1897
JUGEND
Nr. 51
„Junge, warum hast Du Dich nicht vorher
gemeldet?" Die umherstehenden Bauern lachten
mich an, als hätte ich einen dummen Teufel
geprellt, „Düt is 'n Bengel!" Und inner-
lich jauchzend, als hätte ich das große Loos
gewonnen, packte ich meine silbernen Thee-
löffel und rannte spornstreichs nach Haufe,
Als ich ankam, war es zur Befcheerung
höchste Zeit, TRit einem vorwurfsvollen „wo
bleibst Du denn?" wurde ich empfangen. Doch
in der allgemeinen Zeststimmung kam kein
Verdruß auf. Bald erscholl ein liebliches Glöck-
lein, in Lichterfülle und Ilitterglanz strahlte
der liebe Weihnachtsbaum, und beklommen
von froher Erwartung näherte ich mich dem
Gabentische, Richtig, da lag die Erfüllung
meiner Sehnsucht, Kasperle mit seiner Grete,
Tod und Teufel waren auch dabei, selbst der
Schutzmann fehlte nicht, der Kasperle zu ver-
haften hat, Jum Ueberfluß fand ich noch ein
kostbares Märchenbuch und die „Robinfonaden",
ganz abgesehen von den „Rüylichkeiten", mit
denen mütterliche Fürsorge meine Bekleidung
zu vervollkommnen trachtete.
Doch so lebhaft meine Freude über diese
Gaben auch war, den Gipfel des Hochgefühls
bildete die Ueberreichung meiner Gegengabe,
„Hier schenke ich Luch auch was," stam-
melte ich und händigte meiner Rtutter, wie
meiner Großmutter je drei Theelöffel ein.
„Rein, seht doch! Junge, wie kömmst
Du daran?"
„Die Hab ich vom billigen Rtann,"
„Was kosten sie denn?"
„Zwei gute Groschen das ganze halbe
Dutzend — feinstes Silber,"
„Wirklich? Und woher hast Du das Geld?"
„Hab' ich mir verdient!" entgegnete ich
freudestrahlend, verblüffte Gesichter, Run er-
zählte ich mein Abenteuer, alles staunte und
lachte, ich war der Held des Tages. —-
Die Weihnachtslichter sind längst niederge-
brannt ; doch nicht ganz verwehte ihr Duft,
Heute, nach Jahrzehnten, berührt mich die
fröhliche, selige, gnadenbringende Weihnachts-
zeit noch mit einem süßen Hauche von da-
mals, und im träumerischen Dämmerstündchen
verwandle ich mich in den Knaben, der den
Koffer trug und die Theelöffel schenkte und
dabei so glücklich war.
Und noch in einem andern Herzen blieb
etwa» zurück vom Dufte der Deihnachtskerzen,
Das spürte ich, als ich nach langer Trennung,
ein Erwachsener, wieder einmal nach meiner
Vaterstadt kam und Großmutter besuchte. Wäh-
rend wir beim Thec plauderten, ergriff ich in
Gedanken unwillkürlich den Theelöffel,
„Kennst Du ihn noch?"
Ich sah genauer hin, Lin wunderliches Ding,
aus einer RUschung von Blei und Jinn ge-
gossen, dabei verbogen und ohne Glanz, „was
ist mit ihm?«
„Als Du ein Knabe warst, Haft Du ihn
mir zu Weihnachten geschenkt. Die andern
Beiden sind nicht mehr da; einer ging verloren,
der andere zerbrach. Diesen will ich nun ver-
wahren, Und solltest Du mich noch einmal be-
suchen, wird er wieder bei Deiner Taffe liegen,"
„Ja damals . , ." sagte ich, den Löffel
wehmütig betrachtend, „damals hatte er Glanz!
Run ist er blind geworden,"
„D das macht nichts," meinte die Groß-
mutter; „für mich glänzt er noch immer,"
&
^Stürmisches (Handern
Immer der I)ase nach
Stürmisches Ölandern,
tHälder und öQiesen,
ÖCCie mir’s gefällt!
Schreit ich von diesen
€(mpor zu den andern —
Singend durchschreit’ ich
Oie herrliche Gleit!
I[limmernde Hetze
fangen die I[erne,
Drüben am ÖUege
Blitzt das ©estein;
Däuft mir ein CQädel
Heut in’s ©ehege —
Sonnen und Sterne>
Hurrah, sie wird mein!
CARL BUSSE.
H. Rossmann,
Alte Geschichten
Wertster Freund HirtH!
