1897
JUGEND
Nr. 50
Leander:
Und dennoch wag’ ich es!
Was, fürchtest du vielleicht, sie sei im Bade
Nicht also schön, als du dir vorgestellt,
Und ängstigst dich vor grausamer Enttäuschung ?
Bin ich dein Freund nicht mehr, so wag’ ich’s
doppelt!
Phaon:
So liebst du sie?
Leander:
Gewiss, ich liebe sie . . .
Phaon:
Leander!
Leander:
Minder nicht als alle Mädchen,
Die schön und lieblich, reizend sind und munter.
(Phaon will indessen Leander immer weiter vom Ge-
büsche wegziehen, dieser wehrt ihn ab.)
Leander:
Was hältst du mich nur also fest! Umwindest
Mit stürmisch liebevollen Armen mich?
Bin ich denn Charis, dein geliebtes Mädchen ?
Ich bin dein Freund nicht mehr, so lass mich frei,
Ich muss sie seh’n und sie — vergibt es mir!
Phaon (ausser sich):
Du Frevler, Wicht, verlogner Schuft und Wüstling!
Du frecher Bursche, wart, ich zahl dir’s heim!
(Hat ihn zur Erde niedergeworfen. Einen Augenblick
liegt er auf Leander, dessen Hals umfassend.)
Leander (lachend):
Ich bitt dich, Feind, eh’ dass du mich erwürgst,
Lass mich noch einmal lachen!
(Er macht sich mit einer flinken Bewegung frei und kniet
auf Phaon. Dann mit komischem Ernst von oben her.)
Sei gegrüsst!
Und nun, da du so willig lausch’st, vernimm!
(Hat sich durch einen schnellen Seitenblick überzeugt,
dass Charis noch horcht.)
So wahr, als Charis dort im Bade plätschert,
Liebt sie nur mich; sie ist entzückt von mir.
Sie liebt mich, weil ich sanft und schüchtern bin,
(Charis macht hinter dem Baume Bewegungen des Stau-
nens und komischer Verwunderung überLeandersWorle.)
Und mag dich nicht, weil du zu keck ihr folgst.
Nein, sprich nicht Phaon! Meiner harrt sie bebend,
Und dort beim Wasserfall umarm’ ich sie!
(Er springt rasch auf und entweicht durch das Gebüsch.
Man hört ihn lachen und rufen.)
Leander:
Geliebte Charis, Charis, süsses Mädchen!
dndess ist Phaon aufgestanden; er ist wie betäubt.
Er dehnt die Glieder, fährt sich über die Stirn und
Ulacht einige Schritte zum Gebüsch. Dann hebt er
drohend den rechten Arm. Da klingt helles, silbernes
Lachen der Charis hinter dem Baume hervor. Phaon
blickt sich verwirrt um.)
Phaon:
So lacht die Dryas den Betrognen aus!
Ja> lache nur, gefühllos kindische Göttin
Des grünen Walds. Was ist dir Menschenleid !
(Er sieht das weisse Kleid hinter dem Baume hervor-
schimmern. Charis tritt hervor.)
Phaon (in höchstem Erstaunen):
Gharis! Und hier? So log Leander? Charis!
Charis:
*^as fällt dir ein? Was nennst du mich nur Charis!
Die Dryas bin ich, kindisch und gefühllos,
N>cht Charis, deines Freund und Feind Geliebte!
Phaon (traurig):
'° ist es wahr, du liebst Leander? Sprich!
Charis (neckend):
jch liebe ihn, ich bin entzückt von ihm!
Ich lieb ihn, weil er sanft und schüchtern ist,
(wird während der nächsten Worte ernst und erröthet)
*ndess du mich verfolgst.
(Bricht plötzlich in Thränen aus.)
j le Beiden haben sich einander genähert; sie stehen
J? grenzenloser Verwirrtheit und Schüchternheit bei
inander. Pause. Phaon kämpft mit sich, man merkt,
le er sich ein Herz fassen will, um ihr etwas rech»
Inniges zu sagen.)
Phaon (bittend):
Wein* nicht, o Charis!
schaut sich hilflos um; dann, von einem rettenden
■nfall getrieben, läuft er zum Gebüsch und ruft mit
. ängstlicher und doch jubelnder Stimme):
J-eanderchen! Leander, schnell, komm her!
Bänderchen!
(Der Vorhang fallt rasch.' Hugo Sülus.
