Nr. 50
JUGEND
1897
Hilf, heiliger Sankt Florian!
Ewer rochen Straußenfeder
Sagt' ich eben Guten Abend;
Heil'ger Florian, da dacht' ich
Dein und Deiner rochen Fahne.
Dacht' auch Deines Wasserkübels
Und der großen rochen Flamme,
Die Du löschst mit kaltem Strahle,
Und ich betete bedächtig:
Lösche, lösche Floriane
Diese rothe Straußenfeder,
Denn sie brennt mir schon im Herzen,
Und das gibt ein Schadenfeuer!
Dcro Julius Vicrbaum.
Gerechtigkeit muss sein
Im Königreich Michelien wurde kürzlich
ein Radfahrer, weil er Nachts seine Maschine
nicht vorschriftsmässig beleuchtet hatte, gestraft,
obwohl er das Vehikel sorgsam an der Hand
führte. Er appellirte an eine höhere Instanz,
welche das Urtheil der Polizei bestätigte. Das
Gericht führte aus, die bezügliche Bestimmung
laute: „Velocipede sind bei eintretender
Dunkelheit mit hellleuchtenden Later-
neij zu versehen.“ Da nun der § 1 des
michelischen Strafgesetzbuches bestimmt, dass
jeder Michelianer so oft als irgend thunlich
gestraft werden muss, so hat das betreffende
Polizeiamt nach Ansicht jener höheren Instanz
nur seine Pflicht und Schuldigkeit gethan.
Angespornt durch diese Anerkennung, kam
nun der Wachtmeister der Schutzmannschaft
Schnurrborst in Obermichelsdorf auf folgende
geniale Idee:
Er hielt in der Nacht vom 30. zum 31. Ok-
tober bei sämmtlichen notorischen Radfahrern
in Obermichelsdorf eine Razzia ab, indem er
sie Alle aus dem Schlafe schellte und ihre
Fahrräder vorweisen Hess. Und siehe da, es
ergab sich das überraschende Resultat, dass
nicht ein einziges mit brennender La-
terne versehen war. Bios diejenigen Rad-
fahrer, die sich noch auf der Strasse befanden,
kamen ungestraft davon; im Übrigen konnte
das erfreuliche Ergebniss von 35,749 Straf-
mandaten, ä 4 Mk. 50 Pf., als Frucht des
Fleisses von nur einer Nacht verzeichnet werden.
Wachtmeister Schnurrborst erhielt eine Be-
lobung. Die Radfahrer in Obermichelsdorf
Hessen seitdem ihre Velocipedlaternen die Nacht
über erleuchtet, was eine bedeutende Hausse
in Brennöl zur Folge hatte. Das Obergericht
bestätigte die Strafen der Polizei.
Schnurrborst aber stürzte sich von nun ab
mit brennendem Eifer auf das Studium der
Verfügungen über den Radfahrerverkehr. Plötz-
lich leuchtete sein Gesicht in heller Freude:
§ 7 der Verfügungen lautete:
„In belebten Strassen hat sich jeder
Radfahrer durch Glockenzeichen be-
merkbar zu machen!“
Schnurrborst nahm das Adressbuch und eine
Liste der Radfahrer zur Hand und ging dann
an’s Werk. Zuerst besuchte er den Radfahrer
Schneidermeister Eisbein in der Strasse „unter
den Buchen“. Er traf den Mann an der Näh-
maschine, beschäftigt, ein Galabeinkleid für
einen kgl. Regierungsassessor zu bauen.
„Warum geben Sie kein Glockenzeichen?
Warum machen Sie sich nicht bemerkbar?“
Eisbein fuhr sich an die Stirn — war der
Mann irrsinnig?
„Sind Sie nicht Radfahrer?“
„Jawohl!“ sagte Eisbein stolz, „Radfahrer
No. 15,726, Inhaber des Amateur-Rekords über
25 Meter und Clubmeisterfahrer des Velocipe-
distenvereins ,Wadenlust1“.
