1897
JUGEND
Nr. 45
E. Neumann (München).
trug er der Versammlung die Gesetze uor und als
ihm Niemand bei der Schulverwaltung betzilflich sein
wollte, entschied er selbst unter einem Donner von
Flüchen, was gethan werden müßte. Doch als er
mit seinem Buche unter dem Arm hinausging, wichen
sie zurück und Keiner wagte, ihn anzurühren. Man
kann sich die Freude meiner Mutter denken, als sie
ihn ruhig wie immer zurückkommen sah.
In dieser Umgebung wuchs Blaaken auf. Seine
Mutter war eine große, rothe Stute aus Guds-
brandsdalen, deren Anblick schon Vergnügen be-
reitete; sein Vater ein wilder Hengst, eine Art Fjord-
pferd, das in diesem fremden Drt sich nie recht
heimisch gefühlt hatte. Sogleich hatte man von
Blaaken behauptete „Das wird das stärkste Pferd,
das man je im Korden gesehen hat", und da ich
an Geschichten von Kämpfen und Ungeheuern von
Jugend auf gewöhnt war, so betrachtete ich das
kleine Füllen als einen sehr begabten Kameraden.
Rieht, daß er mir gegenüber sehr liebenswürdig
gewesen wäre — ich trage setzt noch die Spur seines
Hufes Über dem rechten Auge. Richts desto weniger
folgte ich beständig der Stute und dem Füllen, ich
schlief mit ihnen auf dem Felde und legte mich
zwischen die Beine der Stute, während sie fraß.
Einmal folgte ich ihnen zu lange; der Tag war
heiß gewesen; ich war in einer Scheune einge-
schlafen, wo wir alle Schatten gesucht hatten. Die
Stute und das Füllen ließen mich allein und ich
schlief weiter. Man schickte überall umher, und
schließlich kamen die Leute, die schon alle Richt-
ungen abgesucht hatten, mit der Meldung nach
Hause zurück, ich wäre verloren gegangen. Man
kann sich die Angst meiner Eltern denken; die
Felder und der Wald wurden abgesucht, die Bäche
und Schluchten, bis mich schließlich Jemand in
der Scheune weinen hörte und mich im Hafer
sitzen sah. Ich war so erschrocken, daß ich einen
Augenblick gar nicht sprechen konnte, denn ein
großes Thier war vor mir stehen geblieben und
hatte mich mit bösem Blicke angeschaut. Db ich es
geträumt oder wirklich gesehen habe, kann ich nicht
sagen; doch jedenfalls erwachte ich vor mehreren
Jahren plötzlich und sah das Thier wieder.
Blaaken und ich, wir verschafften uns Kameraden;
erst einen kleinen Hund, der mir das Zuckerftehlen
beibrachte, dann eine Katze, die eines Tages plötz-
lich in der Küche erschien; ich hatte nie eine Katze
gesehen, daher wurde ich ganz blaß, rannte schnell
hinaus und rief, eine große Maus wäre vom Keller
heraufgekommen. Im folgenden Jahre vermehrte
sich unser Freundeskreis; ein kleines
Lchwein schloß sich unserer Truppe an ; und
so sahen das Schwein, die Katze, der Hund
und ich Blaaken nach, wenn es seiner
Butter zur Arbeit folgte. Wir wandten
unsere Zeit gut an und schliefen den besten
Theil des Tages zusammen. Ich gab diesen
Kameraden Alles, was ich selbst liebte;
dem Schwein brachte ich sogar meinen silber-
nen Löffel, damit es recht sauber effen
sollte; die Folge war, daß es den Löffel
verschlang. Wenn ich meine Eltern bei
ihren Besuchen zu den Leuten im Thale begleitete,
kamen der Hund, die Katze und das Schwein mit.
Die ersten beiden stiegen mit uns in die Fähre,
um über den Fluß zu kommen, das Schwein knurrte
ein bischen, dann entschloß es sich, zu schwimmen.
Rachdem wir uns, ein jeder nach seinem Ge-
schmacke, gütlich gethan, kehrten wir Abends in
demselben Aufzuge nach Hause zurück.
Doch bald verlor ich diese Gefährten und be-
hielt nur Blaaken. Mein Vater bekam eine Pfarre
in Roeffel in Römsdal. Das war ein merkwürd-
iger Tag, an dem wir abreiften, die Kinder und
unser Dienstmädchen in einem kleinen, auf einem
langen Schlitten erbauten Hause, in dem uns weder
Wind noch Schnee etwas anhaben konnten. Die
Eltern in einem breiten Schlitten voraus, von den
Leuten umgeben, die uns immer und immer wieder
Lebewohl sagen wollten. Ich kann nicht sagen, daß
ich sehr betrübt gewesen; ich war erst S Jahre
alt und wußte, daß man mir in Drontheim einen
Hut, eine Jacke und ein Beinkleid gekauft hatte,
die ich bei meiner Ankunft bekommen sollte! Und
in unserem neuen Heim sollte ich zum ersten Male
das Meer sehen! Und außerdem nahmen wir
Blaaken mit!
