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Kr. 47

JUGEND

1897

Sic drei «8 l e i W e n

Dazu sucht man sich dach, wenn irgend mög-
lich, eine andere Zeit aus, wenn die Ratur das
große Zest mitfeiert, oder wenigstens so lange um
uns herum noch das volle Leben quillt.

Und doch gibt es einen so sonderbaren Kauz,
dem, wie Luch Sonne und Blüthen, Schnee und
Lis und Wintersturm die holde Lust erweckt.

Das ist der Gamsbock, der letzte der freier!

Und als ob er sich dazu das Festkleid eigens
bestellt, wächst ihm der schwarze Zottelpelz und das
Rückgrat entlang der vielumworbene, stattliche Bart,
daß der schmutzig gelbe, an eine Ziege erinnernde
eckige Sommerbock gar nicht mehr darunter zu
erkennen ist.

Wer ihn zu d e r Zeit nicht gesehen, der wun-
dert sich mit Recht über den Preis, welcher dem
Unscheinbaren, dem Ziegengeschlechte Entsprossenen
zu Theil wird.

Da aber dies bei den meisten Gebirgsbesuchern
der Zoll ist, indem der Rovember als der wenigst
verlockende Monat gellen dürfte, so gestatten Sie
mir, daß ich sein wahres Bild in Rabenschwarz
auf weißem Grund Ihnen vorführe, wie ich es vor
wenig Tagen erst wieder geschaut zu meiner Herzens-
freude,

Dem „wilden Jäger", der im August über mich
die Achsel gezuckt, soll diesmal keine rothe Livröe,
kein schwarzer Anzug, oder gar Souper mit Damen
die Stimmung verderben — nur Ratur, harte rück-
sichtslose Ratur, alte verwaschene Hüte von der
köstlichen Patina, die er so hoch bezahlt, kräft-
iges Pfeifenaroma, völlig fehlende Waschge'.egen-
heit, eine möglichst etiquettelose Gesellschaft, die an
Echtheit ihn noch übertrifft, durchaus ungebundene
Rede, mit sorgfältiger Vermeidung jeder verhaßten
Sprachzier, das Alles sei ihm vorher zugesagl, nur
mache er mir dann keinen neuen Vorwurf, daß
ich ihm nicht durch die Rest oder Rosl frisch an-
gestochenes ,Hacker' oder .Franziskaner' kredenzen
lasse. Einem richtigen Wilden muß der klare Auell
genügen.

Die „Zöner Söldenstube" liegt in einem Hoch-
thale, größtentheils von Alpengründen umgeben.
Im Sommer tönt an stillen Abenden gar heimlich
von allen Seiten das Heerdgeläute und der Zuruf
der Sennerinnen; dazu rauscht der Bach in natür-
lichen Lascaden über glatte Steinplatten, dicht vor
der Hütte einen romantischen Wasserfall bildend;
ein vielbenuyter Zußweg führt dran vorüber, der
„Bodenschneid" zu, — Und heute!

Der reinste „Zram", verankert in Lis und
Schnee, liegt die Winterstube sHüttrj, von der nur
mehr das Dach sich aus dem endlosen Weiß erhebt
und der ewig rauchende kleine Kamin, Der Wasser-
fall ist erstarrt. Die Lärchen- und Zichtenbüsche sind
riesige Schneehügel,

Der Zußweg ist drei Meter tief verschneit, die
Almen schweigen, und endlos in lautlos sich senken-
dem schweren Gestock schneit es weiter seit drei
Tagen durch den dicken schwarzen Rebel, der rings-
um den Blick auf zehn Schritte beschränkt.

In dem Zram, wollte sagen in der Winter-
stube, hausen drei Männer, Der pusterer Zranzl,
ein alter Holzknecht, Jakl, der Jäger, und ich!

Seit drei Tagen keine Möglichkeit, irgend etwas
zu unternehmen.

