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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 2.1897, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 49 (4. Dezember)
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Nr. 49

JUGEND

1897

TABLEAUX

I

Artur Hahni (München).


ROB

ES^

^'iüT

Ahregott Haufen

CC^fenn Ehregott Hansen, der Copist, um die
sNZ helle Mittagszeit aus der dunklen Schreib-
stube des Hinterhauses ans die Strasse hinans-
tritt, dann sind ihm die Augen sür die ersten
Sekunden geblendet vom vollen, gelben Licht-
strome, der an der einen Seite der Gasse hin-
fluthet. Die Sprache der Strasse stürzt plötzlich
auf ihn ein, als ob ein grober Geselle mit rück-
sichtslos-polternder Rede über ihn herfiele. Und
er wird unsicher, und stöjst die Vorübergehenden
an und stellt sich den Stock ztvischen die eigenen
Beine.

Aber schon nach einigen Dutzend Schritten hat
er sich von einem ganz leisen Schwindclgefühl
erholt, und er saht die Pflastersteine fester unter
seine Sohlen. Und er freut sich, wenn seine eisen-
beschlagenen Absätze mitklappern in diesem groben
festen Takte des wechselwirkenden Lebens.

Es kommt dann allmählich wie eine Erleichter-
ung über ihn und tvie ein schüchterner Versuch
der Kraft, die Beine durchzudrücken. Vielleicht,
so denkt er, gebe ich ttotz der schmalen Brust einen
ganz forschen Kerl. In den Schaufenstern zeigt
ihm das heimlich beobachtete Spiegelbild etwas
ivie breite Schultern: es sieht zwar ein bischen
höckerig aus, aber der weißblonde Schnurrbart,
der im Fensterglase ividerschimmert, macht man-
ches wieder gut.

Wenn sie nur nicht Alle uni so viel größer
wären, die ihni da vorübergehen; es ist ihm
peinlich, an einem hübschen Kinde hinausschaucn
zu müssen, wo das Herabblicken um so viel
schöner wäre.

In der hellen Mittagsonne sind auch die
Tintenflecken auf seiner pseffcrgrauen Hose recht
ausdringlich, und cs fällt ihm ein, daß man da
tvieder einmal tüchtig mit Salmiak nachhelfen
müsse. Es könnte auch nicht schaden, wenn die
Naht des linken Stiefels am nächsten Sonntage
nicht mehr so neugierig aufklafst.

Hansen hat oft so eine sttlle Sehnsucht, recht tadel-
los zu sein. Wenn er's hätte: immer schwarz, mit
einem bequemen Weltschnitt — er tveiß nicht, tvie
ihm gerade diese Bezeichnung einfällt, aber
sie gefällt ihm, es klingt so gut: Weltschnitt

— ohne Flecken und offene Nähte und ab-
gesprungene Kitöpfc. Recht, recht weißen,
tvcitoffenen Halskragen und schwarzrothe
Cravatte und einen federleichten, weichen
Filz, ohne Schweißränder und Bierfleckc

— o je, der vielen unerfüllten Wünsche
in allen Taschen und Löchern!

Da kommt z. B. die kleine Schneider-
mamsell einhergetrippelt. An dem hell-

gelblichen, engen Jäckchen und dem flinken Schritt
kennt er sie schon von weitem heraus. Die >vird
auch oft denken: Dunkelgrün ist jetzt so modern,
und eine andere hübsche Spange am Halskragen,
vielleicht ein Blüthenstcrnchen von Opalsteinen,
tvcmr man sie hätte, und einen leichten Floren-
tinerhnt mit blan-violctt gestreiftem Seidenband,
und ein dünnes Schirmchcn in einer unbestimm-
ten Rothseide und schmale, gelbe Schuhe mit

breitem, braunen Bande-sie müßte, mit

ihren großen, Hellen Augen und dem braunen,
reichen Haar, über's Ohr gewellt, einherschreiten
wie eine kleine zierliche Baronesse.

Aber da hat sie auch immer dasselbe Röckchen
über den schlanken Gliedern, und am Finger,
der rauh ist von Nadelstichen, trägt sie einen
häßlichen unechten Ring, und den Hut haben ihr
Sommcrsonne und Herbstregen ganz ans der
Form gebracht. Ach, sie wäre fast häßlich in
ihrer Armuth, wenn sie nicht ein so leichtes, gol-
denes Herz hätte, und so kußfrohe, zitternde Lippen
und ein so frisches Lachen und so lockere Knöchel
und so entzückendes Ringclhaar im Nacken.

