Nr. 47
JUGEND
1897
weiss Gott, was für tolle Liebesandenken noch,
und dazu liefen ihm die hellen Thränen über
das bleiche Gesicht, indess er stöhnte:
„Dies Weib! Dies Weib!-“
Wir wussten genug. Sein Roman war zu
Ende, Die geheimnissvolle Dame, die immer
verschleiert seine Werkstatt besuchte, die wir
Alle als Dame von Welt erkannt hatten, hatte
ihm das Herzweh angethan, unter dem sich
jetzt seine Seele in Schmerzen wand. Man
sagte sich, sie sei sein Modell gewesen zu der
Europa auf seinem Bilde; so irgend Etwas wie
die Begeisterung der Liebe musste auch an
seinem Werk mitgeschaffen haben; es stand
hoch über Allem, was er bisher gemacht und
musste ein Erfolg werden, der sein ganzes
Schicksal bestimmte. — —
Jetzt kniete er vor dem Ofen und weinte.
Als wir still wieder aus der Thüre gehen
wollten, schrie er rauh:
„Bleibt! Wir trinken Eins darauf, dass der
Geschichte damit ein Ende ist!“
Er deutete auf das Bild. Dann gab er der
Aufwartefrau Geld und schickte sie fort. Bald
rückte ein Küferbursche aus dem benachbarten
Weinhaus mit einer Batterie eisgekühlter Sect-
flaschen an; auch Gläser brachte er vorsorg-
lich mit.
Und wir tranken. Erst, weil wir den braven
Kerl aufheitern wollten. Und dann, weil der
edle Tropfen uns selber prächtig mundete. Bald
hatten wir Hansens Weh vergessen. Wir tran-
ken, debattirten über die Kunst, wir sangen,
wir zankten uns dazwischen, wir schrieen, wir
schwärmten; unsere Köpfe wurden roth und
am Röthesten wurde Hansens sonst ziemlich
blasses Gesicht. In seinen Augen brannte ein
fremdartiges Feuer. Er stand schliesslich auf,
um zu reden und sprach verworrenes Zeug von
Glück und Liebe, Ruhm und Kunst! Es war
durchaus nicht erschütternd, aber unsagbar con-
fus! Irgend ein Vivat — oder war es ein
Pereat! — schloss seine Rede. Wir tranken
aus — er einen grossen, alten Silberpokal.
Nun fing er an zu wanken und zu stammeln.
„Und nun kommt das Ende!“ schrie er
mit einem Mal, riss aus einer Waffentrophäe
mit der Hand einen Malayendolch und stürzte
auf sein Bild zu, die „Europa mit dem Stier“.
Offenbar wollte er es zerschneiden. Wir fielen
ihm in den Arm, ein gefährliches Ringen be-
gann. Hans machte sich frei und nun richtete
er die haarscharfe, leicht gebogene Klinge gegen
die eigene Brust. Freund Albert aber hatte
zur rechten Zeit eine Mallatte ergriffen und
schlug dem Wahnsinnigen die Waffe aus der
Hand. Dann hob er sie blitzschnell auf und
warf das tückische Eisen durch die klirrende
Scheibe des Atelierfensters in den Hof hinaus.
Ströme eiskalter Winterluft drangen in den
überheizten Raum. Der kühle Hauch und der
Ernst des Augenblicks machten uns nüchtern.
Auch Hans, der sich willenlos auf seinen Sitz
zurückführen liess und die derb getroffene Hand
rieb. Er füllte seinen Becher mit Eiswasser aus
dem Champagnerkühler und goss es hinunter.
„Narr!“ sagte ich, als hätte ich von dem
Versuch des Freundes, sich zu tödten, nichts
bemerkt, „eine solche Arbeit zerstören wollen!“
„Findest Du sie denn wirklich gut?“
„Prachtvoll! Einfach prachtvoll!“
„Und Du?“ fragte er nun Albert, den Thier-
maler, der bekannt war wegen der robusten
Formen seiner Kritik.
„Das Weibsbild ist superb,“ meinte dieser.
