1897
JUGEND
Nr. 43
In der Theatergarderobe J- R- Wi‘vl (München.)
— Wo hast Du denn den schönen neuen Ring her?
— Den hat mir mein Karl als Pfand meiner Treue gegeben.
tauchte unter, kam wieder an die Oberfläche,
blies von sich wie die See-Weibchen.
„wer ist denn eigentlich diese Elsbeth
Meier --?1" sagte L. G. und erhob sich
hiemit sogleich thurinhoch über diese Dame.
Eigentlich hatte er die Absicht gehabt, die
Dichterin zwischen Daumen und Zeigefinger
zu nehmen, ganz nahe zu seinem geistigen
Auge zu bringen und hierauf zu zerquetschen.
Aber er gab diesen Plan auf und erhob sich
quasi im Angesichte der literarischen Mensch-
heit in eine Region, in welcher für die Elsbeth
Meiers keine Luft wehte.
Niemand beachtete diese Manöver-.
L. G. schüttelte daher den Kops und be-
gab sich aus den oberen Stockwerken der Ent-
rüstung in's Parterre, Hier pickte er in „An-
hang" und in „Bücherschau" Körner auf, ver-
suchte sie auf ihren Inhalt und schleuderte sie
weg, da sie zumeist als „taub" beftinden wurden.
Man hörte nur das Rascheln des „Blätter-
Lanbes."
„wißt Ihr, wer meine Lieblingsgestalt
ist-PI" sagte D. H. plötzlich laut. Alle
erhoben die Köpfchen, machten Gesichter, wie
wenn man in der Früh aufgeweckt wird,
„was gibt's, he. wie-?!"
„Pontius Pilatus-", sagte Liner, „der
Heilands-Richter."
„Jawohl, ganz recht-," sagte D. £).,
wie wenn es ein Prüfungsgegenstand wäre.
Er verstand es, auf diese einfache weise die
ganze Gesellschaft sammt der Tischplatte und
den Zeitschriften mit einem Ruck in die
„geistigen Höhen" zu heben, in welchen er
sich, Gott sei Dank, jederzeit befand, wie
mechanisch wurde Alles hinaufgeschraubt, das
ganze Zimmer flog mit, man wurde der
„literarische Kreis".
Die Nachricht von D. H.'s Lieblingsgestalt
kam übrigens nicht überraschend. Alle wußten
bereits seit längerer Zeit, daß es Pontius
Pilatus war. welchem D. H. seine litterarische
Zuneigung gewidmet hatte. Aber P. A. hatte
noch Nichts von dieser Beziehung des römi-
schen prätor's zu D. H. gehört und dieser
wurde daher auch fast aus dem Sattel ge-
schleudert. Er hielt sich zunächst an der Stelle
in der gelb eingebundenen „Sphinx": „und
fünftens das Selbstbewußtsein-," fest,
verließ sie zögernd, machte ein kleines Ohr
als Merkzeichen, galoppirte sodann auf D. Ls.
zu, sattelte ab und salutirte ehrfurchtsvoll.
„Nun," sagte D. H. und putzte sich gleich-
sam die geistige Brille, „nun. die einzige in-
teressante Gestalt in der „gewissen Tragödie"
ist Pontius Pilatus, was ist er eigentlich? I"
Das war eine „rhetorische Frage," so ein
elektrischer Tondensationsapparat. um die
Spannung hinaufzutreiben.
Lr sagte: „Er ist einfach in meinen Augen
ein armer, ehrgeiziger, tief ironischer, feiner,
weltüberlegener Aristokrat, der in dieses Nest
mit seinen armseligen Keifereien sich hat ver-
setzen lassen, um rascher Larriäre zu machen,
so ein fein-organisirter Uebermensch und hier
— — — Nun was sagt Ihr dazu PI Um
rascher Larriäre zu machen — — les revers
de l’histoire grande — — —i"
p. A. war paff über die revers.
D. £j. sagte: „So verschieben sich die per-
spektiven. was von unserem Standpunkte
aus gesehen riesengroß aufschwillt, ereignet sich
dort im Hintergründe als gleichgiltige Provinz-
kabale -—"
Alle waren darin einig, daß man dieses
Problem von der Provinzkabale aufgreifeu und
zu verschiedenen gangbaren Dingen verarbeiten
müsse, zum Beispiel einem Roman „Der
Streber." D. H. hielt die Provinzkabale daher
ziemlich versteckt fest und zeigte der „gierigen
Meute" immer blos einen Zipfel. Am liebsten
machte er aufreizende Andeutungen, wie. wenn
man sagt: „Huß huß Laro-" Be
sonders diese: „Einmal sagt Pontius bei mir"
(bei dieser Ausdrucksweise erbleichten Einige)
oder „so spielt sich die weltlragödie ab im
Herrenzimmer, im Fumoir des römischen
Aristokraten, wahrscheinlich trinkt er dazu
,Chartreuse verte.“'
„Außerordentlich-—," sagte P. auf-
richtig.
Die Anderen dachten: „LH. er hat bereits
den fünften Akt — — —I"
Einer dachte: „Der Streber" — — — ich
kann meinen Roman auch nennen „P. P. P. —
Pontius Pilatus Prätor," ja. so nenne id?
denselben! P.P P.“
Peter Altenberg.
