Nr. 46
JUGEND
1897
Leo Prochownik (Berlin).
Prosa, Verse, Lyrik, Epik, Drama,
Alles hätt' ich dankend angenommen,
was die Hohe mir gewähren wollte.
Aber ach! statt ihres Wortes Lrzklang
Hört' ich plötzlich neben mir ein Stimmchen,
Flehend ein vertrautes zartes Stimmchen —
Kaum drei Jahre sind's, daß ich cs kenne —
Und mein Töchtcrlein, das kleine, blonde,
Sagte: „Du, Papa, gib mir den Leistip!"
(Denn, als wäre sie von den Modernen,
welche symbolistisch Wörter modeln,
Sagt statt Bleistift sie beharrlich Leistip.)
Pädagogisch-logisch gab ich Antwort:
„wozu willst Du ihn?" Und sie: „Zum
Scheiben."
(Denn das R macht ihr noch Schwierigkeiten).
„Und was willst Du schreiben?" Lange sinnend
Stand sie, sah mich an mit Schelmenaugen
Und erwidert mit erhab'ner Kürze:
,,Nix."
Mich aber trafs! was ist mein Dichten,
Aller Dichter allerschönstes Dichten?
was bcdeutet's vor dem Angesichte
Ewig schaffender Natur? was gilt es
Gegen Kindermund und Kindcraugen?
Nichts. Und zürnend, da ich ihr nicht lauschte,
wendet sich die Muse, lachend nehm' ich
(Schon zerbrochen hat's den schönen Leistip)
Mein geliebtes Kind in meine Arme —
Und die „Jugend" kommt um einen Beitrag.
!Nax Bernstein.
Banger Abend
Nacht neigt sich auf die Gassen;
Ich fühl' mich so verlassen,
Bin nirgends zu Haus.
Die Zimmer werden helle;
Mir winkt hier keine Schwelle,
Ich geh' zum kleinen Flusse, der zwischen
wiesen stießt hinaus.
Sein Fließen ist so leise;
Im weiten Wiesenkreise
Liegt graue Stummheit schwer.
Ich sch' mein Leben fließen;
Flach zwischen fahlen wiesen
Verrinnt es ohne Klingen müd in ein
tiefes, graues Meer.
OTTO JULIUS BIERBAUM.
Abschied vom Regiment
In einem Akt
von
Gtto Erich Dartleben.
(Den Bühnen gegenüber Mauuscript.)
Personen:
Ernst Griesfeld, Hauptmann.
Olga, seine Frau.
Gustav von Prandau, Premierlieutenant.
Uldmann, ^ HauMnte.
Ort der Handlung: Eine kleine Garnison.
Zeit: Gegenwart.
Szene:
Das Eßzimmer bei Grtcsfelds. Alles in großer Unord-
nung. Tic Gardinen und die Bilder sind abgenommen.
Ucbcrall stehen Kisten und Koffer. Nur in der Mitte
der Bühne der große Eßttsch, rechts an der Wand ein
Sopha, und links das Büffet, sowie noch einige Sessel
stehen da. Der Eßttsch steht ganz voller Bouquets, von
jur» Theil riesige» Dimensionen. — Rechts führt eine
Thür in Olgas Schlafzimmer, links eine in den Korridor.
Im Hintergründe große Fenster, in der Mitte Glasthür,
die offen steht. Dahinter Terrasse mit Freitreppe in den
Garten. Es ist io Uhr Abends.
(Wenn der Vorhang aufgeht, ist die Bühne dunkel,
nur von einer Laterne, die im Hintergründe
am Garteneingang brennt, erleuchtet. Olga
tritt von rechts aus dem Schlafzimmer mit
einem Licht.)
Olga (ist in einem ganz leichten, sehr geschmack-
vollen Neglige. Sie stellt das Licht auf eine
Kiste, geht nach hinten, und verschwindet einen
Augenblick auf der Terrasse. Sie kommt zurück
und späht aufmerksam hinaus. Sie fährt zu-
sammen.)
Gustav (im Ucbcrrock, in großer Hast, flüsternd,
führt sie schnell nach vorn): Komm hier vom
Fenster weg. Wenn man uns sieht. ..
Olga: Gustav! Was hast Du denn? Was ist
denn geschehen?
