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Nr. 44

JUGEND

1897

Originalholzschnitt von Reinhold Hoberg (München).

GroMadr-Idyll

Sommerabciid. weich und warm dicLufr.
Fern von Gärten ein verirrter Duft.
Mattheit noch die weiten Himinelsflurcn,
.Zie und da von Sternen blasse Spuren.
Auf den Straßen Peitschenknall und Lärmen,
Junge Rnabcn, die um Mädchen schwärmen.

Vor den Thürc» spielen Rinder Reifen,
Greise klopfen ihre Tabakspfeifen.
Stahlroßrirrcr, die auf Liebe sinnen,
Mühen redlich sich um Radlcrinncn.

Und um alle weiche warme Luft
Und von Gärten ein verirrter Dufr. . .

Ludwig Jacodowski.

„QjRa nia!“

Vas fcijtc QVoit,iaiin jtaub 6as£)az Vn (tlCf,
Lüöjt und gfiicftflcTj 4c.cj.ffc Du da;

©ft, otmi ©UtotcMu.M^evv iänvmu» Will,
§>öt' ich'» aus weiter Acrne uocl): „2ssai»a".
© ckfind, t»ic tsai’s Die, ba jo jäh urijagt
Vcv QTtuttaacm, icm Du oahaut fo ftj't,
2lub Du affciii den weiten 34’ng gewagt,
QTej'tfsiicfjfciii, teil ff gcj'tojscu ans dein OTcjt?

Qftiiu iämmcit wichet ein ©ßtoöcr mit,

Lf,r anb'tet, als bet jene 2vunde jfcljkug;
iOei&j'tjcjjaiicv ringsum fühlt die §ccle hier
Anbptüft dieAchwingc bang ru langem Alug.
Doch, wenn am jeenen Fielihrwinlit der ssstoit,
Den j'chnfuchtsvoll der Hoffnung Rüge fa-h:
Itchj't, .ssleinc, bann wohl an der llJrücße hott
Tlud l'priHjt als etjtcn "Milkl-omm Du:

,2ltama" ?

L.rjvs üiöi.i.nn.

von Schiffahrt, Angst, Courage u. dergl.

Bon Otto Ernst

M^ir waren eine regelrecht gemischte Gesell-
-KL8 schaft: immer ein Mädel — ein Bursche,
ein Mädel — ein Bursche n. s. w. Ifur in zwei
Dingen stimmten wir alle überein, erstens: wir
waren jung, und zweitens: wir wollten uns an
diesem Nachmittag auf jeden Fall wundervoll
amüsircn.

Nun ist cs eine der allerbekanntesten That-
sachcn, daß solchen Leuten in solcher Stimmung
eine Wasserfahrt ein ganz erhebliches Vergnügen
zu bereiten pflegt. Die Damen in s Boot heben,
ihre Füßchen niid Spitzensäume bewundern, sie
kreischen und kichern hören, sie beruhigen, ein
stolzes Beschützergefühl in den rcsp. Männer-
busen spüren, sich mit unerhörter Bravour in
die Ruder legen und Wind und Meer gebieten,
solange sic nichts dagegen haben — andrerseits:
vor den Männern zu spielen mit eben jenen
Füßchen und Spitzensäumen, mit anmuthzartcr,
hilfsbedürftig-ängstlicher „Weiblichkeit," vielleicht
gar die Aermel Hochstreifen, Hände zeigen und
selbst zngreiscn, Nr. if'k, wer wollte leugnen,
daß alles das für die rcsp. Geschlechter ungefähr
soviel bedeutet wie ein Lieutenant mit Schlagsahne
oder, ein dreisitziges Fahrrad mit Skatvorricht-
ung, nämlich: eine Akkumulation höchster
Genüsse?

