Nr. 44
JUGEND
1897
„Clas!!!" scholl cs schmetternd
von der Küche her.
„Jo jo, min Engel!! — Meenen
Se, minc Herrschaften, bat Froens-
minsch kann ecn'n vk man 'n Lgen-
blick in Ruh lot'n? Un dorbi: siech
is se »ich; se 's blotz 'n Satan."
„Clas!!!!"
„Jo, min Dcern!"
„Herr Thicsscn!" ries jetzt Martens,
„sagen Sie, bitte, Ihrer Frau, Sie
mochte die Spiegeleier nicht wieder
so fürchterlich fettmachen >vie neulich!"
Herr Thiessen kam langsam zurück
mit einem rathloscn Gesicht und legte
Martens die Hand auf die Schulter.
„Ach Herr," kam cs unendlich
verlegen heraus, „möchten Sic mir
nich '» großen Gcsallen thun?"
„Wenn ich's kann, natürlich gern!"
„Möchten Sie nich 'reingch'n un
ihr das sagen?"
„Ich? — Ja, wissen Sic — das
ist so 'ne Sache — das ist doch
eigentlich Ihre Sache — ich kann
doch nicht — das sicht ja doch merk-
würdig aus — nee, dann lassen
Sie's ' nur — das ist mir viel zu
umständlich — ich sitz hier nun grade
gemüthlich —."
Die Eier tvurden also fett; wir
atzen wie Rnderknechte — ausgenom-
men die Damen natürlich — und
hörten zu dem ausgesprochen nieder-
deutschen Menu die trcmolicrcn-
dcn Lungenübungen Violettas und
die wahnsinnigen Triller Lucias,
durch die Güte eines italienischen
Orgeldrehers nämlich, der sich dann
überraschend schnell in die holstein-
ische Ätoft einlebte. Als wir die Rück-
fahrt antratcn, bat er uns, ihn und
seine Orgel mit nach Hamburg zu
nehmen. Wir dachten an den Drei-
bund und ivilligten ein, unter der
Bedingung, datz er nun auch der
Orgel die wohlverdiente Ruhe gönne.
Als tvir wieder auf dem eigent-
lichen Flusse tvareu, galt es, gegen
den Strom des ablausenden Wassers
nach Hamburg zu kommen: für zwei
Ruderer, die 9 Personen und einen
Leierkasten vorwärtsbringen sollten,
keine leichte Arbeit. Ich satz am Steuer
und die vierte Mannsperson war zum
Ablösen da.
ES war Abend geworden. Wasser
und Luft schienen sich zu einem
Element vereinigt zu haben, zu einer
milchig grauen, alles erfüllenden
Flnth, die sich um Hals und Wangen
legte >vic der weiche Arm eines Wei-
be». Es war jene verdächtige Milde
um uns, die sich leicht in Thräncn
löst. Wir konnten noch einen hüb-
schen Regen bekommen.
Die beiden Ruderer arbeiteten
kräftig; aber es ging nur langsam,
sehr langsam vorwärts.
„Wir kommen ja kaum von der
Stelle!" ries Marlens.
„Gar nicht", erklärte Herr Steen,
der gerade frei war, mit aufsallcndcr
Entschiedenheit.
„Wieso gar nicht"?"
„Wir sitzen doch fest!"
..Wir sitzen fest?"
„Ja! Aufm Sand. Haben Sie
denn das nicht gemerkt? Wir sitzen
ja schon 'ne Viertelstunde."
„'ne Viertelst-Ja, aber
Menschenkind, warum sagen Sie
denn das nicht eher?" rief Martens
ctivas indignirt.
„Ich dachte, Sic wüßten das und
blieben mit Absicht sitzen," entgegnete
Steen mit der SOiiene eines frisch
gewaschenen Engels.
Ich mutzte laut hcrauslachen.
„Jetzt uzt er uns!" ries ich.
„Ja, wie kommen wir denn wieder
los! rief Martens ärgerlich.
Hl
f.fjL'
i.,
Emil Ncumann (München).