Dort im pfarrhause zu Roeffel, einem der
schönsten Höfe des Landes, der zwischen zwei Fjorden
gegenüber einem Wasserfall und einer Besitzung
liegt, dort im pfarrhause zu Roeffel empfing ich
meine ersten starken Eindrücke, doch die lebhaftesten
verursachte mir Blaaken, denn auch er war ge-
wachsen, er war ein Riese geworden und verrichtete
die Arbeit eines Riesen.
Er war nicht übermäßig hoch, doch dafür war
er ungewöhnlich lang und geradezu lächerlich breit;
er war weißlich, daher auch sein Rame, eher gelb
als weiß, mit einer dunkeln, außerordentlich schönen
Mähne. Lr arbeitete wie ein Dchs und zog ein
Gewicht, mit dem zwei Pferde nicht zu Stande
gekommen wären. Dabei konnte man aber sicher
sein, daß die Sachen gut an Drt und Stelle
kommen würden. Während die Arbeitsleute ihm
die doppelte und dreifache Last aufpackten, hatte
er die Gewohnheit, den Kopf zu wenden und sie
anzusehen, und man mußte ihm drei- bis vier-
mal befehlen, anzuziehen, bevor er sich dazu ent-
schloß. Dann machte er zwei Versuchsbewegungen
und setzte sich in Zug. Er ging gemäßigt, Schritt
für Schritt. Wenn ein neuer Knecht ihn zu einer
schnelleren Gangart antreiben wollte, so mußte
sich der Mann schließlich der seinigen fügen.
Man gebrauchte niemals eine peitsche, denn das
kräftige Arbeitsthier war so beliebt, daß man
ihm gegenüber nur Liebkosungen anwandte. Es
wurde eine Ehre, ihn zu lenken, so berühmt hatte
er sich gemacht.
Blaaken war das Wunder der Gegend. Wie
es immer der Fall ist, wenn etwas Großes uns
erregt, so stößte er zuerst Furcht und Entsetzen ein,
denn wenn er mit den andern Pferden des Kirch-
spiels auf die Weide getrieben wurde, so wollte er
alle Stuten für sich allein haben. Er stieß und
biß seine Rivalen derart, daß die Bauern nach
dem pfarrhause zogen und Schadenersatz verlangten.
Bald aber kamen sie nicht mehr, denn sie sahen
ein, daß sie schon so wie so entschädigt waren; die
Rachkommenschaft Blaakens war berühmt! Doch
bisher hatte sich seine Ueberlegenheit nur unwürdigen
Rivalen gegenüber geäußert. Unser Rachbar, der
Lieutenant, wollte dies ändern und ließ sich eines
Tages zwei prächtige Pferde aus Gudbrandsdalen
kommen, die Blaaken Respekt beibringen sollten.
Man wettete für und wider. Was ist nicht über
ihr erstes Zusammentreffen im Frühling bei den
Weideplätzen geschwatzt worden! Ich erinnere
mich noch ganz genau; es war an einem Pfingst-
abend, als ein Mädchen angelaufen kam und
erzählte, die beiden Thiere des Lieutenants ständen
bei der Mühle. Jeder eilte hin, um zu sehen;
die beiden prächtigen Pferde standen da, zitternd
und aus zahlreichen Wunden blutend, sie hatten
mit den schrecklichen Zähnen Blaakens Bekannt-
schaft gemacht! Die Furcht hatte ihnen sogar die
Kraft verliehen, den Skigar zu überspringen, und
sie hatten nicht eher Halt zu machen gewagt, als
bis sie im Hause waren. Das Lob Blaakens ertönte
den ganzen Tag vor der Kirche, und sein Ruf
verbreitete sich über Berge und Flüffe. - -
Fast in jedem Jahr raubte der Bär aus der
Umgegend eine große Anzahl von Kühen und
Schweinen, uns und andern, plötzlich hörten wir
die Schäfer schreien und die Hunde heulen; und
wenn die Glocke ertönte, liefen die Ackerknechte
eiligst mit Waffen, Stöcken und Eisenstangen auf
die Weideplätze; sie kamen stets zu spät, entweder
hatte der Hund den Bären verjagt
oder das Thier war fortgeschleppt
worden, bevor Hilfe kam. Die
Pferde vertheidigten sich besser,
doch manchmal lockte der Bär
das Pferd in einen Sumpf,
wo es einsank und eine leich-
te Beute wurde. In einem
Sommer ging es besonders
Fritl Erler,
JUGEND
Nr. 45
E. Neumann (München).
trug er der Versammlung die Gesetze uor und als
ihm Niemand bei der Schulverwaltung betzilflich sein
wollte, entschied er selbst unter einem Donner von
Flüchen, was gethan werden müßte. Doch als er
mit seinem Buche unter dem Arm hinausging, wichen
sie zurück und Keiner wagte, ihn anzurühren. Man
kann sich die Freude meiner Mutter denken, als sie
ihn ruhig wie immer zurückkommen sah.
