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Nr. 50

JUGEND

1897

Dann führte sie Jammernd, schimpfend, alle
Heiligen anrufend ihren Stefan zurück. Er zeigte
mir nach zuletzt die Zähne. Und er war mit
einem Fluch schon in der Thür verschwunden,
als ich keuchend noch immer mit zurückgebogeuen
Armen und geballten Fäusten dastand in Kämpfer-
stellung.

Diga war zurückgeblieben. Sie sagte kein
Wort, sondern sah mich an mit ernsthaften Augen.
Dann kam sie Vicht heran und klopfte mit der
Hand nieinen Anzug ab. Als ich erregt zurück-
zuckte, und wahrscheinlich im Glauben, sie stecke
mit dem Andern unter einer Decke: „las; mich!"
hervorstieß, antwortete sie einfach: „Serr Vvll
Staub!" und klopfte weiter.

Serr voll Staub, hatte sie gesagt. Du lieber
Himmel, ich sah bald, wie euphemistisch das aus-
gedrückt war. Der ganze neue Anzug hing voll
von Holzstaub und Sägespänen, das Jaquct
war mit solcher Wucht ausgerissen, daß ein paar
Knöpfe abgesprungen waren, mein neuer Kragen
hatte jo viel Falten und Risse, als hätte ich ihn
erne Woche lang zerknickt in der Westentasche^
getragen.

Meine liebe Mutter hat an dem Tage den
Kops geschüttelt. Und beim Essen, nach dem
Tischgebet, sagte sie: „Nein, Vater, der Junge
ist unverbesserlich!" —

Aber wenigstens war ich nicht besiegt worden.
Das bestättgtc mir zwei Tage später selbst Diga.

Wenn ich heute zurückschaue, so meine ich fast,
es hätte anders kommen können, als es gekommen
ist. Es wäre besser gewesen. Stefan Michailski
und ich hätten uns nicht mehr anzusehen brauchen,
und Diga und ich hätten weitcrgcschaukelt in der
hellen Sonne. Denn damals, scheint mir, war
die Sonne ganz wunderbar hell.

Es lväre besser gewesen, sag ich. Mindestens
für Stefan Michailski. Denn er hat büßen müssen.
Sv geht die Geschichte weiter:

Die Feindschaft zwischen deutschen und pol-
nischen Schülern war durch diesen 2l. und 22. März
nicht geringer geworden. Von diesen Tagen an
galt ich aus der Schule als Führer der Deutschen:
Stefan Michailski als Führer der Polen. Immer
gespannter wurde das Verhältniß. Gewiß gab
es eine Anzahl Indifferenter, die zu keiner Partei
gehörten. Aber sie fielen der Verachtung an-
heim. llnd sie taugten in der That am wenigsten.

Wir waren inzwischen Sekundaner geworden,
hatten uns an das „Sie" der Lehrer ebenso ge-
wöhnt wie an den Homer und betrachteten auch
die größeren und kleineren Reibereien, die vor-
kamen, als selbstverständlich. Verfehlte einer von
uns eine Frage, so hörte er unfehlbar das häm-
ische Geflüster und das Spötteln der Gegenpartei.
Und in den Pausen wurde das Höhnen lauter
fortgesetzt.

Es war im Juni und die großen Ferien stan-
üen vor der Thur, als dann das Ereigniß ein-
trat, das bald die ganze kleine Stadt in zwei
Lager spaltete. Es war große Repetttion ver-

kündet worden, und kurz vor Beginn der Stunde
saßen >vir alle, die Finger in den Ohren, auf
unseren Plätzen und überflogen noch einmal die
Seiten.

Der Lehrer kam herein. Er rief einen Polen
auf. Der versagte völlig^ Das Flüstern ging
von unserer Seite los. Stefan Michailski war
der Zweite. Ich Ivußte, gestern hatten sie drüben
Geburtstag gefeiert — Digas Geburtstag. Stefan
Michailski wurde immer trotziger, als er eine
Frage nach der anderen verfehlte. Es war eine
Unruhe in der Klasse, daß der Professor nicht oft
genug mit dem Notizbuch auf's Katheder klopfen
konnte.

Und mit einem Male wie ans Kommando ein
brausendes Gelächter, das nicht enden wollte.
Stefan Michailski hatte eine Dummheit gesagt.
Er ward purpurroth.

„Die haben nicht zu lachen!" schrie er trotzig
durch die Stube.

„Dann müssen Sie nächstes Mal anders ant-
worten," sagte der Lehrer.

Und von neuem unser etwas sorcirtes Ge-
lächter. Ich that kräftig mit. Ich saß gerade
hinter ihm. Er wandte sich halb und setzte sich
dann. Er antwortete überhaupt nicht mehr. Nur
sah ich, wie er die Feder in seinem Halter in das
Holz der Bank spickte und sie so bog, daß sie
mit seinem Klingen abbrach.