„Aber das Rindvieh, das sie entführt, ist doch
nicht ganz auf der Höhe.“
Hans fuhr in die Höhe und erhob dann
plötzlich ein Lachen, das wir für den Ausbruch
des Wahnsinns hielten, so laut, so toll, so
schallend war es. Und dazwischen rief er:
„Das Rindvieh! Das Rindvieh! Das Rind-
vieh, das sie entführt!“
Wir verstanden ihn nicht. Als er sich satt
gelacht hatte, schob er uns zur Thüre hinaus.
„Adieu Kinder! Morgen Abend fahre ich
nach Italien. Mein Wort darauf, ich hole mir
kein zweites Mordgewehr von der Wand. Lebt
wohl! Albert, Du bist herrlich!“
Wir gingen — ein wenig verdutzt, aber be-
ruhigt. Seine Heiterkeit, so wenig wir sie ver-
standen, war zu unverkennbar echt! Noch auf
dem Gange hörten wir ihn lachen und rufen:
„Das Rindvieh!“
Jetzt war er wieder zurück von Italien, kern-
gesund; nur ernster und mannhafter war er ge-
worden. Er schlenderte an meinem Arm durch
die Strassen der Stadt und machte schlechte
Witze über unser Klima. Plötzlich fühlte ich,
dass sein Körper leise zusammenschauerte. Aber
nur einen Augenblick. Dann grösste er höflich
eine verschleierte Dame, die mit einem etwas
grotesk aussehenden Herrn ging. Ein grauer
Cylinderhut deckte sein sorgfältig frisirtes Haupt,
eine lange graue Redingote baumelte wie ein
Weiberrock um seine Lenden. In zwei scharf
abgezirkelten Voluten bog sich der blonde
Schnurrbart des Mannes zur Nase empor. Vor
einem der grauen, leeren Augen blinkte ein Glas.
Ich merkte, dass Etwas in meinem Begleiter
vorging und sah ihn fragend an.
„Hast Du sie gesehen?“ sagte er.
„Ihr Gesicht nicht.“ —
„Das war meine Europa, wenn Du es wissen
willst. Und das Grauthier neben ihr war der
— Gott, der sie mir entführt hat. Weisst Du
noch jenen verrückten Abend im Atelier? Du
sollst in Kurzem hören, wie Alles kam. Nach
Wochen eines wilden, süssen, heimlichen Liebes-
glücks bot ich jenem Weibe meine Hand an
— sie wies mich ab. Mich dummen, ehrlichen
Burschen, der nichts wollte, als sich für sie zu
Schanden arbeiten und sie auf Händen tragen,
wies sie ab — um das da! — Ein paar roman-
hafte Redensarten — es hat nicht sollen sein
— es wär’ zu schön gewesen! Und dann ein
frech-lüsternes „wer weiss .. ..“ Das war ihr
ganzer Trost. — Wie nahe ich damals dem
Verrücktwerden war, das hast Du ja mit an-
gesehen. Und da spricht nun der himmlische
Albert jenes befreiende Wort: „Das Rindvieh
— das Rindvieh, das sie entführt!“ Mit einem
Schlage blitzt mir die Erkenntniss von dem
Humor der Sache auf, mit einem Schlage bin ich
den ganzen unwürdigen Jammer los! Weinen
um ein Frauenzimmer, das sich von diesem
Rindvieh entführen lässt! — Zu dumm!“
„Und darum Dein unbändiges Lachen?“
„Hält' ich nicht lachen sollen?“
Lingcr loagcr Loo.
sff
Der letzte der Freier!
Winterskizze
von Anton Freiherrn von pcrfall.
MskenKen Sie jetzt, wenn Sie einen Blick;um Zensier
hinauswerfen, an Licdeswonne, Lenzgefühle,
an den unsterblichen Drang, unter dem die Statur
jedes Jahr erschauert bis in das feinste Würzelchen,
das sich unter der Lrde dehnt und streckt? Lächer-
lich ! wie käme man dazu! — Das in den Schul-
auffäyen schon reichlich verwendete „weiße Leichen-
tud;“ bedeckt Wald und Zlur, der rauhe Kordwest
rüttelt an Laden und Zenstern, und in dem öden
Grau ringsum ragen die schwarzen, kahlen, triefen-
den Aeste in unendlicher Traurigkeit.
Das müßte schon ein sonderbarer Kauz sein,
der jetzt an Liebe dächte im Zreien.
OtC. Barascudts.
