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Nr. 49

1897

• JUGEND

Im Lande der Talente

Eine Phantasie

Von

Raoul Auernheimer.

Z» Ende des neunzehnten Jahrhunderts gab es ein-
/ + mal ein Land, da hatten alle Einwohner Talent.
Dieses Land lag auf einer Insel mitten in einem
Ocean der Einbildung, so dass es von der ganzen
übrigen Welt, allwo die Dutzendmenschen erbärmlich
hausten, durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt
war, wie man hüben sagte und drüben glaubte.
Und thatsächlich wurde auch diese unüberbrückbare
Kluft durch nichts überbrückt, als durch das Geld
der Dutzendmenschen, davon die Talente lebten.

In dieses gesegnete Land kam nun einmal, durch
einen fürchterlichen Seesturm verschlagen, ein an-
ständiger Mensch. Dieser anständige Mensch
war sehr traurig, als er von einigen hochbegabten
Ruderknechten an’s Ufer gerettet ward. Denn
alle seine Gefährten lagen friedlich auf dem
Grunde des Meeres, und er allein war unter
begabte Menschen gerathen.

Da er aber nun schon einmal so weit war,
entschloss er sich, in die Stadt zu gehen, um
dort nachzufragen, wie er am schnellsten wieder
fortkommen könne. Auch erinnerte er sich,
dass er in jungen Jahren einen Collegen ge-
habt, der solang seinen Studien obgelegen hatte,
bis allen seinen Freunden das Geld ausging,
worauf er rasch entschlossen in’s Land der
Talente übersiedelt war. Den wollte er nun
aufsuchen.

Als er einen Dienstmann sinnend an einer Strassen-
ecke stehen sah, näherte er sich ihm, schüchtern und
barhaupt, um ihn auf keinen Fall in seiner Eigenart
zu verletzen, und fragte kleinlaut nach seinem Freunde
Wolfhart Wolf.

Der Dienstmann, empört, dass man ihn im Nach-
denken über einen wirksamen Aktschluss gestört,
gab gereizt zur Antwort, dass auch er ein Mensch
sei und an einem Drama arbeite, und dass man
ihn mit den kleinlichen Fragen des alltäglichen Ver-
kehrs verschonen möge. Da er aber nun schon ein-
mal im Schaffen gehemmt sei, so wolle er ihm sagen,
dass der Obmann der Schriftstellerzunft Herr Wolf-
hart Wolf am Hauptplatz Nr. 7 wohne, dass er
ihm aber, von seinem Standpunkte aus, jedes Talent
absprechen müsse.

Der anständige Mensch ward sehr verlegen über
die grosse Liebenswürdigkeit des so begabten Dienst-
mannes, schenkte ihm, was er an Kleingeld bei sich
hatte, und begab sich nach Wolfhart Wolfs präch-
tigem Haus, woselbst ihn ein Hausknecht empfing,
der einen goldenen Kneifer auf der Nase und ein
fein ironisches Lächeln in den Mundwinkeln trug.
Beides erklärte sich daraus, dass dieser Hausknecht
eigentlich nur so nebenbei Hausknecht und seinem
Berufe nach Theaterkritiker war.

„Ich möchte Herrn Wolfhart Wolf sprechen!“
stotterte der Fremde, ein wenig verlegen unter dem
boshaften Beobachterblick des Kritikers.

„Sind Sie Dichter, Maler, Componist oder Schau-
spieler?“ fragte der Hausknecht bissig.

Der Fremde wurde über und über roth.

„Nein,“ erwiderte er beschämt, „ich bin ein an-
ständiger Mensch.“

„Was ist das?“ fragte der andere mit unge-
künstelter Ueberraschung.

„Melden Sie es nur Herrn Wolfhart Wolf! Herr
Wolfhart Wolf wird es vielleicht noch wissen.“

„Ich glaube nicht,“ versetzte der Kritiker skeptisch.

Herr Wolfhart Wolf lag in seinem Arbeitszimmer
auf einem weissen Bärenfell und dachte über seine
Individualität nach.

