1897
JUGEND
Nr. 51
kannte Hausthür mit einem Taschenmesser ge-
öffnet hatte, trat er in das Haus ein und riegelte
von innen ab. so dag Niemand hinein konnte.
Nun lebte der Dicke, welcher Junggeselle war,
zusammen mit seiner Mutter, welche damals
grade nach Polverosa aus ein ihr gehöriges Gut
gegangen war, um groge Wäsche abzuhalten;
und von Tag zu Tag zurückerwartet wurde.
Das Haus war also leer.
Nachdem der Dicke den Laden geschlossen hatte,
auch noch einige Male »ach seiner Gewohnheit
auf dem Kirchplatz aus und ab geschlendert war,
voll von Mitleid für Filippo und dessen Mutter,
und cs inzwischen dunkel geworden war, sagte
er sich: „Heute wird mich Filippo nicht mehr
nöthig haben, denn er hat ja nicht nach mir ge-
schickt." So ging er ruhig nach Hause, an seiner
Thüre stieg er die z>vei Stufen in die Höhe und
wollte wie gewöhnlich öffnen. Nachdem er es
mehrmals vergeblich verflicht hatte, wurde er
gewahr, daß die Thüre von innen geschlossen
ivar; er klopfte dehhalb und ries: „Wer ist oben?
Macht aus!" Gr glaubte, das; die Mutter wieder
vom Gute heimgekommen sei und ans irgend
einem Grunde oder auch ohne cs selbst zu wifsen,
die Thüre verschlossen hätte. Filippo, drinnen
im Hause, rief vom Treppenabsatz aus: „Wer
ist da unten?", indem er die Stimme des Dicken
nachahmte. Worauf der Dicke: „Oeffnct mir!"
Filippo begann nun das Spiel, als wenn der-
jenige, der klopfte, jener Mattco sei, in den sich
der Dicke verwandelt glauben sollte, und sprach
nun weiter mit der Stimme des Dicken: „Ach
Mattco, inach, das; Du sortkommst: ich bin in
grosser Sorge; vorhin als Filippo cki sei Bru-
nellesco bei mir im Laden war, schickte man
»ach ihm, seine Mutter läge im Sterben, ich er-
warte, das; er mich rufen lägt und bin heute
Abend für Niemand sonst zu sprechen." Und >n-
oem er sich nach rückwärts wendete, sagte er:
„Mona Giovanna, (das war der Name von des
Dicken Mutter) eilet, dah ich etwas zum Abend-
essen bekomme; es ist recht unrecht, daß ihr erst
heute Abend zurückgekehrt seid, da ihr schon fett
zwei Tagen wieder da sein solltet."
Als der Dicke so schelten hörte und noch da-
zu in seiner eigenen Stimme, sprach er. „Was
ivll das bedeuten? Mir scheint's, als ob der-
lenige, der da oben ist, rch selber sei und er
sagt, das; Filippo bei ihm nn Laden war, als
ihm die Krankheit seiner Mutter gemeldet wurde,
zudem schilt er auch noch aus Mona Giovanna.
Mir ist ganz dumm im Kops." Nachdem er die
beiden Stufen hinabgestiegen und etwas zuruck-
gctreten war, um in's Fenster zu sehen, kam,
ivie verabredet, ei» gcwiffer Donatello, ein Mar-
morbildhauer dazu, der beste Freund des Dicken;
als er ihm bei dem schwachen Schimmer der
Nacht nahe gekommen war, sprach er zu ihm:
„Guten Abeno, Mattco, willst Du den Dicken be-
suchen? Gr ist eben erst in's Haus getreten.
Und damit ging er weiter.
Wenn sich der Dicke schon vorher höchlichst
verwundert hatte, so wurde er nun ganz wirr,
als er von Donatello „Mattco" genannt war; er
zog sich aus den Kirchplatz zurück, und murmelte:
„Hier bleibe ich so lange, bis Jemand vorüber
kommt, der mich erkennt und mich beim richtigen
Name» ruft." Während er so dastand, halb augcr
sich, kamen, nach Verabredung, vier Schergen
vom Amte des städtischen Handelsgerichts mit
einem Gerichtsdiener und ein Kaufmann, dem der
Matteo Geld schuldete — jener Mattco, welcher
dem Dicken bereits anfing, unheimlich zu werden.
