1897
JUGEND
Nr. 46
(Snift Gricsfeld (erscheint auf der Terrasse und
spricht nach draußen gewendet): Otestntten Herr
Oberst, das; auch ich nach ein letztes Hoch aus
mein altes liebes Regiment ansvringe. Das
Regiment Prinz Carl August, es lebe hoch!
Hurra h!
(Wiederum dreimaliger Tusch und dreimaliges
Hurra h. Wonach sofort die Musik den Pariser
Einzugsmarsch spielt und wieder allmählich ab-
zleht.) Die Terrasse füllt sich mit Offizieren,
leder drückt Ernst noch einmal die Hand. Man
hört Stimmen:
Auf Wiederseh'n, morgen auf der Bahn. Morgen
auf der Bahn. Morgen Früh neun, zweiund-
dreißig. Wiederseh'n. Wiederseh'n.
Schließlich bleibt Ernst mit Stein und Feldmann
allein, die er fcsthäit und in's Zimmer zieht.)
Olga (hat vom Beginn der Szene an am Fenster
gestanden und Hinausgehorcht. Als dieOffiziere,
zuerst Ernst, auf der Freitreppe sichtbar werden,
zieht sie sich schnell vom Fenster zurück, steckt
die Gaskrone an und geht rechts ab).
Er n st (kommt mitS t e i n und Fe l d m a nn herein.
Er ist wie die andern im lieberrock und hat
überall, in den Aermelanfschlägen und zwischen
den Knöpfen seines lleberrockes Rosenbougucts
stecken. Sein Säbel schleppt, man sieht ihm
ein wenig an, daß er vom Weine kommt. Er
zieht die beiden andern herein): Nein, nein . .
nichts da, Ihr müßt noch mit kommen. Ihr
müßt noch einen Augenblick mit herein kommen.
Stein: Aber, lieber Ernst, das ist ja.. .
Ernst: Ach was! — So. Na? Sieht nett hier
aus, was? Sonderbarer Gemiithszustand in
der Bude, wie? Ja, ja! Morgen Früh wird
ausgeladen, muß alles fertig sein. Aber setzt
Euch doch, soviel Platz ist immer noch. Da,
auf's Sopha.
Stein undFcldma nn (setzen sich in das Sopha).
Ernst (ihnen gegenüber auf einem Koffer): So.
Na, nu wollen wir mal noch ein verständiges
Wortzusammenreden. Es war eigentlich höllisch
ungcmüthlich heut' Abend. . ist ja aber auch
eine zu schnurrige Idee, aus so 'ner traurigen
Gelegenheit ein Fest machen zu wollen.
Feld mann: Traurige Gelegenheit? Na, so
schlimm ist's doch nicht.
Ernst: Na, na, na, na, na — schon gut. Laß
man gut sein. Wir versteh'n uns. Ihr braucht
mir nix zu sagen.
Stein: Na, was denn?
Ernst: Pst! Ihr seid gute Kerle, wollt'S mich
nicht fühlen lassen. Alles sehr gut und schön,
aber für dumm müßt Ihr mich nicht halten.
(Singt): Eine Kugel kam geflogen, gilt sie mir,
oder gilt sie Dir — mich hat sie sortgcrissen..
Ja, ja: da ist nichts zu wollen. (Er
ilt aufgesprungen, geht hin und her):
Kerls, wie mir das weh thut, daß
>vir auseinander müssen — kann's
Euch gar nicht sagen. Hätte nie ge-
dacht. daß mir der Abschied von die-
sem Nest so schwer fallen würde, nie
gedacht! Aber das machen auch nur
solche goldige Kerls, wie Ihr. (Er
. Ichuttelt ihnen die Hände.) . .
Feld »rann : klopft ihm zärtlich be-
ruhigend auf die Schulter): Na, na. .
Ernst: Wenn das bischen Kamerad-
schaft nicht wäre .. Aber nicht wahr:
Da ist man nun zusammen eingc-
treten, znsnmmcn auf Kriegsschule
gewesen, hat seine sechzehn Jahre
beim selben Regiment gestanden und
soll nun so Knall und Fall anSein-
ander. Bitter! Bitter ist es! — Na:
Das Eine weiß ich wenigstens, Ihr
vergesst mich nicht —und jetzt müssen
wir noch einen Cognac znsanimen
trinken.
Stein: Aber nein. Aber nicht doch.
Liebster, jetzt müssen wir heim.
Ernst (geht zum Buffet): Ach was..
Feldmann: Weißt Du, Stein.. so
zur — Abrundung.