In dieser Umgebung wuchs Blaaken auf. Seine
Mutter war eine große, rothe Stute aus Guds-
brandsdalen, deren Anblick schon Vergnügen be-
reitete; sein Vater ein wilder Hengst, eine Art Fjord-
pferd, das in diesem fremden Drt sich nie recht
heimisch gefühlt hatte. Sogleich hatte man von
Blaaken behauptete „Das wird das stärkste Pferd,
das man je im Korden gesehen hat", und da ich
an Geschichten von Kämpfen und Ungeheuern von
Jugend auf gewöhnt war, so betrachtete ich das
kleine Füllen als einen sehr begabten Kameraden.
Rieht, daß er mir gegenüber sehr liebenswürdig
gewesen wäre — ich trage setzt noch die Spur seines
Hufes Über dem rechten Auge. Richts desto weniger
folgte ich beständig der Stute und dem Füllen, ich
schlief mit ihnen auf dem Felde und legte mich
zwischen die Beine der Stute, während sie fraß.
Einmal folgte ich ihnen zu lange; der Tag war
heiß gewesen; ich war in einer Scheune einge-
schlafen, wo wir alle Schatten gesucht hatten. Die
Stute und das Füllen ließen mich allein und ich
schlief weiter. Man schickte überall umher, und
schließlich kamen die Leute, die schon alle Richt-
ungen abgesucht hatten, mit der Meldung nach
Hause zurück, ich wäre verloren gegangen. Man
kann sich die Angst meiner Eltern denken; die
Felder und der Wald wurden abgesucht, die Bäche
und Schluchten, bis mich schließlich Jemand in
der Scheune weinen hörte und mich im Hafer
sitzen sah. Ich war so erschrocken, daß ich einen
Augenblick gar nicht sprechen konnte, denn ein
großes Thier war vor mir stehen geblieben und
hatte mich mit bösem Blicke angeschaut. Db ich es
geträumt oder wirklich gesehen habe, kann ich nicht
sagen; doch jedenfalls erwachte ich vor mehreren
Jahren plötzlich und sah das Thier wieder.
Blaaken und ich, wir verschafften uns Kameraden;
erst einen kleinen Hund, der mir das Zuckerftehlen
beibrachte, dann eine Katze, die eines Tages plötz-
lich in der Küche erschien; ich hatte nie eine Katze
gesehen, daher wurde ich ganz blaß, rannte schnell
hinaus und rief, eine große Maus wäre vom Keller
heraufgekommen. Im folgenden Jahre vermehrte
sich unser Freundeskreis; ein kleines
Lchwein schloß sich unserer Truppe an ; und
so sahen das Schwein, die Katze, der Hund
und ich Blaaken nach, wenn es seiner
Butter zur Arbeit folgte. Wir wandten
unsere Zeit gut an und schliefen den besten
Theil des Tages zusammen. Ich gab diesen
Kameraden Alles, was ich selbst liebte;
dem Schwein brachte ich sogar meinen silber-
nen Löffel, damit es recht sauber effen
sollte; die Folge war, daß es den Löffel
verschlang. Wenn ich meine Eltern bei
ihren Besuchen zu den Leuten im Thale begleitete,
kamen der Hund, die Katze und das Schwein mit.
Die ersten beiden stiegen mit uns in die Fähre,
um über den Fluß zu kommen, das Schwein knurrte
ein bischen, dann entschloß es sich, zu schwimmen.
Rachdem wir uns, ein jeder nach seinem Ge-
schmacke, gütlich gethan, kehrten wir Abends in
demselben Aufzuge nach Hause zurück.
Doch bald verlor ich diese Gefährten und be-
hielt nur Blaaken. Mein Vater bekam eine Pfarre
in Roeffel in Römsdal. Das war ein merkwürd-
iger Tag, an dem wir abreiften, die Kinder und
unser Dienstmädchen in einem kleinen, auf einem
langen Schlitten erbauten Hause, in dem uns weder
Wind noch Schnee etwas anhaben konnten. Die
Eltern in einem breiten Schlitten voraus, von den
Leuten umgeben, die uns immer und immer wieder
Lebewohl sagen wollten. Ich kann nicht sagen, daß
ich sehr betrübt gewesen; ich war erst S Jahre
alt und wußte, daß man mir in Drontheim einen
Hut, eine Jacke und ein Beinkleid gekauft hatte,
die ich bei meiner Ankunft bekommen sollte! Und
in unserem neuen Heim sollte ich zum ersten Male
das Meer sehen! Und außerdem nahmen wir
Blaaken mit!
