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JUGEND
Nr. 48
nachpfuschen. Sie ver-
kennen so ganz das
Material!
Das mil der „Frei-
heit der Entwickelung"
ist, so angewandt, ja
Unsinn! Die Freiheit,
originale Geister, ja
Benies zu produziren,
ist dem weiblichen Ge-
schlechte nicht vorent-
halten gewesen.
Ich will gleich recht
deutlich werden. Sie
werden mir vielleicht
enkgegenhalten, meine
Damen, es habe Dich-
terinnengegeben, die es
Mit den größten Dich-
tern aufnehmen Könn-
ten. Das wird Ihnen
so leicht Keiner ab-
nehmen ; aber Sie wer-
den sagen, da stehe
eben das dünkelhafte
Vorurlheil des „star-
ken Geschlechts" im
Wege: es sei noch nie
die Leistung einer Frau
unbefangen beurtheilt
worden. Ich bin ver-
wegen genug, einmal
vorauszusetzen, daß Sie
recht hätten.
Aber Musik! Mu-
sik, meine Damen! Sie
Machen oft genug 31? u-
fik; aber haben Sic
auch einmal Musik g e-
m a ch t? So oft man
Ihnen jenes übel ge-
nommen hat, so wenig
würde man Ihnen die-
ses verargen. Aber selt-
sam i Sie haben keine
Komponistin aufzuwei-
sen, so viel Sie sich mit
^Uusik befassen! Daß
es je eine bedeutende
Tondichterin gegeben
habe- dieses Line wer-
den Sie nicht behaup-
ten, meine Damen! Wenn die Musik, wie ein Philo-
soph gemeint hat, der unmittelbarste Ausdruck des
Willens ist, so hätten wir hier also die überraschende
Erscheinung, daß die Frauen ihren Willen nicht aus-
Zudrücken wissen. Wenn sich Dichterinnen die be-
geisterte Anerkennung der Männer erringen konnten
warum keine ein; ge Komponiftin?
Bei Gott: ich schätze Sie um dieses Mangels
willen nicht weniger, meine Damen, selbst wenn Sie
schnippisch erklären sollten, daß Ihnen an meiner
Hochschätzung unendlich viel gelegen sei.
Ich will von Wissenschaften nicht sprechen,
weine Damen; Sie könnten mit Recht einwenden,
der Weg jU diesen sei Ihnen nicht freigegeben worden.
Ich will auch von der bildenden Kunst nicht
sprechen, obwohl hier eigentlich kein äußeres Hinder-
est vorlag und es doch, beim Jeus, keinen weiblichen
-Eichel Angela, Rembrandt oder Dürer gegeben hat.
In der Dichtkunst steht es wesentlich besser.
Es hat große Dichterinnen gegeben, wenige, sehr
wenige. So wie die George Lliot höchstens noch
rme: die George Sand, und allerhöchstens noch
^Me: die Lbncr-Lschenbach, die auch aus ihren Lr-
jählungen „Alte Schule" wieder hervorblickt als eine
^aer scharfsichtigen und guten Frauen, die alles
-Menschliche verstehen und dann gewöhnlich milder
^d großherziger sind als die gleich klugen Männer.
Bei diesen Frauen bleibt nichts zu erinnern. Wenn
auch das höchste der männlichen Dichtung nicht er-
reicht ist, so darf man doch sagen: auch der größte
Poet brauchte sich solcher Leistungen nicht zu schämen.
Aber das sind drei! Da darf man schon von
Ausnahmen, von Launen der Ratur sprechen.
Und wenn die Frauen diese Spärlichkeit der
produktiven Individuen auf die äußeren Hindernisse
zurückführen, die sie als Frauen zu überwinden
hätten, so mißverstehen sie den eigentlichen Kampf
des Genies. Diese äußeren Hindernisse sind bei zahl-
reichen großen Männern diese.den gewesen. Auch
ihnen hat man nicht Geld, Bildung, Freiheit der
Bewegung, körperliche Stärke auf gestickten Kissen
entgegengetragen. Und alle äußeren Hindernisse
zusammen so gewiß sie manchen Genius ver-
nichtet haben machen noch keineswegs den
Erzfeind des Genies aus.
