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1897

JUGEND

Nr. 42

Max Fcldbaucr (München).

Gegen Mittag kam er bei dem Meister an und
fühlte sich sehr müde. Aber weil ihm so seltsam
leicht im Leibe war, lieh er sich keine 3e,t> fraß
schnell ein bischen pserdesteisch und bat dann um
die goldenen Flügel. Der Meister lächelte und gab
sie ihm.

Da stand nun der geflügelte Löwe, die andern
Wunderthiere um ihn her. Auf einmal sahen diese,
wie sich der Löwe auf die Hinterbeine hob und
fürchterlich zu zappeln anfing.

Und nun langte der Hauberer nach der pfeife;
und während der Sperber Kerzengrade in die Höhe
flog, brüllte der Löwe wie rasend, machte einen
lendenlahmen Luftsprung und fiel in den Sand.

Da konnten sich die andern Thiere nicht mehr
halten; die Affen zupften ihn am Schweife, der
Tiger sprang ihm quer über den Bauch, und das
Känguruh hoch über die Rase — seitdem heißt
es das Riesenkänguruh.

plötzlich stand er wieder auf seinen vier Tatzen-
Die Augen brannten ihm wie Wüstensand, und er
schüttelte die goldenen Flügel, daß sich der Tiger
zwischen die Affen verkroch. Dann wollte er sich
auf den Hauderer stürzen. Der aber nahm ver-
ächtlich die pfeife vom Munde, mit einem Ton,
der wie das Knurren der Löwin klang, und kehrte
seinem Liebling den Rücken zu.

Da wurde dem Löwen schwerer zu Muthe als
jemals früher, und er erkannte mit Grauen, daß
ihm die Löwin nicht das Her; erleichtert hatte.
So schlich er hinaus in den Wald.

Der Sperber aber hatte Mitleid mit dem
freunde, und wollte ihn trösten, und flog ihm
nach in seine Linsamkeit.

Als ihn der Löwe kommen hörte, da stockte
ihm das Blut im Herzen. Und als der Sperber
gar mit seinen Schwingen die schweren goldnen
Hauberflügel streifte, da schoß ihm das Blut in
die Augen, und alle Wildheit seines Herzens mit,
und blind vor Wuth riß er den Rachen auf und
biß seinem freunde den Kopf ab.

Dann fiel er sinnlos über den Leichnam her
und riß daß warme Fleisch in Fetzen, bis er auf
einmal zwischen den blutigen Rippen das kleine
Vogelherz zucken sah. Das starrte er verwundert
an, und seine finstern Augen wurden hell; und er
nahm das Herz und verschlang es.

Run war ihm plötzlich federleicht zu Muthe,
und schleunigst rannte er in's nächste Dorf, um den
Menschen zu zeigen, wie herrlich er jetzt fliegen
könne. Denn vor den Thieren ekelte ihn und von
dem Hauderer wollt' er nichts mehr wissen.

In dem Dorf war grade Jahrmarkt, und die
vielen Menschen kriegten keinen kleinen Schreck,
als sie den Löwen ohne den Hauderer und mit
den großen Flügeln ankommen sahen. Lr aber
stellte sich ruhig vor die versammelten Musikanten
hin, hob sich auf die Hinterbeine und fing fürch-

terlich an zu zappeln. Weiter brachte er's auch
diesmal nicht; und selbst der Lustsprung gelang
ihm nicht mehr, weil die Musik der Hauberpfeife
fehlte.

Auf einmal schrie der Kapellmeister; „Der
Löwe ist betrunken!" und ein enormes Gelächter
erhob sich rings. Da schoß ihm auf's neue das
Blut in die Augen, und er wollte sich auf den
Witzbold stürzen; aber die schweren Flügel hinderten
ihn, so daß er zu kurz sprang und stöhnte. Und
als er die Flügel abreißen wollte; oh weh, da
waren sie festgewachsen.

Linen Augenblick stand er wie kopflos. Die
Kniee wankten ihm und ihn reute sein wildes Blut.
Das Herz war ihm so schwer, daß er sich kaum
vom Play schleppen konnte; und als er zum Dorfe
hinausging, bellten die Hunde ihm nach.

Hetzt hatte er keine Sehnsucht weiter, als nur
nach einer Linsamkeit, wo ihm nichts mehr zu
Herzen ginge, und er begab sich in die wüste
zurück. Aber als die Rächt kam, begegnete ihm
die Löwin wieder, und meinte, er habe sich die
goldnen Flügel nur geholt, um ihr ein Ver-
gnügen zu machen; so lief sie eine Weile neben
ihm her. Doch als er sich so gar nicht um sie
kümmerte, fragte sie ihn endlich; „Wo willst'« hien,
mei Goldener?" Sie sprach nämlich frankfurtsch.

Lrst wußte er nicht was er antworten sollte.
Aber plötzlich fiel es wie ein Stern in seine Seele,
und er sagte halb bescheiden halb beklommen;
„Auf den höchsten Berg der Erde."

