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Nr. 45

JUGEND

1897

Die Schwarzen kommen >

Fraui Christophe (München).

ungen zusammen 'und machte Amalien Kompli-
mente darüber. Infolgedessen suhlte sich Amalie
geschmeichelt und spielte, >vie es Frauen so leicht
wird, die Rolle, welche sich als die dankbarste
erwies, die Rolle des starken, unabhängigen Cha-
rakters, der freien Seele in eng herziger Umgebung.
Ich ging verliebt nach Hause. Hütte ihr Vater
sich den Zahn einen Tag später ziehen lassen, so
wäre sic mir überhaupt nicht ausgefallen."

„Und wäre Dein erster günstiger Eindruck
nicht immer mehr gewachsen, so hättest Du sie
trotz dem verhüngnißvollenZahn nicht geheiratet."

„Ach, mein Lieber, was hat es für einen Ziveck,
Dir alle die Zufälle zu erzählen, die mich in dem
Glauben bestärkten, sie sei selbständig, während
sie nur herrschsüchtig ist? Wäre sie selbständig,
dann hätte sie sich ja längst von mir getrennt.
Denn sie haßt mich. Und doch lebt sie lieber mit
einem verhaßten Mann als mit gar keinem. Das
hat sie mir ehrlich zugestanden. Ich bin ihr zu-
wider, und doch kontrolirt sie mich auf Schritt
und Tritt mit eifersüchtigem Argwohn. Meine
Gegenwart macht sie verdrießlich, aber meine
Abwesenheit noch mehr. Sic kann rasend tverden,
wenn ich unpünktlich bin. Sie behauptet, es mache
sie krank, ans mich warten zu müssen. Ich lebe
förmlich mit der Uhr in der Hand . .." Oskar
zog wie zur Bestätigung abermals seine Uhr aus
der Tasche. „Zwanzig Minuten bis acht," sagte
er vor sich hin. „Also noch fast eine Viertel-
stunde."

„Armer Freund," sprach Theodor leise. „Nun
versteh' ich leider, warum Du nicht mehr der
fidelc Oskar Dorn bist. Aber was hat Werthner
mit der Sache zu thun? Und wieso ist.es ein
Zufall. .."

Oskar war wieder aufgesprungen. „Was
Werthner damit zu thun hat? Er war zufällig
auch in Amalie verliebt, zur gleichen Zeit wie ich."

„Potztausend."

„Und weißt Du, wodurch es bewirkt wurde,
daß Amalie heute Frau Dorn und nicht Frau
Werthner ist?"

„Nein; wodurch?"

„Durch ein paar enge Stiefel."

„Das ist mir wieder vollständig unklar."

„Und ist doch so einfach wie möglich! Werthner
und ich machten Amalie den Hof. Uns Beide be-
vorzugte sie auffällig vor allen Andern. Aber sie
bevorzugte uns gleichmäßig. Sie war ängstlich
bemüht, uns merken zu lassen, daß wir in ihrer
Gunst auf ein und derselben Stufe stünden, und
entfesselte dadurch einen verzweifelten Wettkampf
der Galanterie. Je mehr wir uns gegenseitig in
Ritterdiensten überboten, um so weniger vermochte
ihr Herz eine Entscheidung zwischen uns zu treffen.
Eines schönen Tages faßte ich endlich kurzer Hand
den Entschluß, mich ihr zu erklären. Ich wohnte
zufällig sehr weit von ihr entfernt, hielt es jedoch

bei meinem erregten Zustand für empfehlenswcrth,
den Weg zu Fuß znrückznlegen; auf diesem kleinen
Marsch hoffte ich die nöthige Sammlung für den
bevorstehenden großen Augenblick zu erringen.
Aber ich hatte nicht mit meinen neuen Stiefeln
gerechnet. Als ich ans die Straße kam, entdeckte
ich, daß sie mich mörderisch drückten. Sollte ich
noch einmal meine vier Stiegen hinaufklettern
und das elegante neue Paar mit einem schäbigen
alten vertauschen? Nein. Aber vom Gehen war
keine Rede. Ich ächzte bei jedem Schritt. Es
blieb also nichts übrig, als mir eine Droschke zu
nehmen. Es ivar zufällig eine sehr gute Droschke.
Sie fuhr wie der Wind. Und eine Viertelstunde
später hatte Amalie mir mit schämigem Erröthcn
ihr Jawort zugehaucht."

„Aber nun begreif' ich iloch immer nicht..."