„O, das ist sehr einfach," meinte
Steen, „Sie mutzen nur nicht das
Boot gegen den Strom flott machen
wollen. Erlauben Sie?" fragte er
höflich, nahm Martens das Ruder
aus der Hand, tastete den Grund da-
mit ab, stieß cS dann in den Sand
und schob allein das Boot mit dem
ablauscnden Strome lvieder in's
freie Wasser.
„Bitte?!" Er gab das Ruder
zurück.
Es war kein Zweifel, Herr Steen
ivar der ganzen Gesellschaft etwas
interessanter geworden. Die Damen
betrachteten ftch ihn tviederholt von
der Seite.
Da geistert neben uns aus dem
Rebel das Wrack der „Alexandria."
Ein mächtiger Ucberseeer, den ein
anderer Dampfer mitten durchge-
rannt hat, bei solchem Wetter wie
heute. Die beiden Hälften starren
drohend aus der leise schwatzenden
Flnth herauf. Die furchtbaren Flügel
der Schiffsschraube ragen gespenstisch
in die Luft —Jie haben Ruhe. Wir
umfahren das Wrack. Wir sind wieder
still geworden. Um diese Stätte weht
Tod. Die dicksten Eisenstnngen sind
zerbrochen >vic Glas, gebogen, aus-
gewickelt >vic dünner Draht. Oben
am Fockmast hängt eine Laterne und
gibt ein kleines, einsames, trauriges
Licht, zur Warnung für die Fahren-
den. Einst war auf diesem Deck, in
diesen Kajüten Leben. Bewegung,
Lärm, Befehlen und Gehorchen. Alles
verlassen. Wer weiß, ob nicht unten
in einem verborgenen, vom drängen-
den Wasser verschlossenen Raume noch
von Denen liegen, die nicht wieder
an die Oberfläche kamen?
Es ist verschwunden. Wir sind
vorüber. Der Nebel ist stark.
Ein schöner, leiser, wiegender
Zwicgesang klingt ganz nahe. Und
nichts zu sehen — doch! — Ein Boot
mit dunklen Segeln! Aber kein
Mensch darin zil sehen. Vorbei.
Der Nebel verschlang cs.
So grüßt uns ein Gedicht. So
huscht cS vorbei. Es kommt darauf
an, lvie viel man davon erhascht. Ganz
erwischt man's nie. Später, als ich
allein ivar, sah ich nach, wie viel ich
im Netz behalten.
Zwei plaudernde Gesellen
Im Kahn, im flngclschncllcn.
Scho» slleg aus sanften Wellen
Tic Nacht, die milde Fei.
Was ivar'S — lvas huscht von hinnen?
Ein Schiff mit schwarzen Linnen
— Kein Schiffer saß darinnen —
Glitt unsecm Boot vorbei.
Pom Schiff her kam ein Singen
Auf weichen, dunklen Schwingen,
Ein längst vertrantes Klingen,
Wie fremd die Weise sei.
Berklingen und Entschwinden! —
Wer sucht, um uns zu finden? -
Ans Wellen floß und Winden
Das Schweigen füll herbei. —
Ein seiner Regen begann herab-
zuriescln. Die Damen hüllten sich
fröstelnd in ihre Mäntel; cs wurde
unbehaglich und still.
Mit einemmale rief Steen: „Ein
Dampfer!"
„Wo denn?" fragte Martens.
„Da, dicht vor uns, sehen Sie
denn nicht?"
Ein Licht ging aus dem Nebel
aus, und ein großer, schwarzer Bug
stieg dicht vor uns aus dem Dunkel.
„Mensch, was machen Sie!" schrie
Steen entsetzt; im nächsten Augen-
blick hatte er Martens die Ruder
entrissen.
Martens war völlig kopflos ge-
worden: er hatte vorwärts gerudert
statt zurück. Die nächsten Sekunden
entschieden über' Leben und Tod. Noch
ein Paar Schläge und wir wären
unter den Dampfer gerathen.
