Nr. 46
JUGEND
1897
Gläser, meine Herren, und-wie fnfltc doch
der Oberst vorhin bei Tisch? Tie liebliche
junge Gattin, deren gastlicher Sinn u»S so
manche heitere Stunde geschenkt hat, sie lebe
hoch., hoch., hoch! Rest. (Alle hoben ein-
gestimmt und ausgetrunken.) Sv. Run seid
Ihr in Gnaden entlassen. Schlaft wohl. Adieu.
Adieu. (Er begleitet sie noch hinten.)
Feld mann: Also ans Wiedersehn, morgen auf
dem Bahnhof.
Stein (gleichzeitig): Morgen früh 9.32. Adieu.
— (Alle drei ab.)
Ernst (kvnimt wieder noch vorn) Allein. (Er
stellt sich breitbeinig vor den Tisch in der Milte
bei? Zimmers, der ganz voller Bouquets steht
und mustert diese.)'Sehr schon. Wirtlich: sehr
schon. Man sollte nicht glauben, wie beliebt
man gewesen ist. (Er liest einige in den
Bouquets steckende Karten: Den lieben unver-
geßlichen Freunden:. der theuren Freundin..
in herzlicher Erinnerung . . . Gottsdonner-
wetter! Tie guten Regimentstanten hoben sich
ja riesig angestrengt. Wenn man das so liest...
Ach, ja: es ist jo Alles ein Herz und eine
Seele. Meine liebe . . Meine liebe.. Zucker-
süß! Es zerschmilzt Alles vor Schmerz.
Olga (konimt von rechts): Aber, lieber Ernst,
lvas kraspelst Tu denn hier noch rum? Ich
dachte, es wäre doch wohl Zeit für Dich, in's
Bett zu geh'n.
Ernst: Laß mich, meine Liebe: ich genieße hier
in vollen Zügen.. gewissermaßen schon im
Voraus das freundliche Andenken, dos wir
hier zurücklassen werden. Gönne mir diese
reine Freude. So, denk ich mir, muß ein Held
vorm Tod seine Unsterblichkeit vorausgenießen.
Olga: Tu hast zu viel getrunken. WieDu wieder
ausstehst!
Ernst: Jawohl! Großartig — was? Wie ein
Pfingstochse. Bin auch einer.
Olga: Weshalb mußten Dich denn die beiden
heimführen? Es ging wohl mal wieder nicht
allein. Wie? Oder konntest Du.Dich so gar
nicht losreißen von den alten, lieben Regiments-
kameraden?
Ernst (ernst): Liebe Olga, bitte, laß mir die
Beiden in Ruhe. Es siiid zivei liebe, liebe
Kerle. Sv werd ich sie wohl so leicht nicht wieder-
finden. Und wenn Tu meinst, es siele mir
leicht, mich vom Regiment zu trennen, so irrst
Tn freilich — ich schäme mich gar nicht, Dir
zu gestehen, daß es mir schwer, furchtbar
schwer füllt.
Olga: Nu, weine man nicht. Willst Tu Dich
nicht lieber endlich mal in's Bett legen? Tn
solltest doch mit den Jahren gelernt habe»,
wie viel Du vertragen kannst.
Ernst: Mit den Jahren lernt man viel ver-
tragen — aber doch nicht alles.
Olga bemerkt den in Papier einges.hlogenen
Silberpokol : Was ist denn das? (Sie wickelt
ibn auf.) Ah! Sehr nett. Wirklich: eomplett!
(Sie lieit die Inschrift Ihrem lieben, braven
Kameraden z:un Abschied vom Regiment. Das
Offizierkorps. — Na das ist ja höchst erfreulich;
da bringst Tu doch auch mal ein Stück Silber
in's Haus.
Ernst (getroffen): Olga!-Tn irrst. —
Auch dieses Stück Silber — ist Mitgift von
Dir. Es ist nicht mein Verdienst — auch das
— verdank ich Dir.
Olga: Das versteh ich nicht.
Ernst: Wahrlich, ich bin unschuldig an diesem
Stück Silber. Man hätt' es mir wohl nie
gegeben — ohne Deine gütige Hilfe. Also
sei beruhigt.
Olga: Du redest Unsinn. Was hast Tu denn
Alles getrunken?
Ernst: Weshalb werde ich denn versetzt? He?
Weshalb wird ein Andrer eigens hereinver-
setzt? Willst Tn mir das mal sagen, ja?