Der Kampf gegen den Unverstand der Rück-
ständigen, zwanzig, dreißig, vierzig Jahre, ja ein
ganzes Leben lang die Schmach ertragen, „die Un-
werth schweigendem Verdienst erweist" („schweigend"
auch insofern, als das Große den Unverständigen
schweigt), sich fassen in dem Gedanken: „Sie wissen
nicht, was sie thun" und in all dem Llend kleinster
Umgebungen nicht selber klein werden: Das ist
der eigentliche Kampf des Genies, und der, meine
Damen, bleibt auch dem Manne nicht erspart.
Während der ersten zwanzig Jahre seines Ringens
werden auch dem genialen Manne nur selten
Teppiche unter die Füße gebreitet.
Also warum nicht ebensogut weibliche Shakespeare
wie männliche? Warum nicht ebensogut weibliche
Lionardo wie männliche? Wenn Sie nun gleich-
wohl behaupten, meine Damen, es habe dennoch
weibliche Homer und weibliche Dürer und Hol-
bein gegeben, wenn Sie das behaupten aber
Sie behaupten es nicht! Weibliche Knackfüße
ja, massenhaft, aber Holbein — nein.
Und vor allen Dingen: warum nicht der leiseste
Ansatz zu einem weiblichen Beethoven, Mozart,
Händel, Gluck etc. ein ganzes Dutzend steht noch
auf Wunsch zur Verfügung ? Warum weise ich so
nachdrücklich auf dies absolute musikalische Manko
hin? Weil ich Sie auf Grund dieses Mankos mit
dem eisernen Griff der Logik — das ist ein Bild,
meine Damen zu dem Iugeftändniß zwingen
kann: „Ja, es gibt tiefliegende Unterschiede
in der Begabung der Geschlechter."
Und unter uns Sie dürfen es sich gesagt sein
lassen: nicht umsonst sehen die Mediceische Venus und
der Lc 'ghestsche Fechter so merkwürdig verschieden aus.
Gewiß: die Ratur liebt es durchaus, in mannig-
fachen Formen dieselbe Idee auszudrücken, ihren
Iweck auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Db
sie den Rand eines Blattes gezackt od r gesägt
oder gezähnt sein läßt: das kommt wohl auf das-
selbe hinaus. Und wenn sie dem einen Vogel einen
schmäleren Bug, dem anderen längere Schwingen
gibt: der Effekt ist ungefähr derselbe. Aber wenn
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nachpfuschen. Sie ver-
kennen so ganz das
Material!
Das mil der „Frei-
heit der Entwickelung"
ist, so angewandt, ja
Unsinn! Die Freiheit,
originale Geister, ja
Benies zu produziren,
ist dem weiblichen Ge-
schlechte nicht vorent-
halten gewesen.
Ich will gleich recht
deutlich werden. Sie
werden mir vielleicht
enkgegenhalten, meine
Damen, es habe Dich-
terinnengegeben, die es
Mit den größten Dich-
tern aufnehmen Könn-
ten. Das wird Ihnen
so leicht Keiner ab-
nehmen ; aber Sie wer-
den sagen, da stehe
eben das dünkelhafte
Vorurlheil des „star-
ken Geschlechts" im
Wege: es sei noch nie
die Leistung einer Frau
unbefangen beurtheilt
worden. Ich bin ver-
wegen genug, einmal
vorauszusetzen, daß Sie
recht hätten.
Aber Musik! Mu-
sik, meine Damen! Sie
Machen oft genug 31? u-
fik; aber haben Sic
auch einmal Musik g e-
m a ch t? So oft man
Ihnen jenes übel ge-
nommen hat, so wenig
würde man Ihnen die-
ses verargen. Aber selt-
sam i Sie haben keine
Komponistin aufzuwei-
sen, so viel Sie sich mit
^Uusik befassen! Daß
es je eine bedeutende
Tondichterin gegeben
habe- dieses Line wer-
den Sie nicht behaup-
ten, meine Damen! Wenn die Musik, wie ein Philo-
soph gemeint hat, der unmittelbarste Ausdruck des
Willens ist, so hätten wir hier also die überraschende
Erscheinung, daß die Frauen ihren Willen nicht aus-
Zudrücken wissen. Wenn sich Dichterinnen die be-
geisterte Anerkennung der Männer erringen konnten
warum keine ein; ge Komponiftin?
Bei Gott: ich schätze Sie um dieses Mangels
willen nicht weniger, meine Damen, selbst wenn Sie
schnippisch erklären sollten, daß Ihnen an meiner
Hochschätzung unendlich viel gelegen sei.
