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Nr. 51

JUGEND

1897

Die Theelöffel

von Bruno Wille.

Kygenn es schon am frühen Nachmittage dunkelt,
vor dem Zensier große Schneedaunen hrr-
niederschweben, und durch den Spalt der Dfenthür
immer röther die Gluth ii i’s Zimmer äugelt, dann
spielt die Zee der Träume auf ihrer Harfe die
allersüßesten Weisen. In melodische Schwingungen
gerätst das ganze Heim, harmonisch einzustimmen
scheint des Kätzchens behagliches Schnurren, das
Braten des Apfels auf der Dfenplatte; und in den
Herzen großer wie kleiner Kinder nistet heimlich
eine Seligkeit, die Beides ist: Nehmen und Geben,
Genuß und Güte. Trauliche Bilder gaukeln un-
bestimmt in der Dämmerung und mahnen an die
Kinderzeit, bis sich eine Gruppe immer deutlicher
zusammenschließt, und jetzt ein schlichtes Lrlebniß
vor mir schwebt.

Am Nachmittage vor der Weihnachtsbescheer-
ung war es, zwischen den hohen Häusern der
Straße lag schon Dämmerung, der Laternenmann
ging mit seiner Lunte herum, von Schnee begann
das Pflaster zu schimmern, daunenartig fielen die
Zlocken — just wie heute. Lin neunjähriger Knabe,
der den Abend mit Ungeduld erwartete, suchte ich
vor der Hausthür mir die Zeit zu vertreiben. Db
der Wunsch, den ich Großmutter anvertraut hatte,
wohl erfüllt, ob das Kasperltheater auf dem Weih-
nachtstische liegen würde? Zch seufzte vor prickeln-
der Unruhe: um eine Beschäftigung zu haben,
knetete ich Schneebälle und warf sie an die Mauer,
daß es paffte. Dann wieder glättete meine Stiefel-
sohle den beschneiten Bürgersteig zu einer Schlitter-
bahn. Auch das Straßentreiben zog mich an. Da
ging ein Herr in mächtigem pelze, ganz bepackt
mit Schachteln und Düten. Zm ärmlichen Urn-
schlagetuch trug eine Frau ihr schmächtiges Fichten-
bäumchen. Dann kam ein Händler mit einem
Handwagen voller Aepfel und Nüffe. Lin kleines
Mädchen bot den vorübergehenden Hampelmänner
— das Stück einen Sechser — an, während ihr
Bruder mit Waldteufeln und Knarren einen lustigen
Lärm verübte. Man konnte es merken, daß in
der Nähe, auf dem Nathhausplahe, großer weih-
nachtsmarkt war. Zch hatte Lust bekommen,
einen Abstecher dorthin zu machen, als sich eine
Hand auf meine Schulter legte.

„Höre mal, Zunge, hast du Zeit? kannst du
mir den Koffer nach dem Bahnhofe bringen?"
So fragte ein ältliches Männchen in abgeschabtem
Ueberzieher, eine sonderbare Wollmüye auf dem
Kopfe. „Du bist ja groß genug."

Dbwohl diese Bemerkung etwas spitzig heraus-
kam, berührte sie doch das Knabengemüth schmei-
chelhaft.

Wie ein gewiegter Gepäckträger ergriff ich den
Koffer, und obwohl er mir schwer genug fiel, ließ
ich davon nichts merken und haftete neben dem
Männchen her. War der rechte Arm ermüdet,
und schmerzte die eine Hand von dem harten Griffe,
so trug ich den Koffer auf der andern Seite. Am
Lnde freilich mußte ich stellenweise mit beiden Hän-

den gleichzeitig schleppen und kam dabei nur lang-
sam von der Stelle. Doch eine abfällige Bemerk-
ung des Männchens und die tröstliche Nähe des
Bahnhofes, dessen erleuchtete Uhr schon deutlich zu
sehen war, spornten meine Kräfte zu einem letzten
Nucke an.

Als ich im Wartesaal meine Last niedergeseyt
hatte, Schmerz und Zittern in den Gliedern, blin-
zelte das Männchen etwas schadenfroh, suchte in
einer schäbigen Börse und drückte mir ein Geldstück
in die Hand, verdutzt sah ich hin; es waren
„zwei gute Groschen", wie man damals zu sagen
pflegte. Und das sollte mir gehören? Warum
nicht? Zch hatte es ja verdient, durch Arbeit,
wie ein richtiger Gepäckträger. Lin Hochgefühl
hob meine Brust. Ich schaute mich nach dem
Männchen um, das seinen Koffer zum Perron
hinausschleppte. Fest in der Hand mein Geld um-
schloffen eilte ich nach Hause. Zuweilen rannte
ich, um nicht die Bescheerung zu verpaffen, mehr
noch weil mein frohes Abenteuer mir auf der
Seele brannte und berichtet sein wollte.

