1897
JUGEND
*
Nr. 44
Der Halkyonier
Von Gtto Lrich Lartlcben
VI.
Kennst Hu den Wolkcnherd, aus dem die
Stürme stammen,
Die mir das Haus zerstört? — Wie magst
Du mich verdammen?
Hrirathcn sollte man, wenn'« irgend geht,
vermeiden,
Schon od der Schererein mit dem vertrackten
_._ Scheiden.
Reklame siegt auch dann, wenn man den
Wratrn roch;
Ria» meint, man glaubt sie nicht, nnd
glaubt sie heimlich doch.
Sie sagt, sie liebe ihn nnd bringt ihn znm
Beweise
Ilm jedes eigne Glück — ans jedem eignen
__ Gleise.
v
Vas Füllen der Campagna meint, es war'
ein junger Pegasus,
Es ahnt noch nicht, daß es einmal vor
einer Vroschke enden mnß.
4b
Mine
DIurrer
Skizze von Sigismund Riedzwiecki
z^brisch und wohlbeleibt war sie und hatte sich
9' 50 Jahre lang vor allen seelischen und körper-
lichen Anstrengungen sorgsam gehütet. Und doch
war sie nun von früh bis spät ausschließlich darauf
bedacht, ihrer Person den Anschein einer Kranken,
durch's Leben Abgematteten zu verleihen, eines
Wesens, das volles Recht darauf hatte, seine letzten
Augenblicke in Bequemlichkeit und Ruhe zu ver-
bringen.
Spät wachte sie auf, nahm regelmäßig ihr früh-
stück im Bett, besah sich dann im Spiegel Augen,
Zunge und Teint, gähnte, klagte über die schlecht
verbrachte Rächt, über Stechen, Brennen und alle
möglichen Ucbel, Auch von bösen, unheilkündcnden
Träumen wurde sie viel geplagt. Wenn sie sich
endlich aus dem warmen Bett herausschlcppte, so
geschah cs mit Roth und Rlühe, als fühle sie, daß
sie dieses Dpfer zum letztenmal im Leben bringe.
vom frühen Morgen an empfand sie überall
Schmerzen, ohne zu wissen, wovon — höchstwahr-
scheinlich aber von Altersschwäche. Die Leiden am
Rachmittag waren natürlich nur folgen der Stra-
pazen -es Morgens.
Sie klagte über Mangel an Kraft zu jeglicher
Arbeit, schritt ganz langsam wie eine Reconvales-
centin umher und erhob sich nie vom Sessel oder
setzte sich darauf, ohne zu ächzen. Was sie auch
in den Mund nehmen mochte, schmeckte ihr nicht
- nur um die ohnehin schon miserable Gesundheit
zu erhalten, räumte sic mit jedem Gericht bis auf
das letzte Krümchen tüchtig auf: und wenn sie ab
und zu aus dem Teller ihrer Tochter irgend ein
weiches Stückchen erhaschte, so geschah es aus Rück-
sicht für ihre Zähne, und theilweise auch infolge
des trügerischen Appetits: aber sofort nach dem
Hinunterschlucken bedauerte sie, daß sie sich dazu
hatte verführen lassen.
Sogar das Sprechen ermüdete sie: deshalb
redete sie sehr langsam und gedehnt, aber das ging
ohne Aufhören, mit jener unermüdlichen Mono-
tonie, die sich so trefflich zum Rörgeln eignet und
so unerträglich anzuhören ist.
Insbesondere redete sie über das Thema des
menschlichen Egoismus, über die Undankbarkeit
der Kinder und über die nie und durch nichts be-
lohnten Mühen der Erziehung. Wieviel schwere
Arbeit hatten ihr nicht einst ihre eigenen Kinder
verursacht! Und welchen Ruhen hatte sie nun da-
von? Wenn sie einen ihrer Söhne besucht, so machen
ihre Schwiegertöchter gerade jedesmal Anstalten zu
einem Spaziergange: kommt sie aber auf einen
Augenblick zu ihrer Tochter, so besteht die ganze
Aufmerksamkeit des Schwiegersohnes darin, daß er
ihr zum Thee nichts anderes vorsetzt als die gewöhn-
lichen, ihr längst zum Ekel gewordenen Schinken-
brödchen, mit denen die jungen Leute sich kaum
begnügen, wenn sie allein sind.