Gustav: Nichts, aber... ich habe keine Zeit,
Liebste. Ich muß sofort ivieder hinaus!
Olga: Aber iveshalb? Das Liebesmahl dauert
noch lange.
Gustav: Nein, nein! Das ist es ja eben. Sie
sind schon beim Aufbruch! Sic wollen ihn
mit Musik nach Hause bringen. Sic müssen
gleich kommen.
Olga: Wie ist das möglich! Es ist erst zehn.
Gustav: Ja, Dein Mann — sag mal: weiß er
denn was?
Olga: Keine Spur.
Gustav: Sv? — Na, schon bei Tisch in seiner
Abschiedsrcde .. er hatte so merkivürdige Wend-
ungen . . wir saßen Alle auf Kohlen. Dann
wurde er schauderhaft sentimental. Es lvar
peinlich. Schließlich seht er sich mit Stein und
Feldmann zusammen, und soll da auch noch
anz verworrenes, brenzliches Zeug geredet
aben. Kurz: es war 'ne höchst unbehagliche
Stimmung, wollte absolut keine Gemüthlichkcit
aufkommen. Ich merkte, wie der Oberst un-
ruhig wurde und schon un Begriff stand, das
Zeichen zum Ausbruch zu geben. Da könnt'
ich mich g'rade noch drücken und bin den Weg
hierher gelaufen. — Liebstes, süßestes Weib:
Ivir müssen uns trennen .. jetzt.
Olga: Nein! Jetzt nicht! So nicht.. o Gustav!
Gustav: Es muß sein, Liebste. Lebewohl, leb'
wohl. (Er küßt sie.)
Olga: Ich lasse Dich nicht.
Gustav: Ich kann nicht bleiben.
Olga: Ich kann Dich nicht lassen: so nicht, in
dieser Hast: so kann ich nicht von Dir scheiden.
Küsse mich. (Er umarmt sie.)
Olga: Gustav! Bist Du froh, daß Du mich los
wirst!
Gustav: Hab'Dank: Hab'Dank für Deine Liebe!
Und nun leb' wohl.
Olga: Nein, es ist unmöglich!
Gustav: Aber sie kommen. Sie folgen mir ja
auf dem Fuße! Bedenke doch!
Olga: Dann später! Ja! Später! Wenn sich
Alles verlaufen hat.
Gustav: Aber Dein Mann!
Olga: Mein Mann .. oh der schläft. Ich kenne
ihn. Wen» er heiinkommt, wird er sofort cin-
schlnsen. Ich schleiche mich dann hinaus. Wir
treffen uns dann im Garte». In der Laube.
Du erwartest mich. Ja! Es ist ganz gesahr-
los. Ich verstecke das Feuerzeug. Du mußt!
Du sollst! Hörst Du?
G u st a v: Ja, ja, aber —
Olga: Nichts, nichts. Du kommst, Du ivartcst
auf mich! Ich lasse Dich sonst nicht los!
Gustav: Nun gut. Ich iverdc da sein.
Olga: Du schwörst cs!
Gustav: Ja.
Olga: Du wirst mich erwarten?
Gustav: Ja.
Olga: Dein Ehrenwort!
Gustav: Mein Ehrenwort.
Olga (läßt ihn los): Geh!
Gustav: Leb' wohl!
Olgas Auf Wiedcrsch'n!
Gustav (schnell ab).
Olga (folgt ihm langsam in den Hintergrmid).
Man hört die herannahende Militärmusik, zuerst
nur die große Trommel. Sic wird lauter. Sie
spielt die Melodie: „Ich hatt' einen Kameraden.."
Sie nehmen vor dem Garten Ausstellung. Es
wird mitgcsungen. Man hört die Strophe:
Eine Kugel kam geflogen,
Gilt's mir, oder gilt cs Dir?
Ihn hat es wcggerissen.
Er liegt zu meinen Füßen,
Als wär's ein Stück von mir.
(Man hört die Stimme des Obersten: Also, noch
einmal, meine Herren: Unser lieber Gricsscld,
er lebe hoch! Die Musik spielt dreimal Tusch,
dreimaliges Hoch! Der Hintergruud des Gar-
tens und der Straße ist von Lampions erhellt.)