Nachdem sich der Kaufmann dem Dicken ge-
nähert hatte, ivandte er sich zum Gerichtsdieucr
und den Schergen und rief: „Führt den Matteo
ab: er ist mein Schuldner." Die Schergen
und der Gerichtsdiener packten den Dicken und
ivollten ihn wegführen, der aber wandte sich zu
dem Kaufmann und ries: „Was habe ich mit
Dir zu thun, das; Du mich sestnehmcn lässt?
Sag' ihnen, das; sie mich loslassen; Du hast mich
mit einem Anderen verwechselt: es ist nieder-
trächtig, daß Du mir diese Schmach anthust,
während ich doch nichts mit Dir zu schassen habe.
Ich bin der dicke Holzschnitzer und bin nicht
Matteo: weis; nicht von welchem Matteo Du
schwatzest" — und da er grof? und stark war, so
wollte er ansangen, aus sie los zu gehn, aber
sie sielen ihm sofort in die Arme; der Gläubiger
stellte sich dicht vor ihn hin, sah ihm scharf in's
Gesicht und sagte: „Also Du hast nichts mit mir
zu schassen? Als ob ich nicht meinen Schuldner
Matteo kennte und wer ist denn überhaupt Dein
dicker Holzschnitzer? Es sieht Dir ähnlich. Du
Bösewicht, zu behaupten, daß Du nicht Matteo
seiest; bezahlen wirst Du müssen und mit dem
Verstellen hat es ein Ende.' Heftig zankend
führten sie ihn auf's Handelsgericht und da es
um die Zeit des Abendessens war, so trafen sie
weder auf dem Hinweg noch im Gerichtsgebäude
irgend Jemand, der rhn kannte. Im Gebäude
fertigte oer Gerichtsschreibcr, der für den Scherz
gewonnen war, einen Haftbefehl auf den Namen
Matteo und man führte ihn in's Gefängnis;.
Die älteren Gefangenen, die aus den Lärin auf-
merksam geworden waren und ihn mehrfach
Matteo hatten nennen höre», ohne ihn zu kennen,
umringten ihn jetzt alle und riesen: „Guten Abend,
Matteo, was hat's zu bedeuten?" Als sich der
Dicke von allen diesen Leuten Matteo nennen
hörte, schien es ihm säst sicher, das; er es wirk-
lich wäre und nachdem er auf ihre Begrüstung
geantwortet hatte, sprach er: „Ich soll Einem,
der mich hat greifen lassen, verschiedene Gelder
schulden, aber morgen in aller Frühe werde ich
loskommen und werde sie Alle beschämen." Die
Mitgefangenen erwiderten lachend: „Das kennen
wir! Schau, wir wollen grade zur Nacht speisen;
iß' mit uns und morgen früh kannft Du ja
sehen, wie Du frei kommst, aber merke Dir
nur, daß man hier meist länger bleibt, als man
glaubt."
