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Nr. 50

JUGEND

1897

Vater eine Verminderung der Ausgaben
wünscht, oder die Trauerkleidung der Mut-
ter besonders gut steht.

Ein feiner und höflicher Junge ist im-
mer artig gegen hässliche, arm und schlecht-
gekleidete Mädchen, und nur die hübschen
küsst er im Geheimen. Er wird niemals
krank, ausser wenn seine Mutter irgendwo
eingeladen ist, wohin sie nicht gehen will.

Ein solcher Junge bittet niemals die zum
Besuch kommende Tante, den Mund auf-
zumachen, um dann laut zu erklären: „Ich
kann nicht finden, dass Tante Hilda eine so
spitze Zunge hat, wie Papa gestern sagte.“
Und niemals kommt es vor, dass er
den jungen Besuchern, wohlhabenden All-
tagsgästen mit hellbraunen Handschuhen
und karrirten Beinkleidern, zuflüstert: „Hü
ten Sie sich vor Schwester Marie, Onkel,
denn Mama sagte neulich, dass sie Onkel
schliesslich doch noch ,einfängt.“1

Auch wird er bei dem kleinen, feinen
Souper seiner Eltern nicht umhergehen
und den Gästen erzählen, was geliehen ist.

Die Lehrer haben ihn gern und am
Schluss der Quartale erhält er Bücher-
prämien.

Wenn die Examinatoren ihn beim A.bi-
turientenexamen durchfallen lassen wollen,
erhebt sich das ganze Lehrercollegium wie
ein Mann, erklärt, dass er der beste Schüler
der Klasse sei, und rettet ihn.

Beim Studenten-Commers lärmt er nicht
und betrinkt sich nicht in dem Maasse, dass
er nach Hause getragen werden muss und
am Tage darauf mit Compressen um den
Kopf daliegt. Wenn es zu toll her-
zugehen beginnt, schleicht er sich
nach Hause, wird von seinen Lieben
mit Freuden hegrüsst und hilft seiner
alten Tante Patience legen, wofür er
dann 200 Kronen zu einer Reise
nach Kopenhagen bekommt.

Wenn eine Dame ihm mit dem
Schirm in’s Auge sticht, nimmt er
seinen Hut ab, betrachtet besorgt
das Mordwerkzeug und hofft, dass
„das reizende Dingelchen keinen
Schaden genommen hat.“ Und wenn
ein älterer, angesehener Herr ihn
mit seinem unter dem Arm getra-
genen Stock unter die Nase stösst,
dann bittet er um Entschuldigung
wegen „seiner Ungeschicklichkeit.“

Vor Liese, dem alten Küchen-
besen seines Onkels, der alle nur
herablassend zunicken, nimmter höf-
lich den Hut ab und sagt mit einer
Verbeugung: „Guten Abend, Fräu-
lein Elise!“ Wenn die Alte stirbt, ver-
macht sie ihm ihr Sparkassenbuch.

Der Kellnerin im Stadtrestaurant
brach er nach seiner ersten Rück-
kehr aus Upsala für ihr ganzes Leben
das Herz, denn während die übrigen
Herren der Stadt ihr zuriefen: „Ein
Küsschen im Vorbeigehen, Thild-
chen!“ oder „Flinke Beine machen,
du Faulthier!“ sagte er zu ihr: „Dürf-
te ich vielleicht um ein Gläschen
Grog bitten, Fräulein Lundquist?“

Wenn ein betrunkener Kerl auf
der Strasse ihn ausschimpft, sodass
jeder Andere ihm seinen Stock zu
kosten geben würde, dann bleibt er
stehen, lacht überlegen und sagt:

„Ihre Bemerkungen versetzen mich
wirklich in Erstaunen!“

Er war der Erste, der Bücher-
fälschungen „ein bedauerliches Ver-

sehen“ und Diebstahl einen „Eigenthums-
irrthum“ nannte. <t

Seine erste Beförderung erhielt er, weil
er einen Grabgesang auf den Pudel eines
hohen Vorgesetzten schrieb, der von einem
Pferdebahnwagen überfahren worden.

Er mahnt niemals einen Schuldner, er
achtet nur darauf, dass er einen Wechsel
oder Schuldschein in Händen hat, verkauft
dann das Papier und weint innige Mitleids-
thränen mit dem verklagten Schuldner,
und bedauert lebhaft, dass er sich genöthigt
gesehen hätte, das Schulddocument weiter-
zugeben.