776
JUGEND
1897
Leo Prochownik (Berlin).
Prosa, Verse, Lyrik, Epik, Drama,
Alles hätt' ich dankend angenommen,
was die Hohe mir gewähren wollte.
Aber ach! statt ihres Wortes Lrzklang
Hört' ich plötzlich neben mir ein Stimmchen,
Flehend ein vertrautes zartes Stimmchen —
Kaum drei Jahre sind's, daß ich cs kenne —
Und mein Töchtcrlein, das kleine, blonde,
Sagte: „Du, Papa, gib mir den Leistip!"
(Denn, als wäre sie von den Modernen,
welche symbolistisch Wörter modeln,
Sagt statt Bleistift sie beharrlich Leistip.)
Pädagogisch-logisch gab ich Antwort:
„wozu willst Du ihn?" Und sie: „Zum
Scheiben."
(Denn das R macht ihr noch Schwierigkeiten).
„Und was willst Du schreiben?" Lange sinnend
Stand sie, sah mich an mit Schelmenaugen
Und erwidert mit erhab'ner Kürze:
,,Nix."
Mich aber trafs! was ist mein Dichten,
Aller Dichter allerschönstes Dichten?
was bcdeutet's vor dem Angesichte
Ewig schaffender Natur? was gilt es
Gegen Kindermund und Kindcraugen?
Nichts. Und zürnend, da ich ihr nicht lauschte,
wendet sich die Muse, lachend nehm' ich
(Schon zerbrochen hat's den schönen Leistip)
Mein geliebtes Kind in meine Arme —
Und die „Jugend" kommt um einen Beitrag.
!Nax Bernstein.
Banger Abend
Nacht neigt sich auf die Gassen;
Ich fühl' mich so verlassen,
Bin nirgends zu Haus.
Die Zimmer werden helle;
Mir winkt hier keine Schwelle,
Ich geh' zum kleinen Flusse, der zwischen
wiesen stießt hinaus.
Sein Fließen ist so leise;
Im weiten Wiesenkreise
Liegt graue Stummheit schwer.
Ich sch' mein Leben fließen;
Flach zwischen fahlen wiesen
Verrinnt es ohne Klingen müd in ein
tiefes, graues Meer.
OTTO JULIUS BIERBAUM.
Abschied vom Regiment
In einem Akt
von
Gtto Erich Dartleben.
(Den Bühnen gegenüber Mauuscript.)
Personen:
Ernst Griesfeld, Hauptmann.
Olga, seine Frau.
Gustav von Prandau, Premierlieutenant.
Uldmann, ^ HauMnte.
Ort der Handlung: Eine kleine Garnison.
Zeit: Gegenwart.
Szene:
Das Eßzimmer bei Grtcsfelds. Alles in großer Unord-
nung. Tic Gardinen und die Bilder sind abgenommen.
Ucbcrall stehen Kisten und Koffer. Nur in der Mitte
der Bühne der große Eßttsch, rechts an der Wand ein
Sopha, und links das Büffet, sowie noch einige Sessel
stehen da. Der Eßttsch steht ganz voller Bouquets, von
jur» Theil riesige» Dimensionen. — Rechts führt eine
Thür in Olgas Schlafzimmer, links eine in den Korridor.
Im Hintergründe große Fenster, in der Mitte Glasthür,
die offen steht. Dahinter Terrasse mit Freitreppe in den
Garten. Es ist io Uhr Abends.
(Wenn der Vorhang aufgeht, ist die Bühne dunkel,
nur von einer Laterne, die im Hintergründe
am Garteneingang brennt, erleuchtet. Olga
tritt von rechts aus dem Schlafzimmer mit
einem Licht.)
Olga (ist in einem ganz leichten, sehr geschmack-
vollen Neglige. Sie stellt das Licht auf eine
Kiste, geht nach hinten, und verschwindet einen
Augenblick auf der Terrasse. Sie kommt zurück
und späht aufmerksam hinaus. Sie fährt zu-
sammen.)
Gustav (im Ucbcrrock, in großer Hast, flüsternd,
führt sie schnell nach vorn): Komm hier vom
Fenster weg. Wenn man uns sieht. ..
Olga: Gustav! Was hast Du denn? Was ist
denn geschehen?