74t
JUGEND
1897
„Clas!!!" scholl cs schmetternd
von der Küche her.
„Jo jo, min Engel!! — Meenen
Se, minc Herrschaften, bat Froens-
minsch kann ecn'n vk man 'n Lgen-
blick in Ruh lot'n? Un dorbi: siech
is se »ich; se 's blotz 'n Satan."
„Clas!!!!"
„Jo, min Dcern!"
„Herr Thicsscn!" ries jetzt Martens,
„sagen Sie, bitte, Ihrer Frau, Sie
mochte die Spiegeleier nicht wieder
so fürchterlich fettmachen >vie neulich!"
Herr Thiessen kam langsam zurück
mit einem rathloscn Gesicht und legte
Martens die Hand auf die Schulter.
„Ach Herr," kam cs unendlich
verlegen heraus, „möchten Sic mir
nich '» großen Gcsallen thun?"
„Wenn ich's kann, natürlich gern!"
„Möchten Sie nich 'reingch'n un
ihr das sagen?"
„Ich? — Ja, wissen Sic — das
ist so 'ne Sache — das ist doch
eigentlich Ihre Sache — ich kann
doch nicht — das sicht ja doch merk-
würdig aus — nee, dann lassen
Sie's ' nur — das ist mir viel zu
umständlich — ich sitz hier nun grade
gemüthlich —."
Die Eier tvurden also fett; wir
atzen wie Rnderknechte — ausgenom-
men die Damen natürlich — und
hörten zu dem ausgesprochen nieder-
deutschen Menu die trcmolicrcn-
dcn Lungenübungen Violettas und
die wahnsinnigen Triller Lucias,
durch die Güte eines italienischen
Orgeldrehers nämlich, der sich dann
überraschend schnell in die holstein-
ische Ätoft einlebte. Als wir die Rück-
fahrt antratcn, bat er uns, ihn und
seine Orgel mit nach Hamburg zu
nehmen. Wir dachten an den Drei-
bund und ivilligten ein, unter der
Bedingung, datz er nun auch der
Orgel die wohlverdiente Ruhe gönne.
Als tvir wieder auf dem eigent-
lichen Flusse tvareu, galt es, gegen
den Strom des ablausenden Wassers
nach Hamburg zu kommen: für zwei
Ruderer, die 9 Personen und einen
Leierkasten vorwärtsbringen sollten,
keine leichte Arbeit. Ich satz am Steuer
und die vierte Mannsperson war zum
Ablösen da.
ES war Abend geworden. Wasser
und Luft schienen sich zu einem
Element vereinigt zu haben, zu einer
milchig grauen, alles erfüllenden
Flnth, die sich um Hals und Wangen
legte >vic der weiche Arm eines Wei-
be». Es war jene verdächtige Milde
um uns, die sich leicht in Thräncn
löst. Wir konnten noch einen hüb-
schen Regen bekommen.
Die beiden Ruderer arbeiteten
kräftig; aber es ging nur langsam,
sehr langsam vorwärts.
„Wir kommen ja kaum von der
Stelle!" ries Marlens.
„Gar nicht", erklärte Herr Steen,
der gerade frei war, mit aufsallcndcr
Entschiedenheit.
„Wieso gar nicht"?"
„Wir sitzen doch fest!"
..Wir sitzen fest?"
„Ja! Aufm Sand. Haben Sie
denn das nicht gemerkt? Wir sitzen
ja schon 'ne Viertelstunde."
„'ne Viertelst-Ja, aber
Menschenkind, warum sagen Sie
denn das nicht eher?" rief Martens
ctivas indignirt.
„Ich dachte, Sic wüßten das und
blieben mit Absicht sitzen," entgegnete
Steen mit der SOiiene eines frisch
gewaschenen Engels.
Ich mutzte laut hcrauslachen.
„Jetzt uzt er uns!" ries ich.
„Ja, wie kommen wir denn wieder
los! rief Martens ärgerlich.
Hl
f.fjL'
i.,
Emil Ncumann (München).