Mit Genehmigung der Photogr. Union,
Arnold Böcklin (Floren;
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JUGEND
Nr. 50
Leander:
Und dennoch wag’ ich es!
Was, fürchtest du vielleicht, sie sei im Bade
Nicht also schön, als du dir vorgestellt,
Und ängstigst dich vor grausamer Enttäuschung ?
Bin ich dein Freund nicht mehr, so wag’ ich’s
doppelt!
Phaon:
So liebst du sie?
Leander:
Gewiss, ich liebe sie . . .
Phaon:
Leander!
Leander:
Minder nicht als alle Mädchen,
Die schön und lieblich, reizend sind und munter.
(Phaon will indessen Leander immer weiter vom Ge-
büsche wegziehen, dieser wehrt ihn ab.)
Leander:
Was hältst du mich nur also fest! Umwindest
Mit stürmisch liebevollen Armen mich?
Bin ich denn Charis, dein geliebtes Mädchen ?
Ich bin dein Freund nicht mehr, so lass mich frei,
Ich muss sie seh’n und sie — vergibt es mir!
Phaon (ausser sich):
Du Frevler, Wicht, verlogner Schuft und Wüstling!
Du frecher Bursche, wart, ich zahl dir’s heim!
(Hat ihn zur Erde niedergeworfen. Einen Augenblick
liegt er auf Leander, dessen Hals umfassend.)
Leander (lachend):
Ich bitt dich, Feind, eh’ dass du mich erwürgst,
Lass mich noch einmal lachen!
(Er macht sich mit einer flinken Bewegung frei und kniet
auf Phaon. Dann mit komischem Ernst von oben her.)
Sei gegrüsst!
Und nun, da du so willig lausch’st, vernimm!
(Hat sich durch einen schnellen Seitenblick überzeugt,
dass Charis noch horcht.)
So wahr, als Charis dort im Bade plätschert,
Liebt sie nur mich; sie ist entzückt von mir.
Sie liebt mich, weil ich sanft und schüchtern bin,
(Charis macht hinter dem Baume Bewegungen des Stau-
nens und komischer Verwunderung überLeandersWorle.)
Und mag dich nicht, weil du zu keck ihr folgst.
Nein, sprich nicht Phaon! Meiner harrt sie bebend,
Und dort beim Wasserfall umarm’ ich sie!
(Er springt rasch auf und entweicht durch das Gebüsch.
Man hört ihn lachen und rufen.)
Leander:
Geliebte Charis, Charis, süsses Mädchen!
dndess ist Phaon aufgestanden; er ist wie betäubt.
Er dehnt die Glieder, fährt sich über die Stirn und
Ulacht einige Schritte zum Gebüsch. Dann hebt er
drohend den rechten Arm. Da klingt helles, silbernes
Lachen der Charis hinter dem Baume hervor. Phaon
blickt sich verwirrt um.)
Phaon:
So lacht die Dryas den Betrognen aus!
Ja> lache nur, gefühllos kindische Göttin
Des grünen Walds. Was ist dir Menschenleid !
(Er sieht das weisse Kleid hinter dem Baume hervor-
schimmern. Charis tritt hervor.)
Phaon (in höchstem Erstaunen):
Gharis! Und hier? So log Leander? Charis!
Charis:
*^as fällt dir ein? Was nennst du mich nur Charis!
Die Dryas bin ich, kindisch und gefühllos,
N>cht Charis, deines Freund und Feind Geliebte!
Phaon (traurig):
'° ist es wahr, du liebst Leander? Sprich!
Charis (neckend):
jch liebe ihn, ich bin entzückt von ihm!
Ich lieb ihn, weil er sanft und schüchtern ist,
(wird während der nächsten Worte ernst und erröthet)
*ndess du mich verfolgst.
(Bricht plötzlich in Thränen aus.)
j le Beiden haben sich einander genähert; sie stehen
J? grenzenloser Verwirrtheit und Schüchternheit bei
inander. Pause. Phaon kämpft mit sich, man merkt,
le er sich ein Herz fassen will, um ihr etwas rech»
Inniges zu sagen.)
Phaon (bittend):
Wein* nicht, o Charis!
schaut sich hilflos um; dann, von einem rettenden
■nfall getrieben, läuft er zum Gebüsch und ruft mit
. ängstlicher und doch jubelnder Stimme):
J-eanderchen! Leander, schnell, komm her!
Bänderchen!
(Der Vorhang fallt rasch.' Hugo Sülus.
Mit Genehmigung der Photogr. Union,
Arnold Böcklin (Floren;
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