Ein Weilchen stehen sie und plaudern am
grauen, verwitterten Thor, und die hundert Ge-
rüche und Geräusche der Straße umgeben sie.
In ihre Scherzworte hinein ratscht der Sägen-
schärfer, der gebückt im Thorschattcn hockt, seine
kreischenden Feilentöne.

Da draußen, jenseits der graurothen Ziegel-
bogen, ist lachendes lichtes Grün nm den sonnen-
belcuchteten Platz. Der weiße Springbrunnen
quillt niedrig aus seiner breiten Schale empor
— wie ein Milchbrunnen steigt es atls dem Stein-
grau ans, und in silbernen Strähnen fällt es
zurück in die zitternden Moirewellcn. Die Ka-
stanienbänme neigen ihre großen Blätterherzen
weit darüber, daß die tiesblanen Sticsmütterchcn-
beete anr Brunnen iit dem ivcchsclndcn Lichte
glühen, von iveißen Perlen überstreut.

Da ist auch, gegenüber den neuen Mieth-
palästen, dicht am großstädtischen Treiben und
Hasten, ein altes Straßenviertel mit niedrigen
Häusern, lieber sie hiiuvcg und auf sie herab
blickt mit väterlicher Würde ein verwitterter Ziegel-
thurm. Das Zeichen der Ewigkeit und das des

Vergehens trägt der Alte: ein ragend Kreuz ans
seinem Firste, und darunter goldglänzende Zeiger
im schwarzen Ziffcrblattc. Und seine Stimme ist
noch voll und tönend, wenn er über die rothen
Dächer her und über das Baumgrün eine zer-
ronnene Stunde in die Straßen Hinabrust. An
einem der niedrigen, schiefen Eckhäuser steht in er-
blindeter Schrift „Zum Sonnenhos" und mit dem
Hellen Schild „Sommerbier" am Hauseingnnge
liebäugelt die Sonne.

Alle Fenster und Thüren der alten Kiteipc
sind weit geöffnet. Vor ihnen, auf dem engen
Fußwege, hat sich eine Gcscllschast seltsam ge-
putzter Menschen aufgestellt, erwartungsvoll, tvie
zu einem festlichen Empfang, oder bereit zu einem
gemessen-eritsteit Neigen.

Doch nein, drüben über'm Fahrdamm, unter
blühenden Lindenbäumen, müht sich Einer am
Photographcnknstcn, das geheimnißvolle Werk-
zeug drohend auf die festliche Gruppe zu richten.
Die ist erwartungsvoll und blinzelnd im Hellen
Sonnenlichte, das in die Augen sticht und in die
Nas. n fährt.

Drei alte Musikanten halten die Glatzköpfe
und die gerötheten Gesichter mit viel Selbstver-
leugnung dem Sonnenbrand dar und drücken
mit der Pose künstlerischer Hantirung Fiedel,
Brummbaß und Ziehharmonika bedeutungsvoll
an sich. Sehr junge und einige alte Gentlemcn
bemühen sich, einen bierseligen Ausdruck ihrer
lächelnden Züge etwas in's Spannungsvoll-Ge-
hobene hinübcrzumildern, so gut das im kitzeln-
den Sonnenlichte möglich ist. Sie halten ge-
öffnete Bierkrügc in den Händen oder ängstlich
eine Base mit Blumen vor sich her.

Blumen! Ja, da haben sie auch Zweie mit
Blninen geschmückt, MhrthenzweigeundMprthen-
blüthcn, Bräutigani und Brarit.

Der männliche Theil dieses Doppclmenschcn-
thums, iit sehr kurzem Rock rind sehr kurzeir engen
Hosen, hat den Ernst des Augenblicks voll er-
saßt. Abtvechselnd zieht er an den Schnurrbart-
spitzen und dem anfgesprciztcnDaumen derBrnnt,
ihn behutsam immer wieder auf seine breite Hand
niederzwingend.

Eine dicke Matrone mit tvcißer Schürze müht
sich hinter der Braut noch um das künst-
liche Arrangement der Schleier-Enden, die
weiß tvie unschuldiger Neuschnee über die
Schultern der Schönen herabsnllcn. Die
aber blickt nur geradeaus nach dem dräuen-
den, dunklen Kasten da drüben, und ihr
Gcsichtsausdrnck ist der eines gescholtenen
Dienstmädchens. Dicht neben dem sorgen-
den Bräutigam prallt aus der Gruppe
das grasgrüne Kleid einer blumenum-
wundenen Brautjungser, die den Blick vor

8?o
Register
Arthur Lajos Halmi: Kunst und Mode
Franz Langheinrich: Ehregott Hansen
Julius Diez: Vignette
 
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