„Ist das nicht eine sehr belebte Strasse, in
der wir uns befinden?“
„Sehr! Sehr, Herr Wachtmeister! Täg-
licher Verkehr 8—9000 Fuhrwerke!“
„Warum läuten Sie dann nicht?“
Eisbein fuhr sich wieder an die Stirn.
Er wurde aufgeschrieben und sein Straf-
mandaterhielt eine hübsche Complikation wegen
idealen Zusammenhangs mit Beamtenbeleidig-
ung.
Die Radfahrerin Amalie Liebereich traf
Schnurrborst im Wochenbett. Sie hatte eben
ihr Neugebornes an der Brust liegen:
„Warum klingeln Sie nicht?“ fragte das
Auge des Gesetzes streng.
„Weil ich gerade nichts brauche,“ sagte die
Dame.
Ihr Strafmandat wurde mit einem Zusatz
wegen Verhöhnung einer Amtsperson bereichert.
Und so ging es fort.
Die Razzia, welche Schnurrborst in strengem
Gerechtigkeitsgefühl nur auf die belebten Strassen
ausgedehnt hatte, ergab immerhin ein Erträgniss
von 7500 Strafmandaten. Die meisten waren mit
Beamtenbeleidigung, Körperverletzung u. s. w.
complicirt.
Schnurrborst avancirte zum PoSizeilieutenant.
Aber die erzielten Erfolge Hessen ihn nicht
ruhen. Er nahm die Bestimmungen über den
Radfahrerverkehr wieder zur Hand und fand,
dass gewisse Strassen den Radfahrern
überhaupt verboten seien. Und er griff
die Kerle auf in den verbotenen Strassen, Alle,
Alle. In der Wohnung, auf der Strasse, zu
Fuss, im Wagen, hoch zu Ross und in der
Pferdebahn. Und obwohl die Unglücklichen
ihre Räder Tag und Nacht beleuchtet hatten
und selbstthätige elektrische Klingeln an ihren
Rädern ununterbrochen den fürchterlichsten
Lärm machten, wurden die Radfahrer in den
verbotenen Strassen auFs neue disciplinirt. Das
Erträgniss ergab immerhin etwa 3560 Straf-
mandate. Das Obergericht bestätigte die Strafen.
Schnurrborst erhielt die Verdienstmedaille des
gelben Falkenordens.
Eine wahre Panik brach unter den Rad-
fahrern aus. Sie befolgten die Vorschriften mit
der peinlichsten Genauigkeit, sie studirten in
allen freien Stunden die einschlägigen Be-
stimmungen, sie machten sich selbst die Sache
so schwer als möglich. Umsonst!
Dem Herrn Polizeilieutenant Schnurrborst
waren sie nicht gewachsen.
Eines Tages, als er wieder in den Verord-
nungen blätterte, erhellte sich freudig sein Blick
als er des Paragraphen ansichtig wurde:
„Die Velocipedisten haben auf der
rechten Seite der Strasse zu fahren und
anderen Vehikeln links vorzufahren.“
Eine Viertelstunde später war er schon bei
dem nächstgelegenen Radfahrer. Dieser sass
eben in seiner Wohnung im Bade.
„Warum sind Sie nicht auf der Strasse,
warum fahren Sie nicht rechts, warum fahren
Sie nicht links vor?“
Man kann sich denken: Es gab wieder etliche
30,000 Strafmandate wegen Nichteinhaltung der
Fahrvorschriften. Und dieses Mal wurden nicht
nur Jene getroffen, die, feige zu Hause sitzend,
den Fussangeln der einschlägigen Strafbestimm-
ungen zu entgehen glaubten. Auch alle auf der
Strasse befindlichen Radfahrer wurden belangt.
Jeder wurde von den Schutzleuten angeschrieen:
„Warum fahren Sie nicht links vor — da
vorn ist ein Wagen! Wollen Sie augenblick-
lich Vorfahren!“
„Aber es pressirt mir nicht.“
„Widerstand gegen die Staatsgewalt!“
Und in wahnsinniger Hast jagten die Rad-
fahrer von Obermichelsdorf durch die Strassen,
durch Dick und Dünn, über Jung und Alt,
immer rechts fahrend und links Allem vor-
fahrend, was sich vor ihnen zeigte. Die Straf-
858
JUGEND
1897
Hilf, heiliger Sankt Florian!
