe zahm war und sogar nach seiner pfeife tanzte,
ließ er ihn frei mit sich herumlaufen in der Welk.
Zuerst entsetzten sich die Menschen davor, be-
sonders wenn das Unthier brüllte; allmählich aber
gewöhnten sie sich an das wunder und ehrten die
Macht des Zauberers nur noch mehr. Denn nicht
blos tanzen ließ er ihn nach seiner pfeife, sondern
er hatte ihm gar viele Kunststücke beigebracht.
Roch manche andern wilden Thiere hatte der
Zauberer sich gezähmt, Füchse, Leoparden, Affen,
einen Tiger, auch ein Känguruh — und alle mach-
ten sie dem Meister Ehre.
Aber der Löwe war sein Liebling, denn der
fürchtete sich nicht vor ihm; sondern wenn er nach
der Zauberpfeife langte, dann brüllte sein Liebling
vor Freude, während die übrigen Thiere sich duckten.
Rur das Känguruh war einmal unversehens, ohne
einen Laut von sich zu geben, in die Höhe gehopft,
höher fast, als selbst der Löwe wagte; aber da war
er über das Springthier hergefallen und hatte es
rücklings zu Boden gedrückt und war ihm dann
mit einem solchen Riesenluftsprung über die Rase
gesprungen, daß dem Känguruh der Athem verging.
Seitdem versuchte keine der Thiere mehr, es mit
dem Löwen aufzunehmen; und auch die Menschen
hielten ihn für das gewaltigste Wundcrkhier, so un-
begreiflich fanden sie sein Wesen. Und wenn er sich
vor ihnen steif hinstellte und seinen Rachen aufriß
und die eine Tatze hob, so daß sie Furcht bekamen,
und dann nichts weiter that als mit dem Schweife
ruhig einen Ring drehn und die rothe Zunge lang
herausftrecken, so sagten sie verdutzt: Wb er wohl
selbst versteht, was er da macht?
Dann lachte ihm das Herz im Leibe; denn
Löwenherzen lachen ebenso wie Menschenherzen,
sogar noch gründlicher, weil seltener.
Da griff sich eines Tages der Zauberer ein
neues Wunderthier, einen Sperber, im Walde auf.
Der konnte nun zwar nicht nach seiner pfeife tanzen
oder springen, aber um so schöner fliegen, und das
verdroß den Löwen. Immer wenn er seinen höch-
sten Luftsprnng machen wollte, dann fiel ihm ein,
daß sich der Sperber leicht viel höher schwingen
könnte, und er ließ den Sprung. Der Zauberer
aber schien sich nicht daran zu kehren.
Das merkten denn die andern Thiere bald und
nahmen sich verschiedene Freiheiten heraus, die vor-
her blos der Löwe sich erlaubt hatte, und das Kän-
guruh fing wieder an zu hopsen. Indessen, weil
er's verschmähte, jetzt noch mit ihnen um die Wette
zu springen, so ließ er sie gewähren und begnügte
sich mit seinen Künsten auf der ebenen Lrde. Rur
wenn der Sperber in die Lüfte stieg, so daß sein
unscheinbares Gefieder oben in der Sonne funkelte,
dann grämte sich sein Löwenherz und seine stolze
Mähne sträubte sich und er brüllte vor Sehnsucht.
Als das der Sperber einsah, erhob er seine
Flüge immer höher und seine Kreise wurden immer
kühner, bis er sich schließlich auch zum Liebling
des Zauberers machte und ihn bei jedem Werk be-
gleiten durfte.
Der Löwe aber, obgleich sein Her; voll Eifer-
sucht war, bewunderte den Sperber mehr als irgend
ein Mensch; und weil er Ehrfurcht hatte vor der
Höhe und heimlich hoffte, auch noch fliegen zu
lernen, so fraß er seinen Gram herunter und schloß
Freundschaft mit dem edlen Vogel.
von nun an ging er öfters mit dem Sperber
allein in's freie Feld und gab scharf Dbacht, wie
sein Freund es anstellte, wenn er sich ab und zu
auf eine Baumkrone schwang. Und als er jede
Schwungbewegung, auch die allerkleinste, ganz ge-
nau studiert hatte, nahm er sich eines Rachts die
goldenen Zauberflügel ihres Herrn und Meisters
aus dem Schrank, schnallte sie sich an und versuchte
durch's Fenster zu fliegen; der Zauberer aber that,
als ob er schliefe.
Der Löwe also stieg auf's Fensterbrett und holte
zu der ersten Schwungbewegung aus, die er beson-
ders scharf studiert hatte, aber sie gelang ihm nicht.
Rur einen großen Luftsprung brachte er zuwege und
fiel auf alle viere draußen in den Sand. Tief beschämt
trug er die Zauberflügel auf ihren Play zurück.
Am andern Morgen, als ob nichts geschehen
wäre, fragte er beiläufig seinen Freund, wieso er
eigentlich fliegen könne. Der sah ihn erst sehr
wunderlich mit seinen grauen Augen an und meinte:
„Ich glaube, weil mein Herz so leicht ist."
Das ging dem Löwen durch und durch. Aber
er ließ es nicht merken und fragte weiter: „Du
kannst wohl bis zur Sonne fliegen?" Da ließ der
Sperber die Flügel hängen und sagte halb beschei-
den halb beklommen: „Rein, nicht einmal bis auf
den höchsten Berg der Lrde." Und als der Löwe
ihn erstaunt anblickte, fuhr er fort: „Da können
nicht einmal die Adler und die Lämmergeier hin,
nur unser Meister kann da oben leben."
„Hoh!" reckte sich der Löwe: „auf den höchsten
Berg, da kann ich sogar zu Fuß hinauf, wenn ich
mir Zeit genug lasse, was sind denn dann die
dummen Flügel werth!"
„Ich weiß nicht" — sagte der Sperber — und da
fühlte der Löwe, wie ihm schwer um's Herz wurde.
Jedesmal, wenn jetzt sein Freund den Menschen
Etwas in der Höhe vorflog, wurmte ihn sein
schweres Herz, und er beschloß, es leichter zu
machen. Lr enthielt sich tagelang der Rahrung
und versuchte es mit andern thörichten Mitteln.
Aber je mehr er dabei abmagerte, umso schwerer
wurde ihm das Herz, und seine Künste übertrafen
kaum noch die der andern Thiere. Der Tiger fing
schon an, ihn fast wie seinesgleichen zu behandeln,
und das Känguruh sprang lustiger als je, indem
es lachte wie blödsinnig. Selbst bei den wildesten
Tönen der Zauberpfeife brüllte er nicht mehr vor
Freude los, sondern heulte höchstens vor Schwer-
muth. Der Zauberer aber ließ ihn ruhig leiden
und blickte auf den Sperber immer zärtlicher.
Da faßte den Löwen ein Ingrimm gegen den
Meister, und weil er hatte sagen hören, daß Liebe
das Herz erleichtere, lief er ihm eines Abends weg
und rannte in die Wüste und trieb sich wochen-
lang mit einer Löwin herum. Und manchmal war
ihm da wirklich zu Muthe, als ob er durch den
Himmel flöge; aber gleich drauf sah er immer,
daß sie sich Beide auf der Lrde wälzten, und dann
mußte er greulich gähnen.
Bis endlich eines Morgens alle seine Eingeweide
ihm so leer vorkamen und seine Glieder so leicht,
daß er die Löwin gar nicht mehr nöthig hatte und
schnurstracks wieder nach Hause lief, um rasch die
Zauberflügel zu probiren.
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