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1897

• JUGEND

Nr. 46

Ernst (lacht bitter auf).

Olga (ärgerlich): Ach nun leg' Dich endlich
'mal zu Bett. Ich will das Licht ausmachen,
meinst Du, es märe ein Vergnügen für mich,
hier Deine halbbetrnnkenen Redereien mit
anzuhören, wo ich morgen so früh heraus
muh. llm Sechs kommen die Leute.

Ernst: Nein, meine Liebe. Ich werde mich
noch nicht zu Bett legen. Ich habe noch
das Bedürfnis;, mit Dir zu reden, mit Dir
zu rechnen. Und wenn es dauert, bis die
Leute kommen — ich will in dieser Nacht
Klarheit schaffen zwischen uns — Klarheit.

-Was ich Dir soeben gesagt habe,

hast Du nicht verstanden. Wie könnt' es
auch anders sein. Was bin ich für ein
armer Narr, dass ich gehofft habe, Du wür-
dest das verstehen können. Aber ich {aeje
Dir: Du wirst mich noch verstehen m
dieser Nacht. Glaube mir!

Olga: Ich will jetzt —

Ernst: Schweig! — — Du sagst, es sei
keine Strafversetzung. Gut. Es gibt ja
offiziell überhaupt keine Strafversetzungen
und was man mir als Militär vorwerfen
könnte — das möcht' ich seh'n. Aber das
ist ja nur ein Streit um's Wort. Es ist
und bleibt eine Maßregelung. Und wes-
halb werde ich gemäß re gelt? Weshalb?

-- Alle Welt iveis; es. Die Spatzen

Pfeifen es von den Dächern. Der jüngste
Lieutenant reifst hinter meinem Rücken seine
Witze darüber...

Olga: Wenn Du das iveifjt — warum lägt
Du es Dir gefallen?

Ernst: Oh Du . . . Ich lasse mir nichts ge-
fallen. Es sollte nur einmal Einer kom-
men! Aber es ist ja wie ein schmutziger
Nebel um Einen herum, nnsastbar, ün-
greifbar. Oh könnte ich es nur einmal
greifen — sei versichert, ich würde eine feste
Hand haben!

Olga (höhnend): Du bist fürchterlich in
Deinem Zorn...

Ernst: Olga!

Olga: Ernstchen mit der eisernen Hand!

Ernst: Ich sage Dir, Olga, treib es nicht
zu weit. Du weifst nicht, wie mir zu Muth
ist! Du weifst nicht, wie es in mir aus-
sieht! Mach' mich nicht rasend, sag' ich Dir!
(Er geht durch's Zimmer.)

Olga (richtet sich auf): Was soll diese Szene?
Was bedeutet das überhaupt? Willst Du
mir Vorwürfe machen? Willst Du behaup-
ten: ich sei an dieser Versetzung Schuld?

Ernst (stehen bleibend): Ja! Du — Du
ganz allein bist Schuld. Deine gewagten
Spielereien, .Deine leichtfertige Koketterie..
(Er tritt ganz nahe an sie heran. Mit ge-
senkter Stimme): Dein Benehmen hat mich
lächerlich, hat mich unmöglich gemacht.
Sieh: ich Ivill nicht glauben, das; Du mich
betrogen hast .. ich kann es ja nicht glauben,
denn sonst. . . Aber Du hast jedem bösen
Argivohn Thür und Thor geöffnet durch
Dein Benehmen, zumal zuletzt durch Deine
— Freundschaft mit diesem, diesem.. Fami-
lienräuber, diesem Gustav!

Olga: Er war Dein Freund.

Ernst: Mein Freund. Jawohl. In meiner
tollsten Lieutenantszeit sind wir es mal
gewesen . . . Damals Hab' ich ihn kennen
gelernt, weih, was an ihm ist.. und heute
veracht' ich ihn vom Grunde meiner Seele.
Ein kalter, gewissenloser Bube, ein ...

Olga: Hör' auf! —

Ernst: Ah! Dir gefällt er, nicht wahr? Ja.
Er hat schon Mancher gefallen. Olga! Sieh'
mich an! Kannst Du mir in's Gesicht be-
haupten, dah Du Deine Pflicht als meine
Frau stets heilig gehalten hast?

Olga: Heilig! — Was ist Dir denn heilig
gewesen in diesen Jahren unserer Ehe?
Deine Kompagnie, weiter nichts. Hast Du
Dich denn uni mich gelümmert? War ith
Dir denn das Geringste? Du gingst ja
lieber mit Deinem dicken Feldwebel spaziren
r; dienstlich, als mit Deiner jungen Frau.
Wenn wirklich 'mal was los war in diesem
traurigen Zieste, dann hieh es immer: erst
kommt der Dienst, erst kommt die Pflicht.