„Es ist eine der grössten Himmelsgaben,
So ein lieb’ Ding im Arm zu haben.“
JUGEND
1897
weiss Gott, was für tolle Liebesandenken noch,
und dazu liefen ihm die hellen Thränen über
das bleiche Gesicht, indess er stöhnte:
„Dies Weib! Dies Weib!-“
Wir wussten genug. Sein Roman war zu
Ende, Die geheimnissvolle Dame, die immer
verschleiert seine Werkstatt besuchte, die wir
Alle als Dame von Welt erkannt hatten, hatte
ihm das Herzweh angethan, unter dem sich
jetzt seine Seele in Schmerzen wand. Man
sagte sich, sie sei sein Modell gewesen zu der
Europa auf seinem Bilde; so irgend Etwas wie
die Begeisterung der Liebe musste auch an
seinem Werk mitgeschaffen haben; es stand
hoch über Allem, was er bisher gemacht und
musste ein Erfolg werden, der sein ganzes
Schicksal bestimmte. — —
Jetzt kniete er vor dem Ofen und weinte.
Als wir still wieder aus der Thüre gehen
wollten, schrie er rauh:
„Bleibt! Wir trinken Eins darauf, dass der
Geschichte damit ein Ende ist!“
Er deutete auf das Bild. Dann gab er der
Aufwartefrau Geld und schickte sie fort. Bald
rückte ein Küferbursche aus dem benachbarten
Weinhaus mit einer Batterie eisgekühlter Sect-
flaschen an; auch Gläser brachte er vorsorg-
lich mit.
Und wir tranken. Erst, weil wir den braven
Kerl aufheitern wollten. Und dann, weil der
edle Tropfen uns selber prächtig mundete. Bald
hatten wir Hansens Weh vergessen. Wir tran-
ken, debattirten über die Kunst, wir sangen,
wir zankten uns dazwischen, wir schrieen, wir
schwärmten; unsere Köpfe wurden roth und
am Röthesten wurde Hansens sonst ziemlich
blasses Gesicht. In seinen Augen brannte ein
fremdartiges Feuer. Er stand schliesslich auf,
um zu reden und sprach verworrenes Zeug von
Glück und Liebe, Ruhm und Kunst! Es war
durchaus nicht erschütternd, aber unsagbar con-
fus! Irgend ein Vivat — oder war es ein
Pereat! — schloss seine Rede. Wir tranken
aus — er einen grossen, alten Silberpokal.
Nun fing er an zu wanken und zu stammeln.
„Und nun kommt das Ende!“ schrie er
mit einem Mal, riss aus einer Waffentrophäe
mit der Hand einen Malayendolch und stürzte
auf sein Bild zu, die „Europa mit dem Stier“.
Offenbar wollte er es zerschneiden. Wir fielen
ihm in den Arm, ein gefährliches Ringen be-
gann. Hans machte sich frei und nun richtete
er die haarscharfe, leicht gebogene Klinge gegen
die eigene Brust. Freund Albert aber hatte
zur rechten Zeit eine Mallatte ergriffen und
schlug dem Wahnsinnigen die Waffe aus der
Hand. Dann hob er sie blitzschnell auf und
warf das tückische Eisen durch die klirrende
Scheibe des Atelierfensters in den Hof hinaus.
Ströme eiskalter Winterluft drangen in den
überheizten Raum. Der kühle Hauch und der
Ernst des Augenblicks machten uns nüchtern.
Auch Hans, der sich willenlos auf seinen Sitz
zurückführen liess und die derb getroffene Hand
rieb. Er füllte seinen Becher mit Eiswasser aus
dem Champagnerkühler und goss es hinunter.
„Narr!“ sagte ich, als hätte ich von dem
Versuch des Freundes, sich zu tödten, nichts
bemerkt, „eine solche Arbeit zerstören wollen!“
„Findest Du sie denn wirklich gut?“
„Prachtvoll! Einfach prachtvoll!“
„Und Du?“ fragte er nun Albert, den Thier-
maler, der bekannt war wegen der robusten
Formen seiner Kritik.
„Das Weibsbild ist superb,“ meinte dieser.
„Aber das Rindvieh, das sie entführt, ist doch
nicht ganz auf der Höhe.“
Hans fuhr in die Höhe und erhob dann
plötzlich ein Lachen, das wir für den Ausbruch
des Wahnsinns hielten, so laut, so toll, so
schallend war es. Und dazwischen rief er:
„Das Rindvieh! Das Rindvieh! Das Rind-
vieh, das sie entführt!“
Wir verstanden ihn nicht. Als er sich satt
gelacht hatte, schob er uns zur Thüre hinaus.