Der Dicke aß also mit ihnen zu Abend und
als sie fertig waren, bot ihm Einer ein Eckchen
von seinem Hundelager an, indem er ihm zu-
rcdete: „Nimm heut' Abend hier fürlieb, Mattco,
so gut wie es geht; wenn Du morgen frei wirst,
desto besser, wenn nicht, so musst Du nach Hause
schicken, um Dir Decken holen zu lassen." Der
Dicke dankte und legte sich zum Schlaf zurecht;
und grübelte sorgenvoll: „Aas bleibt mir nun
zu thun, wenn ich anstatt des Dicken wirklich
Matteo geworden bin? und schliestlich muh ich
es glauben nach Allem, was ich schon erlebt
habe. Schicke ich morgen nach Hause zu meiner
Mutter und der Dicke ist grade da, so wird man
sich über mich lustig machen und sagen, ich sei
verrückt geworden und doch glaube ich selber be-
stimmt, nach wie vor der Dicke zu sein." In
diesen widerstreitenden Gedanken verbrachte er die
Nacht, fast ohne zu schlafen; nachdem er sich an>
Morgen erhoben hatte, trat er an das kleine
Fenster der Gefängnihthür, mit Sicherheit daraus
rechnend, dah irgend Jemand, der ihn kenne,
vorüber kommen werde. Indem er so dästand,
trat ein junger Edelmann, Namens Giovanni
cki messer Francesco Rucellai, in das Handels-
gericht ein; er gehörte zu jenem Freundeskreis
und war an jenem Abend bei der spahhasten
Verschwörung zugegen gewesen, — er war ein
guter Bekannter des Dicke», hatte ihm einen
Schmuckkasten siir eine Dame in Äufttag gegeben
und war noch Tags zuvor lange Zeit bei ihm im
Laden gewefen, um mit ihm über diese Arbeit zu
reden und hatte vom Dicken die Zusage erhalten,
dah, in vier Tage» der Kasten vollendet sein solle.
Dieser junge Edelmann trat nun in das Gerichts
gebände, blickte wie aus zufälliger Neugier zum
Fenster der Zelle, tvelchc damals im Erdgeschos;
lag und nn welchem der Dicke stand; kaum
hatte dieser den Giovanni bemerkt, als er an-
sing, ihn anzulächeln und ihm zuzublinzeln;
Giovanni aber blickte ihn an, als ob er ihn nie
zuvor gcsehn Hütte und sprach: „Worüber lachst
Du, Kamerad?" Dem Dicken fiel es schwer auf's
Herz, dah der ihn nicht kannte und sagte: „ES
ist weiter nichts: Aber kennt Ihr Einen, der den
Beinamen der Dicke hat und der da hinter
der Kirche S. Giovanni eingelegte Holzarbeiten
fertigt?" „Wie? Den kenne ich ganz genau,
sagte Giovanni, der ist ein lieber 'Freund von
mir: ich will grade zu ihm hingehn, da er etwa-:-
für mich arbeitet." Darauf der Dicke: „Ach, thut
mir den einen Gefallen, da ihr doch zu ihm
hingehn müht und sagt ihm, ans dem Handels-
gericht sitze ein Freund von ihm in Hast, der
ihn bitte, er möge ihm die Wohlthat anthnn,
ihm etwas Gesellschast zu leisten." Giovanni,
der sich mit grohcr Mühe das Lachen verbeihcn
muhte, antwortete, indem er ihm fortwährend
fest in's Auge sah: „Das will ich gerne thun,"
und ging seines Weges.
Der Dicke blieb am Gefängnihfenster zurück
und murmelte völlig geknickt in sich hinein:
„Jetzt kann ich nun ganz sicher sei», dah ich
nicht mehr der dicke Holzschnitzer, sondern Matteo
geworden bin. Mein versiuchtes Pech; denn
wenn ich das irgend Jemand sage, so halten sic
mich siir verrückt; aus jede» Fall bin ich in böser
Lage. Jetzt ist nur noch die Hoffnung, das; der
Dicke kommt! Wenn er kommt, dann werden wir
cs schon herausbckvinmen, ivas alles dies zu
bedeuten hat." In diesem Gedanken wartete er
und als Jener nicht kam, zog er sich mit ncucn
Hirngespinsten zurück, bald de» mit Backsteinen
gepflasterten Fuf;bodcn ansticrcnd, bald die Wände
mit de» Händen betastend.
I» der Hast des besagten SchuldgesängnisseS
befand sich zu jener Zeit ein Rechtsgclchrter, der
ei» sehr wohlwollender Mann war. Dieser per
suchte den Dicken zu trösten, obgleich er ihn
nicht kannte. Da er ihn so niedergeschlagen sah
und glaubte, das; die Schwermuth voil der Geld-
schuld herrühre, sprach er freundlich: „Aber Mattco.
warum bist Du so betrübt, als wenn es Dir
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kannte Hausthür mit einem Taschenmesser ge-
öffnet hatte, trat er in das Haus ein und riegelte
von innen ab. so dag Niemand hinein konnte.