Ewer rochen Straußenfeder
Sagt' ich eben Guten Abend;
Heil'ger Florian, da dacht' ich
Dein und Deiner rochen Fahne.
Dacht' auch Deines Wasserkübels
Und der großen rochen Flamme,
Die Du löschst mit kaltem Strahle,
Und ich betete bedächtig:
Lösche, lösche Floriane
Diese rothe Straußenfeder,
Denn sie brennt mir schon im Herzen,
Und das gibt ein Schadenfeuer!
Dcro Julius Vicrbaum.
Gerechtigkeit muss sein
Im Königreich Michelien wurde kürzlich
ein Radfahrer, weil er Nachts seine Maschine
nicht vorschriftsmässig beleuchtet hatte, gestraft,
obwohl er das Vehikel sorgsam an der Hand
führte. Er appellirte an eine höhere Instanz,
welche das Urtheil der Polizei bestätigte. Das
Gericht führte aus, die bezügliche Bestimmung
laute: „Velocipede sind bei eintretender
Dunkelheit mit hellleuchtenden Later-
neij zu versehen.“ Da nun der § 1 des
michelischen Strafgesetzbuches bestimmt, dass
jeder Michelianer so oft als irgend thunlich
gestraft werden muss, so hat das betreffende
Polizeiamt nach Ansicht jener höheren Instanz
nur seine Pflicht und Schuldigkeit gethan.
Angespornt durch diese Anerkennung, kam
nun der Wachtmeister der Schutzmannschaft
Schnurrborst in Obermichelsdorf auf folgende
geniale Idee:
Er hielt in der Nacht vom 30. zum 31. Ok-
tober bei sämmtlichen notorischen Radfahrern
in Obermichelsdorf eine Razzia ab, indem er
sie Alle aus dem Schlafe schellte und ihre
Fahrräder vorweisen Hess. Und siehe da, es
ergab sich das überraschende Resultat, dass
nicht ein einziges mit brennender La-
terne versehen war. Bios diejenigen Rad-
fahrer, die sich noch auf der Strasse befanden,
kamen ungestraft davon; im Übrigen konnte
das erfreuliche Ergebniss von 35,749 Straf-
mandaten, ä 4 Mk. 50 Pf., als Frucht des
Fleisses von nur einer Nacht verzeichnet werden.
Wachtmeister Schnurrborst erhielt eine Be-
lobung. Die Radfahrer in Obermichelsdorf
Hessen seitdem ihre Velocipedlaternen die Nacht
über erleuchtet, was eine bedeutende Hausse
in Brennöl zur Folge hatte. Das Obergericht
bestätigte die Strafen der Polizei.
Schnurrborst aber stürzte sich von nun ab
mit brennendem Eifer auf das Studium der
Verfügungen über den Radfahrerverkehr. Plötz-
lich leuchtete sein Gesicht in heller Freude:
§ 7 der Verfügungen lautete:
„In belebten Strassen hat sich jeder
Radfahrer durch Glockenzeichen be-
merkbar zu machen!“
Schnurrborst nahm das Adressbuch und eine
Liste der Radfahrer zur Hand und ging dann
an’s Werk. Zuerst besuchte er den Radfahrer
Schneidermeister Eisbein in der Strasse „unter
den Buchen“. Er traf den Mann an der Näh-
maschine, beschäftigt, ein Galabeinkleid für
einen kgl. Regierungsassessor zu bauen.
„Warum geben Sie kein Glockenzeichen?
Warum machen Sie sich nicht bemerkbar?“
Eisbein fuhr sich an die Stirn — war der
Mann irrsinnig?
„Sind Sie nicht Radfahrer?“
„Jawohl!“ sagte Eisbein stolz, „Radfahrer
No. 15,726, Inhaber des Amateur-Rekords über
25 Meter und Clubmeisterfahrer des Velocipe-
distenvereins ,Wadenlust1“.
„Ist das nicht eine sehr belebte Strasse, in
der wir uns befinden?“
„Sehr! Sehr, Herr Wachtmeister! Täg-
licher Verkehr 8—9000 Fuhrwerke!“
„Warum läuten Sie dann nicht?“
Eisbein fuhr sich wieder an die Stirn.