„Du wirst sogleich begreifen. Fünf Minuten
nach mir kam Werthner. Während ich mit Amalie
sprach, ging er, als der Correctere, zunächst zum
Väter. Dieser gab ihm ohne Weiteres seinen
Scgeii, unter der Voraussetzung, daß seine Toch-
ter einverstanden sei. Er geleitete Werthner zum
Boudoir: aber an der Schwelle traten Amalie
und ich ihm als Brautpaar entgegen. — Schon
ans der Hochzeitsreise hat meine Frau mir be-
kannt, daf; sie Werthner damals gerade so gut
leiden konnte wie mich, und daß sie unbedenklich
Ja gesagt hätte, wenn er zuerst gekommen wäre.
Er untre aber zuerst gekommen, wenn meine neuen
Stiefel mich nicht gedrückt hätten."

„Wie konnte sie überhaupt Werthner und Dich
in eine Reihe stellen? Ein Mensch, dem Du in
jeder Beziehung überlegen bist! Weiß sie denn
Deine großen Vorzüge gar nicht zu schätzen?"

„Nein. Sie weiß nur Werthners Vorzüge zu
schätzen. Hütte Werthner sie geheirathet, so wäre
es natürlich umgekehrt."

Eine Pause trat ein. Oskar lehnte am Tisch
und studirte melancholisch die Etikette der Rhein-
weinslasche, währeno nun Theodor nachdenklich
auf und ab ging. „Höre," sagte er, plötzlich vor
ihm Halt machend, „gehst Du in Deiner dämon-
ischen Auffassung vom Zufall so weit, daß Du

Originalholxschntll v. Slurgc Moore.

icde Möglichkeit der freien Selbstbestimmung,
jeden Erfolg einer kräftigen Willensäußerung
bestreitest?"

„Aber, Theuerster, lvas nützt mein Wille, wenn
der Zufall anders will?"

„L>v scheint es Dir also gerathen, Dich ohne
den leisesten Versuch einer Gegenwehr seinen Lau-
nen zu überlassen?"

. „Durchaus nicht. Ich ivehre mich genau so,
>vic der Käfer sich wehrt, dem die bösen Buben
einen Faden an's Bein gebunden haben. Ich
zappele, soviel ich kann. Nur weiß ich im Voraus,
baß cs mir wenig hilft."

„Wenn Euer Zusammenleben in der That so
unerfreulich ist, dann mußt Du unter allen Um-
ständen eine Trennung durchsetzen, ivenigstens
für einige Zeit."

„Haha, ich sagte Dir ja schon, daß meine Frau
mich nicht losläßt. Gutwillig gewiß nicht. Und
wenn ich ihr durchginge, dann würde sie mir
nachreisen bis an's Ende der Welt. Bei der leise-
sten Andeutung, die ich in diesem Sinne wage,
ruft sie wüthend: .Warum bist Du Werthner zu
vorgekommen? War ich damals ans Dich an-
gewiesen? Und heute, wo ich durch Deine Schuld
vorzeitig eine alte Frau getvorden bin' — das
behauptet sie nämlich, obgleich sie nie besser aus-
gesehen hat als jetzt — .heute willst Du zu alt
Deinen Schlechtigkeiten auch noch die Erbärmlich-
keit fügen, mich im Stiche zu lassen?'"

„Aber wenn Du ihr in aller Ruhe einmal
vorstellen fvürdest, daß in Eurem beiderseitigen
Interesse..."

Oskar hörte diese Worte nicht. Er hatte wieder
seine Uhr heranSgezogen und starrte mit offenem
Mund auf das Zifferblatt. „Immer noch zwanzig
Minuten bis acht? Aber das ist ja unmöglich..."
Er hielt das Gehäuse an sein Ohr. „Alle Wetter,
sie ist stehen geblieben

„Es ist halb Neun vorbei", sagte Theodor,
nachdem er seine eigene Uhr cvnsnltirt hatte.

„Halb Neun vorbei! Himmlischer Vater!"
Oskar gerieth in einen Zustand unbeschreiblicher
Aufregung. Er rannte wie besessen herum, suchte
seinen Hut, stolperte über mehrere Stühle und
warf eines der Weingläser vom Tisch, daß es
klirrend zerbrach.

Theodor sah ihm ärgerlich zu. „Wie kann sich
ein Mann so ins Bockshorn jagen lassen! Du
wirst ihr einfach sagen, daß wir etwas länger
mit einander geplaudert haben, und damit gut."

„Haha, wenn Du wüßtest... Das lvird einen
Austritt geben... Diese Weinkrämpfe... und
dann diese Herzkrämpfe... und dann. . Gottlob,
da ist er!" Er packte den Hut, den er endlich ans
einem Sessel entdeckt hatte. „Leb' wohl, Theodor...
Hoffentlich sehen wir uns noch ..." Und ohne
des Freundes Erividernng abzuwarten, rannte
er nach der Thür.

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Register
Franz Christophe: Die Schwarzen kommen!
Thomas Sturge Moore: Vignette
 
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