Gegen neun Uhr ringt sich etwas wie Licht
hindurch, das sich an den in der aschgrauen Luft
sich stärker abhebenden Zlocken zeigt, Ls wächst
nicht, es regt sich nicht, und um drei Uhr ver-
schwindet es wieder spurlos.

Dem pusterer Zranzl taugt es grad'; für seine
alten Knochen sind es willkommene Rasttage, er
„koit" und raucht, schürt den (Ofen, pastelt an sein'
G'wand, oder schnitzelt an einem Stück Holz und
begreift nicht, was man noch in der Welt wünschen
kann.

Die einzige Abwechslung bringen die Mahl-
zeiten, das Menu machen. Die Auswahl ist gar
nicht so gering, Brodmandl, preßknödel, Kas-
nocken, Brennsuppe, Schmarrn und — Kaffee —
der unentbehrliche Tröster,

Rach der Mahlzeit ein Schläfchen, wenn es
noch geht, der versuch einer Wetterprognose vor
der Hütte, — dann beginnt die endlose arktische
Rächt — j 8 Stunden,

Auf einem Holzklotz brennt eine Unschlitlkerze,
matten Schein verbreitend. Der Marienkalendcr
vom vergangenen Jahr, die einzige Literatur des
Hauses, ist schon zum dritten Male durchgeblättert
mit all' seinen Berühmtheiten und seinen illustrirten
Wundern, die dem pusterer immer neuen Genuß
und Erbauung gewähren, alle meteorologischen
Möglichkeiten sind längst erschöpft und gipfeln für
den Zranzl in dem hoffnungsvollen Aucspruch; „'s
hat no alleweil nachgeb'n"; bleibt nichts mehr als
das unerschöpfliche Thema der Jagd,

Es nistet ja förmlich in den moosverstopften
Spalten der Holzwände unter den knarrenden Dielen,
seit Jahrzehnten aufgespeichert, zäh wie eine Spore,
der alle Grade Lelsius und Zahrenheit nicht an-
können, keimfähig in das Unendliche,

Der pusterer bildet den Lhor dazu mit seinen
allgemeinen lehrreichen Bemerkungen: „Ja! Ja!
— So! So! — Wall! Wall!"

Auch Jakl nackelt schon, spricht von einem
schweren Tag, „probir'n thuan wir's alleweil!"
und kriecht in's Gelieger.

Ich bin allein und kann nicht schlafen. Die
Gespenster des Lebens finden auch die Waldhütte
und Klopfen an den Zenftern, und wenn ich ihnen
auch nicht öffne, sie dringen durch alle Ritzen und
Spalten und lassen sich in der behaglichen wärme
um mich nieder,

„Hast Du vergessen?" — und — „Weißt Du
noch?" Die Unheim ichsten schweigen ganz.

Der Kopf wirbelt mir, — hinaus in die Schnee-
nacht!

Bleierne Zinfterniß; und am beleuchteten Zensier
vorbei schweben immer noch die Zlocken. — Dann
folgt ein traumvoller Halbschlaf, in der sich erst
entwickelnden Hitze des eisernen Ungethüms in der
Ecke, unter dem Geraffel, Gestöhne, Gepfeife von
pusterer und Jakl, ein dutzendmale auf die Uhr
sehen, bald den pusterer, bald den Jakl zwicken,
um wenigstens eine Viertelstunde Waffenstillstand
zu erhalten, und dann kommt endlich auch über
mich die Erlösung aller Rordlandsfahrer — der
Schlaf! —

Jakl muß mich sogar wecken,

„'s Wetter macht si', am Mittag scheint d'
Sonn',"

Alles ist vergessen! Rur keine Zeit verlieren,
pusterer löffelt schon sein' Brennsuppen,

„Ls d'erlast si' net!" meint er, in stoischer
Ruhe unsere Hast beobachtend.

Das Schneien hat aufgehört, der Rebel wird
locker, es wallt auf und ab darin, trennt und ver-
einigt sich, glüht rosig auf, gerade als ob eine
Welt sich gebären wollte im unendlichen Aether,
bis plötzlich mit einem Ruck die Massen zerstieben,
wie von einem Zauberstab berührt.