„Was willft'n da obe?" fragte sie müde. „Ich
weih nicht," stöhnte er und lief noch schneller.
Da blieb sie zurück.

Run lief er Wochen und Wochen lang, bis er
den höchsten Berg der Lrde wirklich vor sich liegen
sah. Und der schien ihm so niedrig, und der
Gipfel so nahe, daß er schon glaubte, der tobte
Sperber habe ihn belogen.

Aber als er einen Tag lang geklettert war,
da merkte er, daß auf den Bergen die Luft durch-
sichtiger ist als in der Lbene, und daß er schwer
und lange würde steigen müssen, um auf den Gipfel
hinaufzukommen, mit seinem schweren Flügelpaar.

Der Hauberer aber hatte all das mit angesehen
und die Gebeine des Sperbers in seinen Hauber-
sack gesammelt und war dem Löwen unsichtbar
nachgegangen. Und als sein Liebling eines Mittags
fast zusammenbrechen wollte auf dem steilen Weg,
da setzte er die pfeife an den Mund, mit einem
Ton, der wie die Stimme des Sperbers klang,
und sein Liebling brüllte vor Freude.

Und nun blies er immer wilder, daß sich dem
Löwen die Füße hoben wie von selbst und seine
Flügel an zu zucken fingen. Die Sonne sank tiefer
und tiefer, und die Luft ging seltsam dünn und
kalt; aber je kälter sie wurde, um so heißer zuckten
die Flügel ihm, und sein Herz schlug so leicht, als

wollt' es aus der Kehle springen. Räher und
näher kam er dem Gipfel; jeden Augenblick schien
es ihm, jetzt müsse er gleich fliegen können, und
als die Sonne unlerging, hob er sich brüllend auf
die Hinterbeine. Da hörte die Musik der Pfeife
auf, und schwer zog ihn sein Flügelpaar zu Boden.

Doch als er nun die Stirne vor dem Willen
des Meisters neigte, da sah er unter sich im Abend-
roth die Adler und die Lämmergeier kreisen; und
er begriff den gütigen Meister, und seine Sehnsucht
nach dem Gipfel wurde stiller. So schlief er ein.

Der Hauberer aber streute über Rächt unten
das Gerücht aus, der Löwe sei toll geworden und
wolle durchaus in die Sonne fliegen. Und als sein
Liebling am andern Morgen erwachte, da sah er
in der Ebene die Menschen sich zu Haufen sammeln
und nach ihm heraufgucken.

Das machte ihm das Herz von neuem schwer,
und seine Flügel senkten sich vor Scham. Aber
sogleich begann auch schon die unsichtbare Hauber-
pfeife, und wieder schritten seine Füße wie von
selbst. Immer wilder wurde die wilde Musik. Und
immer höher stieg die Sonne, und näher und näher
kam er dem Gipfel. Die kalte Luft war schon
wie Lis, und wieder wurde ihm so leicht um's
Herz, als wollt' es aus der Kehle springen.

Und als die Sonne im Mittag stand, da war's
als kochte sein Blut ihm über. Die dünne Luft
schien ihn zu tragen, er brüllte laut vor Seligkeit,
zum Gipfel war nur noch ein Sprung, und als
er den im Sturm vollbracht und weit die Flüge!
gebreitet hatte — da spritzte das Blut ihm aus
Rachen und Rase, und er fiel um und war todt.

Die Hauberpfeife that noch ein paar Töne,
tief und leise. Dann trat der Hauberer auch herauf
und drückte seinem Liebling die Augen zu, die
gläsern in die Sonne starrten; drauf sah er lächelnd
zur Ebene nieder und öffnete den Haubersack.

Und griff dem Löwen in den Rachen, bis an
das heiße Her; hinab; das langte er heraus und
setzte es dem toten Sperber ein. Da wurde der
lebendig und wollte fliegen wie früher. Doch weil
das schwere Löwenherz ihn drängte, ließ er sich
auf die Leiche des Freundes nieder und hockte
traurig zwischen den goldenen Flügeln.

Und wieder lächelte der Hauberer und sah noch
einmal zur Ebene hinab. Dann sah er zärtlich
seine Lieblinge an, und seine Gestalt begann zu
strahlen, daß ringsum alles in Glanz aufging,
und strahlte ganz in sie hinein. Da kam auch
in den Löwen neues Leben, die Hauberflügel drehten
sich wie Feuerräder, und Löwe, Sperber und der
große Meister fuhren vereint zur Sonne hinauf.

Die Menschen aber standen noch immer unten
und wollten ihren Augen nicht trauen. Bis ein
Professor aus Kiel erklärte, das Ganze sei nur
Blendwerk gewesen. Und wenn sie trotzdem nicht
weggegangen sind, dann stehen sie heute noch.

7N
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Max Feldbauer: Centauren-Finish
 
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