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Nr. 51

• JUGEND

1897

fordern, daß ich mittanze. Jugend, Jugend Du
hast das schöne Recht, nur an Dich selbst zu denken,
als ob nicht auch Du alt werden würdest, als
ob die perrückenstöcke, die Du lustig verspottest,
licht auch einmal jung, nicht auch einmal lustig
gewesen waren! Ich habe nun schon zwei Gene-
rationen von jungen Künstlern hineinwachsen sehen
in akademische Ehren und Würden, die eine trug
weiche ungewaschene Hemdenkragen, die zweite hohe
steifgestärkte, die dritte, die jetzt ansetzt, trägt gar
keine, sondern nur gestrickte Sweaters, aber lustig
sind sie Alle gewesen und zu tollen Streichen auf-
gelegt, jede Jett auf ihre Manier, und die Manieren
waren im Grunde nicht einmal so arg verschieden.

Wer nicht nur in der Gegenwart lebt, sondern
wie ich in Büchern, der liest von den Künstlern
aller Jetten mancherlei Wunderliches, was nicht
in den Kunstgeschichten verzeichnet steht und so
mancher hochgefeierte Heros der Kunst, die Schöpfer
der Kathedralen und heiligsten Altargemälde stecken
aus den vergilbten Blättern einen jugendlichen Kraus-
kopf heraus mit mulhwillig leuchtenden Augen.
Brunellescbo, der Erbauer der Domkuppel von
Florenz, mit Oonsteilo, dem Bildner herber Früh-
renaifsance, zu einem närrischen Poffenspiel vereint,
Buca della Robbia und Michelozzo als Gewährs-
männer der historischen Wahrheit dieser Geschichte:
wollen Sie noch mehr? Die Geschichte fand ich
in einer der vielen Sammlungen italienischer Ro-
vellen, die uns aus dem XIV., XV. und XVI.
Jahrhundert überkommen sind. In diesen RoveUen
nehmen einen sehr breiten Raum diejenigen Scherze
ein, die man bette nennt und für die nur die
Engländer ein modernes Wort haben: practica!
jokes. Das Italien des Mittelalters und der Re-
naissance gab sich solchen Foppereien mit wahrer
Leidenschaft hin, ernsthafte Staatsmänner, wie Lo-
renzo di Medici il Magnifico, arbeiteten wochen-
lang an Streichen, die den Gefoppten nicht selten
erhebliche Einbuße an Leib und Seele brachten.
Die berühmtesten Führer in dieser Lustbarkeit sind
die Künstler; manche von ihnen genießen hohen
Ruhm in dieser Kunst, man wird nicht müde,
von ihren Streichen zu erzählen. Wenn Sie mit
mir der Ansicht sind, daß ein Abglanz dieser
Lustigkeit auch heute noch freundlich strahlt, so^
kann ich allerhand aus den alten Büchern dar-^
reichen. Was ich Ihnen heute als erstes schicke, ist
vielleicht das Drolligste, aber noch keineswegs das
Stärkste auf diesem Gebiete. Was mich daran reizte,
sind vor Allem die Mitwirkenden und der Schauplatz.
Der Dom von Florenz, in den der Geplagte sich
flüchtet, die Taufkirche S. Giovanni, jetzt gewöhn-
lich Baptisterium genannt, an der er seine Bude
hat, sie stehen noch grade wie im Jahre 1409,
in dem die Geschichte spielt. Brunellescho, der
eigentliche Rädelsführer, war damals 32, Dona-
tello, sein Gehilfe, 23 Jahre alt. Der Verfasser
versichert, daß er die Geschichte genau mit allen
Einzelheiten von den jüngeren Freunden krunei-
lescho’s, von Luca della Robbia u. A. wiederholt
habe erzählen hören und daß sie in allen Theilen
in Floren; bekannt und verbürgt war. Am meisten
verwunderlich erscheint uns die Willfährigkeit der
Gerichtsbeamten, auf den Scherz einzugehen, ja mit-
zuhelfen, aber diese Männer waren gute Freunde
der betheiligten jungen Herren aus den herrschenden
Adelsfamilien und was diese sich erlauben durften,
beweist die grandiose beffa des Lorenzo di Medici.
In der Ueberseyung, die ich mit befreundeten Kräften
hergestellt habe, haben wir nichts hinzugesetzt, nur
gelegentlich Wiederholungen beseitigt, wir haben ihr
auch Ihunlichst den alten Ton der Sprache gewahrt.

Also, verehrter Freund, wenn cs Ihnen gut-
scheint, geben Sie Ihrer Münchener Jugend von
1897 dieses Stück Florentiner Jugend von 1409.

Mit bestem Gruß

Ihr

alter Alter
Julius Lessing.

v. Haas (München).

