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1897

JUGEND

Nr. 49

man mit Misstrauen dem Künstler, wo immer
er erschien. Man liess nichts Blankes unver-
sperrt vor einem Comödianten des sechzehnten
Jahrhunderts. Ja sehen Sie, in einer Zeit, wo
die Kunst ein unbürgerlicher Beruf war, und
höchstens ein Nebenberuf, da wurde nur der
Berufene Künstler, da gab es echte Talente.
Aber heute, nicht wahr, meine Herrschaften,
ist die Kunst ein sehr gutes Geschäft. Denn
eine wahnsinnige Ueberschätzung des Talentes
hat sich aus der Schöngeisterei der Classiker-
zeit entwickelt. Heute sind Sie die Herren
der Welt, gleichwie es dereinst — in ver-
schollenen Zeiten — die Könige und der Adel
waren. Und die Kaiser von heute erbetteln
als Dilettanten den Lorbeer der Kunst. Aber
denken Sie an die französische Revolution,
meine Herren und Damen, und denken Sie
daran, wie damals die gesalbten und geheiligten
Häupter des verkommenen Adels flogen. Eine
zweite solche Revolution steht uns bevor, eine
französische Revolution gegen die verlotterte
Aristokratie des Geistes. Und geben Sie Acht,
meine Herren und Damen, wie Sie dann in der
neuen socialen Welt Ihren Fähigkeiten entspre-
chend verwendet werden dürften. Das heisst
nur ein Drittel etwa als Briefträger und Herr-
schaftsdiener, ein Drittel zur Bevölkerung der
Irrenhäuser, und ein Drittel in den staatlichen
Correctionsanstalten. Und sehen Sie, verehrte
und gefeierte Anwesende: dass diese Revolu-
tion recht bald und blutig komme, das ist mein
letzter Wunsch, eh’ ich aus Ihrem lieben Lande
scheide. Ich rufe: Hoch! Es lebe der Tag der
Befreiung!“

Aber in diesem Augenblicke schlug die fein-
gearbeitete Standuhr in Barock hallend: Neun.

Und mit einem jähen Aufschrei theilte
der anständige Mensch den dichten Knäuel
von Talenten, die seinen spasshaften Erörter-
ungen mit Interesse bis zum Schluss gefolgt
waren. Vor dem spöttisch lächelnden Haus-
herrn blieb er stehen.

„Das Schiff nach Deutschland?“

„Ist versäumt. Sie werden begreifen: Ich
wollte Sie nicht unterbrechen.“

Aber der geistreichste Mann im Lande, der
nie den Mund aufthat, als um etwas unendlich
Feines zu sagen, fing den Ingenieur auf, als
dieser entsetzt zurücktaumelte.

Und der geistreiche Mann strich sich seinen
langen Bart, und öffnete langsam aber weit
den Mund, um den ein unendlich feines Lächeln
zuckte.

„Es freut mich aufrichtig, lieber Fremdling,“
sagte er, „dass wir Sie noch eine Zeit lang
den unsern nennen dürfen. Sie haben sehr
hübsch gesprochen. Ihre Ideen über die Stell-
ung des modernen Talentes sind recht nett
und originell. Sie können im Lustspiel oder
in der Satire Ihr Glück machen. Denn glauben
Sie mir“ — und er hob mit einer grossen
Geberde die Hand: — „Sie haben Talent!“

Die rcöcnDcn KWkM

Schwank von Bärge Iansien.

Eie Hatten einen neuen Pfarrer aus der
'kä Stadt erhalten, und feine Frau war eine
richtige Stadtdame, die sich auf nichts verstand,
weder auf Kleinvieh, noch auf Großvieh. Nun
sollte sie aber Hühner halten, und es ging
auch ga„z gut, und sie bekam Küchlein, auf
d>e sie sehr stolz war.

Da geschah es eines Tages, daß ein Käthner
jener Gegend auf dein Pfarrhof zum Besuch

war, und der mußte natürlich die hübschen,
kleinen Küchlein besehen, und sie liebkoste sie
und küßte sie, und klopfte sie und dann fragte
sie den Käthner, ob er schon jemals so schöne
kleine Küchlein gesehen hätte.

„V ja, das schon," meinte er, „aber es
fehlt ihnen etwas, Frau Pfarrertu."

Nein, wie er so etwas von ihren süßen
Küchlein sagen könnte! Mas das denn wäre?

„Ja, seht, ihnen fehlt nur, daß sie nicht
reden können l"

„Reden, ja, aber mein Gott, Küchlein
können doch niemals reden!"

„V ja, das kommt schon vor," meinte er,
er hätte in jedem Fall welche, die ganz ver-
sessen darauf wären, zu reden, und wenn sie
wollte, könnte er es auch den ihrigen beibringen-

„3«, das wäre nett," meinte sie, „wenn
er so gut sein wollte."

Das wollte er schon, aber daun müßte er
ihnen eine Tonne Gerste geben könne», nnd
die bekam er denn auch.

Na, er fuhr dann mit den Küchlein und
der Gerste heim, und einige Tage darauf kam
die Pfärrersfrau angestiegen und fragte, ob
ihre Hühnchen nun schon reden könnten.

„Nein, das geht nicht so schnell, Frau
pfarrerin, aber da wir nun schon dabei sind,
könnte ich sie auch noch etwas Anderes lehren!"

„Und was ist das?"

„Ja, seht, ich könnte sie lehren, Geld
zählen I"

„Geld zählen, ih, ist das möglich?"

„Möglich, ja, das könnt Ihr glauben!"

„Aber wie das?"

„Ja, sie müssen etwas Geld haben, um
darauf zu liegen, daun kommt es so nach und
nach!"

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[nicht signierter Beitrag]: Aus Lichtenhain (Photo)
Börge Janssen: Die redenden Küchlein
 
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