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1897

° JUGEND

Nr. 43

in Krähwinkel und Gattin eines Mannes
werden wollte, von dem sie selbst gesehen,
dass er sich sogar an einem solchen Ort
anständig zu benehmen wüsste, als noch
länger ihrem Referendarius aufzulauern.
Sie schlug die Augen nieder, ihre Wangen
färbten sich purpurroth, und sie sagte mit
keuscher Anmuth:

„Kommt'Günther vor Ende des Monats
nicht, so muss ich ihn heirathen, denn
dann will ich mein Wort nicht brechen.
Kommt er aber, und ich tödte ihn, dann
will ich die Ihrige werden, sobald ich aus
dem Gefängniss, nach Abbüssung der
Strafe, herauskomme, falls Sie mich dann
noch haben wollen!“

Ich machte allerhand Einwendungen,
ich bat und flehte; aber Sie glauben gar
nicht, wie charakterfest dies deutsche
Mädchen war.

Schliesslich eines Abends, als wir
wieder an unserm gewöhnlichen Tisch
sassen, erhebt sie sich plötzlich, bebend
und leichenblass, und stürzt auf einen
jungen Mann zu, der gerade von der
Treppe zum Billardzimmer her herein-
gekommen war.

Voll Angst flüstere ich ihr zu:

,,Lass ihn laufen und folge mir nach
Krähwinkel!“

Aber sie hörte und sah mich nicht
mehr . . . Wild wie eine Furie stürzte
sie vor und stiess den Dolch bis an’s
Heft in seine Brust, während von ihren
Lippen wilde, schmerzerfüllte Worte in
die Ohren des Sterbenden gellten.

Da hebt der arme Mensch den Kopf
empor und sagt in mild vorwurfsvolIemTon:

„Nein, aber Gretchen, so verfährst Du!
Ich war ja nur hergekommen, um eine
Partie Billard zu spielen!“

Und dann starb er.

Voll Reue und Verzweiflung sank sie
an seine Brust, und ich beschwöre es
bei Gott, dass ich niemals etwas so furcht-
bar Erschütterndes erlebt habe, seit ich
beim mündlichen Studentenexamen nicht
zu sagen vermochte, wann und wie oft
die Türken Wien bedroht haben.

Ich stand vor Schreck und Verzweiflung
erstarrt da und vermochte nur hervor-
zuschluchzen :

„O Fräulein Gretchen, Fräulein Gret-
chen !“

Als der Schutzmann sie fortführte,
und mein Herz zu brechen drohte, wandte
sie sich in der Thüre um, warf mir
einen letzten, tiefen, innigen und weh-
muthvollen Blick zu und sagte:

„Gute Nacht, Doktor Schwindelfeld!
Herzlichen Dank für Ihre Sympathie!
Aber da der arme Günther nichts weiter
wollte, als eine Partie Billard spielen,
kann ich, um meines Gewissens willen,
mich mit Ihnen nicht vermählen, wenn
ich aus dem Zuchthause herauskomme ...“
Sehen Sie, das war ein stolzes, reines,
echt germanisches Weib! Ihr bringe ich
dies Glas!“

(Aus dem Schwedischen von

Ernst Brausewetter.)

Iriti Hegenbart (München).

Der Schweizer Gommer j$c>7

Line Reminiszenz.

Wer in diesem Jahre die Schweiz will besuchen,
Der trainire sich vorher im kräst’gen Zluchen,
Sonst wird mit Fingern, kalten und nassen,

Der „Schwindel" ihn am Gehirne fassen
Und ihn aus den Höhen voll Düften und Würzen
In den Abgrund der Verzweiflung stürzen.

Denn in diesem Jahrgang - daß Gott es bcss're! —
Kommt man stets von dem Rassen ins Räss’re.
Auf den grünen, den stein'gen, den schneeigen Wegen
findet man nichts als Regen und Regen,
vor Allem aber lasse Dir rachen,

Riemais nach Znterlaken zu waten.

Denn vom Abend bis Morgen und Morgen bis Abend
Strömt's dort herunter, erquickend und labend.
Und solltest Du außerdem noch was suchen,

So findest Du Suppe und Braten und Kuchen,
Und vor der Landschaft ein nasses Laken —

Das ist die Landschaft von Znterlaken.

Zum Zweiten aber will ich Dich warnen:

Laß nie Dich die Sehnsucht nach Zermatt umgarnen!
Denn über den Regen an Dberlandsorten
Zuckt man voll Mitleid die Achseln dorten.

Das sei ein Regen für Dilettanten!

Erst die den Zermatter Regen kannten,

Sind reife Kenner, die sich nicht mehr erlauben,
An das Märchen von trocknen Stiefeln zu glauben.

Doch der Zermatter Regen ist ein schwacher versuch
Gegen den Regen im Lntlebuch.

Zch erzähle treue Berichte wieder: —

Tort regnet es nicht nur zur Erde nieder.

Man wollt’s mir mit einem Lide geloben:

Dort regnet’* sogar von unten nach oben.

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Fritz Hegenbarth: Die Regenfee
G. S.: Der Schweizer Sommer 1897
 
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