Die Geschichte von dem dicken Holzschnitzer,
der nicht mehr er selber war

Im Jahr 1409 nach Christi Geburt fand sich
in der Stadt Florenz eines Sonntags Abends
eine Tischgesellschaft bon jungen Leuten im Hause
eines floreutinischen Edelmannes beisammen. Er
hieß Tommaso dei Pecori, ein ebrenwerther und
wohlhabender Mann, der die Geselligkeit liebte.
Nachdem man gespeist und am Feuer sitzend
über mancherlei geredet hatte, sprach Einer:
„Was soll das nun heißen, daß Manetto Am-
mannatini heute Abend nicht hat kommen wollen
und. sich nicht bewegen ließ, trotzdem wir alle
ihn gebeten haben?"

besagter Manetto war ein Holzschnitzers er
hatte seine Werkstatt und Laden aus dem Kirch-
Platz 8an Giovanni und galt als vorzüglicher
Meister in der Anfertigung von zierlichen Ge-
räthen für die Schmucktijche der Frauen und jeg-
licher Art eingelegter Holzarbeiten: er war em
liebenswürdiger Mensch von 28 Jahren, gut-
müthig und gefällig. Da er wohlbeleibt und
groß war, so nannte man ihn „den Dicken": er
hatte sich immer zu der obengenannten Gesell-
schaft gehalten, die vergnüglichen Sinnes war
und sich ziemlich regelmägig zilsainiiienfand. Nun
hatte er wegen äußerer Geschäfte oder gar wegen
einer der sonderbaren Launen, die ihn gelegent-
lich befielen, oder aus Gott weiß ivelchem Grunde,
trotzdem es ihm mehrfach angesagt war, heute
abgeschlagen zu kommen.

Das war nicht zu dulden, das war eine Belei-
digung für den ganzen Kreis und so sagle Einer,
der zuerst das Wort ergriff: „Ei, warum sollten
wir ihm nicht einen Possen spielen, damit er es
ein anderes Mal bleiben läßt, uns seiner albernen
Launeii wegen im Stich zu lassen?" Nun war
bei der edlen Tafelrunde Einer, Namens Filippo
di 8er Brunellesco, ein, wie ich glaube, wohl-
bekannter Meister. Er war sehr befreundet mit
dem Dicken und kannte seine Lebensgewohnheiten
ganz genau. Nachdem er es sich eine Weile
überlegt hatte, denn er war ein seiner Kopf, be-
gann er so: „Freunde, wenn wir dem Dicken
einen Streich spielen wollen, wozu ich mächtig
Lust verspüre, und zwar einen Streich, an dem
wir selber den größten Spaß erleben können,
so wüßte ich etwas: wir müßten ihn glauben
machen, daß er verwandelt worden und daß er
nicht mehr der Dicke selbst, sondern eine andere
Person geworden sei." Hierauf meinten die Ge-
nossen, oas zu bewerkstelligen sei unmöglich.
Aber Filippo überzeugte sie mit Gründen und
Beweisen, daß sein Einfall doch gelingen könnte.

Man verständigte sich genau über die Art
und über die Reihenfolge, m welcher jeder Ein-
zelne dabei mitzuwirken habe. Dem Dickeiisollte
der Glauben beigebracht werden, er sei ein Mann
geworden, der ebenfalls zu ihrem Kreise gehörte,
mit Namen Matteo.

Am nächsten Abend wurde es in's Werk ge-
setzt. Filippo di ser Brunellesco, der befreundeter
mit dem Dicken war, als irgend einer der an-
deren, ging um die Stunde, in der die Läden
der Handwerker geschloffen zu werden pflegen,
in den Laden des Dicken und nachdem er dort
eine Weile geplaudert hatte, kam, nach Verab-
redung, ein Knabe in großer Hast herangelaufen
und fragt: „Pflegt Filippo di ser Brunelleschi
hierher zu kommen, ist er vielleicht hier?" Wo-
rauf ihm Filippo entgegen trat und ihm sagte,
er selbst sei der Gesuchte; was man von ihm
wolle? Darauf antwortete der Kiiabe: „Beliebe
es Erich sofort nach Hause zurückzukehren; Eurer
Mtutter ist vor z>vei Stuiiden ein böser Unfall
zugestoßen, sie liegt wie tobt da; kommet daher
bald." Filippo that, als ob er darüber schwer
betrübt sei, ries: „Gott steh' mir bei!" und verab-
schiedete sich vom Dicken. Dieser, als guter
Freund, sprach: ,Jch komme mit; vielleicht ist
irgend etwas zu besorgen: in solchen Fällen
muß man seine Freunde nicht schonen." Filippo
aber dankte und sagte: „Für zetzt will ich nicht,
daß Du mitkommst; wenn irgend etwas Noth
thut, so iverde ich zu Dir schicken und Dich um
Deine Hilse bitten/'

Filippo ging nun scheinbar nach Hause, aber
in Wirklichkeit steuerte er in einem Bogen aus
das Wohnhaus des Dicken zu, welches einige
Minuten vom Laden entfernt vor der Kirche
Santa Reparata lag; nachdem er die ihm be-

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v. Haas: Zierleiste
Julius Lessing: Die Geschichte von dem dicken Holzschnitzer, der nicht mehr er selber war
 
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