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Nr. 43

J UGEND

1897

Das ist ein Strömen, ein Stürzen, ein Gießen,
Lin Fluchen, ein Rieseln, ein Rauschen, ein Fließen
Und Zermatt ist gegen diesen Born,

Was der Rigi gegen das Rtatterhorn.

Jedoch, ich hörte singen und sagen:

Ls giebt Leute, die das mit Humor noch ertragen.
Zu tragischer Größe erhebt sich das Raß
Erst auf der Höhe vom Furkapaß.

Das erst ist ein Regen großen Stiles! —

Zn wechselnden Loosen erlebte ich vieles:

Der Haß wurde Liebe, die Liebe ward Haß,

Das Raffe ward trocken, das Trock'ne naß,

Das Hohe stieg abwärts, das Ried're empor —
Doch eine Erfahrung stand noch mir bevor:
Daß das Raffe immer nur noch nässer ward.
Das Räthsel der Unendlichkeit starrt
Aus diesem großen, heroischen Regen
Uns in all seiner Schicksalsgewalt entgegen.

Zn stiller Größe such' es zu fasten:

Ls ward das Rasse zum Ueber-Rassen!

Zndeffcn, Du magst nun stuchen, magst segnen —
Ls kann doch schließlich auch hier nur regnen.
Lin wahrhaft neues Bild des Seins,

So wie Dein Auge erschaut noch keins,

Das bietet erst Lhamounir, lieblich und hehr:
Hier regnet es überhaupt nicht mehr,

Hier kommt es nicht mehr in Tropfen und Strähnen,
Dazwischen noch luftige Lücken gähnen —
Zwischen Himmel und Lrüe — erstaune und faste! —
Gibt's hier nur eine Waffermaffe.

Wie in der Dinge ew'ger Substanz
Der Gestaltungen bunter Zirkeltanz
Lrstirbt und sich auflöft in's AU-Line,
-verschwunden das Große, verschwunden das Kleine-
So versinkt hier des Regenstroms Linzelgestalt
Zn des absoluten Wassers Umfaffungsgewalt.

Db etwa noch Wasser höh'rer Potenzen
Sich aufthut in andrer Lantone Grenzen;

Db sich Regen ergossen in Graubündten,

Die sogar die Hotelrechnungen verdünnten —-
Darüber kann ich nichts Sicheres sagen,

Doch darf man das Beste zu hoffen wagen.

TRir selber blieb anderes übrig mit Nichten,

Als in diese trockenen Verse zu flüchten. g. s.

Gedanken

Von einet- Bekämpfung Deiner Ansichten
hast Du gewöhnlich mehr als von einer
Bestätigung. Ich lese z. L. ultramontane
Literatur immer mit großem Nutzen.

Mit den Dummen ist es wie mit lahmen
Uhren; auf einen kräftigen Anstoß laufen
ste ein paar Minuten; aber das Bleibende
ist der Stillstand.

Die meisten Menschen sind große Rinder
und könne» daher einen Fortschritt nicht
ruhig erwarten, wenn man den Rindern
im Herbste sagt: „Bald ist Weihnachten,"
so fragen sie nach zwei Minuten: „Mama,
ist jetzt Weihnachten?"

Ueberlegung dämpft unsere unedlen
Wallungen; aber ach, nur zu oft auch
unsere edlen! Eor.

Robert Engels (DüsscldorJ).

,,Ls war ein schöner Page. .

Oie Einzige

Von C. Viebig,

mit Zeichnung von Angelo Jank.

Sie hatten sich nun doch geheirathet,
trotz dem Ach und Oh der Verwandten.

„Du weisst nicht, was die Ehe ist,“
hatte die Mutter zu ihrer Tochter gesagt
und die Stirn kraus gezogen. „Er hat
bereits ein Leben hinter sich; Du bist die
Erste nicht, die ihm gefällt. Hab’ ich Dich
dafür erzogen, dass Du nun vorlieb nimmst
mit dem, was an ihm übrig geblieben ist?
Ach Gott!“ Und die Mutter weinte.

„Lass mich,“ hatte die Tochter geant-
wortet und den blonden Kopf mit dem ihr
eigenthümlichen, trotzigen Schütteln in den
Nacken geworfen —- „ich liebe ihn!“

„Du wirst ihn nicht fesseln, Du bist
zu jung für ihn, zu unerfahren, zu — zu

— zu wenig piquant! Er bedarf der Ab-
wechslung. Man weiss ja, dass er Ge-
liebte gehabt hat, mehr als eine. Wer
steht Dir dafür, dass er nach den Flitter-
wochen nicht wieder in die alten Bande
zurückfällt?!“

„Ich bin seine einzige Geliebte, ich
werde die einzige sein — ja, sieh mich
nur nicht so an, Mutter — ich, ich ganz
allein!“

„Thörichtes Kind!“ Die Mutter seufzte
und schlug die Hände vor’s Gesicht. „So
thu, was Du nicht lassen kannst und willst

— Gott helfe Dir!“

„Ja, Gott helfe mir,“ hatte die Tochter
leise nachgeseufzt und die Hände heimlich
unterder seidenen Schürze gefaltet. „Lieber
Gott, lass mich glücklich werden und ihn
auch! Ich möchte so gern glücklich
werden !“

Etwas wie Bangen war doch in ihre
Seele geschlichen, das machten die Worte
der Mutter, die halb mitleidigen, halb
spöttischen Seitenblicke von Tanten und
Cousinen, von dieser Freundin und jener.
Was hatte sie denn vorher vom Leben
erfahren? Nichts, gar nichts. Sie war da-
hin getändelt im Sonnenschein, unter
Blumen; die Liebe erschien ihr als köst-
licher Quell, kristallklar, rein wie Morgen-
luft und nun auf einmal sollte etwas Trü-
bes darin sein, hatte das Wort „Geliebte,“
das sie mit hoher Wonne erfüllte, einen
hässlichen Beigeschmack? Nein, o nein!
Sie hing sich dem Mann um den Hals,
als er kam; sie fragte wie ein Kind: „Liebst
Du mich, bist Du mir gut? Nicht wahr,
ich bin Deine Geliebte, Deine einzige Ge-
liebte?“ Und sie erschauerte unter seinen
Küssen.

So heiratheten sie. Nun war über ein
Jahr seit ihrer Hochzeit verstrichen.

Ein trübtrauriger schwerer November-
tag. Der Regen schlägt eintönig mit hartem
Trommeln an die Fenster; die sind blind
von Nässe, man kann nicht auf die Strasse
sehen. Noch ist es nicht Abend und es
ist auch kein Tag mehr; die Grenze ist
da, auf der sich Licht und Finsterniss
scheiden.

Ein graues Dämmern hockt in den
Zimmerecken und kriecht überdieTapeten;
man fröstelt und sieht sich scheu um.
Der Spiegel starrt wie eine blanke, un-
durchsichtige Scheibe von der Wand.
Hinter dem hohen Eichenschrank knistert
es, seine geschnitzten Engelsköpfe sind
Fratzen geworden; das verglimmende Feuer
im Kamin wirft einzelne zuckende Streifen
über den Teppich.

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Register
Hellmut Eichrodt: Es war ein schöner Page
Clara Viebig: Die Einzige
Eos: Gedanken
 
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