In jungfräulicher Weiße, wie ein Kommunion-
kind, prangt die ganze Landschaft, vom blauen
Himmel überspannt, nur in der Ebene draußen
wallt und wogt das weiße Rebelmeer und brandet
um die schwarzen Waldberge, deren Spitzen wie
Klippen daraus hervorragen.

Der Aufstieg zur Dürnbachschneid im wolligen
Schnee kostet Schweiß.

Aber oben in einem dicht verschneiten Graben
jagen schon zwei Gamsböcke, daß der Schnee auf-
wirbclt. Der Anblick gibt Kraft und Hoffnung,
Rach einer Stunde biegt der Steig horizontal
in die schroffen Wände, das heißt, er ist überhaupt
nicht mehr zu sehen, er muß mehr empfunden
werden, und jeder Tritt muß sitzen im steifen Schnee,
ehe der nächste gethan wird, denn links gähnt die
Tiefe.

Wo der Steig um das scharfe Lck biegt, da
gilt's zum ersten Male, jenseits zieht sich der breite
Graben, der selten leer,

Dbacht! Ausgeschnauft! Büchse bereit!

Wir wühlen uns im Schnee hinauf, ich voraus.
Langsam den Kopf vorgestreckt — Kreuz Ele-
ment ! Man hat doch keinen Astralleib! — Da
steht schon einer und pfeift herauf.

Der Zeldstecher zeigt einen vierjährigen. Ra,
für so einen ift's später auch noch Zeit, — pfeif'
dir die Schwindsucht, Hallunk!

Ja, wenn er nicht das ganze Revier rebellisch
machte damit! Ueber uns, unter uns pfeift's, und
überall tauchen die schwarzen wiegenden Leiber auf,
um im Ru wieder zu verschwinden, nur eine Kiy-
gais hält auf 50 Schritt Stand,

Ueber ihren verführerischen Anblick vergißt der
vierjährige uns, die Gefahr, seinen Zorn, und in
mächtigen Sätzen bis am Hals in den Schnee ver-
sinkend, treibt er sie über die Schneid, Uns bleibt
nichts, als der von der Zährte gepflügte Schnee
und das Rachschauen,

Aber das macht nir. Das Richtige hat's doch heut'.
Weiter! Das Gehäng wäre glücklich von uns
geleert. Der Schnee wächst unter den Züßen,
Rach einer Stunde biegen wir in die „Breit-
lahner".

Der Brccherspitzkeffel, die „Angel", breitet sich
vor uns wie ein riesiger ausgehöhlter Zahn, der
jetzt mit Watte ausgefüllt ist.

Da und dort bewegen sich schwarze Punkte, ein
Rudel von 25 Stück treibt sich auf den Angel-
almen herum, welche den Boden des Kessels bilden,
dicht um die bis zum Dach verschneiten Hütten,
Der Schnee wird weicher unter den Sonnen-
strahlen und knarzt. Da gibt es nur Lines —
sitzen bleiben, abwarten,

Lin sonniges Plätzchen wird gesucht mit Latschen-
deckung und weitem Ausblick,

„Werd schon Liner amal daher mandeln," meint
der Jakl,

Zährten ziehen sich kreuz und quer, die Hoff-
nung ist nicht unberechtigt.

Wohlig wärmt die Sonne, Man „untert".
Speck mit Schwarzbrod und ein Maul voll Schnaps,
Dann kommt das „Spectiv" nicht mehr vom
Auge, Die runden Bilder wechseln wie in einem
Guckkasten.

Lin guter Sechsjähriger, der hohen weiten
Krücken nach, ist Playback auf der Alm,

Drei Schwächere machen ihm arg zu schaffen.
Hat er den einen vertrieben, umkreisen die zwei
andern lüstern das Rudel und wagen oft ganz
unqualifizirte Angriffe auf d.e würdigsten Matronen.

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Walter Caspari: Die drei Gleichen
 
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