-Anderthalb Jahre bin ich erst Hanpt-
mann — was in aller Welt kann vorliegen?
Was in aller Welt?
Olga (kalt): Das weiß ich nicht.
Ernst: Nein, Du weißt es nicht.
Olga: Was gehn mich Deine Militärgeschichten an,
Ernst: Militärgeschichte»! Es handelt sich nicht
um Militärgeschichten. Militärische Tinge haben
dagnit überhaupt nichts zu thun. Es handelt
sich um uns, meine Liebe, um Dich und mich...
Olga: Ich weiß gar nicht, was D» willst. Posen
ich doch schließlich eine ganz andere Stadt, als
dieses Nest. Ich bin ganz froh, daß es so ge-
kommen ist.
Ernst: Wirklich? Ganz froh? Ganz froh? So
gäb es also nichts, was Dich hier fesselte? Tn
würdest nichts vermissen?
Olga: Ich wüßte nicht, was. Etwa Euer Exereier-
platz?
Ernst: Nein, der nicht.
Olga: Na, waS denn?
Ernst (sieht sie forschend, starr an).
Olga: Lieber Ernst, Du bildest Dir doch nicht
etwa ein, daß es sich um eine Strafversetzung
handle? Davon kan» ja gar keine Rede sein,
denn dann wärst Dil doch nicht nach Posen
gekommen. Sieh mal: Du hast noch bei der
letzten Compagnievorstellnng brillant abge-
schnitten. Hast mir ja selber erzählt, >vie Dir
der Divisionslvmmandenr die Hand geschüttelt
hat. Was willst Du denn mehr? Deine Kerle
schießen wie die Götter und der Oberst hat
mir erst neulich gesagt, daß er sehr, sehr große
Stücke auf Dich hielte lind daß er Dich zur
Unterofsiziersschule Vorschläge» würde.--
Sei doch zufrieden, Ernst. Warum quälst Du
Dich und mich? Nun konnnen wir in ein
neues Land, da ist alles frisch und da wirst
Du die alte Garnison bald genug vergessen.
Ernst (sieht sie gedankenvoll an. Panse). — Wenn
es möglich wäre, daß int neuen Lande wieder
Alles frisch wäre... (Warm.) Olga! Könntest
Du? Wolltest Du?
Olga: Was denn, Ernst?
Ernst: Olga, sieh' . . ich glaube, eS wäre »och
nicht zu spät. . es könnte noch Alles ivieder
.gut werden mit uns zwei Beiden. Wie?-
Hörst Du mich, Olga?
Olga: Ja.
Ernst: Denk' an die Zeit. . an die schöne Zeit
zurück, eh' unser Kindchen starb. Hast Du nicht
auch manchmal Sehnsucht danach, daß es wieder
so würde ivie damals?
Olga (wendet sich ab und schweigt).
Ernst (tritt ihr näher. Weich): Olga .. Damals,
den Schmerz, den haben wir noch zusammen
getragen . . weißt Du noch.
Olga: Ja.
Ernst: Ich habe manchmal gedacht: wenn die
Kleine am Leben geblieben wäre . . dann wäre
wohl Alles anders und besser mit uns ge-
worden. Und wenn ich das bedenke, kann ich
Dir Vieles, sehr Vieles verzeih'», weil es doch
mehr Schicksal gewesen ist, als Schuld, was
uns von einander entsernt hat.
Olga: Schuld? Wessen Schuld?
Ernst (überwindet sich): Auch meine Schuld,
Olga . . ich ivill sie nicht leugne». Ich hätte
wohl zarter und rücksichtsvoller sein könne»
und mich mehr Dir widmen. Aber reden wir
i» dieser Stunde nicht von Schuld. Ich glaube,
Olga, ich glaube: ich hätte die Kraft, zu ver-
zeihe», ja zu vergessen — wenn es auch Dir
ernst wäre mit dem frischen Leben int neuen
Lande — wenn alles Trübe und Häßliche, was
wir hier zurücklnssen, niich wirklich ganz und
gar hinter uns zurückbliebe. . Olga! Wir siiid
noch jung: warum sollte das Glück nicht z»
uns zurückkehren? (Er ivill sie umsassen. Sie
entzieht sich ihm. Pause.)
Olga (sieht ihu kalt an): Ich verstehe Dich nicht.
Ernst: Du .. verstehst mich nicht.
Olga: Nein.
Ernst (leise): Also ist es aus. Ganz aus.
Olga: Dil bist überspannt.