I Er verlobt sich am liebsten mit einem
reichen Mädchen und versichert: „Ich
glaube wirklich ohne Prahlerei sagen zu
können, dass kaum einem Menschen das
Geld so gleichgültig ist, wie mir; aber es
kann für eine feinfühlige Frau bisweilen
schwer sein, zu wissen, dass sie Alles vom
Manne bekommt. Um dies meiner zukünft-
igen Gattin in einer feinen Weise zu er-
sparen, habe ich mich entschlossen, nur
eine zu nehmen, die mindestens eine
Viertelmillion besitzt.“

Einmal hörte ich ihn eine alte Bett-
lerin, die ihn auf der Promenade anbettelte,
mit den Worten abspeisen: „Entschuldigen
Sie, liebes Frauchen, aber ich mache prin-
zipiell auf der Strasse keine Geschäfte!“
Einmal in einer fremden Stadt wurde er
von einem scheugewordenen Droschken-
pferde über den Haufen gerannt. Als er
wieder zum Bewusstsein kam, lag er im
Krankenhaus, und der Arzt stand im Frack

Sotoinlo
Petersburg)v

Jongleuse

über sein Bett gelehnt. Unser höflicher
Freund lächelte verbindlich und murmelte:
„Ich bitte tausendmal um Entschuldigung,
dass ich in meiner Ungeschicklichkeit mich
habe überfahren lassen, während Sie ge-
rade auf einem schönen Feste sind!“ —
Der Doktor sagte, es mache nichts, denn
es hätte sich nur um die Taufe eines elf-
tenjungen gehandelt. — Da fiel der Kranke
sofort ein: „Dürfte ich mir erlauben, Sie
zu bitten, unbekannter Weise meine auf-
richtigsten Glückwünsche der jungen glück-
lichen Mutter zu überbringen!“

Eine Wirthschafterin, die ihm 57 Fla-
schen Champagner ausgetrunken hatte,
entliess er mit folgender Erklärung: „Meine
Frau und ich glauben, dass Ihre Diät auf
die Dauer nicht mit unsern Haushaltungs-
prinzipien harmonirt, weshalb wir uns ge-
nöthigt sehen, Sie zu bitten, ein anderes
Feld für Bethätigung Ihrer Talente zu su-
chen, an denen wir niemals gezweifelt
haben.“

; Da er auch ein grosser Aesthetiker war,
bat ihn sein Freund, der Zeitungsredak-
teur, einmal, als er sehr viel zu thun hatte,
an seiner Stelle in’s Theater zu gehen und
darüber einige Zeilen zu schreiben. Das
that er in folgender Weise:

„Im Stadttheater wurde heute Abend
„Regina von Emmeritz“ aufgeführt. Wir
können nicht umhin, der Theaterdirection
unsere Anerkennung auszusprechen für
diese schöne Ausgrabung. Keine Zwischen-
aktsmusik störte den Eindruck des ergreif-
enden Dramas, und die farblose Ausstatt-
ung zog die Aufmerksamkeit nicht
von den interessanten Typen ab.
Herrn Franzeis anmuthige Buckelig-
keit gab der Heldengestalt Gustav
Adolfs einen neuen und piquanten
Zug, der im höchsten Grade interes-
sirte. Die Darstellung dieser Rolle
war auch im Uebrigen ausgezeichnet
und besonders machte sich die star-
ke, sonore Stimme sehr gut. In die-
ser Beziehung nehmen wir die Ge-
legenheit wahr, auch dem pflicht-
getreuen und zuverlässigen Souffleur
unser Lob auszusprechen, der in an-
erkennenswerther Weise bei allen
Rollen zu hören war. Von Frau Perle-
mors Wiedergabe der schwierigen
Rolle der Regina wollen wir nur
sagen, dass, was wir vielleicht an
jugendlichem Eindruck gewonnen
hätten, wenn wir in der Lage ge-
wesen wären, um dreissig Jahre
früher Frau Perlemors Verkörperung
dieser Rolle zu gemessen, nun mehr
als ersetzt wurde durch die reife und
selbstbewusste Anmuth, mit der sie
die Aufgabe löste. Alle übrigen füll-
ten ihren Platz so gut, ja so aus-
gezeichnet aus, dass eine Aufzähl-
ung einiger von ihnen leicht eine
Ungerechtigkeit gegen die andern
sein könnte. Hiezu kommt, dass
die Billette den vielen, die nach dem
Theater in den Restaurationen zu
essen pflegen, eigentlich nichts
gekostet haben, denn in Folge der
Länge der Zwischenakte waren alle
Wirthshäuser bereits geschlossen,
als die Vorstellung zu Ende war,
sodass man die Ausgabe für das
Abendbrod ersparte.“

Einem Grafen in Sörmland, der
an ihn schrieb und ihn fragte, ob es
wahr wäre, dass ein bei dem Grafen

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Sergej de Solomko: Jongleuse
 
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