„Herr Wolfhart Wolf,“ hub der anständige Mensch
bescheiden an, „verzeihen Sie, wenn ich Sie störe.
Aber ich wurde vor einer halben Stunde durch einige
Fischer aus dem Meere gezogen, woselbst ich unfehlbar
ertrunken wäre..

ewcRBesKüI
Set- unerreichbare Lorbeer

„Machen Sie keine lange Einleitung,“ unterbrach
ihn der grosse Mann, „Sie wollen mir wahrscheinlich
ein Manuscript übergeben oder bei mir eine günstige
Besprechung Ihres letzten Romanes erwirken. -—
• Denn wozu wären Sie sonst vom Ertrinken gerettet
worden?“

„Herr Wolfhart Wolf,“ versetzte der Schiffbrüchige
tiefbeleidigt, „halten Sie mich für einen Schriftsteller?
Ich bin ein alter Schulkamerad von Ihnen.“

„Um Gotteswillen!“ wehrte der Präsident der
Schriftstellerzunft ab, „dann wollen Sie also eine
feste Jahresstellung bei mir. Ich bitte Sie, wenn ich
alle die Leute zu Schulkameraden gehabt hätte, die
unter diesem Titel meine Protection angestrebt haben,
wären wir —- wie ich einmal berechnet habe — in
einer Classe unser 870 Schüler gewesen.“

„Herr Präsident! Ich will von Ihrer Protection
nichts wissen; ich will nichts, als wieder fortkommen
aus Ihrem Lande! Und das so rasch als möglich!“
Wolfhart Wolf richtete sich hoch auf.
„Was?“ rief er erstaunt, „Sie wollen fort
von uns? Das hat mir während meiner ganzen
Präsidentenzeit noch niemand gesagt! Im
übrigen, bitte, fahren Sie, gehen Sie, thun Sie,

was Sie wollen.fahren Sie meinetwegen

mit einem Bicycle über die Meereswogen.“

„Ich habe kein Bicycle,“ wandte der Fremde
schüchtern ein. „Ich habe aber auch keine
Brieftasche, keine Uhr, und meinen einzigen
Ring schenkte ich meinem Lebensretter . . . .“
„Das heisst,“ sagte der grosse Schriftsteller
mit seinem feinen Lächeln, „Sie haben kein
Geld. Umso schlimmer. Dann bleiben Sie hier und
werden Sie Dramatiker!“

„Gnade,“ flehte der anständige Mensch auf den
Knien, „ich bin Familienvater!“

Der Präsident wandte sich gelangweilt ab. „Ich
bitte Sie!“ ....

„Uebrigens — halt!“ erinnerte er sich. „Es ist
mir so angenehm, dass Sie wieder wegfahren, dass
ich Ihnen einen Freiplatz verschaffen werde: Sie
wissen, wir unterhalten keinen Verkehr mit Ihrem
Lande; nur einigemale im Jahre, wenn eine ent-
scheidende neue Kunstrichtung bei uns entsteht,
gehen die Schiffe der Novitäten in Ihr Land. Eines
dieser Schiffe fährt gerade heute Abend neun Uhr
nach Deutschland.“

„Nach Deutschland!“ schrie der Fremde, freudig
überrascht.

Nun erst sah der grosse Mann den Sprecher näher
an. Staunen prägte sich in seinen Zügen aus.

„Bei Gott!“ rief er, „von Ihnen hab’ ich mir
einmal Geld ausgeliehen!“

„Herr Präsident,“ wehrte der Schiffbrüchige ab.
„Fürchten Sie nichts!“ beruhigte ihn der Mann
von der Feder. — „Ich zahle es Ihnen nicht. Aber
ich erinnere mich an Sie.“

„Ich bin glücklich.“

,Ja, ja — Sie waren immer so ein curioser
Mensch. Sie sollen auf der Hochschule in Vor-
lesungen gesehen worden sein. Sie haben nie Ihr
Geld verlottert und Ihre Nächte durchspielt. Sie
haben sogar Ihre Eltern erhalten, wenn ich nicht
irre. Und sind Sie es nicht, der ein armes Mäd-
chen geheirathet hat, nur deshalb, weil er es ver-
sprochen hatte?“

„Allerdings, Herr Präsident.“

„Ja, sehen Sie, so etwas kommt bei uns nicht
vor. Wir theilen die Menschheit ein in zwei Classen:
Wir und die Andern. Uns erlauben wir alles,
wir haben Talent. Die Andern sind dazu da, unsere
Werke zu kaufen, und sich von uns beobachten zu
lassen . . . .“

In diesem Augenblicke öffnete ein Kammerdiener
die Flügelthüren in den Salon. Natürlich war das
nur nebenbei ein Bedienter, denn hauptsächlich war
er Leitartikler eines Regierungsblattes. Und mit der
Eleganz, die seine Leser an ihm bewunderten, meldete
er: „Herr Präsident, der Empfang beginnt.“

„Ach ja,“ erinnerte sich der grosse Mann mit
einem nervösen Stirnrunzeln, „heut’ ist ja Empfangs-

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Raoul Auernheimer: Im Lande der Talente
Ernst Ewerbeck: Der unerreichbare Lorbeer
 
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