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JUGEND
Nr. 43
In der Theatergarderobe J- R- Wi‘vl (München.)
— Wo hast Du denn den schönen neuen Ring her?
— Den hat mir mein Karl als Pfand meiner Treue gegeben.
tauchte unter, kam wieder an die Oberfläche,
blies von sich wie die See-Weibchen.
„wer ist denn eigentlich diese Elsbeth
Meier --?1" sagte L. G. und erhob sich
hiemit sogleich thurinhoch über diese Dame.
Eigentlich hatte er die Absicht gehabt, die
Dichterin zwischen Daumen und Zeigefinger
zu nehmen, ganz nahe zu seinem geistigen
Auge zu bringen und hierauf zu zerquetschen.
Aber er gab diesen Plan auf und erhob sich
quasi im Angesichte der literarischen Mensch-
heit in eine Region, in welcher für die Elsbeth
Meiers keine Luft wehte.
Niemand beachtete diese Manöver-.
L. G. schüttelte daher den Kops und be-
gab sich aus den oberen Stockwerken der Ent-
rüstung in's Parterre, Hier pickte er in „An-
hang" und in „Bücherschau" Körner auf, ver-
suchte sie auf ihren Inhalt und schleuderte sie
weg, da sie zumeist als „taub" beftinden wurden.
Man hörte nur das Rascheln des „Blätter-
Lanbes."
„wißt Ihr, wer meine Lieblingsgestalt
ist-PI" sagte D. H. plötzlich laut. Alle
erhoben die Köpfchen, machten Gesichter, wie
wenn man in der Früh aufgeweckt wird,
„was gibt's, he. wie-?!"
„Pontius Pilatus-", sagte Liner, „der
Heilands-Richter."
„Jawohl, ganz recht-," sagte D. £).,
wie wenn es ein Prüfungsgegenstand wäre.
Er verstand es, auf diese einfache weise die
ganze Gesellschaft sammt der Tischplatte und
den Zeitschriften mit einem Ruck in die
„geistigen Höhen" zu heben, in welchen er
sich, Gott sei Dank, jederzeit befand, wie
mechanisch wurde Alles hinaufgeschraubt, das
ganze Zimmer flog mit, man wurde der
„literarische Kreis".
Die Nachricht von D. H.'s Lieblingsgestalt
kam übrigens nicht überraschend. Alle wußten
bereits seit längerer Zeit, daß es Pontius
Pilatus war. welchem D. H. seine litterarische
Zuneigung gewidmet hatte. Aber P. A. hatte
noch Nichts von dieser Beziehung des römi-
schen prätor's zu D. H. gehört und dieser
wurde daher auch fast aus dem Sattel ge-
schleudert. Er hielt sich zunächst an der Stelle
in der gelb eingebundenen „Sphinx": „und
fünftens das Selbstbewußtsein-," fest,
verließ sie zögernd, machte ein kleines Ohr
als Merkzeichen, galoppirte sodann auf D. Ls.
zu, sattelte ab und salutirte ehrfurchtsvoll.
„Nun," sagte D. H. und putzte sich gleich-
sam die geistige Brille, „nun. die einzige in-
teressante Gestalt in der „gewissen Tragödie"
ist Pontius Pilatus, was ist er eigentlich? I"
Das war eine „rhetorische Frage," so ein
elektrischer Tondensationsapparat. um die
Spannung hinaufzutreiben.
Lr sagte: „Er ist einfach in meinen Augen
ein armer, ehrgeiziger, tief ironischer, feiner,
weltüberlegener Aristokrat, der in dieses Nest
mit seinen armseligen Keifereien sich hat ver-
setzen lassen, um rascher Larriäre zu machen,
so ein fein-organisirter Uebermensch und hier
— — — Nun was sagt Ihr dazu PI Um
rascher Larriäre zu machen — — les revers
de l’histoire grande — — —i"
p. A. war paff über die revers.
D. £j. sagte: „So verschieben sich die per-
spektiven. was von unserem Standpunkte
aus gesehen riesengroß aufschwillt, ereignet sich
dort im Hintergründe als gleichgiltige Provinz-
kabale -—"
Alle waren darin einig, daß man dieses
Problem von der Provinzkabale aufgreifeu und
zu verschiedenen gangbaren Dingen verarbeiten
müsse, zum Beispiel einem Roman „Der
Streber." D. H. hielt die Provinzkabale daher
ziemlich versteckt fest und zeigte der „gierigen
Meute" immer blos einen Zipfel. Am liebsten
machte er aufreizende Andeutungen, wie. wenn
man sagt: „Huß huß Laro-" Be
sonders diese: „Einmal sagt Pontius bei mir"
(bei dieser Ausdrucksweise erbleichten Einige)
oder „so spielt sich die weltlragödie ab im
Herrenzimmer, im Fumoir des römischen
Aristokraten, wahrscheinlich trinkt er dazu
,Chartreuse verte.“'
„Außerordentlich-—," sagte P. auf-
richtig.
Die Anderen dachten: „LH. er hat bereits
den fünften Akt — — —I"
Einer dachte: „Der Streber" — — — ich
kann meinen Roman auch nennen „P. P. P. —
Pontius Pilatus Prätor," ja. so nenne id?
denselben! P.P P.“
Peter Altenberg.
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