Ernst (sucht im Buffet): Abrundung,
jawohl. Wenn ich nur erst was ge-
funden hätte. Leergebrannt ist die
Stätte. Trostloser Anblick. Wenn ich
bedenke, >vie manche gute Pulle hier
gestanden hat.. zum Weinen: Alles
aus. —
Feldinann (entdeckt auf einer Kiste
eine Flasche mit dnnebenliegender
Feldflasche): Halt! Hier! Was sehen
meine Augen! — Aber Gläser?
Feldinann (amBuffet): Hier steh'n
doch welche.
E r n st: Ach, das ist ja Gerümpel. Zer-
sprungenem-, zerschlagenes Zeug, das
das Einpacken nicht gelohnt hat. .
Aber was macht das! Paßt gerade
gut! Hier, mein Stein: dieses bi-
derbe Wasserglas mit Sprung für
Dich. Feldmännchen, Du nimmst
Dir dieses ausgebrochene Scctglas:
schneid' Dich nicht. Und für mich
taugt dieser abgebrochene Burgun-
derkelch — ohne Fuß — der nie
mehr wieder richtig stehen kann. So.
(Er schenkt ein.)
Stein: Ra also: Dein Wohl, Gries-
seld! Prosit!
Feldmann: Prosit. (Sie stoßen an
und trinken aus.)
Ernst: Es klingt nicht gut.
Stein: Was?
Ernst: Unser Anstoßen. Aber das
macht nichts, Gebt die Gläser her.
(Er schenkt wieder ein.) So. Nun
ivill ich Euch zum Schluß noch Ei-
nes ivünschen. Und daraus wollen
wir auch nochmal anstoßen.
Denkt an mich und nn diese
Stein (räuspert sich).
Ernst (der die letzten Worte mit erhobener Stimme
gesprochen, unterbricht sich):. Herrsch, Feldmaim-
chen! Wie ist mir denn! Richtig! Du stehst
ja schon auf dem Sprungbrett. Das ist der
Moment, „das ist der Moment, wo der Aff
in's Wasser springt!" (Er lacht.)
Feldmann: Wieso?
Ernst: Na, na, nu red man nicht. Wissen wir
ja besser. Das ist ja das Merkwürdige: die
Andern wissen solche Sachen immer besser.
Na, auf jeden Fall.. was ich sagen wollte: ich
ivünsche Euch so gute Frauen, wie Ihr sie
verdient! Daraus trinke ich! Prosit! (Sie stoßen
an und trinken aus).
Stein: Na, nun ist es aber genug. Ich dächte,
wir hätten heute das Uns'rige geleistet.
Ernst: Unsinn! Gib Dein Glas her. Die
Flasche müssen wir austrinken, dann erst ist
richtig Schluß. (Er gießt ein.)
Feldinann: Uebrigens .. ä .. sag' mal wie..
kommst Du darauf. He? Du.. Du meinst
natürlich die.. die kleine Berthold .. He?
Ernst: Kleiner Schäker.
Feldmann: Nn ja! Wie so denn? Ist doch
nichts gegen einzuwenden. Was? Oder wie?
Ernst und Stein (lachend): Ne, ne, ne, ne...
Stein: Gott bewahre.
Ernst: Jni.Gegentheile. Vater wählt konservativ
.. steht nicht mehr hinterm Ladentisch ...
Fel d ma n n (lächelnd): Reichthnm schändet nicht..
hä, ja. Mir wenigstens, muß ich sagen, sind
die besseren Familien immer die lieberen ge-
wesen.
Stein: Origineller Kerl!
Ernst: Familie, nun ja., ist ja was werth
aber .. >vie denkt denn nun Fräulein Lili über
den Fall?
Feldinann: Denken? — denken ist gut! —
(Alle drei lachen). — Ihr wißt, Kerls: ich steh
auf ganz modernem Standpunkt, bin sehr für
Frauenrechte — aber denken? Ne! Lieber
'» bischen kokett.
Ernst: Kokett. Na ja .. ganz schön. Aber, aber ..
Feldman», mein Sohn: die Sache kann auch
mal schief gehn. Berstehste? Verdammt schief
gehn.
Olga (ruft ans dem Schlafzimmer): Ernst! Bist
Du da? (Pause.)
Ernst (sieht die beiden grimmig lächelnd an):
Jawohl, meine Liebe.
Stein: Aber nun ist's Zeit, leb wohl, lieber
Freund.
Feld in a n n (gleichzeitig): Jetzt müssen wir gehn,
Adieu.
Ernst (tauf): Halt! Noch nicht! Noch eins! —
Ich muß mich doch sehr wundern, meine Herren,
daß keiner von Ihnen auf den Gedanken
geloinmen ist, in dieser letzten Stunde
auch meiner — Frau Gemahlin zu ge-
denken. So muß ich das wohl
selber thun. Ergreife» Sie Ihre
Otto Eckmann (München).