Bei ihr geblieben war nur die älteste Tochter,
ein arbeitsames, stets beschäftigtes Mädchen, das
den ganzen Tag über die Wohnung mit dem Ge-
räusch der Rähmaschine erfüllte und außerdem noch
sämmtliche Pflichten eines Dienstmädchens auf sich
nehmen mußte.
Bei der Knappen Pension, die der Mutter nach
dem Tode des vor Jahren verstorbenen Gatten,
F. Of. 7 Wen.
Fri/{ Erl er (München )
eines Beamten, zuerkannt wurde, war die Tochter,
dieses beste Kind, eine unschätzbare und nothwendige
Ergänzung der unthätigen, trotzdem aber so an-
spruchsvollen Mutter, die sich für alles Gute da-
mit revanchierte, daß sie das Mädchen vor einer
schlechten Ehe schützte.
Rachdem sie ihrer jüngeren Tochter einen Mann
gegeben, ohne diesen Schritt gehörig zu bedenken,
war sie in der Wahl eines Gatten für die ältere
äußerst anspruchsvoll und konnte daher an jedem
ihrer ziemlich zahlreichen Bewerber Mängel ent-
decken, die sich zuvor der Aufmerksamkeit aller
entzogen hatten. Die Tochter, ihren Rathschlägen
gehorchend, ließ jede Gelegenheit zum heiraten
vorübergehen, bis endlich ein Mann erschien, der
trotz des ganzen Argwohns, aller Prophezeiungen
und des Zornes der Mutter, in dem Mädchen den
ersten gewaltsamen Ausbruch der Selbstsucht, eine
blinde Gier nach dem Glück, erweckte.
Rachdem die Mutter diesmal alle Mittel er-
folglos erschöpft hatte, hörte sie endlich auf, sich
zu widerseyen, geruhte, den Bräutigam anzu-
erkennen und ihn wie einen familienangehörigcn
zu behandeln. Lr erhielt demnach das Recht, jeden
Augenblick bei ihnen zuzubringen, ihreAngelegen-
heiten zu erledigen und alle ihre Sorgen zu theilcn.
Run mühte sich die Mutter noch eifriger um
das Glück ihrer Tochter und trachtete danach, die
künftigen Eheleute zu vervollkommnen, indem sie
anfing, beide auf ihre Schwächen mit dürren Worten
aufmerksam zu machen. Was sich auch ihren wohl-
wollenden Blicken hätte entziehen können, brachte
sie an's Licht, besprach es in's Einzelne, indem sie
jedesmal den einen zum Wähle des anderen scharf
tadelte, behauptend, daß Menschen, die ewig zu-
sammen leben sollen, sich vorher genau kennen
lernen müßten. Das schütze vor sehr unangeneh-
men Ueberraschungen — es gäbe Beweise.
Streng gegen die kleinsten Hehler der Andern,
war sie auch unnachsichtig gegen sich selbst. In-
dem sie mit den Worten: „Ich bin so. . . .“ be-
gann, gab sie dem Bräutigam jeden Augenblick
Gelegenheit zu konftatiren, daß auch sie, seine künf-
tige Schwiegermutter, noch weit von der Vollkom-
menheit entfernt sei; dabei vergaß sie allerdings
nicht, ihre Anhänglichkeit an ihre Tochter zu bc-
theuern und ihm zu versichern, daß sie sich nie von
ihr trennen und daß beide, so lange ihr der Himmel
das Leben schenke (seit einiger Zeit fühlte sie sich
seltsam gesund . . . >, ihre Person, ihren Rath und
ihre Erfahrung stets, stets bei sich haben würden.
In dieser weise stärkte sie allmählich und aus-
dauernd seinen Glauben an eine gute Zukunft.
Eines Tages erschien der tägliche Gast nicht,
dagegen schickte er bald darauf den Ring zurück.
Als nun die Mutter den Schmerz des Mäd-
chens sah, fand sie nicht Worte genug, ihre Ent-
rüstung auszudrücken. „Der Elende! Da hast
Du einen Beweis dafür, wie er Dich liebte! . . .
Und ich habe gewarnt.... erinnerst Du Dich
wohl? . . . Ich sagte gleich, daß daraus nichts
werden würde! . . . .“
(Au» dem poliiiftbe» von MT. tl.)