Er wurde aufgeschrieben und sein Straf-
mandaterhielt eine hübsche Complikation wegen
idealen Zusammenhangs mit Beamtenbeleidig-
ung.
Die Radfahrerin Amalie Liebereich traf
Schnurrborst im Wochenbett. Sie hatte eben
ihr Neugebornes an der Brust liegen:
„Warum klingeln Sie nicht?“ fragte das
Auge des Gesetzes streng.
„Weil ich gerade nichts brauche,“ sagte die
Dame.
Ihr Strafmandat wurde mit einem Zusatz
wegen Verhöhnung einer Amtsperson bereichert.
Und so ging es fort.
Die Razzia, welche Schnurrborst in strengem
Gerechtigkeitsgefühl nur auf die belebten Strassen
ausgedehnt hatte, ergab immerhin ein Erträgniss
von 7500 Strafmandaten. Die meisten waren mit
Beamtenbeleidigung, Körperverletzung u. s. w.
complicirt.
Schnurrborst avancirte zum PoSizeilieutenant.
Aber die erzielten Erfolge Hessen ihn nicht
ruhen. Er nahm die Bestimmungen über den
Radfahrerverkehr wieder zur Hand und fand,
dass gewisse Strassen den Radfahrern
überhaupt verboten seien. Und er griff
die Kerle auf in den verbotenen Strassen, Alle,
Alle. In der Wohnung, auf der Strasse, zu
Fuss, im Wagen, hoch zu Ross und in der
Pferdebahn. Und obwohl die Unglücklichen
ihre Räder Tag und Nacht beleuchtet hatten
und selbstthätige elektrische Klingeln an ihren
Rädern ununterbrochen den fürchterlichsten
Lärm machten, wurden die Radfahrer in den
verbotenen Strassen auFs neue disciplinirt. Das
Erträgniss ergab immerhin etwa 3560 Straf-
mandate. Das Obergericht bestätigte die Strafen.
Schnurrborst erhielt die Verdienstmedaille des
gelben Falkenordens.
Eine wahre Panik brach unter den Rad-
fahrern aus. Sie befolgten die Vorschriften mit
der peinlichsten Genauigkeit, sie studirten in
allen freien Stunden die einschlägigen Be-
stimmungen, sie machten sich selbst die Sache
so schwer als möglich. Umsonst!
Dem Herrn Polizeilieutenant Schnurrborst
waren sie nicht gewachsen.
Eines Tages, als er wieder in den Verord-
nungen blätterte, erhellte sich freudig sein Blick
als er des Paragraphen ansichtig wurde:
„Die Velocipedisten haben auf der
rechten Seite der Strasse zu fahren und
anderen Vehikeln links vorzufahren.“
Eine Viertelstunde später war er schon bei
dem nächstgelegenen Radfahrer. Dieser sass
eben in seiner Wohnung im Bade.
„Warum sind Sie nicht auf der Strasse,
warum fahren Sie nicht rechts, warum fahren
Sie nicht links vor?“
Man kann sich denken: Es gab wieder etliche
30,000 Strafmandate wegen Nichteinhaltung der
Fahrvorschriften. Und dieses Mal wurden nicht
nur Jene getroffen, die, feige zu Hause sitzend,
den Fussangeln der einschlägigen Strafbestimm-
ungen zu entgehen glaubten. Auch alle auf der
Strasse befindlichen Radfahrer wurden belangt.
Jeder wurde von den Schutzleuten angeschrieen:
„Warum fahren Sie nicht links vor — da
vorn ist ein Wagen! Wollen Sie augenblick-
lich Vorfahren!“
„Aber es pressirt mir nicht.“
„Widerstand gegen die Staatsgewalt!“
Und in wahnsinniger Hast jagten die Rad-
fahrer von Obermichelsdorf durch die Strassen,
durch Dick und Dünn, über Jung und Alt,
immer rechts fahrend und links Allem vor-
fahrend, was sich vor ihnen zeigte. Die Straf-
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