Ueber den Wcihnachtsrnarkt. D wie berauschte
das Ausrufen der Verkäufer, der Lärm der Kinder-
musikinstrumente, der Schmalz- und Honigkuchen-
duft, die bunte Fülle der Spiel- und Flittersachen!
Und dazu meine zwei guten Groschen, die mir so
werthvoll vorkamen, daß ich schier vermeinte, den
ganzen Zahrmarkt kaufen zu können. Za, kaufen!
Aber was? Die Wahl war schwer, zumal mir
allmählich klar wurde, daß man mit zwei guten
Groschen doch keine Sprünge machen könne. Sollte
ich einen Zauberapparat nehmen, oder einfach
Schmalzkuchcn, oder türkischen Honig, oder einen

Pflaumenmann? Solch ein Zauberapparat mochte
wohl zu theuer sein. Und Leckereien gab es ja
bei der Bescheerung genug.

„vier Silber'roschen zum Zweiten! Na, meine
Herrschaften? Greifen sie zu, immer zu, immer
ran, meine Herrschaften! So was kommt nicht
wieder vor! vier Silber'roschen zum zweiten —
und — zum... Na? Herrschaften haben doch
Geld wie Heu! Naus mit den paar Sechsern!"

Das war der billige Mann. Lin Menschen-
knäuel — vielfach Leute vom Lande — drängte
sich um die Verkaufstische und staunte ebenso sehr
seine Zungenfertigkeit an wie die fabelhafte Billig-
keit der waaren. D ich kannte ihn! Dft hatte
ich auf dem Heimwege von der Schule betrachtet,
was er da ausbot, Taschenmeffer und Mandel-
seife, Uhrketten und „Kitt — hält wie Eisen",
Schleifsteine und „Veilchenwurz, um den Kindern
das Zahnen zu erleichtern". Lr versteigerte seine
Waaren gewiffermaffen abwärts, indem er vom
Preise Groschen und Sechser abließ, bis sich ein
Käufer meldete, oder die äußerste Grenze der Billig-
keit erreicht war.

Zeyt hielt er ein halbes Dutzend Theelöffel empor.
Sie blitzten verlockend, rosa Seidenpapier umhüllte
ihre Stiele, es waren „feinste silberne Theelöffel".
Der billige Mann schwenkte die Löffel, schlug mit
der einen Hand schallend in die andere und brüllte
förmlich: „Nur — vier — Silber'roschen das ganze
halbe Dutzend! Kommen sie ran, Fräulein! Bitte,
meine Herren machen sie Platz! Das ist was für
die Aussteuer. . . Was? Sie wollen Zhr Glück ver-
scherzen? Nur vier Silber'roschen! Mich kosten
sie das Doppelte, so wahr ich Zakob heiße. Aber

— Leute — ich gebe sie hin — für — meinet-
halben drei Silber'roschen — blos weil heute Weih-
nachten ist. Das ist ja unverschämt billig, das
ist ja rein verschenkt! wer sie nun nicht will, der

— kriegt sie im Leben nicht! Na, Herrschaften
wer nimmt sie für — drei Silber'roschen zum
Zweiten — und — zum . . .“

Mir pochte das Her; in fieberhafter Spann-
ung. D wenn er doch auf zwei gute Groschen
herunterginge! Zch würde die Theelöffel gleich
nehmen. Das war ja spottbillig. Und welch ein
paffendes Weihnachtsgeschenk waren die Löffel.
Großmutter sollte die Bescheerung mit uns ver-
leben. Der würde ich drei Löffel und die andern
drei meiner Mutter schenken. D würde doch der
billige Mann noch billiger!

Aber dazu schien er keine Lust zu haben. „Drei
Silber'roschen — das allerletzte Wort — zum
Dritten!" brüllte er mit heiserer Stimme und legte
die Löffel mit einer ärgerlichen Bewegung auf den
waarentisch. Lr schien es aufzugeben, seine perlen
vor die Säue zu werfen. Aber noch einmal raffte
er sich auf. „Leute, Leute, Leute! kauft mir ab,
sonst wer' ik pleite! Na also, damit Zhr seht,
daß ich der billige Zakob bin, gebe ich — das
ganze halbe Dutzend silberne Theelöffel für —
zwei gute Groschen!"

„Hier I" — rief ich und hob triumphirend die
Hand mit meinem Gelde empor. Der billige Mann
zog ein saures Gesicht und schnauzte scherzhaft:

872
Register
Arthur Hirth: Porträtzeichnung
George Ernest Dodge: Iris
Bruno Wille: Die Theelöffel
 
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