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Nr. 47

1897

JUGEND

Einmal jagt er einen gerade auf uns zu, Graben
auf, Graben ab. Aber der Unfug hinter seinem
Rücken zwingt ihn immer wieder zurück.

Dann und wann erscheinen auf der Schneiden
die schwarzen Gestalten, blicken in den Kessel und
ziehen sich wieder zurück. Der Tyrann verdirbt
uns noch das ganze Geschäft.

Mittagpause! Der Rudel verzieht sich in den
Wänden, von draußen drängt schon wieder das
Rebelmeer, die schwarzen Klippen versinken, ständig
rückt es näher, vor ihm her fliegt ein eisiger blauer
Schatten, im Ru den Kessel füllend.

„Wenn wir halt do —,“ meint Jakl, auf den
Grat zeigend über uns. „Dahinter steckt das ganze
S'raff'l."

Mir aus der Seele gesprochen.

Ein Schüttelfrost wird abgewartet, der den sich
Erhebenden befällt, dann beginnt der Schneekampf in
steiler Rinne aufwärts, daß der Schweiß perlt und jede
Sehne zittert. Rur langsam rückt der Grat näher
und dicht uns auf den Zersen jagt der Rebel herauf.

Jakl schwingt drohend die Zaust gegen den ver-
haßten. Da hat er uns schon umfaßt und zu allem
Ueberfluß fegt noch der Sturm herauf und wirbelt
den Schnee in das Gesicht. Sehnsüchtig sucht das
Auge den jetzt zerfließenden Grat.

Da gibt's mir den bekannten Ruck und ich
trete den Jakl dicht unter mir mit den Genagelten
auf die Zinger.

Da steht einer oben. Wie eine Rauchwolke zieht
der Rebel über ihn, seine Lontouren verwischend.

Roch hat er nichts gemerkt. Bis an die Brust in
den Schnee gekeilt, die Zinger erfroren, — der Büchs-

riemen mit dem Rucksack verwickelt, ■— keuchenden
Athems, — unmöglich, mit dem Perspektiv Sicherheit
zu schaffen über Geschlecht und Stärke. —

Da saust er schon herab, gerade in die Rinne.

Jetzt kenne ich mich aus! Entweder eine ver-
folgte Gais, oder der Bessere kommt nach. Richtig!
Da steht er schon oben, der Zweite, der Rechte,
und wie ein Blitz dem Ersten nach.

Jetzt wird es kritisch. — Der Play ist enge.

Aber die Zinger sind jetzt plötzlich nicht mehr
steif und die Büchse liegt schon an der Wange.
Wenn nur der Schnee nicht weicht unter dem Zuß.

Der Erste, schwächere, prallt förmlich an uns
an, schlägt dann einen Haken und schwingt sich
in das Latschenfeld jenseits der Rinne. Der Starke
versteht ihn nicht, folgt seiner Zährte und „blättert"*)
lustig darauf los.

Auf SO Schritt pfeif' ich ihn an.

Im Sprung steht er. Ich sehe die gelben
Streifen am Grind, die hohen weiten Krücken —
der platzbock!

Lingetupst! — Das Korn senkt sich in den
schwarzen pelz. Lin Knall wie ein Peitschenhieb,
nicht mehr, — der Bock stürzt im Zeuer.

„Dbacht!" schreit Jakl.

Gerade habe ich noch Zeit, mich mit Hilfe
einer Latsche nach Rechts zu schwingen, da saust
er schon an mir vorbei, in eine Schneewolke ge-
hüllt, mit den Läufen schlagend und eine ganze
Lawine poltert ihm nach in den tückischen Rebel,
den ich nun jubelnd verhöhne.

Brunfllaul beim Zagen der Gais.

Wir purzeln nach, vom Schnee halb gehalten,
halb geschoben, eine rothe Bahn bezeichnet den Weg.

Und dort hängt er schon mit der Krücken an
einem Latschenast, ein Kapitalbock! Im Rücken
wachelt der stattliche Bart.

Diese Waidmannslust wiegt ein Dutzend der
herrlichsten Strecken auf, alle Soupers und Diners
und — ich kann es nicht anders sagen in dem
Augenblicke — alle Damen! — —

Der Rückweg im Gestapf von heute Morgen
der Gamsbock vor mir in Jakls Rucksack — ist
eitel Wonne.

In unserer Hütte ist es lebendig geworden
unterdessen. Die Holzknechte haben den Ziehweg
aufgemacht, der Hias, der Toni, der David und
der Wendl.

Die Zeuer knallen am langgestreckten Herde
und lohen um die jugendlichen Gesichter.

Der Gamsbock löst die Zungen und alle Augen
blitzen vor stillem Reide und Sehnen.

„A Rarr, die Krücken!" „Teifi, der Bart!"

Und der pusterer grunzt sein „Wall! Wall!"
dazwischen.

Jetzt ist die Rächt nicht mehr zu lang und der
Dfen nicht mehr zu heiß.

Die alten Keime unter den Dielen, zwischen
den Balken der Wände, können sich gar nicht mehr
hervorwagen vor dem üppigen Blüthenwerk, das
jetzt seine Ranken flicht.

Das Schnarchen klingt mir wie Musik und die
Gespenster von gestern wagen sich nicht mehr her-
ein. Der Schwarze dort leidet es nicht mit den
smaragdenen Lichtern — der letzte der Zreierl

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Ferdinand Götz: Waidmannsheil
 
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