Möglich, daß es ihn noch mehr wurmte, als
ich mein Pensum zur Zufriedenheit des Professors
beherrschte. Kurz und gut, als die Glocke tönte
uns die Bücher zuklapptcn, lag der Zündstoff
nur so ausgehäuft.

Die Pause dauerte zehn Minuten. Als sie
begann, war es still. Keiner ging hinaus. Und
in diese Stille rief dann Stefan Michailski mit
gezwungener Lustigkeit:

„Psa krew, man hat wieder 'mal die Streber
geseh'n."

Er rief's polnisch.

„Und sie Dummköpfe!" setzte ich deutsch hinzu.

Er wandte sich zitternd nach mir um.

„Verdammter Deutscher—!" fluchte er durch
die Zähne.

.sWasserpolacke!"

Und mit einem Male riß er ein Blatt aus
seinem Schreibheft, steckte eine neue Feder in
seinen Halter, faltete das Blatt und schrieb in
großen Buchstaben etwas darauf.

Daun sprang er auf's Katheder und legte
sich den Papierstreisen ivic einen Kronreif um
die Stirn.

„Da," schrie er, „seht!"

„Vivat!" riesen ein paar von den hinteren
Bänken. In großen Buchstaben stand auf dem
Papier:

Vivat Polonia!

Vivat rex Poloniae futurus!

ES ward todtenstill. Man hörte meinen SclKitt,
als ich aufstand und vorging.

Er erwartete mich. Seine beiden Hände hielten
den Papierstreisen um die Stirne fest.

„Stefan Michailski, nimm das herunter!"

Er lachte.

„Stefan Michailski, nimm das herunter!"

Irgend ein Pole machte mir nach, spottend.
Die Deutschen zischten. Es lvurde ruhig in der
Klasse. Dazwischen läutete cs. Die Stunde sollte
beginnen.

„Eins — zwei —"

Ich wartete.

„Drei!" sagte ich. Und mit einem Sprunge
hatte ich den Fetzen und zerriß ihn.

Er konnte nicht mucksen, denn die Thür ging
auf. Wir machten, daß wir auf unsere Plätze
kamen. Aber er zeigte mir ein Gesicht, daß ich
unwillkürlich zusammenzuckte.

In der Stunde, die jetzt folgte, besiegelte er
sein Schicksal. Es war griechifche Grammatik.
Sieben ihm saß Waczck Plawinski, der Sohn des
Papierhändlers. Ein guter Junge, stets stiedlich
und gefällig. Er hatte Glauzbiloer mit. Ein
halbes Dutzend vielleicht. Und da die Para-
graphen bitter langweilig waren, besah er sie sich.

Stefan Michailski bog sich hinüber. Waczck
nickte und schob sie ihm unter der Bank hin.

Die Bilder, knapp in Handgroße, stellten alles
mögliche vor. Da war die Sixtinische Madvilna,
da >var der Christuskopf von Guido Rcni, da
war unser alter greiser Kaiser, — selbst hier hatte
er gütige bescheidene Auge».

Stefan Michailski hielt dieses Bild lange in
der Hand. Und dann mit einer höhnischen Be-
wegung zu Waczek Plawinski, in Haß und Wuth,
spie er es an, das Bild.

Ich glaub, ich habe aufgcschricn. Mitten in
der Stunde sprang ich auf, und mit dieser Faust
habe ich ihm in's Gesicht geschlagen. Ich wußte
kaum, was ich that.

Der Lehrer schrie meinen Namen, als lväre
ich irrsinnig geworden. Krebsroth sprang er zu,
er packte mich vorne au der Bruft.

Ich Hab ihn abgcschüttelt.

„Sie unverschämter-" Seine Stimme

versagte und überschlug sich.

„Jawohl, und ich thu's nochmal!"

Er fiel mir in den Arm. Ich flog am ganzen
Körper.

„Wollen Sie reden!"

„Dieser — Mensch," stieß ich hervor.

„Reden Sie!" kreischte er.

„Er hat—eben — das Kaiserbild — bespieen!"

Der Lehrer war ein Pole. Ich sah, daß er
todtenblaß wurde. Er ging ohne ein Wort auf's
Katheder zurück. Ich blieb schwerathmend stehen.
Wie ein schwerer Athen: war's in der ganzen Klasse.

Und da kam mir erst der Gedanke, daß dies
alles weit hinausaehen könne' über den Rahmen
gewöhnlicher Schulvorfälle. Das erschreckte mich
»n Augenblick. Aber es gab kein Rückwärts mehr.

Der Lehrer hatte sich gesammelt. Er trat mit
ernster Miene vor die Klaffe.

„Stefan Michailski!"

Der stand auf. Er hatte bislang kein Wort
geredet und mit zusamnicngepreßtcn Lippen —
ich sah's, weil ich noch immer stand — vor sich
hingcstarrt.

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Fritz Erler: Narzisse
 
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