77*
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1897
Gläser, meine Herren, und-wie fnfltc doch
der Oberst vorhin bei Tisch? Tie liebliche
junge Gattin, deren gastlicher Sinn u»S so
manche heitere Stunde geschenkt hat, sie lebe
hoch., hoch., hoch! Rest. (Alle hoben ein-
gestimmt und ausgetrunken.) Sv. Run seid
Ihr in Gnaden entlassen. Schlaft wohl. Adieu.
Adieu. (Er begleitet sie noch hinten.)
Feld mann: Also ans Wiedersehn, morgen auf
dem Bahnhof.
Stein (gleichzeitig): Morgen früh 9.32. Adieu.
— (Alle drei ab.)
Ernst (kvnimt wieder noch vorn) Allein. (Er
stellt sich breitbeinig vor den Tisch in der Milte
bei? Zimmers, der ganz voller Bouquets steht
und mustert diese.)'Sehr schon. Wirtlich: sehr
schon. Man sollte nicht glauben, wie beliebt
man gewesen ist. (Er liest einige in den
Bouquets steckende Karten: Den lieben unver-
geßlichen Freunden:. der theuren Freundin..
in herzlicher Erinnerung . . . Gottsdonner-
wetter! Tie guten Regimentstanten hoben sich
ja riesig angestrengt. Wenn man das so liest...
Ach, ja: es ist jo Alles ein Herz und eine
Seele. Meine liebe . . Meine liebe.. Zucker-
süß! Es zerschmilzt Alles vor Schmerz.
Olga (konimt von rechts): Aber, lieber Ernst,
lvas kraspelst Tu denn hier noch rum? Ich
dachte, es wäre doch wohl Zeit für Dich, in's
Bett zu geh'n.
Ernst: Laß mich, meine Liebe: ich genieße hier
in vollen Zügen.. gewissermaßen schon im
Voraus das freundliche Andenken, dos wir
hier zurücklassen werden. Gönne mir diese
reine Freude. So, denk ich mir, muß ein Held
vorm Tod seine Unsterblichkeit vorausgenießen.
Olga: Tu hast zu viel getrunken. WieDu wieder
ausstehst!
Ernst: Jawohl! Großartig — was? Wie ein
Pfingstochse. Bin auch einer.
Olga: Weshalb mußten Dich denn die beiden
heimführen? Es ging wohl mal wieder nicht
allein. Wie? Oder konntest Du.Dich so gar
nicht losreißen von den alten, lieben Regiments-
kameraden?
Ernst (ernst): Liebe Olga, bitte, laß mir die
Beiden in Ruhe. Es siiid zivei liebe, liebe
Kerle. Sv werd ich sie wohl so leicht nicht wieder-
finden. Und wenn Tu meinst, es siele mir
leicht, mich vom Regiment zu trennen, so irrst
Tn freilich — ich schäme mich gar nicht, Dir
zu gestehen, daß es mir schwer, furchtbar
schwer füllt.
Olga: Nu, weine man nicht. Willst Tu Dich
nicht lieber endlich mal in's Bett legen? Tn
solltest doch mit den Jahren gelernt habe»,
wie viel Du vertragen kannst.
Ernst: Mit den Jahren lernt man viel ver-
tragen — aber doch nicht alles.
Olga bemerkt den in Papier einges.hlogenen
Silberpokol : Was ist denn das? (Sie wickelt
ibn auf.) Ah! Sehr nett. Wirklich: eomplett!
(Sie lieit die Inschrift Ihrem lieben, braven
Kameraden z:un Abschied vom Regiment. Das
Offizierkorps. — Na das ist ja höchst erfreulich;
da bringst Tu doch auch mal ein Stück Silber
in's Haus.
Ernst (getroffen): Olga!-Tn irrst. —
Auch dieses Stück Silber — ist Mitgift von
Dir. Es ist nicht mein Verdienst — auch das
— verdank ich Dir.
Olga: Das versteh ich nicht.
Ernst: Wahrlich, ich bin unschuldig an diesem
Stück Silber. Man hätt' es mir wohl nie
gegeben — ohne Deine gütige Hilfe. Also
sei beruhigt.
Olga: Du redest Unsinn. Was hast Tu denn
Alles getrunken?
Ernst: Weshalb werde ich denn versetzt? He?
Weshalb wird ein Andrer eigens hereinver-
setzt? Willst Tn mir das mal sagen, ja?