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JUGEND
Nr. 46
(Snift Gricsfeld (erscheint auf der Terrasse und
spricht nach draußen gewendet): Otestntten Herr
Oberst, das; auch ich nach ein letztes Hoch aus
mein altes liebes Regiment ansvringe. Das
Regiment Prinz Carl August, es lebe hoch!
Hurra h!
(Wiederum dreimaliger Tusch und dreimaliges
Hurra h. Wonach sofort die Musik den Pariser
Einzugsmarsch spielt und wieder allmählich ab-
zleht.) Die Terrasse füllt sich mit Offizieren,
leder drückt Ernst noch einmal die Hand. Man
hört Stimmen:
Auf Wiederseh'n, morgen auf der Bahn. Morgen
auf der Bahn. Morgen Früh neun, zweiund-
dreißig. Wiederseh'n. Wiederseh'n.
Schließlich bleibt Ernst mit Stein und Feldmann
allein, die er fcsthäit und in's Zimmer zieht.)
Olga (hat vom Beginn der Szene an am Fenster
gestanden und Hinausgehorcht. Als dieOffiziere,
zuerst Ernst, auf der Freitreppe sichtbar werden,
zieht sie sich schnell vom Fenster zurück, steckt
die Gaskrone an und geht rechts ab).
Er n st (kommt mitS t e i n und Fe l d m a nn herein.
Er ist wie die andern im lieberrock und hat
überall, in den Aermelanfschlägen und zwischen
den Knöpfen seines lleberrockes Rosenbougucts
stecken. Sein Säbel schleppt, man sieht ihm
ein wenig an, daß er vom Weine kommt. Er
zieht die beiden andern herein): Nein, nein . .
nichts da, Ihr müßt noch mit kommen. Ihr
müßt noch einen Augenblick mit herein kommen.
Stein: Aber, lieber Ernst, das ist ja.. .
Ernst: Ach was! — So. Na? Sieht nett hier
aus, was? Sonderbarer Gemiithszustand in
der Bude, wie? Ja, ja! Morgen Früh wird
ausgeladen, muß alles fertig sein. Aber setzt
Euch doch, soviel Platz ist immer noch. Da,
auf's Sopha.
Stein undFcldma nn (setzen sich in das Sopha).
Ernst (ihnen gegenüber auf einem Koffer): So.
Na, nu wollen wir mal noch ein verständiges
Wortzusammenreden. Es war eigentlich höllisch
ungcmüthlich heut' Abend. . ist ja aber auch
eine zu schnurrige Idee, aus so 'ner traurigen
Gelegenheit ein Fest machen zu wollen.
Feld mann: Traurige Gelegenheit? Na, so
schlimm ist's doch nicht.
Ernst: Na, na, na, na, na — schon gut. Laß
man gut sein. Wir versteh'n uns. Ihr braucht
mir nix zu sagen.
Stein: Na, was denn?
Ernst: Pst! Ihr seid gute Kerle, wollt'S mich
nicht fühlen lassen. Alles sehr gut und schön,
aber für dumm müßt Ihr mich nicht halten.
(Singt): Eine Kugel kam geflogen, gilt sie mir,
oder gilt sie Dir — mich hat sie sortgcrissen..
Ja, ja: da ist nichts zu wollen. (Er
ilt aufgesprungen, geht hin und her):
Kerls, wie mir das weh thut, daß
>vir auseinander müssen — kann's
Euch gar nicht sagen. Hätte nie ge-
dacht. daß mir der Abschied von die-
sem Nest so schwer fallen würde, nie
gedacht! Aber das machen auch nur
solche goldige Kerls, wie Ihr. (Er
. Ichuttelt ihnen die Hände.) . .
Feld »rann : klopft ihm zärtlich be-
ruhigend auf die Schulter): Na, na. .
Ernst: Wenn das bischen Kamerad-
schaft nicht wäre .. Aber nicht wahr:
Da ist man nun zusammen eingc-
treten, znsnmmcn auf Kriegsschule
gewesen, hat seine sechzehn Jahre
beim selben Regiment gestanden und
soll nun so Knall und Fall anSein-
ander. Bitter! Bitter ist es! — Na:
Das Eine weiß ich wenigstens, Ihr
vergesst mich nicht —und jetzt müssen
wir noch einen Cognac znsanimen
trinken.
Stein: Aber nein. Aber nicht doch.
Liebster, jetzt müssen wir heim.
Ernst (geht zum Buffet): Ach was..
Feldmann: Weißt Du, Stein.. so
zur — Abrundung.