Nun lebte der Dicke, welcher Junggeselle war,
zusammen mit seiner Mutter, welche damals
grade nach Polverosa aus ein ihr gehöriges Gut
gegangen war, um groge Wäsche abzuhalten;
und von Tag zu Tag zurückerwartet wurde.
Das Haus war also leer.
Nachdem der Dicke den Laden geschlossen hatte,
auch noch einige Male »ach seiner Gewohnheit
auf dem Kirchplatz aus und ab geschlendert war,
voll von Mitleid für Filippo und dessen Mutter,
und cs inzwischen dunkel geworden war, sagte
er sich: „Heute wird mich Filippo nicht mehr
nöthig haben, denn er hat ja nicht nach mir ge-
schickt." So ging er ruhig nach Hause, an seiner
Thüre stieg er die z>vei Stufen in die Höhe und
wollte wie gewöhnlich öffnen. Nachdem er es
mehrmals vergeblich verflicht hatte, wurde er
gewahr, daß die Thüre von innen geschlossen
ivar; er klopfte dehhalb und ries: „Wer ist oben?
Macht aus!" Gr glaubte, das; die Mutter wieder
vom Gute heimgekommen sei und ans irgend
einem Grunde oder auch ohne cs selbst zu wifsen,
die Thüre verschlossen hätte. Filippo, drinnen
im Hause, rief vom Treppenabsatz aus: „Wer
ist da unten?", indem er die Stimme des Dicken
nachahmte. Worauf der Dicke: „Oeffnct mir!"
Filippo begann nun das Spiel, als wenn der-
jenige, der klopfte, jener Mattco sei, in den sich
der Dicke verwandelt glauben sollte, und sprach
nun weiter mit der Stimme des Dicken: „Ach
Mattco, inach, das; Du sortkommst: ich bin in
grosser Sorge; vorhin als Filippo cki sei Bru-
nellesco bei mir im Laden war, schickte man
»ach ihm, seine Mutter läge im Sterben, ich er-
warte, das; er mich rufen lägt und bin heute
Abend für Niemand sonst zu sprechen." Und >n-
oem er sich nach rückwärts wendete, sagte er:
„Mona Giovanna, (das war der Name von des
Dicken Mutter) eilet, dah ich etwas zum Abend-
essen bekomme; es ist recht unrecht, daß ihr erst
heute Abend zurückgekehrt seid, da ihr schon fett
zwei Tagen wieder da sein solltet."
Als der Dicke so schelten hörte und noch da-
zu in seiner eigenen Stimme, sprach er. „Was
ivll das bedeuten? Mir scheint's, als ob der-
lenige, der da oben ist, rch selber sei und er
sagt, das; Filippo bei ihm nn Laden war, als
ihm die Krankheit seiner Mutter gemeldet wurde,
zudem schilt er auch noch aus Mona Giovanna.
Mir ist ganz dumm im Kops." Nachdem er die
beiden Stufen hinabgestiegen und etwas zuruck-
gctreten war, um in's Fenster zu sehen, kam,
ivie verabredet, ei» gcwiffer Donatello, ein Mar-
morbildhauer dazu, der beste Freund des Dicken;
als er ihm bei dem schwachen Schimmer der
Nacht nahe gekommen war, sprach er zu ihm:
„Guten Abeno, Mattco, willst Du den Dicken be-
suchen? Gr ist eben erst in's Haus getreten.
Und damit ging er weiter.
Wenn sich der Dicke schon vorher höchlichst
verwundert hatte, so wurde er nun ganz wirr,
als er von Donatello „Mattco" genannt war; er
zog sich aus den Kirchplatz zurück, und murmelte:
„Hier bleibe ich so lange, bis Jemand vorüber
kommt, der mich erkennt und mich beim richtigen
Name» ruft." Während er so dastand, halb augcr
sich, kamen, nach Verabredung, vier Schergen
vom Amte des städtischen Handelsgerichts mit
einem Gerichtsdiener und ein Kaufmann, dem der
Matteo Geld schuldete — jener Mattco, welcher
dem Dicken bereits anfing, unheimlich zu werden.