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Der Halkyonier
Von Gtto Lrich Lartlcben
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Kennst Hu den Wolkcnherd, aus dem die
Stürme stammen,
Die mir das Haus zerstört? — Wie magst
Du mich verdammen?
Hrirathcn sollte man, wenn'« irgend geht,
vermeiden,
Schon od der Schererein mit dem vertrackten
_._ Scheiden.
Reklame siegt auch dann, wenn man den
Wratrn roch;
Ria» meint, man glaubt sie nicht, nnd
glaubt sie heimlich doch.
Sie sagt, sie liebe ihn nnd bringt ihn znm
Beweise
Ilm jedes eigne Glück — ans jedem eignen
__ Gleise.
v
Vas Füllen der Campagna meint, es war'
ein junger Pegasus,
Es ahnt noch nicht, daß es einmal vor
einer Vroschke enden mnß.
4b
Mine
DIurrer
Skizze von Sigismund Riedzwiecki
z^brisch und wohlbeleibt war sie und hatte sich
9' 50 Jahre lang vor allen seelischen und körper-
lichen Anstrengungen sorgsam gehütet. Und doch
war sie nun von früh bis spät ausschließlich darauf
bedacht, ihrer Person den Anschein einer Kranken,
durch's Leben Abgematteten zu verleihen, eines
Wesens, das volles Recht darauf hatte, seine letzten
Augenblicke in Bequemlichkeit und Ruhe zu ver-
bringen.
Spät wachte sie auf, nahm regelmäßig ihr früh-
stück im Bett, besah sich dann im Spiegel Augen,
Zunge und Teint, gähnte, klagte über die schlecht
verbrachte Rächt, über Stechen, Brennen und alle
möglichen Ucbel, Auch von bösen, unheilkündcnden
Träumen wurde sie viel geplagt. Wenn sie sich
endlich aus dem warmen Bett herausschlcppte, so
geschah cs mit Roth und Rlühe, als fühle sie, daß
sie dieses Dpfer zum letztenmal im Leben bringe.
vom frühen Morgen an empfand sie überall
Schmerzen, ohne zu wissen, wovon — höchstwahr-
scheinlich aber von Altersschwäche. Die Leiden am
Rachmittag waren natürlich nur folgen der Stra-
pazen -es Morgens.
Sie klagte über Mangel an Kraft zu jeglicher
Arbeit, schritt ganz langsam wie eine Reconvales-
centin umher und erhob sich nie vom Sessel oder
setzte sich darauf, ohne zu ächzen. Was sie auch
in den Mund nehmen mochte, schmeckte ihr nicht
- nur um die ohnehin schon miserable Gesundheit
zu erhalten, räumte sic mit jedem Gericht bis auf
das letzte Krümchen tüchtig auf: und wenn sie ab
und zu aus dem Teller ihrer Tochter irgend ein
weiches Stückchen erhaschte, so geschah es aus Rück-
sicht für ihre Zähne, und theilweise auch infolge
des trügerischen Appetits: aber sofort nach dem
Hinunterschlucken bedauerte sie, daß sie sich dazu
hatte verführen lassen.
Sogar das Sprechen ermüdete sie: deshalb
redete sie sehr langsam und gedehnt, aber das ging
ohne Aufhören, mit jener unermüdlichen Mono-
tonie, die sich so trefflich zum Rörgeln eignet und
so unerträglich anzuhören ist.
Insbesondere redete sie über das Thema des
menschlichen Egoismus, über die Undankbarkeit
der Kinder und über die nie und durch nichts be-
lohnten Mühen der Erziehung. Wieviel schwere
Arbeit hatten ihr nicht einst ihre eigenen Kinder
verursacht! Und welchen Ruhen hatte sie nun da-
von? Wenn sie einen ihrer Söhne besucht, so machen
ihre Schwiegertöchter gerade jedesmal Anstalten zu
einem Spaziergange: kommt sie aber auf einen
Augenblick zu ihrer Tochter, so besteht die ganze
Aufmerksamkeit des Schwiegersohnes darin, daß er
ihr zum Thee nichts anderes vorsetzt als die gewöhn-
lichen, ihr längst zum Ekel gewordenen Schinken-
brödchen, mit denen die jungen Leute sich kaum
begnügen, wenn sie allein sind.