„Adieu Kinder! Morgen Abend fahre ich
nach Italien. Mein Wort darauf, ich hole mir
kein zweites Mordgewehr von der Wand. Lebt
wohl! Albert, Du bist herrlich!“
Wir gingen — ein wenig verdutzt, aber be-
ruhigt. Seine Heiterkeit, so wenig wir sie ver-
standen, war zu unverkennbar echt! Noch auf
dem Gange hörten wir ihn lachen und rufen:
„Das Rindvieh!“
Jetzt war er wieder zurück von Italien, kern-
gesund; nur ernster und mannhafter war er ge-
worden. Er schlenderte an meinem Arm durch
die Strassen der Stadt und machte schlechte
Witze über unser Klima. Plötzlich fühlte ich,
dass sein Körper leise zusammenschauerte. Aber
nur einen Augenblick. Dann grösste er höflich
eine verschleierte Dame, die mit einem etwas
grotesk aussehenden Herrn ging. Ein grauer
Cylinderhut deckte sein sorgfältig frisirtes Haupt,
eine lange graue Redingote baumelte wie ein
Weiberrock um seine Lenden. In zwei scharf
abgezirkelten Voluten bog sich der blonde
Schnurrbart des Mannes zur Nase empor. Vor
einem der grauen, leeren Augen blinkte ein Glas.
Ich merkte, dass Etwas in meinem Begleiter
vorging und sah ihn fragend an.
„Hast Du sie gesehen?“ sagte er.
„Ihr Gesicht nicht.“ —
„Das war meine Europa, wenn Du es wissen
willst. Und das Grauthier neben ihr war der
— Gott, der sie mir entführt hat. Weisst Du
noch jenen verrückten Abend im Atelier? Du
sollst in Kurzem hören, wie Alles kam. Nach
Wochen eines wilden, süssen, heimlichen Liebes-
glücks bot ich jenem Weibe meine Hand an
— sie wies mich ab. Mich dummen, ehrlichen
Burschen, der nichts wollte, als sich für sie zu
Schanden arbeiten und sie auf Händen tragen,
wies sie ab — um das da! — Ein paar roman-
hafte Redensarten — es hat nicht sollen sein
— es wär’ zu schön gewesen! Und dann ein
frech-lüsternes „wer weiss .. ..“ Das war ihr
ganzer Trost. — Wie nahe ich damals dem
Verrücktwerden war, das hast Du ja mit an-
gesehen. Und da spricht nun der himmlische
Albert jenes befreiende Wort: „Das Rindvieh
— das Rindvieh, das sie entführt!“ Mit einem
Schlage blitzt mir die Erkenntniss von dem
Humor der Sache auf, mit einem Schlage bin ich
den ganzen unwürdigen Jammer los! Weinen
um ein Frauenzimmer, das sich von diesem
Rindvieh entführen lässt! — Zu dumm!“
„Und darum Dein unbändiges Lachen?“
„Hält' ich nicht lachen sollen?“
Lingcr loagcr Loo.
sff
Der letzte der Freier!
Winterskizze
von Anton Freiherrn von pcrfall.
MskenKen Sie jetzt, wenn Sie einen Blick;um Zensier
hinauswerfen, an Licdeswonne, Lenzgefühle,
an den unsterblichen Drang, unter dem die Statur
jedes Jahr erschauert bis in das feinste Würzelchen,
das sich unter der Lrde dehnt und streckt? Lächer-
lich ! wie käme man dazu! — Das in den Schul-
auffäyen schon reichlich verwendete „weiße Leichen-
tud;“ bedeckt Wald und Zlur, der rauhe Kordwest
rüttelt an Laden und Zenstern, und in dem öden
Grau ringsum ragen die schwarzen, kahlen, triefen-
den Aeste in unendlicher Traurigkeit.
Das müßte schon ein sonderbarer Kauz sein,
der jetzt an Liebe dächte im Zreien.
OtC. Barascudts.
„Es ist eine der grössten Himmelsgaben,
So ein lieb’ Ding im Arm zu haben.“