Trotz Ihrer ehrwürdigen Semester habe
Sie sich tapfer an die Spitze der Jugend g
stellt, ich, an Jahren Ihnen gleich, bin stille b
den Alten sitzen geblieben, mag es gerne leidei
wenn die Jugend um mich her nach neue
weifen pfeift und tanzt, nur soll sie nid
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JUGEND
Nr. 51
„Junge, warum hast Du Dich nicht vorher
gemeldet?" Die umherstehenden Bauern lachten
mich an, als hätte ich einen dummen Teufel
geprellt, „Düt is 'n Bengel!" Und inner-
lich jauchzend, als hätte ich das große Loos
gewonnen, packte ich meine silbernen Thee-
löffel und rannte spornstreichs nach Haufe,
Als ich ankam, war es zur Befcheerung
höchste Zeit, TRit einem vorwurfsvollen „wo
bleibst Du denn?" wurde ich empfangen. Doch
in der allgemeinen Zeststimmung kam kein
Verdruß auf. Bald erscholl ein liebliches Glöck-
lein, in Lichterfülle und Ilitterglanz strahlte
der liebe Weihnachtsbaum, und beklommen
von froher Erwartung näherte ich mich dem
Gabentische, Richtig, da lag die Erfüllung
meiner Sehnsucht, Kasperle mit seiner Grete,
Tod und Teufel waren auch dabei, selbst der
Schutzmann fehlte nicht, der Kasperle zu ver-
haften hat, Jum Ueberfluß fand ich noch ein
kostbares Märchenbuch und die „Robinfonaden",
ganz abgesehen von den „Rüylichkeiten", mit
denen mütterliche Fürsorge meine Bekleidung
zu vervollkommnen trachtete.
Doch so lebhaft meine Freude über diese
Gaben auch war, den Gipfel des Hochgefühls
bildete die Ueberreichung meiner Gegengabe,
„Hier schenke ich Luch auch was," stam-
melte ich und händigte meiner Rtutter, wie
meiner Großmutter je drei Theelöffel ein.
„Rein, seht doch! Junge, wie kömmst
Du daran?"
„Die Hab ich vom billigen Rtann,"
„Was kosten sie denn?"
„Zwei gute Groschen das ganze halbe
Dutzend — feinstes Silber,"
„Wirklich? Und woher hast Du das Geld?"
„Hab' ich mir verdient!" entgegnete ich
freudestrahlend, verblüffte Gesichter, Run er-
zählte ich mein Abenteuer, alles staunte und
lachte, ich war der Held des Tages. —-
Die Weihnachtslichter sind längst niederge-
brannt ; doch nicht ganz verwehte ihr Duft,
Heute, nach Jahrzehnten, berührt mich die
fröhliche, selige, gnadenbringende Weihnachts-
zeit noch mit einem süßen Hauche von da-
mals, und im träumerischen Dämmerstündchen
verwandle ich mich in den Knaben, der den
Koffer trug und die Theelöffel schenkte und
dabei so glücklich war.
Und noch in einem andern Herzen blieb
etwa» zurück vom Dufte der Deihnachtskerzen,
Das spürte ich, als ich nach langer Trennung,
ein Erwachsener, wieder einmal nach meiner
Vaterstadt kam und Großmutter besuchte. Wäh-
rend wir beim Thec plauderten, ergriff ich in
Gedanken unwillkürlich den Theelöffel,
„Kennst Du ihn noch?"
Ich sah genauer hin, Lin wunderliches Ding,
aus einer RUschung von Blei und Jinn ge-
gossen, dabei verbogen und ohne Glanz, „was
ist mit ihm?«
„Als Du ein Knabe warst, Haft Du ihn
mir zu Weihnachten geschenkt. Die andern
Beiden sind nicht mehr da; einer ging verloren,
der andere zerbrach. Diesen will ich nun ver-
wahren, Und solltest Du mich noch einmal be-
suchen, wird er wieder bei Deiner Taffe liegen,"
„Ja damals . , ." sagte ich, den Löffel
wehmütig betrachtend, „damals hatte er Glanz!
Run ist er blind geworden,"
„D das macht nichts," meinte die Groß-
mutter; „für mich glänzt er noch immer,"
&
^Stürmisches (Handern
Immer der I)ase nach
Stürmisches Ölandern,
tHälder und öQiesen,
ÖCCie mir’s gefällt!
Schreit ich von diesen
€(mpor zu den andern —
Singend durchschreit’ ich
Oie herrliche Gleit!
I[limmernde Hetze
fangen die I[erne,
Drüben am ÖUege
Blitzt das ©estein;
Däuft mir ein CQädel
Heut in’s ©ehege —
Sonnen und Sterne>
Hurrah, sie wird mein!
CARL BUSSE.
H. Rossmann,
Alte Geschichten
Wertster Freund HirtH!
Trotz Ihrer ehrwürdigen Semester habe
Sie sich tapfer an die Spitze der Jugend g
stellt, ich, an Jahren Ihnen gleich, bin stille b
den Alten sitzen geblieben, mag es gerne leidei
wenn die Jugend um mich her nach neue
weifen pfeift und tanzt, nur soll sie nid
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