Dort im pfarrhause zu Roeffel, einem der
schönsten Höfe des Landes, der zwischen zwei Fjorden
gegenüber einem Wasserfall und einer Besitzung
liegt, dort im pfarrhause zu Roeffel empfing ich
meine ersten starken Eindrücke, doch die lebhaftesten
verursachte mir Blaaken, denn auch er war ge-
wachsen, er war ein Riese geworden und verrichtete
die Arbeit eines Riesen.
Er war nicht übermäßig hoch, doch dafür war
er ungewöhnlich lang und geradezu lächerlich breit;
er war weißlich, daher auch sein Rame, eher gelb
als weiß, mit einer dunkeln, außerordentlich schönen
Mähne. Lr arbeitete wie ein Dchs und zog ein
Gewicht, mit dem zwei Pferde nicht zu Stande
gekommen wären. Dabei konnte man aber sicher
sein, daß die Sachen gut an Drt und Stelle
kommen würden. Während die Arbeitsleute ihm
die doppelte und dreifache Last aufpackten, hatte
er die Gewohnheit, den Kopf zu wenden und sie
anzusehen, und man mußte ihm drei- bis vier-
mal befehlen, anzuziehen, bevor er sich dazu ent-
schloß. Dann machte er zwei Versuchsbewegungen
und setzte sich in Zug. Er ging gemäßigt, Schritt
für Schritt. Wenn ein neuer Knecht ihn zu einer
schnelleren Gangart antreiben wollte, so mußte
sich der Mann schließlich der seinigen fügen.
Man gebrauchte niemals eine peitsche, denn das
kräftige Arbeitsthier war so beliebt, daß man
ihm gegenüber nur Liebkosungen anwandte. Es
wurde eine Ehre, ihn zu lenken, so berühmt hatte
er sich gemacht.
Blaaken war das Wunder der Gegend. Wie
es immer der Fall ist, wenn etwas Großes uns
erregt, so stößte er zuerst Furcht und Entsetzen ein,
denn wenn er mit den andern Pferden des Kirch-
spiels auf die Weide getrieben wurde, so wollte er
alle Stuten für sich allein haben. Er stieß und
biß seine Rivalen derart, daß die Bauern nach
dem pfarrhause zogen und Schadenersatz verlangten.
Bald aber kamen sie nicht mehr, denn sie sahen
ein, daß sie schon so wie so entschädigt waren; die
Rachkommenschaft Blaakens war berühmt! Doch
bisher hatte sich seine Ueberlegenheit nur unwürdigen
Rivalen gegenüber geäußert. Unser Rachbar, der
Lieutenant, wollte dies ändern und ließ sich eines
Tages zwei prächtige Pferde aus Gudbrandsdalen
kommen, die Blaaken Respekt beibringen sollten.
Man wettete für und wider. Was ist nicht über
ihr erstes Zusammentreffen im Frühling bei den
Weideplätzen geschwatzt worden! Ich erinnere
mich noch ganz genau; es war an einem Pfingst-
abend, als ein Mädchen angelaufen kam und
erzählte, die beiden Thiere des Lieutenants ständen
bei der Mühle. Jeder eilte hin, um zu sehen;
die beiden prächtigen Pferde standen da, zitternd
und aus zahlreichen Wunden blutend, sie hatten
mit den schrecklichen Zähnen Blaakens Bekannt-
schaft gemacht! Die Furcht hatte ihnen sogar die
Kraft verliehen, den Skigar zu überspringen, und
sie hatten nicht eher Halt zu machen gewagt, als
bis sie im Hause waren. Das Lob Blaakens ertönte
den ganzen Tag vor der Kirche, und sein Ruf
verbreitete sich über Berge und Flüffe. - -
Fast in jedem Jahr raubte der Bär aus der
Umgegend eine große Anzahl von Kühen und
Schweinen, uns und andern, plötzlich hörten wir
die Schäfer schreien und die Hunde heulen; und
wenn die Glocke ertönte, liefen die Ackerknechte
eiligst mit Waffen, Stöcken und Eisenstangen auf
die Weideplätze; sie kamen stets zu spät, entweder
hatte der Hund den Bären verjagt
oder das Thier war fortgeschleppt
worden, bevor Hilfe kam. Die
Pferde vertheidigten sich besser,
doch manchmal lockte der Bär
das Pferd in einen Sumpf,
wo es einsank und eine leich-
te Beute wurde. In einem
Sommer ging es besonders
Fritl Erler,