Bei ihr geblieben war nur die älteste Tochter,
ein arbeitsames, stets beschäftigtes Mädchen, das
den ganzen Tag über die Wohnung mit dem Ge-
räusch der Rähmaschine erfüllte und außerdem noch
sämmtliche Pflichten eines Dienstmädchens auf sich
nehmen mußte.
Bei der Knappen Pension, die der Mutter nach
dem Tode des vor Jahren verstorbenen Gatten,
F. Of. 7 Wen.
Fri/{ Erl er (München )
eines Beamten, zuerkannt wurde, war die Tochter,
dieses beste Kind, eine unschätzbare und nothwendige
Ergänzung der unthätigen, trotzdem aber so an-
spruchsvollen Mutter, die sich für alles Gute da-
mit revanchierte, daß sie das Mädchen vor einer
schlechten Ehe schützte.
Rachdem sie ihrer jüngeren Tochter einen Mann
gegeben, ohne diesen Schritt gehörig zu bedenken,
war sie in der Wahl eines Gatten für die ältere
äußerst anspruchsvoll und konnte daher an jedem
ihrer ziemlich zahlreichen Bewerber Mängel ent-
decken, die sich zuvor der Aufmerksamkeit aller
entzogen hatten. Die Tochter, ihren Rathschlägen
gehorchend, ließ jede Gelegenheit zum heiraten
vorübergehen, bis endlich ein Mann erschien, der
trotz des ganzen Argwohns, aller Prophezeiungen
und des Zornes der Mutter, in dem Mädchen den
ersten gewaltsamen Ausbruch der Selbstsucht, eine
blinde Gier nach dem Glück, erweckte.
Rachdem die Mutter diesmal alle Mittel er-
folglos erschöpft hatte, hörte sie endlich auf, sich
zu widerseyen, geruhte, den Bräutigam anzu-
erkennen und ihn wie einen familienangehörigcn
zu behandeln. Lr erhielt demnach das Recht, jeden
Augenblick bei ihnen zuzubringen, ihreAngelegen-
heiten zu erledigen und alle ihre Sorgen zu theilcn.
Run mühte sich die Mutter noch eifriger um
das Glück ihrer Tochter und trachtete danach, die
künftigen Eheleute zu vervollkommnen, indem sie
anfing, beide auf ihre Schwächen mit dürren Worten
aufmerksam zu machen. Was sich auch ihren wohl-
wollenden Blicken hätte entziehen können, brachte
sie an's Licht, besprach es in's Einzelne, indem sie
jedesmal den einen zum Wähle des anderen scharf
tadelte, behauptend, daß Menschen, die ewig zu-
sammen leben sollen, sich vorher genau kennen
lernen müßten. Das schütze vor sehr unangeneh-
men Ueberraschungen — es gäbe Beweise.
Streng gegen die kleinsten Hehler der Andern,
war sie auch unnachsichtig gegen sich selbst. In-
dem sie mit den Worten: „Ich bin so. . . .“ be-
gann, gab sie dem Bräutigam jeden Augenblick
Gelegenheit zu konftatiren, daß auch sie, seine künf-
tige Schwiegermutter, noch weit von der Vollkom-
menheit entfernt sei; dabei vergaß sie allerdings
nicht, ihre Anhänglichkeit an ihre Tochter zu bc-
theuern und ihm zu versichern, daß sie sich nie von
ihr trennen und daß beide, so lange ihr der Himmel
das Leben schenke (seit einiger Zeit fühlte sie sich
seltsam gesund . . . >, ihre Person, ihren Rath und
ihre Erfahrung stets, stets bei sich haben würden.
In dieser weise stärkte sie allmählich und aus-
dauernd seinen Glauben an eine gute Zukunft.
Eines Tages erschien der tägliche Gast nicht,
dagegen schickte er bald darauf den Ring zurück.
Als nun die Mutter den Schmerz des Mäd-
chens sah, fand sie nicht Worte genug, ihre Ent-
rüstung auszudrücken. „Der Elende! Da hast
Du einen Beweis dafür, wie er Dich liebte! . . .
Und ich habe gewarnt.... erinnerst Du Dich
wohl? . . . Ich sagte gleich, daß daraus nichts
werden würde! . . . .“
(Au» dem poliiiftbe» von MT. tl.)
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