-Anderthalb Jahre bin ich erst Hanpt-
mann — was in aller Welt kann vorliegen?
Was in aller Welt?
Olga (kalt): Das weiß ich nicht.
Ernst: Nein, Du weißt es nicht.
Olga: Was gehn mich Deine Militärgeschichten an,
Ernst: Militärgeschichte»! Es handelt sich nicht
um Militärgeschichten. Militärische Tinge haben
dagnit überhaupt nichts zu thun. Es handelt
sich um uns, meine Liebe, um Dich und mich...
Olga: Ich weiß gar nicht, was D» willst. Posen
ich doch schließlich eine ganz andere Stadt, als
dieses Nest. Ich bin ganz froh, daß es so ge-
kommen ist.
Ernst: Wirklich? Ganz froh? Ganz froh? So
gäb es also nichts, was Dich hier fesselte? Tn
würdest nichts vermissen?
Olga: Ich wüßte nicht, was. Etwa Euer Exereier-
platz?
Ernst: Nein, der nicht.
Olga: Na, waS denn?
Ernst (sieht sie forschend, starr an).
Olga: Lieber Ernst, Du bildest Dir doch nicht
etwa ein, daß es sich um eine Strafversetzung
handle? Davon kan» ja gar keine Rede sein,
denn dann wärst Dil doch nicht nach Posen
gekommen. Sieh mal: Du hast noch bei der
letzten Compagnievorstellnng brillant abge-
schnitten. Hast mir ja selber erzählt, >vie Dir
der Divisionslvmmandenr die Hand geschüttelt
hat. Was willst Du denn mehr? Deine Kerle
schießen wie die Götter und der Oberst hat
mir erst neulich gesagt, daß er sehr, sehr große
Stücke auf Dich hielte lind daß er Dich zur
Unterofsiziersschule Vorschläge» würde.--
Sei doch zufrieden, Ernst. Warum quälst Du
Dich und mich? Nun konnnen wir in ein
neues Land, da ist alles frisch und da wirst
Du die alte Garnison bald genug vergessen.
Ernst (sieht sie gedankenvoll an. Panse). — Wenn
es möglich wäre, daß int neuen Lande wieder
Alles frisch wäre... (Warm.) Olga! Könntest
Du? Wolltest Du?
Olga: Was denn, Ernst?
Ernst: Olga, sieh' . . ich glaube, eS wäre »och
nicht zu spät. . es könnte noch Alles ivieder
.gut werden mit uns zwei Beiden. Wie?-
Hörst Du mich, Olga?
Olga: Ja.
Ernst: Denk' an die Zeit. . an die schöne Zeit
zurück, eh' unser Kindchen starb. Hast Du nicht
auch manchmal Sehnsucht danach, daß es wieder
so würde ivie damals?
Olga (wendet sich ab und schweigt).
Ernst (tritt ihr näher. Weich): Olga .. Damals,
den Schmerz, den haben wir noch zusammen
getragen . . weißt Du noch.
Olga: Ja.
Ernst: Ich habe manchmal gedacht: wenn die
Kleine am Leben geblieben wäre . . dann wäre
wohl Alles anders und besser mit uns ge-
worden. Und wenn ich das bedenke, kann ich
Dir Vieles, sehr Vieles verzeih'», weil es doch
mehr Schicksal gewesen ist, als Schuld, was
uns von einander entsernt hat.
Olga: Schuld? Wessen Schuld?
Ernst (überwindet sich): Auch meine Schuld,
Olga . . ich ivill sie nicht leugne». Ich hätte
wohl zarter und rücksichtsvoller sein könne»
und mich mehr Dir widmen. Aber reden wir
i» dieser Stunde nicht von Schuld. Ich glaube,
Olga, ich glaube: ich hätte die Kraft, zu ver-
zeihe», ja zu vergessen — wenn es auch Dir
ernst wäre mit dem frischen Leben int neuen
Lande — wenn alles Trübe und Häßliche, was
wir hier zurücklnssen, niich wirklich ganz und
gar hinter uns zurückbliebe. . Olga! Wir siiid
noch jung: warum sollte das Glück nicht z»
uns zurückkehren? (Er ivill sie umsassen. Sie
entzieht sich ihm. Pause.)
Olga (sieht ihu kalt an): Ich verstehe Dich nicht.
Ernst: Du .. verstehst mich nicht.
Olga: Nein.
Ernst (leise): Also ist es aus. Ganz aus.
Olga: Dil bist überspannt.
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