Nachdem sich der Kaufmann dem Dicken ge-
nähert hatte, ivandte er sich zum Gerichtsdieucr
und den Schergen und rief: „Führt den Matteo
ab: er ist mein Schuldner." Die Schergen
und der Gerichtsdiener packten den Dicken und
ivollten ihn wegführen, der aber wandte sich zu
dem Kaufmann und ries: „Was habe ich mit
Dir zu thun, das; Du mich sestnehmcn lässt?
Sag' ihnen, das; sie mich loslassen; Du hast mich
mit einem Anderen verwechselt: es ist nieder-
trächtig, daß Du mir diese Schmach anthust,
während ich doch nichts mit Dir zu schassen habe.
Ich bin der dicke Holzschnitzer und bin nicht
Matteo: weis; nicht von welchem Matteo Du
schwatzest" — und da er grof? und stark war, so
wollte er ansangen, aus sie los zu gehn, aber
sie sielen ihm sofort in die Arme; der Gläubiger
stellte sich dicht vor ihn hin, sah ihm scharf in's
Gesicht und sagte: „Also Du hast nichts mit mir
zu schassen? Als ob ich nicht meinen Schuldner
Matteo kennte und wer ist denn überhaupt Dein
dicker Holzschnitzer? Es sieht Dir ähnlich. Du
Bösewicht, zu behaupten, daß Du nicht Matteo
seiest; bezahlen wirst Du müssen und mit dem
Verstellen hat es ein Ende.' Heftig zankend
führten sie ihn auf's Handelsgericht und da es
um die Zeit des Abendessens war, so trafen sie
weder auf dem Hinweg noch im Gerichtsgebäude
irgend Jemand, der rhn kannte. Im Gebäude
fertigte oer Gerichtsschreibcr, der für den Scherz
gewonnen war, einen Haftbefehl auf den Namen
Matteo und man führte ihn in's Gefängnis;.
Die älteren Gefangenen, die aus den Lärin auf-
merksam geworden waren und ihn mehrfach
Matteo hatten nennen höre», ohne ihn zu kennen,
umringten ihn jetzt alle und riesen: „Guten Abend,
Matteo, was hat's zu bedeuten?" Als sich der
Dicke von allen diesen Leuten Matteo nennen
hörte, schien es ihm säst sicher, das; er es wirk-
lich wäre und nachdem er auf ihre Begrüstung
geantwortet hatte, sprach er: „Ich soll Einem,
der mich hat greifen lassen, verschiedene Gelder
schulden, aber morgen in aller Frühe werde ich
loskommen und werde sie Alle beschämen." Die
Mitgefangenen erwiderten lachend: „Das kennen
wir! Schau, wir wollen grade zur Nacht speisen;
iß' mit uns und morgen früh kannft Du ja
sehen, wie Du frei kommst, aber merke Dir
nur, daß man hier meist länger bleibt, als man
glaubt."