„O, das ist sehr einfach," meinte
Steen, „Sie mutzen nur nicht das
Boot gegen den Strom flott machen
wollen. Erlauben Sie?" fragte er
höflich, nahm Martens das Ruder
aus der Hand, tastete den Grund da-
mit ab, stieß cS dann in den Sand
und schob allein das Boot mit dem
ablauscnden Strome lvieder in's
freie Wasser.
„Bitte?!" Er gab das Ruder
zurück.
Es war kein Zweifel, Herr Steen
ivar der ganzen Gesellschaft etwas
interessanter geworden. Die Damen
betrachteten ftch ihn tviederholt von
der Seite.
Da geistert neben uns aus dem
Rebel das Wrack der „Alexandria."
Ein mächtiger Ucberseeer, den ein
anderer Dampfer mitten durchge-
rannt hat, bei solchem Wetter wie
heute. Die beiden Hälften starren
drohend aus der leise schwatzenden
Flnth herauf. Die furchtbaren Flügel
der Schiffsschraube ragen gespenstisch
in die Luft —Jie haben Ruhe. Wir
umfahren das Wrack. Wir sind wieder
still geworden. Um diese Stätte weht
Tod. Die dicksten Eisenstnngen sind
zerbrochen >vic Glas, gebogen, aus-
gewickelt >vic dünner Draht. Oben
am Fockmast hängt eine Laterne und
gibt ein kleines, einsames, trauriges
Licht, zur Warnung für die Fahren-
den. Einst war auf diesem Deck, in
diesen Kajüten Leben. Bewegung,
Lärm, Befehlen und Gehorchen. Alles
verlassen. Wer weiß, ob nicht unten
in einem verborgenen, vom drängen-
den Wasser verschlossenen Raume noch
von Denen liegen, die nicht wieder
an die Oberfläche kamen?
Es ist verschwunden. Wir sind
vorüber. Der Nebel ist stark.
Ein schöner, leiser, wiegender
Zwicgesang klingt ganz nahe. Und
nichts zu sehen — doch! — Ein Boot
mit dunklen Segeln! Aber kein
Mensch darin zil sehen. Vorbei.
Der Nebel verschlang cs.
So grüßt uns ein Gedicht. So
huscht cS vorbei. Es kommt darauf
an, lvie viel man davon erhascht. Ganz
erwischt man's nie. Später, als ich
allein ivar, sah ich nach, wie viel ich
im Netz behalten.
Zwei plaudernde Gesellen
Im Kahn, im flngclschncllcn.
Scho» slleg aus sanften Wellen
Tic Nacht, die milde Fei.
Was ivar'S — lvas huscht von hinnen?
Ein Schiff mit schwarzen Linnen
— Kein Schiffer saß darinnen —
Glitt unsecm Boot vorbei.
Pom Schiff her kam ein Singen
Auf weichen, dunklen Schwingen,
Ein längst vertrantes Klingen,
Wie fremd die Weise sei.
Berklingen und Entschwinden! —
Wer sucht, um uns zu finden? -
Ans Wellen floß und Winden
Das Schweigen füll herbei. —
Ein seiner Regen begann herab-
zuriescln. Die Damen hüllten sich
fröstelnd in ihre Mäntel; cs wurde
unbehaglich und still.
Mit einemmale rief Steen: „Ein
Dampfer!"
„Wo denn?" fragte Martens.
„Da, dicht vor uns, sehen Sie
denn nicht?"
Ein Licht ging aus dem Nebel
aus, und ein großer, schwarzer Bug
stieg dicht vor uns aus dem Dunkel.
„Mensch, was machen Sie!" schrie
Steen entsetzt; im nächsten Augen-
blick hatte er Martens die Ruder
entrissen.
Martens war völlig kopflos ge-
worden: er hatte vorwärts gerudert
statt zurück. Die nächsten Sekunden
entschieden über' Leben und Tod. Noch
ein Paar Schläge und wir wären
unter den Dampfer gerathen.
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