Ich will von Wissenschaften nicht sprechen,
weine Damen; Sie könnten mit Recht einwenden,
der Weg jU diesen sei Ihnen nicht freigegeben worden.
Ich will auch von der bildenden Kunst nicht
sprechen, obwohl hier eigentlich kein äußeres Hinder-
est vorlag und es doch, beim Jeus, keinen weiblichen
-Eichel Angela, Rembrandt oder Dürer gegeben hat.
In der Dichtkunst steht es wesentlich besser.
Es hat große Dichterinnen gegeben, wenige, sehr
wenige. So wie die George Lliot höchstens noch
rme: die George Sand, und allerhöchstens noch
^Me: die Lbncr-Lschenbach, die auch aus ihren Lr-
jählungen „Alte Schule" wieder hervorblickt als eine
^aer scharfsichtigen und guten Frauen, die alles
-Menschliche verstehen und dann gewöhnlich milder
^d großherziger sind als die gleich klugen Männer.
Bei diesen Frauen bleibt nichts zu erinnern. Wenn
auch das höchste der männlichen Dichtung nicht er-
reicht ist, so darf man doch sagen: auch der größte
Poet brauchte sich solcher Leistungen nicht zu schämen.
Aber das sind drei! Da darf man schon von
Ausnahmen, von Launen der Ratur sprechen.
Und wenn die Frauen diese Spärlichkeit der
produktiven Individuen auf die äußeren Hindernisse
zurückführen, die sie als Frauen zu überwinden
hätten, so mißverstehen sie den eigentlichen Kampf
des Genies. Diese äußeren Hindernisse sind bei zahl-
reichen großen Männern diese.den gewesen. Auch
ihnen hat man nicht Geld, Bildung, Freiheit der
Bewegung, körperliche Stärke auf gestickten Kissen
entgegengetragen. Und alle äußeren Hindernisse
zusammen so gewiß sie manchen Genius ver-
nichtet haben machen noch keineswegs den
Erzfeind des Genies aus.
Der Kampf gegen den Unverstand der Rück-
ständigen, zwanzig, dreißig, vierzig Jahre, ja ein
ganzes Leben lang die Schmach ertragen, „die Un-
werth schweigendem Verdienst erweist" („schweigend"
auch insofern, als das Große den Unverständigen
schweigt), sich fassen in dem Gedanken: „Sie wissen
nicht, was sie thun" und in all dem Llend kleinster
Umgebungen nicht selber klein werden: Das ist
der eigentliche Kampf des Genies, und der, meine
Damen, bleibt auch dem Manne nicht erspart.
Während der ersten zwanzig Jahre seines Ringens
werden auch dem genialen Manne nur selten
Teppiche unter die Füße gebreitet.
Also warum nicht ebensogut weibliche Shakespeare
wie männliche? Warum nicht ebensogut weibliche
Lionardo wie männliche? Wenn Sie nun gleich-
wohl behaupten, meine Damen, es habe dennoch
weibliche Homer und weibliche Dürer und Hol-
bein gegeben, wenn Sie das behaupten aber
Sie behaupten es nicht! Weibliche Knackfüße
ja, massenhaft, aber Holbein — nein.
Und vor allen Dingen: warum nicht der leiseste
Ansatz zu einem weiblichen Beethoven, Mozart,
Händel, Gluck etc. ein ganzes Dutzend steht noch
auf Wunsch zur Verfügung ? Warum weise ich so
nachdrücklich auf dies absolute musikalische Manko
hin? Weil ich Sie auf Grund dieses Mankos mit
dem eisernen Griff der Logik — das ist ein Bild,
meine Damen zu dem Iugeftändniß zwingen
kann: „Ja, es gibt tiefliegende Unterschiede
in der Begabung der Geschlechter."
Und unter uns Sie dürfen es sich gesagt sein
lassen: nicht umsonst sehen die Mediceische Venus und
der Lc 'ghestsche Fechter so merkwürdig verschieden aus.
Gewiß: die Ratur liebt es durchaus, in mannig-
fachen Formen dieselbe Idee auszudrücken, ihren
Iweck auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Db
sie den Rand eines Blattes gezackt od r gesägt
oder gezähnt sein läßt: das kommt wohl auf das-
selbe hinaus. Und wenn sie dem einen Vogel einen
schmäleren Bug, dem anderen längere Schwingen
gibt: der Effekt ist ungefähr derselbe. Aber wenn
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