Der Dicke aß also mit ihnen zu Abend und
als sie fertig waren, bot ihm Einer ein Eckchen
von seinem Hundelager an, indem er ihm zu-
rcdete: „Nimm heut' Abend hier fürlieb, Mattco,
so gut wie es geht; wenn Du morgen frei wirst,
desto besser, wenn nicht, so musst Du nach Hause
schicken, um Dir Decken holen zu lassen." Der
Dicke dankte und legte sich zum Schlaf zurecht;
und grübelte sorgenvoll: „Aas bleibt mir nun
zu thun, wenn ich anstatt des Dicken wirklich
Matteo geworden bin? und schliestlich muh ich
es glauben nach Allem, was ich schon erlebt
habe. Schicke ich morgen nach Hause zu meiner
Mutter und der Dicke ist grade da, so wird man
sich über mich lustig machen und sagen, ich sei
verrückt geworden und doch glaube ich selber be-
stimmt, nach wie vor der Dicke zu sein." In
diesen widerstreitenden Gedanken verbrachte er die
Nacht, fast ohne zu schlafen; nachdem er sich an>
Morgen erhoben hatte, trat er an das kleine
Fenster der Gefängnihthür, mit Sicherheit daraus
rechnend, dah irgend Jemand, der ihn kenne,
vorüber kommen werde. Indem er so dästand,
trat ein junger Edelmann, Namens Giovanni
cki messer Francesco Rucellai, in das Handels-
gericht ein; er gehörte zu jenem Freundeskreis
und war an jenem Abend bei der spahhasten
Verschwörung zugegen gewesen, — er war ein
guter Bekannter des Dicke», hatte ihm einen
Schmuckkasten siir eine Dame in Äufttag gegeben
und war noch Tags zuvor lange Zeit bei ihm im
Laden gewefen, um mit ihm über diese Arbeit zu
reden und hatte vom Dicken die Zusage erhalten,
dah, in vier Tage» der Kasten vollendet sein solle.
Dieser junge Edelmann trat nun in das Gerichts
gebände, blickte wie aus zufälliger Neugier zum
Fenster der Zelle, tvelchc damals im Erdgeschos;
lag und nn welchem der Dicke stand; kaum
hatte dieser den Giovanni bemerkt, als er an-
sing, ihn anzulächeln und ihm zuzublinzeln;
Giovanni aber blickte ihn an, als ob er ihn nie
zuvor gcsehn Hütte und sprach: „Worüber lachst
Du, Kamerad?" Dem Dicken fiel es schwer auf's
Herz, dah der ihn nicht kannte und sagte: „ES
ist weiter nichts: Aber kennt Ihr Einen, der den
Beinamen der Dicke hat und der da hinter
der Kirche S. Giovanni eingelegte Holzarbeiten
fertigt?" „Wie? Den kenne ich ganz genau,
sagte Giovanni, der ist ein lieber 'Freund von
mir: ich will grade zu ihm hingehn, da er etwa-:-
für mich arbeitet." Darauf der Dicke: „Ach, thut
mir den einen Gefallen, da ihr doch zu ihm
hingehn müht und sagt ihm, ans dem Handels-
gericht sitze ein Freund von ihm in Hast, der
ihn bitte, er möge ihm die Wohlthat anthnn,
ihm etwas Gesellschast zu leisten." Giovanni,
der sich mit grohcr Mühe das Lachen verbeihcn
muhte, antwortete, indem er ihm fortwährend
fest in's Auge sah: „Das will ich gerne thun,"
und ging seines Weges.
Der Dicke blieb am Gefängnihfenster zurück
und murmelte völlig geknickt in sich hinein:
„Jetzt kann ich nun ganz sicher sei», dah ich
nicht mehr der dicke Holzschnitzer, sondern Matteo
geworden bin. Mein versiuchtes Pech; denn
wenn ich das irgend Jemand sage, so halten sic
mich siir verrückt; aus jede» Fall bin ich in böser
Lage. Jetzt ist nur noch die Hoffnung, das; der
Dicke kommt! Wenn er kommt, dann werden wir
cs schon herausbckvinmen, ivas alles dies zu
bedeuten hat." In diesem Gedanken wartete er
und als Jener nicht kam, zog er sich mit ncucn
Hirngespinsten zurück, bald de» mit Backsteinen
gepflasterten Fuf;bodcn ansticrcnd, bald die Wände
mit de» Händen betastend.
I» der Hast des besagten SchuldgesängnisseS
befand sich zu jener Zeit ein Rechtsgclchrter, der
ei» sehr wohlwollender Mann war. Dieser per
suchte den Dicken zu trösten, obgleich er ihn
nicht kannte. Da er ihn so niedergeschlagen sah
und glaubte, das; die Schwermuth voil der Geld-
schuld herrühre, sprach er freundlich: „Aber Mattco.
warum bist Du so betrübt, als wenn es Dir
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