Gustav: Nichts, aber... ich habe keine Zeit,
Liebste. Ich muß sofort ivieder hinaus!
Olga: Aber iveshalb? Das Liebesmahl dauert
noch lange.
Gustav: Nein, nein! Das ist es ja eben. Sie
sind schon beim Aufbruch! Sic wollen ihn
mit Musik nach Hause bringen. Sic müssen
gleich kommen.
Olga: Wie ist das möglich! Es ist erst zehn.
Gustav: Ja, Dein Mann — sag mal: weiß er
denn was?
Olga: Keine Spur.
Gustav: Sv? — Na, schon bei Tisch in seiner
Abschiedsrcde .. er hatte so merkivürdige Wend-
ungen . . wir saßen Alle auf Kohlen. Dann
wurde er schauderhaft sentimental. Es lvar
peinlich. Schließlich seht er sich mit Stein und
Feldmann zusammen, und soll da auch noch
anz verworrenes, brenzliches Zeug geredet
aben. Kurz: es war 'ne höchst unbehagliche
Stimmung, wollte absolut keine Gemüthlichkcit
aufkommen. Ich merkte, wie der Oberst un-
ruhig wurde und schon un Begriff stand, das
Zeichen zum Ausbruch zu geben. Da könnt'
ich mich g'rade noch drücken und bin den Weg
hierher gelaufen. — Liebstes, süßestes Weib:
Ivir müssen uns trennen .. jetzt.
Olga: Nein! Jetzt nicht! So nicht.. o Gustav!
Gustav: Es muß sein, Liebste. Lebewohl, leb'
wohl. (Er küßt sie.)
Olga: Ich lasse Dich nicht.
Gustav: Ich kann nicht bleiben.
Olga: Ich kann Dich nicht lassen: so nicht, in
dieser Hast: so kann ich nicht von Dir scheiden.
Küsse mich. (Er umarmt sie.)
Olga: Gustav! Bist Du froh, daß Du mich los
wirst!
Gustav: Hab'Dank: Hab'Dank für Deine Liebe!
Und nun leb' wohl.
Olga: Nein, es ist unmöglich!
Gustav: Aber sie kommen. Sie folgen mir ja
auf dem Fuße! Bedenke doch!
Olga: Dann später! Ja! Später! Wenn sich
Alles verlaufen hat.
Gustav: Aber Dein Mann!
Olga: Mein Mann .. oh der schläft. Ich kenne
ihn. Wen» er heiinkommt, wird er sofort cin-
schlnsen. Ich schleiche mich dann hinaus. Wir
treffen uns dann im Garte». In der Laube.
Du erwartest mich. Ja! Es ist ganz gesahr-
los. Ich verstecke das Feuerzeug. Du mußt!
Du sollst! Hörst Du?
G u st a v: Ja, ja, aber —
Olga: Nichts, nichts. Du kommst, Du ivartcst
auf mich! Ich lasse Dich sonst nicht los!
Gustav: Nun gut. Ich iverdc da sein.
Olga: Du schwörst cs!
Gustav: Ja.
Olga: Du wirst mich erwarten?
Gustav: Ja.
Olga: Dein Ehrenwort!
Gustav: Mein Ehrenwort.
Olga (läßt ihn los): Geh!
Gustav: Leb' wohl!
Olgas Auf Wiedcrsch'n!
Gustav (schnell ab).
Olga (folgt ihm langsam in den Hintergrmid).
Man hört die herannahende Militärmusik, zuerst
nur die große Trommel. Sic wird lauter. Sie
spielt die Melodie: „Ich hatt' einen Kameraden.."
Sie nehmen vor dem Garten Ausstellung. Es
wird mitgcsungen. Man hört die Strophe:
Eine Kugel kam geflogen,
Gilt's mir, oder gilt cs Dir?
Ihn hat es wcggerissen.
Er liegt zu meinen Füßen,
Als wär's ein Stück von mir.
(Man hört die Stimme des Obersten: Also, noch
einmal, meine Herren: Unser lieber Gricsscld,
er lebe hoch! Die Musik spielt dreimal Tusch,
dreimaliges Hoch! Der Hintergruud des Gar-
tens und der Straße ist von Lampions erhellt.)
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