Ernst (sucht im Buffet): Abrundung,
jawohl. Wenn ich nur erst was ge-
funden hätte. Leergebrannt ist die
Stätte. Trostloser Anblick. Wenn ich
bedenke, >vie manche gute Pulle hier
gestanden hat.. zum Weinen: Alles
aus. —
Feldinann (entdeckt auf einer Kiste
eine Flasche mit dnnebenliegender
Feldflasche): Halt! Hier! Was sehen
meine Augen! — Aber Gläser?
Feldinann (amBuffet): Hier steh'n
doch welche.
E r n st: Ach, das ist ja Gerümpel. Zer-
sprungenem-, zerschlagenes Zeug, das
das Einpacken nicht gelohnt hat. .
Aber was macht das! Paßt gerade
gut! Hier, mein Stein: dieses bi-
derbe Wasserglas mit Sprung für
Dich. Feldmännchen, Du nimmst
Dir dieses ausgebrochene Scctglas:
schneid' Dich nicht. Und für mich
taugt dieser abgebrochene Burgun-
derkelch — ohne Fuß — der nie
mehr wieder richtig stehen kann. So.
(Er schenkt ein.)
Stein: Ra also: Dein Wohl, Gries-
seld! Prosit!
Feldmann: Prosit. (Sie stoßen an
und trinken aus.)
Ernst: Es klingt nicht gut.
Stein: Was?
Ernst: Unser Anstoßen. Aber das
macht nichts, Gebt die Gläser her.
(Er schenkt wieder ein.) So. Nun
ivill ich Euch zum Schluß noch Ei-
nes ivünschen. Und daraus wollen
wir auch nochmal anstoßen.
Denkt an mich und nn diese
Stein (räuspert sich).
Ernst (der die letzten Worte mit erhobener Stimme
gesprochen, unterbricht sich):. Herrsch, Feldmaim-
chen! Wie ist mir denn! Richtig! Du stehst
ja schon auf dem Sprungbrett. Das ist der
Moment, „das ist der Moment, wo der Aff
in's Wasser springt!" (Er lacht.)
Feldmann: Wieso?
Ernst: Na, na, nu red man nicht. Wissen wir
ja besser. Das ist ja das Merkwürdige: die
Andern wissen solche Sachen immer besser.
Na, auf jeden Fall.. was ich sagen wollte: ich
ivünsche Euch so gute Frauen, wie Ihr sie
verdient! Daraus trinke ich! Prosit! (Sie stoßen
an und trinken aus).
Stein: Na, nun ist es aber genug. Ich dächte,
wir hätten heute das Uns'rige geleistet.
Ernst: Unsinn! Gib Dein Glas her. Die
Flasche müssen wir austrinken, dann erst ist
richtig Schluß. (Er gießt ein.)
Feldinann: Uebrigens .. ä .. sag' mal wie..
kommst Du darauf. He? Du.. Du meinst
natürlich die.. die kleine Berthold .. He?
Ernst: Kleiner Schäker.
Feldmann: Nn ja! Wie so denn? Ist doch
nichts gegen einzuwenden. Was? Oder wie?
Ernst und Stein (lachend): Ne, ne, ne, ne...
Stein: Gott bewahre.
Ernst: Jni.Gegentheile. Vater wählt konservativ
.. steht nicht mehr hinterm Ladentisch ...
Fel d ma n n (lächelnd): Reichthnm schändet nicht..
hä, ja. Mir wenigstens, muß ich sagen, sind
die besseren Familien immer die lieberen ge-
wesen.
Stein: Origineller Kerl!
Ernst: Familie, nun ja., ist ja was werth
aber .. >vie denkt denn nun Fräulein Lili über
den Fall?
Feldinann: Denken? — denken ist gut! —
(Alle drei lachen). — Ihr wißt, Kerls: ich steh
auf ganz modernem Standpunkt, bin sehr für
Frauenrechte — aber denken? Ne! Lieber
'» bischen kokett.
Ernst: Kokett. Na ja .. ganz schön. Aber, aber ..
Feldman», mein Sohn: die Sache kann auch
mal schief gehn. Berstehste? Verdammt schief
gehn.
Olga (ruft ans dem Schlafzimmer): Ernst! Bist
Du da? (Pause.)
Ernst (sieht die beiden grimmig lächelnd an):
Jawohl, meine Liebe.
Stein: Aber nun ist's Zeit, leb wohl, lieber
Freund.
Feld in a n n (gleichzeitig): Jetzt müssen wir gehn,
Adieu.
Ernst (tauf): Halt! Noch nicht! Noch eins! —
Ich muß mich doch sehr wundern, meine Herren,
daß keiner von Ihnen auf den Gedanken
geloinmen ist, in dieser letzten Stunde
auch meiner — Frau Gemahlin zu ge-
denken. So muß ich das wohl
selber thun. Ergreife» Sie Ihre
Otto Eckmann (München).
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