Jl'r. Lcfcbre (München).

War es mir da zu verdeiike», das; ich mich
an Deine galanteren Kameraden hielt? Goti
sei Dank, daß es solche noch gab.

Ernst: Galantere Kameraden. Zinn ja, das
ist es ja! Aniüsieren wolltest Du Dich!
So denkt keine Frau, die die Ehe heilig hält.

Olga: Heilig!-Ich will Dir einmal

was sagen, mein Lieber. O ja: auch für
mich hat es einmal eine Zeit gegeben, >vo
mir die Ehe als etwas Heiliges vorschwebte.
Das war in meiner Brautzeit und auch
noch später, in der allerersten Zeit unserer
Ehe. Aber es dauerte nicht lange. Als ich
erst den Ton weg hatte, in dem Ihr unter
Euch über das leidige Heiratheu spracht,
da war es schon vorbei. Und was glaubst
Du wohl, mein Lieber, ivas es für eine
Wirkung bei mir gemacht hat, als ich
nach und nach erfuhr, das; Du mich oder
eine andere hast heirathen müsse». Heilig!
Was heistt heilig? Du hast mich gehei-
rathet, iveil Dir Deine Schulden über den
Kopf zusammenschlugen.

Ernst (nach einer Panse, schwer): Ich hatte
Schulden und ich musste heirathen. — Ja.
— Aber bei Gott! Ich liebte Dich, Olga ..
ich liebte Dich!

Olga (auslachend): Redensarten! Mach
Dich nicht lächerlich! Das Geld meines
Batertz war es. Das Geld meines Vater--,
weiter nichts. Und weiht Du, was die
Folge war? Das; ich Dich verachtete. . .
verachtete so, luie ich Dich noch heute ver

achte.-So! Nun kennst D» mich!

Nun weiht Du was von mir!

Ernst: Und da glaubst Du nun, ein Recht
zu haben, meine Ehre zu beflecken!

Olga: Deine Ehre!

Ernst (an den Degen fassend): Jawohl,
meine Ehre! Und Du sollst es erfahren,
Weib, das; ich sie zu wahre» weih. Ich
seh' es jetzt, aus Allem .. ich seh es.. mic-
jebetu Worte, das Du sprichst.. ans. jedem
Ton —: Du hast mich jchon betrogcn!
Du hast inich schon betrogen! 'Und
jetzt, jetzt sollst Du mir sagen, sollst Du
nur gesteh'» mit wem! Mit wen,? Damil
ich iiiich rächen kann, damit ich mich be-
freien kann von der Schande, die aus mir
lastet.. (Er tritt ganz nahe an sie heran):
Mit wem? — Sprich!

Olga (steht aufgerichtet, starrt ihn an und
schweigt.)

Ernst: Olga! Sprich!

Olga (mit zurückgeworfeneni Kopse): Nein!

Ernst: Und Du vertheidigst Dich nicht?

Olga: — Neiii!

Ernst (fasst ihre beiden Unterarme): So ge-
steh ! Gesteh!

Olga: Laß mich los!

Ernst (zwingt sie in die Knie): Mit wem?

Olga: Du mihhaudelst mich.

Ernst (wilder): Mit wem?!

Olga (schreit aus): Hilse! (gellend): Hilfe!

Ernst: Mit wem?

Olga (gellend): Gustav!

Ernst (lässt sie plötzlich los und starrt.)

Olga (sieht nach hinten zur Thür.)

Gustav (erscheint im Hintergrund.)

Ernst (folgt ihrem Blick, sieht ihn, schreit
ans): Ah! Du! Also doch: Du. Was suchst
Du hier?

Gustav: Ich eile einer bedrängten Frau
zur Hilfe.

Ernst (zieht den Degen): Hilf Dir selber,
Du Hund!

Olga: Hilse, Hilfe! (Sie eilt nach hinten ab.)

Ernst (stürzt auf Gustav los): Du Hund!

Gustav (zieht und pariert).

Ernst (rennt blindlings in seinen Degen
und fällt ächzend rücklings zu Boden).

Gustav (steht einen Moment starr. Dann
nähert er sich ihm. Leise): Griesseld? (Er
kniet zu ihm nieder): Griesseld? (Er knöpft
ihm die Uniform auf. Zahlreiche Rosen-
bvuquets fallen heraus.)

Gustav (erhebt sich und senkt den Kopf.;

(Vorhang.)

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Wilhelm Lefebre: Spinne und Libelle
 
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