Ein erklärtes Verhältnis; gab eS erfreulicher
Weise innerhalb unserer nchtköpsigen Gesellschaft
nicht — wenn auch ein Paar gewisse dringende
Verdachtsmomente aufwies — es bestand also,
wie der kundige Leser aus meinen Andeutungen
schon geschlossen haben wird, zwischen uns jene
reizvolle Spannung ungleichnamiger Geschlechter,
der die Entfernung noch zu groß ist, als daß
der Funke überspringen könnte, die sich aber da-
für in einem Pracht- und wundervollen St. Elms-
fcuer der Koketterie entladet. Es gibt kaum
etwas Possierlicheres als die Koketterie zwanzig-
jähriger Leutchen. Die jungen Männlein thun
groß, und die Weiblein thun klein, so will es die
überlieferte Praxis. Was die Jünglinge in dem
Alter um 20 herum an Muth produziren, ist
unglaublich. Und sieht mau die Jungfrauen, so
weiß mau — immer vorausgesetzt, daß, man
selbst im entsprechenden Alter steht — daß An-
muth und Sauftmuth, Zärtlichkeit und Mitgefühl
ewig wohnen werden an jedem Herde der Heimath.
Muth wollten wir heute zeigen, den Muth zu
Wasser; es sollte eine Elbpartie gemacht werden.

Es war aber einer unter uns, der das ehr-
würdige Alter von 27 hatte, der männliche Part
des verdächtigen Paares, und dieser stellte jetzt
die komische Frage:

„Ist denn einer von Ihnen, meine Herren,
auch im Stande, ein Boot ans der Elbe zu hand-
haben?"

Ein kurzes, entrüstetes Schweige» und dann
eine Sturzwelle von Fragen: „Wieso?" „Das
bischen Rudern?" „Können Sie nicht rudern?"
„Sind Sie bange?"

„Es vergeht kaum eine Woche," fuhr er mit
unerträglicher Ernsthaftigkeit fort, „daß nicht von
einem gekenterten oder überrannteu Boot und
von ein, zwei, drei bis ein Dutzend und mehr
ersoffenen BcrgnügunaSfahrern berichtet würde.
Ich halte cs für Leichtsinn, sich auf einem höchst
gefährlichen Fahrwasser anderen als wirklich
kundigen Händen anzuvertrauen, und habe das
auch bisher noch nie gethan."

Für den Menschenkenner wird cs nicht nöthig
sein, ihm das Hohngelächter zu schildern, da-;
ob dieser Rede aus den furchtsamen Herrn Steen
hernieoerprasjelte.

„Na, sei'» Sc man »ich bange!" rief Herr
Marterls, der oberste Draufgänger von uns
Jungen, „versuchen Se's man! Wenn Ihnen
schlecht lvird, setzen wir Sie an's Land, packen
Sie in eine Droschke und lassen Sie fein bis an
Ihr Bett fahren. Zufrieden?"

„Gut, Unter dieser Bedingung geh' ich mit,"
versetzte Herr Steen. Die Zusage wurde mit
spöttischem Gelächter ausgenommen: die Damen
kicherten jetzt ganz ungenirt hinter Herrn Steens
Rücken. Auf dem Weg nach dem Hafen blieb
er fast gänzlich isolirt.

Da war also wieder mal unser alter lieber
Hein Kloock, der Bootsvermiether und Inhaber
jener Badeanstalt, in der ich als öjühriger mein
erstes öffentliches Bad in solcher Art nahm, daß
ich in der Glnth meines damals schon bedroh-
lichen Temperaments mit Hemd und Höschen
in das Bassin für die größten Erwachsenen sprang
und sofort mit dem Kopf bis auf den Grund
drang. Ein ruhiger Griff Hein Kloocks in meine
Nasircierlocken brachte mich wieder zum Vorschein.
Seitdcln hat sich eine Art Kindschaftsgefühl gegen
den alten Mann in mir erhalten: ich nchnn ihm
jede Geschichte ab, und ivcnu ich ihn besonders
erfreuen will, reize ich ihn durch fabelhast un-
wlsfcnde Fragen zu einer belehrenden Erzählung
aus seinen Seenianuszeiten. Er hat, nach einem
ziemlich verbürgten Gerücht, nur ein paar Fahr-
ten nach Westindien gemacht; aber er lügt bis
zu den höchsten Breitegraden, und ein Ucbcrsall
durch chinesische Seeräuber im Gelben Meer
kostet ihm nicht die geringste Anstrengung, Ucber-
haupt erzählt er jedes gewünschte Abenteuer und
mißt dabei, während er den Zuhörer schärsstens
studirt, im stillen ab, ivicvicl todte Seeräuber und
wieviel Fuß Sturzwellen er ihm zumuthen darf.

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Register
Reinhold Hoberg: Holzschnitt
Ludwig Jacobowski: Großstadt-Idyll
Cajus Möller: Mama!
Otto Ernst: Von Schiffahrt, Angst, Courage u. dergl.
 
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